Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Buchbesprechung: Muttermythen, Mutterstärken

Odin, Sunday, 01.05.2005, 22:46 (vor 6952 Tagen)

Ursula Fassbender und Louis Schützenhöfer blicken auf die Rolle von Müttern. Konträrer hätten ihre Einschätzungen kaum ausfallen können

Läuft bei der Erziehung der Kinder etwas schief, ist die Schuldige meist blitzschnell ermittelt. Die "Schwarze Petra" wird gerne und wie selbstverständlich der Mutter überreicht. Engagierte und feministisch orientierte Mütter haben das seit geraumer Zeit satt und versuchen, das Bild zurechtzurücken. Ein Gespräch zwischen Ursula Fassbender und Louis Schützenhöfer über den Einfluss, den Mütter haben, wäre daher mit Sicherheit explosiv. Denn ihre Einschätzungen über die mütterliche Liebeskraft, ihre Intuition oder auch ihre Rolle im Leben des Kindes liegen in etwa so weit auseinander wie Nord- und Südpol. Schon die Titel zeigen, was damit gemeint ist. Die Stärken der Mütter heißt es bei Ursula Fassbender, und das ist ausschließlich positiv gemeint. In aller Liebe - Wie Mütter ihre Kinder unglücklich machen überschreibt Schützenhöfer sein Werk. Beide Autoren gehen das Thema betont subjektiv und aus eigener Erfahrung an. Die eine ist Mutter (Jahrgang 1958), der an dere Sohn (Jahrgang 1940).
Ursula Fassbender ist überzeugt, dass eine Mutter instinktiv weiß, was ihren Kindern gut tut. Sind Mütter be- reit, sich auf eine Symbiose mit ihren Kindern einzulassen (was in dieser Zeit und in diesem System nicht einfach ist), sei Mutterliebe das stärkste Gefühl überhaupt. Eine Liebe, die so dauerhaft, unerschütterlich und bedingungslos ist i wie die Mutterliebe, suche man sonst vergeblich. "Wenn zwei füreinander bestimmt sind, dann Mutter und Kind." Diese Symbiose mit der Mutter sei für Kinder notwendig. "Alles, was diese Symbiose stört oder beeinträchtigt, schädigt das Kind ebenso wie seine Mutter. Kinder ohne diese enge Bindung haben keinen festen Stand und keine Orientierung im Leben.«
Fassbender untermauert ihre Behauptungen mit Studien, zudem verweist sie auf Tiermütter, die souverän in der Erziehung ihrer Jungen sind und sie gegen störende Einflüsse von außen mit größtem Einsatz verteidigen. Auch für das Glück der Menschenkinder reiche es aus, die Mutter greifbar zu haben; ein Vater hingegen sei nicht unbedingt notwendig. Ohnehin werde die Wichtigkeit der Väter in letzter Zeit überbetont, so die Autorin. Da sich die meisten Väter nicht "nestkompatibel" verhielten, sei ein Verzicht auf sie kein Unglücksfall. Denn was nütze ein Vater, der sich zwar nicht an der Arbeit im Haushalt konstruktiv beteilige, dafür aber bei der Erziehung meine, ein gleichrangiges oder sogar übergeordnetes Mitspracherecht zu haben? "Le-ben gebären und erhalten ist ein urweibliches Prinzip und kann von niemandem erworben werden. Ebenso wenig wie mutterndes Verhalten."
Eine deutliche Abfuhr erteilt Fassbender auch dem gemeinsamen Sorgerecht nach der Scheidung. Dieses sei seit einigen Jahren von einem "Vaterrechtsvirus" befallen. Davon infizierte Richter, Gutachter und Jugendamtsmitarbeiter begriffen offenbar nicht,dass "für Familien mit nicht nestkompatiblen Vätern die Heilung nur in einer klaren Trennung liegt". Bei Scheidungen sei es für die gesunde Entwicklung des Kindes nicht förderlich, wenn es regelmäßig sein Nest verlassen und zwischen zwei Bezugspunkten hinund herpendeln müsse.
Fassbender plädiert für ein weibliches Familienmodell, in dem sich der Vater in allen Belangen, die das Nest betreffen, an der Mutter orientiert. Und auch wenn die Partnerschaft auseinander gehe, so erkenne man einen Vater, der seine Kinder tatsächlich liebe, daran, dass er die Kinder nicht dem Nest entreiße. Unter der Überschrift "Müttersouveränität" skizziert Fassbender ein Modell, in dem Mütter aktiv an ihrer Heilung arbeiten und sich ihrer Einmaligkeit und Wichtigkeit bewusst werden können. Dabei sei es unerlässlich, sich der ureigenen Intuition wieder bewusst zu werden. Einige Möglichkeiten, dies zu tun, werden vorgestellt.
Was fehlt in dem sicherlich sehr lesenswerten Buch, ist ein zumindest neutraler Blick auf Väter, die sich um Familientauglichkeit ehrlich und oftmals sogar erfolgreich bemühen, sowie das Eingeständnis, dass es auch Mütter gibt, die sich nicht nestkompatibel verhalten. Worauf dieses zurückzuführen ist, hätte durchaus mit Theorieansätzen der Autorin erklärt werden können. So zu tun, als gäbe es solche Mütter grundsätzlich nicht, irritiert.
Diesen "schlechten" Müttern widmet Schützenhöfer sein Buch, auch wenn er betont, für Töchter und Söhne geschrieben zu haben, nicht gegen Mütter. Schützenhöfer verurteilt den Müttermythos, denn nicht alles, was Mütter tun, sei von vorneherein gut und richtig. Diese Einschätzung würde bei Kindern nur Schuldgefühle verursachen, wenn sie später versuchen, eine unbefriedigende Mutterbeziehung zu analysieren. Seine These ist: Mütter können Fehler machen, und sie machen sie auch. Ist das erkannt, brauchen Mütter keinem Idealbild hinterherzuhecheln und sich an Perfektionsansprüchen messen zu lassen. Konkret beschreibt Schützenhöfer vier Muttertypen, die ihren Kindern Probleme bereiten können: die Machtmutter, die Opfermutter, die narzisstische und die lieblose Mutter. Schützenhöfer hat 50 Tiefeninterviews mit betroffenen Töchtern und Söhnen gemacht und zitiert daraus ausführlich. Auch auf die Partner dieser Muttertypen geht er kurz ein. Die Väter schneiden auch bei ihm nicht gut ab. Er wirft ihnen vor, sich zu sehr aus der Erziehung herausgehalten zu haben.
Dies ist die Stelle, an der Fassbenders Thesen greifen könnten. Wäre es am Ende möglich, dass diese Mütter besser ohne ihre Partner gefahren wären? Wäre unter diesen Bedingungen auch die Mutter-Kind-Beziehung weniger belastet gewesen? Fragen, auf die es leider keine Antwortversuche gibt. Der Autor, lange Zeit als Werbeforscher und Verkehrspsychologe tätig, gibt jedoch Tipps, wie eine problematische Mutterbeziehung aufzuarbeiten ist: Erkannt werden müsse zunächst der Mechanismus der Mutter-Kind-Beziehung, der meist durch "starke psychische Kräfte aller beteiligten Personen in Gang gehalten wird". Aus diesem "Teufelskreis" von Aktion und Reaktion auszubrechen bedürfe großer Anstrengungen, sei aber möglich. Schuldzuweisungen lehnt er mit Hinweis auf die Zwanghaftigkeit des Prozesses ab. Er weist nämlich darauf hin, dass eine problembelastete Mutter-Kind-Beziehung von Generation zu Generation weitergereicht werde. Insofern ist eine Aufarbeitung tatsächlich dringend geboten allerdings unter Beachtung der Thesen Fassbenders.

Theresia Maria de Jong in Psychologie heute Mai 05

besprochen wurden die Bücher "Die Stärken der Mutter" von Ursula Fassbender, Frauenoffensive München
und "In aller Liebe" von Louis Schützenhöfer, Ueberreuter, Wien

Psychologie heute,
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leserbriefe.auch-heft@psyheu.de


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