Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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"Das Tabu muss gebrochen werden"

Arne Hoffmann, Friday, 13.12.2002, 18:15 (vor 7821 Tagen)

Zwei weitere Presseartikel zum "Nudelholz-Mord" in Berlin-Schöneberg und ein offener Brief des Berliner Männerrates:

Der erste Artikel (BZ vom Mittwoch) findet sich unter http://bz.berlin1.de/aktuell/news/021212/nudelholz.html und geht so:

---
Der Nudelholz-Mord von Schöneberg
Todes-Ehe: Warum ertrug Klaus K. nur diese Qualen?
Von DAVID SCHELP

Jahrelang wurde Klaus K., 65, täglich beschimpft und geschlagen. Seine eigene Frau machte ihm das Leben zur Hölle, quälte ihn schließlich sogar zu Tode.

Prügelnde Frauen - niemand spricht darüber. "In Berlin werden mehrere hundert Männer pro Jahr von ihren Ehefrauen misshandelt", sagt Familienberater Peter Thiel vom Männerbüro-Berlin. Doch nur die wenigsten Fälle werden bekannt.

Dreißig Jahre an der Seite seiner Peinigerin - warum hielt Klaus K. so lange still? "In langen Beziehungen geraten Partner leicht in gegenseitige Abhängigkeit. Sie sind oft vollkommen isoliert und wissen nicht mehr wohin", erklärt Thiel. Aus Angst, nach einer Trennung ganz alleine zu sein, und aus Scham dulden viele Opfer die Prügel stillschweigend.

Peter Thiel will Betroffenen helfen und das erste Männerhaus in Deutschland gründen. Eine Zuflucht für misshandelte Männer. "Wenn das Geld endlich da ist, könnten wir schon in zwei Monaten starten." Das Problem: Der Senat fördert das Projekt bislang nicht. Thiel: "Das Tabu muss gebrochen werden, damit der Tod von Klaus K. die traurige Ausnahme bleibt." ---

Der zweite Artikel ist aus dem "Tagesspiegel", im Web unter http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/12.12.2002/344074.asp

--- Die Scham lässt Männer schweigen
Gerade erschlug eine Frau ihren Mann. Gewalt von Frauen ist gar nicht so
selten, ein "Männerhaus" in Planung

Von Tanja Buntrock

Der Mann wurde mit einem Fleischklopfer erschlagen; gelitten hatte der 65-Jährige unter den Gewalttaten seiner Frau schon länger. Gewehrt hat er sich offenbar nie. Der Tote vom vergangenen Montag mag ein besonders drastischer Fall sein, aber er ist längst nicht das einzige männliche Opfer weiblicher Gewalt. Dass auch Frauen zuschlagen, ist vor allem deshalb vielen unbekannt, weil Männer nur ungern darüber sprechen.

Wie zum Beispiel Johannes (Name geändert). Er wusste einfach nicht mehr, was er noch tun sollte, wenn ihm wieder mal der Hass im wahrsten Sinne des Wortes entgegenschlug. Johannes, 34 Jahre alt und 1,80 Meter groß, stand einfach da, hielt sich die Hände vors Gesicht, um die Hiebe seiner Freundin abzuwehren. Manchmal schaffte er es, ihre Arme festzuhalten, dann schrie sie nur noch auf ihn ein. Zurückschlagen, das kam nicht in Frage. Johannes verabscheut Gewalt. Und er hatte Angst, dass der darauf folgende Schlag noch stärker schmerzen würde. Oder dass die Freundin – die Mieterin der gemeinsamen Wohnung – ihn vor die Tür setzte. Johannes sagt, er habe sich einfach nicht wehren können. Schuldgefühle plagten ihn, weil auch er seiner Freundin oft weh getan hat: nicht mit Schlägen, sondern mit Worten. "Ich habe sie permanent kritisiert, ihr Dinge vorgehalten, von denen ich wusste, dass sie dann auf die Palme geht." Irgendwann war einer ihrer Gewaltausbrüche so schlimm, dass er in den Park flüchtete und auf einer Bank nächtigte. Ein anderes Mal mietete er sich ein Hotelzimmer, um sicher zu sein vor seiner Freundin. So kann es nicht weitergehen, dachte er sich schließlich. Die Erniedrigung war so groß, dass eigentlich nur noch eine Trennung die Lösung war.

Johannes traut sich nur zögerlich, über sein jahrelanges Martyrium zu reden. "Anfangs habe ich mit niemandem darüber gesprochen. Meine Freunde hätten es sowieso nicht verstanden. Ich bin in Scham versunken", erzählt er. Doch seit er vor über einem halben Jahr die Hilfe des Familienberaters Peter Thiel in dessen "Berliner Männerbüro" aufgesucht hat, geht es ihm besser.

Peter Thiel, 41, und seine acht Mitstreiter von der Beratungsstelle kümmern sich seit zwei Jahren um Männer, die unter der Gewalt von Frauen leiden – ein Tabuthema. Einen Mann, der von einer Frau geschlagen wird, gibt es in der öffentlichen Wahrnehmung allenfalls in Werbespots oder Spielfilmszenen, wo die Betrogene zur Ohrfeige ausholt und sich der untreue Mann schuldbewusst an die Wange fasst. "Doch die Zahl der Männer, die von ihren Partnerinnen geschlagen werden, ist weit höher, als man denkt", sagt Thiel. "Allerdings trauen sich Männer kaum, darüber zu sprechen, geschweige denn, Anzeige zu erstatten, aus Angst, als Weichei abgekanzelt zu werden."

Aus diesem Grund gibt es auch keine konkreten Zahlen darüber, wie viele Männer der Gewalt von Frauen ausgesetzt sind. Allerdings betont Michael Bock, Kriminologe an der Universität Mainz, dass es bei Gewalt gegen Männer nicht nur darauf ankommt, dass "geschlagen" wird. "Das ist eine viel zu unpräzise Bezeichnung", sagt der Wissenschaftler. "Männer sind häufig Opfer schwerer physischer Gewalt." Laut einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen (KFN) nehmen sich die Geschlechter in puncto Gewalt nichts. Das Bundesfamilienministerium hat eine Pilotstudie in Auftrag gegeben, die Daten zur Gewalt – auch gegen Männer – untersucht.

Peter Thiel ist es im Grunde egal, was genau die Zahlen sagen. Für ihn steht fest, dass seine Geschlechtsgenossen häufiger von Frauen gepeinigt werden als allgemein angenommen. "Am Ende eines Satzes kommt häufig so etwas wie ‘da hat sie mich geschlagen‘ oder ähnliches", schildert Thiel. Auf Nachfrage bekam er schon so manche Schauergeschichte zu hören. So sei die Frau eines seiner Hilfesuchenden alle paar Monate so "ausgerastet", dass der Mann ein weit sichtbares Veilchen davontrug. Thiel hat so etwas wie ein "Verhaltensmuster" festgestellt: "Diese Männer sind emotional extrem abhängig von den Frauen. Nur, um nicht verlassen zu werden, nehmen sie dieses Verhalten in Kauf."

Frauen, die Opfer von Gewalt sind, können sich bundesweit in 450 Frauenhäuser flüchten. Und Männer? Thiel würde gern das erste deutsche Männerhaus in Berlin eröffnen. Hier sollen sich männliche Opfer – gegebenenfalls mit ihren Kindern – für eine begrenzte Zeit zurückziehen können, "mal in Ruhe über ihre Situation nachdenken können und gegebenenfalls von dort ihr neues Leben starten", erklärt Thiel. Das bedeute auch, dass die Männer sich nach einer Eingewöhnungszeit an therapeutischen Einzel- oder Gruppengesprächen beteiligen.

Johannes ist sich nicht sicher, ob er den Mumm gehabt hätte, in ein Männerhaus zu flüchten. Aber ganz ohne Hilfe den Weg aus der gewalttätigen Beziehung zu finden, wäre ihm auch nicht gelungen. Es habe ihm geholfen, offen über seine Probleme zu reden und zu wissen, dass es auch andere Männer gibt, die ähnliches durchmachen, sagt er. Viele andere Männer – und alles keine Weicheier. ---

Und schließlich der offene Brief des Männerbüros (www.maennerberatung.de) an den Berliner Senat:

--- Männerbüro Berlin
c/o Beratungspraxis Wollankstraße, 13187 Berlin

Senator Harald Wolf
Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen
10820 Berlin

Geschäftszeichen IV C 5
Männerhaus Berlin

11.12.2002

Sehr geehrter Herr Senator Wolf,

mit Schreiben vom 12.08.2002 teilte uns die damalige Staatssekretärin
Hildegard Maria Nickel ihre Antwort auf unseren Finanzierungsantrag des
Berliner Männerhauses vom 11.03.2002 mit.

Der Hinweis, dass wir uns an die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und
Sport wenden sollten, können wir nicht verstehen, da die Förderung von
Männerprojekten keine originäre Angelegenheit des Bildungs-, Jugend- oder
Sportbereiches sein kann.

Da es bisher im Berliner Senat kein eigenständiges Ressort "Männer" gibt,
regen wir hiermit an, dieses in nächster Zukunft einzurichten. Für eine
fachliche Beratung beim Aufbau dieses Ressorts stehen wir Ihrer
Senatsverwaltung gerne zur Verfügung. Auf Grund unseres langjährigen
Engagements und fachlicher Tätigkeit, auch in der bundesweiten fachlichen
Vernetzung von Männerprojekten, denken wir, Ihnen dabei eine gute
Unterstützung geben zu können.

Wir bitten Sie hiermit, unseren Ihnen vorliegenden Finanzierungsantrag,
erneut fachlich zu prüfen.

Wir würden uns freuen, nach erfolgter Prüfung von Ihnen eine Nachricht zu
erhalten, die erste Schritte zur Eröffnung des Projektes ermöglichen würde.

Für ein Gespräch stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.

Mit freundlichem Gruß

i. A. Peter Thiel ---

Herzlicher Gruß

Arne

Re: "Das Tabu muss gebrochen werden"

Nock, Saturday, 28.12.2002, 19:35 (vor 7806 Tagen) @ Arne Hoffmann

Als Antwort auf: "Das Tabu muss gebrochen werden" von Arne Hoffmann am 13. Dezember 2002 16:15:19:

Hallo Arne,

das: "Das Tabu muss gebrochen werden" muss, dem stimme ich voll
und ganz zu, und zwar im weitesten Sinne.

Es ist ein schwieriges Thema, da Männer keine Lobby haben - oder gibt
es eine Männerbewegung? - und aufgrund der allgemeinen Definition
des 'Mannseins'.
Männer brauchen ja keine Lobby, sie richten uns das Leben ja so ein wie
wir wollen, wir leben schliesslich in einer Männerwelt.
Und der überwiegende Teil glaubt das auch noch (man wird mir schlecht).
Die bewegte Frau hält diesen Mythos erfolgreich aufrecht, und zwar mit
voller Hingabe der "ganzen Kerle" und wer kein "ganzer Kerl" ist, der hat
eben Pech gehabt (dieses Weichei, oder wie war das?).

Das Männerhaus ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, nur sollte
man nicht das eigendliche Problem übersehen:
Und zwar die Rolle in die der männliche Mensch von der Gesellschaft gepresst
wird, sobald er als Junge enttarnt ist. Spätestens wenn er zum Militär kommt:
"Die werden ihm die Flausen schon austreiben".
Männer sind in unserer Gesellschaft nicht viel Wert (Tipp: Nicht gleich wieder die
Augen verdrehen, sondern erstmal objektiv darüber nachdenken...auch wenn's
schwer fällt!)

Nur über eins müssen wir uns im klaren sein, von den Frauen können wir leider
keine Unterstützung erwarten, da sie dadurch nichts zu gewinnen haben. Im
Gegenteil - die bewegte Frau weiss es schon lange -, wahre Gleichberechtigung
würde doch bedeuten, das die - von allen erkämpften - Privilegien keine mehr wären.

Die Intolleranz der Gesellschaft gegenüber der zugewiesenen Rolle des Mannes
verheisst einen laaaangen Weg...wir sind alleine.

In diesem Sinne...'nen guten Rutsch!

Gruss
Nock

Wen's interessiert, hier noch ein Buchtipp:
Titel: Frauen und Kinder zuerst - Denkblockade Feminismus
Autor: Paul-Hermann Gruner
Verlag: rororo

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