Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Die Sorte mag ich besonders :--(

Garfield, Monday, 08.05.2006, 15:45 (vor 6567 Tagen) @ Antwortenschreiber

Als Antwort auf: Re: Die Sorte mag ich besonders :--( von Antwortenschreiber am 05. Mai 2006 17:10:

Hallo Antwortenschreiber!

"Ausserdem finde ich wenn man gestern für die eine Armee war
und heute für die andere ist das troztdem komisch."

Ja, ich fand es in der Wendezeit auch sehr interessant, wie schnell sich da viele Offiziere gewendet haben. Aber viele waren eben nicht aus Überzeugung bei der NVA, sondern aus ganz anderen Gründen. Als Offiziersbewerber hatte man es schon einmal leichter in der Schule. Da wurde schon mal eine schlechte Zensur gnädig nach oben korrigiert, damit man auch ja die Voraussetzungen für die Offiziershochschule erfüllte. Und wenn man dann Offizier war, verdiente man recht gut. Jedenfalls besser als ein einfacher Arbeiter.

Diejenigen, die sich heute länger oder gar dauerhaft für die Bundeswehr verpflichten, tun das ja auch kaum aus Überzeugung, sondern meist eher deshalb, weil sie anderswo keine berufliche Perspektive haben.

So ist das schon immer gewesen, im Osten wie im Westen. Mein Vater war Anfang der 1960er Jahre an der Grenze. Da sind sie ab und zu mal heimlich über die Grenze zu den westdeutschen Grenzposten geschlichen und haben mit denen Karten gespielt. Da war auf beiden Seiten kein einziger dabei, der irgendwie ideologisch verbohrt war. Die waren alle nur da, weil sie da sein mußten.

Es gab aber auch solche, die sich ideologisch verbohrt gaben und gern auch andere anschmierten, wenn die sich nicht so gaben. In der 8. Klasse hatte ich eine Klassenlehrerin, die auch Staatsbürgerkunde unterrichtete. Dabei gab sie sich extrem systemkonform, keiner durfte sich kritisch äußern, und mir kreidete sie dann obendrein auch noch ständig an, daß ich mich im "Klassenkollektiv" nicht genug engagierte. Sie wollte mir deshalb auch die Zulassung zum Abi verbauen. Zu meinem Glück besuchte sie dann aber mal Verwandte im Westen. Sie war so etwa Anfang 30, und normalerweise hätte man sie gar nicht rausgelassen. Aber die Lehrer bürgten für sie, sie galt auch als überzeugte Partei-Genossin, und ihr Mann durfte natürlich nicht mit, sondern mußte quasi als Geisel in der DDR bleiben. Sie kehrte aber trotzdem nicht zurück. Für mich war das gut, denn auf ihre Beurteilung legte nun niemand mehr Wert, und der Weg zum Abi war für mich frei. Aber die Lehrer und natürlich auch ihr Mann waren stinksauer.

Solche Leute gab es natürlich auch in der NVA, und die waren wirklich übel.

"Diese gesamte Armeegeschichte in der DDR ist doch ein riesen grosser Betrug an den Männer gewesen, da redet aber heute ( noch )niemand davon!"

Das war bzw. ist leider nicht nur in der DDR so.

"Es kotzt mich langsam an, wenn ich immer höre wie toll die ddr für Alleinerziehende Mütter war, wie beschiessen die ddr gerade für Männer sein konnte, davon redet keiner."

Das stimmt. In dem Zusammenhang fällt mir immer eine Szene aus dem Film "NVA" ein. Da tappt ein junger Grundwehrdienstleistender bei einer Geländeübung durch die Botanik und sieht dann auf einem Weg einige Mädels in seinem Alter. Die gehen gerade fröhlich mit Sonnenschirmchen und leichten Röckchen zum Baden, während er in der Hitze mit voller Montur herumlaufen muß. Und als sie ihn sehen, lachen sie noch über ihn.

Aber das hat die DDR eben so vom Deutschen Reich übernommen, genau wie die Bundesrepublik. Und da es ja nur Männer betraf, hielt man es hüben wie drüben nicht für nötig, es zu ändern.

"Auch bin ich der Meinung das die DDR sich auf diese Weise auch selbst kaputt gemacht hat, weil sie den "Bogen" überspannt hat."

Ja, das hat viel zur Unzufriedenheit in der DDR beigetragen. Bei mir selbst war es so, daß ich eigentlich immer einen Hang zum Militär hatte. Als kleiner Junge habe ich immer gesagt, daß ich Offizier werden möchte. Mein Vater fand das gar nicht gut - er war sowieso eher pazifistisch eingestellt. Er hat als Kind die Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten miterlebt, und die Nachkriegszeit, in der er dann aufgewachsen ist, war ja sowieso sehr pazifistisch geprägt. Nach den Erfahrungen der Kriegszeit wollten viele Deutsche eben nichts mehr mit Militär und Krieg zu tun haben, und diese Haltung wurde zunächst durch die Besatzungsmächte durchaus gefördert.

Als ich dann in die Schule kam, begann man dort sofort, Druck auf die Jungen und ihre Eltern auszuüben, um Personal für die NVA zu gewinnen. Schon in der ersten Klasse, während der allerersten Elternversammlung, fing die Klassenlehrerin damit an. Merkwürdigerweise hat diese Propaganda auf mich sehr abschreckend gewirkt. In jeder Zeitung sah man Anzeigen für die NVA, in der Schule gingen uns die Lehrer ständig auf die Nerven, weil es in der Parallelklasse fünf Typen gab, die als Unteroffiziere auf Zeit oder als Offiziere zur NVA gehen wollten, in meiner Klasse aber zeitweise keinen einzigen... So änderte ich meinen Berufswunsch sehr schnell wieder. Hätte man diese Propaganda nicht gemacht, wäre ich vielleicht wirklich zur NVA gegangen, aber so nicht.

In anderen Bereichen war das ähnlich. In den Zeitungen las man, daß wieder sämtliche Pläne erfüllt oder gar übererfüllt wurden - merkwürdigerweise fand man aber in den Läden noch nicht einmal einen simplen Walkman. Und als es dann Ende der 1980er Jahre welche gab, waren die so teuer, daß sie sich kein normaler Mensch leisten konnte.

Da war eben immer diese wachsende Diskrepanz zwischen Propaganda und Realität. Das mußte zwangsläufig zur Folge haben, daß die Propaganda zunehmend ins Leere lief. Man legte dann für die von oben verordneten Demos am 1. Mai von vorneherein Parolen fest, die vorher lang und breit in den Zeitungen veröffentlicht wurden - aber so war natürlich erst recht jedem klar, daß es sich dabei nur um hohle Phrasen handelte.

Im Südwesten der DDR, wo man nicht oder nur selten West-Fernsehen empfing, glaubten dann am Ende viele Menschen wirklich, daß die Meldungen über die steigende Erwerbslosigkeit im Westen nur SED-Propaganda-Lügen wären. Das hat Kohl dort später viele Stimmen eingebracht.

Die DDR-Führung war zu vergreist und zu weit entfernt vom DDR-Alltag, um das zu verstehen.

Freundliche Grüße
von Garfield


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