Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Auszug aus einem Buch von Renate Schmidt

Odin, Tuesday, 21.01.2003, 13:58 (vor 7767 Tagen)

Renate Schmidt (Familienministerin):
SOS-Familie - ohne Kinder sehen wir alt aus.
Rowohlt-Verlag März 2002
Auszug aus dem Kapitel: Neue Väter braucht das Land

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Die zahlreicher werdenden Väterinitiativen, von denen sich Gott sei Dank viele aus der Schmollecke der beleidigten Scheidungsväter herausbewegen, klagen zu Recht darüber, dass es keine politische und gesellschaftliche Kultur des Vaterseins und damit auch keine gesellschaftliche Unterstützung des Vaterseins gibt.

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Diese Situation ist mehr als bedauerlich, denn Kinder brauchen eben ihre Väter ebenso wie ihre Mütter. Nicht nur, um ihre materielle Existenz sicherzustellen, sondern für ihre Gesamtentwicklung.

Die Vaterschaft ist ein vergleichsweise unerforschtes Gebiet. Jüngste internationale Studien weisen jedoch sowohl in den USA als auch in Deutschland (Prof. Fthenakis) darauf hin, dass der Vater das Selbstwertgefühl des Kindes und des künftigen jungen Erwachsenen genauso beeinflusst wie die Bildung und Ausbildung der Kinder. Und vor allem beeinflusst der Vater durch sein Vorbild die künftige Verhaltensweise der Jungen.

Um ihre Väterrolle erweitern und entwickeln zu können, brauchen Väter auch die Unterstützung der Mütter. 55 Prozent der Frauen halten Männer für nicht geeignet, Kinder zu erziehen - fälschlicherweise. Hier beginnt in der Familien- und Erziehungsarbeit der gleiche Teufelskreis wie bei der Hausarbeit. Frau kann und weiß alles besser, gutmütiger Partner fühlt sich demotiviert, ihm wird verwehrt, eigene Fehler und eigene Erfahrungen zu machen, und zieht sich daraufhin zurück. Partnerin ist zunehmend überfordert und reagiert sauer auf den Rückzug. Partner ist nicht bereit, nur Arbeit auf Anweisung und im Sinne seiner Frau zu tun.

Merke: Arbeit in Familie und Haushalt, Erziehung von Kindern setzt die Respektierung unterschiedlicher Stile genauso voraus wie Gleichberechtigung von Mutter und Vater - auch hier müssen Frauen einen Teil ihrer bisherigen Machtpositionen räumen, um Freiheit für sich selbst und Gleichberechtigung in außerhäuslichen Bereichen zu gewinnen.

Kinder brauchen ihren Vater, sonst fehlt ihnen ein Teil ihrer Identität. Natürlich scheitert nicht jedes Kind, das, aus welchen Gründen auch immer, nicht die Möglichkeit eines Kontakts zum Vater hatte, sei es der Tod des Vaters oder auch das - leider nicht seltene - Abtauchen des Vaters nach einer Trennung.

In all diesen Fällen ist es dennoch wichtig, dem Kind ein positives Vaterbild zu vermitteln und es nicht - bei einer Trennung der Eltern - als Partnerersatz und als Klagemauer für die Schlechtigkeit des Vaters zu missbrauchen. Der US-Psychologe John Selby sagt: «Nicht jedes vaterlose Kind wird kriminell, aber 80 Prozent der kriminell gewordenen Jugendlichen sind ohne Kontakt zum Vater aufgewachsen.»

Damit sind wir bei dem in Deutschland unerfreulichen Kapitel, dass die wahrscheinlich meist unvermeidlichen Konflikte, die bei einer Trennung von Mutter und Vater entstehen, auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden, unbewusst oder bewusst. Die Münchner Familientherapeutin Osterhold-Lederle sagt dazu in einem Interview mit der Zeitschrift Eltern:

«Wenn Kinder nach der Trennung den Vater aus den Augen verlieren, weil er verschwindet oder weil die Mutter ihn verschwinden lässt, erschüttert dies nicht nur ihr Vertrauen in die Stabilität menschlicher Beziehungen, sondern auch ihr Selbstwertgefühl. Viele Kinder leiden - manchmal ein Leben lang - unter dem Gefühl, dass man sie nicht wichtig nimmt. Sie spüren, dass eine Hälfte von ihnen nicht sein darf: Die Wesenszüge, die sie vom Vater haben, müssen geleugnet werden. Wenn man aber eine Seite der Person abschneiden muss, kann dies zu einer schweren Persönlichkeitsstörung führen. Viele Mütter sagen, der Expartner verstehe nichts von Erziehung. (...)

In den meisten Fällen [ist ein schlechter Vater besser als gar keiner]. Auch der Mensch, den die Mutter für einen schlechten Vater hält (weil er für sie ein schlechter Partner war), ist für die Kinder wichtig: Die Frage ist nicht, ob die Kinder am Wochenende mit ihm Junk-Food essen oder nicht, sondern ob sie ehrliches Interesse von ihrem Vater spüren. Ein Vater, der zum Beispiel oft fünf gerade sein lässt, kann außerdem für das Kind ein wichtiger Ausgleich zu einer sehr genauen Mutter sein - oder umgekehrt.»

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Ja, es stimmt, dass nicht wenige Väter nicht nur aus dem Leben ihrer Partnerinnen, sondern auch aus dem Leben ihrer Kinder vollständig verschwinden. Bei rund der Hälfte der Trennungskinder besteht nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums nach einem Jahr keinerlei Kontakt mehr zum Vater -nicht zu Weihnachten, nicht zu Geburtstagen, nie mehr. Es gibt nicht eheliche Väter, die ihr Kind lebenslang kein einziges Mal sehen.

Aber es stimmt eben auch, dass Mütter - aus Ärger über ihren Partner - den Vater ihrer Kinder einfach verschwinden lassen. Besuchszeiten werden nicht eingehalten, die Mutter zieht ein paar hundert Kilometer weit weg, um es ihrem Exmann möglichst schwer zu machen, die Kinder zu besuchen.

Es stimmt eben auch, dass Mütter versuchen, den Vater schlecht zu machen, und selbst wenn sie es nicht sagen, strahlen sie aus, dass sie die Besuche nicht wünschen. Irgendwann beugt sich das Kind diesem ausgesprochenen, manchmal auch nicht ausgesprochenen Wunsch.

Es stimmt auch, dass Richter und Richterinnen immer noch -trotz der Möglichkeit des gemeinsamen Sorgerechts - glauben, das Kind sei generell besser und alleine bei der Mutter aufgehoben. Dass Mütter in nicht ehelichen Partnerschaften von den Jugendämtern eher dahingehend beraten werden, kein gemeinsames Sorgerecht mit dem nicht ehelichen Vater zu vereinbaren.

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Das Recht geht zwar vom Wohl des Kindes aus, aber oft genug wird im Streit der Eltern die größte Gefährdung des Kindes gesehen.

Dort, wo die Eltern die charakterliche Größe aufbringen, die Auseinandersetzung der Erwachsenen zwar nicht unter den Teppich zu kehren, aber gleichwohl dem Kind zu vermitteln, dass die Trennung der Eltern nichts an der Liebe der beiden Eltern zu ihrem Kind ändert, wird das Kind diese Trennung nahezu problemlos überstehen.

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In Frankreich (wo auch gemeinsames Sorgerecht gilt) stehen für sich trennende Paare sehr viel mehr Beratungsstellen bereit. Auch das hiesige Kinder- und Jugendhilferecht schreibt Beratungsstellen für Scheidungsfamilien vor, dennoch sind sie nicht ausreichend vorhanden. Die Folge ist im Normalfall der Gang zum Rechtsanwalt. Dieser versucht aber nicht den Streit zu begrenzen, sondern muss von Berufs wegen parteilich agieren und gießt damit noch Öl in das Feuer des hochemotionalen Streits.

Mediation und Beratung könnten dieses Feuer begrenzen, helfen, die bisherigen Partner durch die schwierigste Konfliktphase einer Trennung zu lotsen. Leider sind wir davon noch weit entfernt, und das Verschulden für die Situation trifft eine teilweise uneinsichtige Rechtsprechung und Bürokratie genauso wie uneinsichtige Väter und Mütter.

Auch hier gilt: In Wirklichkeit geht es oft nicht um das Wohl des Kindes, sondern um das vermeintliche Wohl der Eltern, also der Erwachsenen.


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