Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Die Kinder sind tot

Scipio Africanus, St.Gallen, Friday, 26.05.2006, 19:02 (vor 6554 Tagen) @ Christine

Im Sommer 1999 verdursten in Frankfurt/Oder zwei kleine Kinder. Ihre
Mutter hatte sie 14 Tage in ihrer Neubauwohnung allein zurückgelassen. Wie
konnte es so weit kommen, wieso hat niemand von den Nachbarn im Plattenbau
etwas bemerkt? Diesen Fragen geht Aelrun Goette in ihrem inzwischen
vielfach ausgezeichneten Film nach.

Ein kleines Lehrstück in Sachen feministischer Verantwortungsabschiebung. Die Frage, "warum hat keiner der Nachbarn etwas bemerkt", ist für jeden, der die Anonymität des Lebens in der Grossstadt kennt, reichlich banal, und die Antwort liegt auf der Hand : Weil es in einer Grossstadt, in einer die Anonymität fördernden Grossraumwohnsiedlung so gut wie keine soziale Kontrolle gibt.
Diese unterschwelligen Anschuldigungen sind heuchlerisch, denn soziale Kontrolle wird in aller Regel als Einmischung in private Angelegenheiten aufgefasst und nicht selten als Ausdruck mangelnder Toleranz verurteilt.

Der Film "Die Kinder sind tot" sucht nach Hintergründen dieses
Verbrechens. Die Mutter Daniela J. ist damals 23 Jahre alt. Geboren und
aufgewachsen ist sie in Neuberesinchen, einem Plattenbauviertel am Rande
von Frankfurt/Oder. In Neuberesinchen ist die Arbeitslosigkeit extrem
hoch, die Menschen haben kaum Geld und wenig Kraft, sich aus ihrem
Schicksal zu befreien. Viele träumen davon, eines Tages weg zu gehen, aber
nur wenige schaffen es.

Sollten wir Mitgefühl zeigen, Verständnis aufbringen und ihre Schuld relativieren ? Falls ja, sollte dieses Verständnis und Mitgefühl für Väter ebenso gelten, die in ihrer Verzweiflung ganze Familien auslöschen ?

Daniela J. - die Mutter der beiden toten Kinder - im Gefängnis.
Die Nachbarn wollen nichts bemerkt haben ...

Eine Unterstellung, welche die Schuld der Angeklagten mindern soll, indem Verantwortung auf ihr Umfeld übertragen wird.

Soziale Kompetenz, insbesondere Fürsorglichkeit, gilt als weibliche Domäne, als zutiefst weibliche Eigenschaft.
Die soziale Inkompetenz der Mutter, die zur Täterin wird, muss deshalb als das Resultat eines sozial inkompetenten Umfeldes dargestellt werden, um den offensichtlichen Widerspruch aufzulösen.
Die weibliche Täterin ist stets das Resultat besonders belastender, ja charakterdeformierender Umstände, während der männliche Täter hingegen als ein Mann mit ausgeprägt männlichen Charaktereigenschaften dargestellt wird.

Aelrun Goette interessiert nicht das Spektakuläre an dem Fall, sondern die
menschlichen Dramen. Behutsam nähert sie sich den Menschen, ohne sie zu
verurteilen. Ihr Film regt zum Nachdenken, zur Diskussion an. Dass der
Dokumentarfilm auch Mitgefühl für die Täterin entdeckt, hat die Kritik
polarisiert. Die psychisch belastende Arbeit an dem Film hat der
Filmemacherin viel abverlangt:

Behutsam nähert sie sich den Menschen ? Diese Behutsamkeit gilt aber nicht den Nachbarn, die nur als willkommene Statisten in ihrer theatralischen, vordergründigen Aufarbeitung fungieren.

"Diese kleinen Kinder haben es aushalten müssen. Jetzt müssen wir
wenigstens aushalten, von ihrem Schicksal zu wissen."

Vielleicht sollte die gute Frau lernen auszuhalten, dass Mütter böse sein können.

Scipio


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