Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Antwortenschreiber, Monday, 15.08.2005, 23:37 (vor 6837 Tagen)


Immer mehr Frühchen in Deutschland
Steigendes Alter der Mütter ist eine wesentliche Ursache für Frühgeburten - Alkohol, Zigaretten und Promiskuität in der Schwangerschaft weitere Riskofaktoren
von Birgitta vom Lehn


Sorgen in den Geburtskliniken
Foto: AP
Der Trend zum verspäteten Kinderwunsch in Deutschland hat ernste Konsequenzen: Immer mehr Babys kommen zu früh zur Welt. Damit zeichnet sich eine Entwicklung ab, die in den USA schon in vollem Gange ist: Im Jahr 2002 wurden dort eine halbe Million Kinder zu früh geboren und damit 27 Prozent mehr als noch vor 20 Jahren.

Während der Babywaren-Markt die Nische erkannt hat und der Spezialversand "Perinas" mit ergonomisch geformten Lagerungskissen und winziger Mode für "Frühchen" ab Größe 32 wirbt, sieht die Situation für die meisten Mütter, vor allem wenn es sich um sehr kleine Kinder handelt, nicht sehr rosig aus. So fanden Psychiater der Universität Münster heraus, daß eine Frühgeburt "ein komplexes, über einen längeren Zeitraum andauerndes traumatisches Geschehen" sei, das mit hoher depressiver Belastung einhergehe und spezielle psychotherapeutische Begleitung erfordere. In den USA würden bereits 35 Prozent der Gesamtgesundheitskosten für Frühgeburten aufgewendet, schreibt der Aachener Gynäkologe Professor Werner Rath in der Zeitschrift "Geburtshilfe und Frauenheilkunde". Rath weist darauf hin, daß die Frühgeburtenrate in den letzten Jahren trotz weltweiter Bemühungen nicht gesenkt werden konnte und "in den entwickelten Ländern nach wie vor sieben bis zwölf Prozent mit zunehmender Tendenz" beträgt.

Die von der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung, einer vor fünf Jahren von der Bundesärztekammer (BÄK), der Deutschen Krankenhausgesellschaft, den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Verband der Privaten Krankenversicherungen in Düsseldorf gegründeten Dienstleistergesellschaft, veröffentlichten Zahlen für das Jahr 2003 weisen 57 088 Kinder aus, die vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren wurden. Bezogen auf 592 344 Geburten, die Basis der Untersuchung waren, kamen somit 8,97 Prozent der Babys in Deutschland zu früh. 1992 hatte die Frühgeburtenrate nach einer damals von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erhobenen Statistik noch 7,2 Prozent oder 51 985 Kinder betragen.

Professor Joachim Dudenhausen, Leiter der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Berliner Charité, nennt vor allem zwei Ursachen für diese Tendenz: das steigende Alter der Mütter und die steigende Zahl an Zwillingsschwangerschaften, die fast immer als Frühgeburten enden. Die niedersächsische Perinatalstatistik weist bei älteren Schwangeren ein um das fast Zweifache erhöhte Frühgeburtsrisiko aus. Liegt die Rate bei den 25- bis 29-Jährigen bei rund 7,1 Prozent, so steigt sie bei den 35- bis 39-Jährigen auf 8,9 und bei den über 40-Jährigen auf 11,2 Prozent. Dudenhausen: "Die Frauen bekommen heute später Kinder, und ältere Frauen bekommen häufiger Zwillinge. Eine Ursache dafür liegt in der medikamentösen Ovulationsauslösung." Da die Fruchtbarkeit mit zunehmendem Alter der Frau abnimmt, wird der Frauenarzt häufig konsultiert, um dem erwünschten Eisprung hormonell auf die Sprünge zu helfen. Hierbei kommt es oft zur Reifung mehrerer Follikel. Die erhoffte Senkung der Frühgeburtenrate bei Einlingen durch gezielte Vorsorgemaßnahmen, so Dudenhausen, werde somit durch die Zunahme an Zwillingsschwangerschaften wieder aufgehoben.

Der Gynäkologe macht aber auch auf ein anderes Problem aufmerksam: "Es ist erschreckend, daß 25 Prozent der Schwangeren in Berlin rauchen und neun Prozent regelmäßig Alkohol konsumieren." Dabei beruft er sich auf Erhebungen seiner Klinik. "Auch der Lebenswandel einiger Frauen, zum Beispiel ihr promiskuitives Verhalten während der Schwangerschaft, erhöht das Frühgeburtsrisiko erheblich." Der Tätigkeitsbericht 2004 der BÄK untermauert Dudenhausens Beobachtung. Dort heißt es: "Etwas 20 Prozent der neugeborenen Kinder sind während der Schwangerschaft Tabakkonsum ausgesetzt. Allein die ärztliche Versorgung von Frühgeburten, die sich auf Tabakkonsum während der Schwangerschaft zurückführen lassen, verursacht jährliche Kosten in Höhe von circa 35 Millionen Euro."

Bislang vernachlässigte Faktoren für Frühgeburten sind zudem vorausgegangene Fehlgeburten oder Abtreibungen. Eine länderübergreifende Analyse von fast zwei Millionen Datensätzen, die die Zeitschrift "Geburtshilfe und Neonatologie" vor kurzem veröffentlichte, ergab, daß bereits nach dem ersten Abort (Abtreibung oder Fehlgeburt) das Risiko einer Frühgeburt in der folgenden Schwangerschaft deutlich erhöht sei.

Bekannt ist hingegen die Gefahr durch aufsteigende Infektionen. Als "vordringlichste Maßnahme" empfiehlt daher Monika Schreiber vom Erich-Saling-Institut für Perinatale Medizin e.V. in Berlin die bundesweite Einführung eines zur Schwangeren-Selbstvorsorge entwickelten Aktionsprogramms. Die Messung am Scheideneingang zielt auf das frühestmögliche Erkennen von pH-Wert-Abweichungen und so erkennbaren relevanten Störungen. Sie ist zur Zeit zwar keine unmittelbare Kassenleistung, wird aber von mehreren Krankenkassen kostenlos als Pilotprojekt durchgeführt.

Eine Studie mit über 4000 Frauen an der Universität Wien hat zudem ergeben, daß ein konsequentes Infektionsscreening in der Schwangerschaft die Frühgeburtenrate um 50 Prozent senken kann. Die dadurch erzielbare Senkung der Frühgeburtenrate schafft nach Angaben von Professor Herbert Kiss, Chef der Wiener Universitätsfrauenklinik, akute Einsparungen im Klinikbereich von rund zehn Millionen Euro pro Jahr.

Artikel erschienen am Di, 16. August 2005

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