Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

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Verdreht

Magnus, Monday, 22.05.2006, 21:53 (vor 6520 Tagen) @ Andreas Reich

Ja, z.B. Daneben gibt es noch forensischer Untersuchungen jeder Art
(biologisch, chemisch, geologisch), Kriminalistik, Echtheitsbestimmung von
Dokumenten, Fotos etc.

*seufz*

Lies mal eine Einführung in die Geschichtswissenschaft, vielleicht erklärt
sich Dir dann, weshalb wir auf keinen gemeinsamen Nenner kommen.
Geschichtswissenschaft bedient sich naturwissenschaftlicher Verfahren, um
bestimmte Fakten zu objektivieren, sei es Altersbestimmung, sei es ein
genetischer Abstammungstest etc. Nur sind dies unterstützende Verfahren;
Rekonstruktion gesellschaftlicher Zustände und Prozesse funktioniert nach
anderen Mechanismen, u.a. deshalb, weil Gesellschaft sich aus Individuen
zusammensetzt,[...] Wissenschaftlich betriebene Geschichtsforschung ist
bestrebt um Objektivierung (im Bewusstsein, niemals die eine
objektive, endgültige Wahrheit herausfinden zu können), absolute
Wahrheit(TM) ist hingegen Anspruch von Dogmatik.

Nun, daran liegt es nicht, dass wir nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Den gemeinsamen Nenner finden wir nicht, weil du nicht zur Trennung von faktenbasiertem Wissen und mutmaßlich gesellschaftlichen Zusammenhängen nicht fähig bist.

Dich wird es vermutlich erschrecken, aber die Holocaustfrage ist z.b. ein rein faktenbasierter Bereich - ohne überhaupt sich über gesellschaftliche Zustände gedanken machen zu müssen. Holocaustleugner bedienen sich eben hauptsächlich der genannten unterstützenden Verfahren. Die Frage, ob es einen Holocaust gegeben hat oder nicht, ist keine Wertung. Jemand, der also bestreitet, dass es einen Holocaust nicht gegeben hat, gibt keine Wertung ab, sondern nur eine Meinung über den Zweifel eines Geschichtsereignisses. Die Tatsache, dass du dich damit so schwer tust, liegt daran, dass der Holocaust den Hauptkritikpunkt und die Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus symbolisiert, so dass du das Anzweifeln des Holocausts, d.h. das Anzweifeln, dass es eine Vergasung überhaupt gegeben hat, als Uminterpretation und Verharmlosung des NS-Regimes verstehst, obwohl es sich in Wirklichkeit nur um eine rein faktenbasierte - d.h. wertfreie - Frage handelt. Das ist auch der Grund, warum du glaubst, dass jemand der den Holocaust anzweifelt in Wirklichkeit ganz andere Absichten und Motive hat, als die Wahrheit. Das ist das gleiche wie beim Feminismus: gibt es eine unabhängige Studie über Häusliche Gewalt, die zu Ergebnissen kommt, die dem ungeschriebenen Zeitgeistgesetzt widerspricht, dann heißt es gleich: derjenige, der diese Studie gemacht hat, verfolgt eine Ideologie!

Nein, Andreas, so ist es nämlich nicht. Es verfolgt vor allem der eine Ideologie, der am Zeitgeist oder an bestimmten Bildern mit Gewalt festhalten will.

Genau das kritisiere ich. Das BRD-Regime hat ein historisches Geschehnis - was trauriger Weise noch in keinem ordentlichen, d.h. rechtsstaatlichen, Gerichtsprozess dieser Welt beurteilt wurde - als absolut wahr und unumsößlich bezeichnet und definiert und wertet darüber seine Vergangenheit und die Politik seiner Gegenwart und Zukunft.

Da ja nun jeder hier an den Rechtsstaat glaubt, kann man übrigens auch die Tatsache anführen, dass eben jemand solang als unschuldig gilt, bis in einem ordentlichen Gerichtsverfahren der Schuldbeweis erbracht wurde. Da die Nürnbergeprozesse laut Prozessordnung nicht an die übliche Beweisführung gebunden war, sowie nachweislich Geständnisse akzeptiert wurden, die durch Folter erzwungen wurden, sind die Urteile rechtsstaatlich gesehen nichtig, mit anderen Worten: juristisch gesehen ist der Schuldbeweis nicht erbracht worden. Diese Schlussfolgerung wäre konsequente Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien. In Anbetracht dieser Tatsache, sollte man sich deine Aussage "absolute Wahrheit(TM) ist hingegen Anspruch von Dogmatik." auf der Zunge zergehen lassen und dies mal in Bezug dessen setzen, was die BRD für Gesetze geformt hat - nämlich dort die absolute Wahrheit für sich in Anspruch nimmt, die sie glaubt, so sehr zu wissen, dass andere Menschen, die ihr widersprechen, ins Gefängnis geworfen werden müssen.

Die Geschichtswissenschaft sollte natürlich bestrebt sein, die absolute Wahrheit um faktenorientierte Ereignisse herauszufinden. Dass dieser Staat diese jedoch bereits für sich in Anspruch nimmt - und du dies auch noch scheinbar befürwortest - darauf bist du bis jetzt noch gar nicht gekommen. Du selbst bist Dogmatiker und merkst es noch nicht mal.

Zum Rest: Deine Verdrehungen und die Unterstellungen, wofür ich nun sei,
sind eigentlich zu blöd, um darauf einzugehen; außerdem ist es ja im
Threadverlauf nachlesbar.

Ich unterestelle dir nichts. Du widersprichst ja nicht, wenn ich sage, dass du es richtig findest, andere Menschen aufgrund der Anzweiflung von geschichtlichen Geschehnissen ins Gefängnis werfen zu dürfen. Du glaubst nur deswegen, dass ich dir etwas unterstelle, weil du Ideologie und Geschehnis nicht mehr trennen kannst. Der Holocaust hat durch diese Gesetzgebung und die Verfolgung der Leugner den Status einer Religion eingenommen, aber er ist mit Sicherheit nicht mehr ein historischer Ereignis, über welches man debatieren kann wie über jedes andere historischer Ereignis dieser Welt, selbst wenn sie mehr Opfer hervorgebracht haben.


Die Aussage, dass der Staat eine gewisse Schutzverpflichtung gegenüber
seinen Bürgern hat, ist politische und gesellschaftliche
Grundvoraussetzung. Da Du offenbar nicht fähig oder willens bist, den
Zusammenhang zwischen Wort und Tat zu erkennen (zumindest, wenn es sich um
faschistische Verbrechen relativierende Aussagen handelt), hier ein paar
andere Beispiele:

Das Y-Chromosom ist eine Krankheit.
Ungeborene sind noch keine Menschen.
Alle Männer sind potentielle Vergewaltiger.
usw. ...

Gemäß Deiner weiter oben getätigten Aussagen hättest Du ja nicht nur kein
Problem damit, sondern wärst - im Interesse der Freiheit des Disputs -
vielmehr sogar nachdrücklich dafür, diese Auffassungen institutionell im
akademischen Diskurs zu verankern. Alles andere wäre ja "Diktatur"!
(Politische Wörterbücher sind übrigens auch nicht mehr so teuer heute.)

Deine ausdrucksweise zeigt, in welches politische Spektrum du dich offenbar zu Hause fühlst. Wie dem auch sei: deine Beispiele treffen alle nicht den Kern. Alle Beispiele oben haben direkt volksverhetzenden Charakter, da sie direkt gegen Personen oder Gruppen gerichtet sind, die bestimmte Merkmale oder Positionen aufweisen, und zwar in einer existenz- und/oder rechtsbedrohenden Weise.

Wo ist das denn bei der Holocaustleugnung der Fall? Wenn man den Holocaust (d.h. Vergasung) bestreitet, gibt man damit keine Wertung ab. Man sagt weder, dass Juden minderwertig sind, dass Juden in Konzentrationslagern ein tolles Leben hatten und dort nichg gestorben oder getötet wurden, dass der Nationalsozialismus gut war oder dass man Hitler liebt. Man drückt lediglich seinen Zweifel an einem Ereignis aus, dessen Grundlage derzeit ausschließlich auf Augenzeugenberichte aufgebaut ist und dessen Geschehnis bereits vor den Nürnberger Prozessen als offenkundige Wahrheit deklariert wurde.

Und abgesehen von dieser Tatsache, ist offenbar der Rechtsstaat oder die Demokratie auf einmal scheinbar stark genug, deine obigen Themen, in denen direkt andere Personenkreise unmittelbar diffamiert werden, zu diskutieren, während das andere Thema, welches nur - man kann sagen - eine kriminalistische Diskussion wäre, verboten wird.

Anders sieht es natürlich aus - und das habe ich auch erwähnt - bei der Holocaustverherrlichung, d.h. wenn jemand sagt: Das war super die Vergasung, Juden sind minderwertig. Das wäre ungefähr das gleiche Niveau wie obige angeschnittene Themenbereiche, über die hier in diesem Staate jeden Tag lustig und munter diskutiert und geschrieben werden.

Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass Dir in diesem Zusammenhang die
Verbindung zwischen Diskurs und realpolitische Konsequenz eher einleuchten
wird, aber Hoffnungen sind bekanntlich irrational, besonders die, die von
einer Einsicht auf selbstreflektierendes Verhalten schließen wollen.

Realpolitische Konsequenz - dass du das in den Mund nimmst? Wie sieht derzeit die realpolitische Konsequenz von §130 StGB aus? Ich kanns dir sagen: Mehr Verurteilungen wegen Meinungsdelikten in der BRD als in der DDR. Das ist toll?

Und wie sieht diesbezüglich die realpolitische Konsequenz in Spanien und USA aus, wo Holocaustleugnung unter die Kategorie der Meinungsfreiheit fällt, also in den Ländern, die deiner Meinung nach "ihre Freiheit falsch verstanden haben"? Na, fällt dir was auf? Da bist du mir nämlich in der ganzen Diskussion eine Antwort schuldig geblieben - vermutlich weil es in diesen Demokratien auch ohne Holocaustgesetz funktioniert.

[edit]P.S. Irgendwie ist das eine seltsame Strategie: Faschismus
verharmlosen, wenn es um historische Ereignisse geht, ihn aber zum
Skandalisieren zu benutzen, wenn es um gegenwärtigen Zustände geht.

Und schon wieder eine Unterstellung. Ich habe den Nationalsozialismus nicht verharmlost. Vielmehr finde ich es interessant, dass ein sich bezeichnender Rechtsstaat die Vergangenheit gesetzlich mit der Begründung der Offenkundigkeit festlegt und sich dabei der gleichen Methodik der Verfolgung und Meinungsdurchsetzungsmethoden bedient - wie z.B. Verbot+Verbrennen von Büchern, Gefängnis, gesellschaftliche Ächtung etc. - und sich dann trotzdem nicht schämt, sich als Rechtsstaat und frei zu bezeichnen.

Das ist traurig. Mit anderen Worten: man hat nichts aus der Vergangenheit gelernt. Es ist schlichtweg verlogen, dass man im Geschichtsunterricht Bücherverbrennungen im Dritten Reich kritisiert, aber es in der BRD ähnlich tut und freien Zugang zu Büchern unterbindet.

Aber
bei Leuten, die objektiv keinen Unterschied zwischen der Situation in der
Bundesrepublik und im nationalsozialistischen Deutschland sehen können,
wohl kein Grund zum Wundern.

Um so mehr muss ich mich doch über dich wundern, dass du sich so wenig an den Grundsatz eines deiner vermutlichen Vorbilder hältst: "Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden."

Da ist offenbar was wahres dran.

Das war übrigens mein letzter Beitrag zu diesem Thema. Es ist schlichtweg müßig, mit dir darüber zu disktutieren. Das liegt zum einen daran, dass ich nicht nur gegen dich, sondern auch gegen die Political Correctness und den Zeitgeist spreche, zum anderen muss ich bei jedem Beitrag fünf mal überlegen, ob ich irgendein Gesetzt gebrochen habe - tja, und das in einem Land, wo "Meinungsfreiheit" und "Rechtsstaat" ja so ein tolles Gut ist. Das fällt wohl unter die Kategorie "realpolitische Konsequenz", über die du dir offenbar diesbezügl. noch keine Gedanken gemacht hast.


Magnus


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