Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Rechtsstaat und Meinungsfreiheit

Andreas Reich, Thursday, 18.05.2006, 03:31 (vor 6552 Tagen) @ Magnus

Magnus,

es ist nicht so, dass ich nicht lesen könnte, was Du schreibst. Nur ist Dein Wissenschaftsverständnis bzw. Dein (vorgebliches?) Vertrauen in die Macht der vernünftigen Argumente reichlich naiv, so es denn echt ist.

Erstens: Sollten die stichhaltigeren Argumente tatsächlich eine zwingende Überzeugungskraft entfalten, dürfte die neofaschistische Szene nicht existieren, Holocaustleugner ebenso wenig. Es gibt sie, und sie verzeichnen einen teilweise wachsenden Zulauf. Die Argumente interessieren sie einen Scheiß.

Deine Forderung lautet nun, Leuten mit genau dieser Einstellung die Möglichkeit des Unterrichtens an Hochschulen einzuräumen, die vernünftigeren Argumente würden die Wahrheit letztlich schon durchsetzen.

Entschuldige bitte: Wie naiv bist Du eigentlich? Wer - um bei diesem besonders deutlichen Beispiel zu bleiben - ein den Holocaust leugnendes Geschichtsbild vertritt, tut das nicht in Auseinandersetzung mit historischen Fakten und sicher nicht mit dem Anliegen der Wahrheitsfindung.

Nicht wissenschaftliche Dummheit ist das Verbrechen: Heribert Illigs Thesen vom "erfundenen Mittelalter" sind - rein geschichtswissenschaftlich - genauso schwachsinnig. - Was ihnen fehlt ist das demagogische Moment. Deshalb bekommt Illig einen Platz im Privatfernsehen, statt hinter Gittern.

Anzunehmen, Diskurse könnten nur in völliger Regellosigkeit wirklich gedeihen und würden das Beste zutage fördern, bzw. umgekehrt es zu kritisieren, dass dieser Zustand nicht verwirklicht ist, demonstriert ein etwas schiefes Verständnis von "Rechtsstaat": Dieser wird nicht deshalb zu einem solchen, weil er alles erlaubt, alles zulässt und niemals korrigierend oder verhütend eingreift, sondern weil er die Rechte seiner Bürger gleichermaßen schützen soll. Dazu gehört auch der Schutz vor Hatespeech, Herabwürdigung, Verhetzung und Diskriminierung, die durchaus nicht als "Meinungsfreiheit" gewertet werden darf. Dass Worte nicht nur Schall und Rauch sind, ist wohl Konsens?! Sprechakte stellen ebenfalls Handlungen dar; wo sie zu Verbrechen anstiften oder diese vorbereiten helfen (z.B. durch gezielte Diskriminierung), sind sie zu ächten und es besteht Interventionsbedarf.

Dass die Umsetzung dieser Idee des Minderheitenschutzes und der Prävention sprachlicher Diskriminierung politisch mangelhaft umgesetzt und - gelegentlich! - auch missbraucht wird, bedeutet nicht, dass bestimmte Regeln generell sinnlos wären. Es bedeutet vielmehr die Notwendigkeit zum Hinterfragen, ggF. die Anpassung, nicht aber ihrer kompletten Aufhebung.

Dein Wissenschaftsverständnis ist irgendwie "romantisch"; absolute Toleranz (der Argumente) aber ist nicht nur ein logisches Paradoxon, sie ist auch nicht praktikabel, weil es z.B. bestimmten Gruppen mit ihren "Argumenten" nicht ums Diskutieren geht.

Andreas


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