Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Voraussetzungen der Begrenzung und Befristung des Unterhaltsanspruchs (Teil 1)

Christine ⌂, Tuesday, 20.01.2009, 11:17 (vor 5572 Tagen) @ Christine

Dr. Wolfram Viefhues, Weiterer aufsichtsführender Richter am AG Oberhausen - Auszug des Vortrags zur Fachkonferenz Familienrecht vom 21.12.2008 (Unterhalt)

Das Gesetz enthält in § 1578b BGB eine Billigkeitsregelung, die insbesondere darauf abstellt, ob ehebedingte Nachteile im Hinblick darauf eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt selbst sorgen zu können.

Der Gesetzeswortlaut nennt in § 1578b Abs. 1 Satz 3 BGB die folgenden Gesichtspunkte, aus denen sich solche ehebedingten Nachteile vor allem ergeben können: die Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, die Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie die Dauer der Ehe. Die Aufzählung ist aber - wie sich aus der Formulierung "vor allem" ergibt - nicht erschöpfend, so dass auch weitere Faktoren eine Rolle spielen können.

1. Begriff des Nachteils

Der Begriff des Nachteils ist dabei zukunftsbezogen zu sehen. Es geht letztlich darum, ob und ggf. wie lange die beruflichen Möglichkeiten des unterhaltsberechtigten Ehegatten eingeschränkt sind und er dadurch nicht oder nur eingeschränkt in der Lage ist, Einkommen zu erzielen.

Praxishinweise:

Durch diese Konzentration auf ehebedingte Nachteile wird die Ehe verstärkt auf eine schadensauslösende Funktion reduziert, denn über den Unterhalt findet grundsätzlich keine Beteiligung an dem gemeinsam Erwirtschafteten mehr statt (Born NJW 2008,1 ,8).

Damit ist aber nicht möglich, in der Vergangenheit liegende Nachteile (Doppelbelastung, persönlicher Mehreinsatz) zu berücksichtigen, die keine Auswirkungen aufdie zukünftige Erwerbsfähigkeit haben (ausführlich dazu Viefhues/Mleczko, Das neue Unterhaltsrecht 2008, Rdnr. 296 ff. mwN.; weitergehender Kemper, Das neue Unterhaltsrecht (2008) Rdnr. 279 ff.). Denn diese Elemente eines Schadensersatzausgleiches sind dem deutschen Unterhaltsrecht fremd (Borth FamRZ 2008, 1329, 1331).

Vertreten wird dagegen auch, Umstände aus der Vergangenheit (besondere Leistungen während der Ehe) ebenso zu berücksichtigen wie einen schlechten Gesundheitszustand der Unterhaltsberechtigten (Peschel-Gutzeit, Das neue Unterhaltsrecht 2008, Rdnr. 87; Palandt-Brudermüller, Nachtrag 2008, § 1587b Rdnr. 11).

Rechtsprechung:

BGH, Urt. v. 18.04.2008, XII ZR 107/06
Wenn der Unterhaltsberechtigte wieder vollschichtig in seinem erlernten Beruf arbeitet und damit das Einkommen erzielt, das er ohne Ehe erzielen würde, ist davon auszugehen, dass dieses Einkommen seinen gesamten Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen deckt, folglich keine ehebedingten Nachteile bestehen und daher einer Befristung des Nachscheidungsunterhaltes nichts mehr im Wege steht. Dann ist es Sache des Unterhaltsberechtigten, solche Tatsachen substantiiert vorzutragen, aus denen sich dennoch fortwirkende ehebedingte Nachteile ergeben und diese ggf. nachzuweisen.

OLG Stuttgart, Urt. v. 05.08.2008, 17 UF 42/08
Grundsätzlich stellt es keinen ehebedingten Nachteil dar, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte nach der Ehescheidung in einen Beruf zurückkehrt, der seiner Ausbildung entspricht.

OLG Zweibrücken, Urt. v. 08.02.2008, 2 UF 138/07
Kann die Ehefrau nach 21 Ehejahren bei entsprechenden Erwerbsbemühungen in ihren früheren Beruf zurückkehren und dabei ein vergleichbares Einkommen erzielen wie vor ihrer Heirat, ist eine Befristung des Aufstockungsunterhaltes auf fünf Jahren angemessen.

BGH, Urt. v. 31.07.2008, XII ZR 177/06 - zu § 1609 Nr. 2 BGB
Weil die Beklagte in ihrer 24-jährigen und kinderlosen Ehe hier seit 1992 durchgehend vollschichtig berufstätig war und deswegen ehebedingte Nachteile nicht ersichtlich sind, ist ihr Unterhaltsanspruch für die Zeit ab Januar 2008 gegenüber der neuen Ehefrau nachrangig. Gefragt werden muss auch, welchen beruflichen Werdegang der Unterhaltsberechtigte ohne die Ehe genommen hätte. Maßstab ist hier die vor der Ehe erlangte Ausbildung bzw. vorhandene Fähigkeiten.

OLG Celle, Beschl. v. 02.06.2008, 17 WF 66/08
Bei Ehegatten mit geringer beruflicher Qualifikation wird kaum festgestellt werden können, dass sie durch die Ehe berufliche Nachteile erlitten haben.

Beispiel für einen konkreten beruflichen Nachteil

Nach dem maßgeblichen Tarifvertrag ist die konkrete Bezahlung abhängig von der Anzahl der Berufsjahre. Bei einer ehebedingten beruflichen Unterbrechung liegen die konkret feststellbaren ehebedingten Nachteile in dieser Einkommensdifferenz, die unterhaltsrechtlich auszugleichen ist – allerdings nur solange, bis die erforderlich Zeit an Berufsjahren erreicht ist!

AG Flensburg, Urt. v. 10.06.2008, 92 F 315/07 UE
Ein ehebedingter Nachteil ist gegeben, wenn die Unterhaltsberechtigte nach einer langen Berufsunterbrechung wegen Kinderbetreuung jetzt nur Zeitverträge akzeptieren muss.

OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.06.2008, II- 2 UF 5/08
Indessen kann nicht unterstellt werden, dass die Kl. ohne die Ehe auch heute nur einen Beruf im Geringverdienerbereich ausüben könnte. Der Bekl. selbst verweist zu Recht darauf, dass es für den Beruf der Näherin bereits seit längerer Zeit in Deutschland keinen Arbeitsmarkt mehr gibt. Von daher muss davon ausgegangen werden, dass die Kl. sich ohne die Ehe und ohne die Betreuung der gemeinsamen Tochter beruflich umorientiert hätte, wobei hierbei insbesondere eine Tätigkeit im Bereich des Textileinzelhandels in Betracht gekommen wäre. Eine solche Tätigkeit wäre der Kl. auch trotz der Tatsache, dass sie nicht über eine höhere Schulausbildung verfügt, ohne Weiteres möglich gewesen. Gerichtsbekannt werden jedoch in diesem Bereich Nettolöhne von rund 1.300 EUR erzielt, und es muss unterstellt werden, dass auch die Kl. bei Fortführung ihrer Erwerbstätigkeit nunmehr ein Gehalt in dieser Größenordung verdienen könnte. Allein infolge der Tatsache, dass die Kl. über keine berufliche Praxis verfügt, ist sie nunmehr auf Tätigkeiten im Geringverdienerbereich angewiesen. Diese Minderung ihrer Verdienstmöglichkeiten stellt sich als ehebedingter Nachteil dar, welcher im Rahmen des nachehel. Unterhaltsanspruchs auszugleichen ist.

OLG Zweibrücken, Urt. v. 07.03.2008, 2 UF 113/07
Hat die jetzt 62 Jahre alte Ehefrau zu Beginn der 33 Jahre dauernden Ehe ihren Beruf aufgegeben und sich der Kindererziehung und Haushaltsführung gewidmet und kann sie keine Erwerbstätigkeit mehr finden, ist eine Befristung des Unterhaltsanspruchs nicht gerechtfertigt.

In der Praxis wird sich dabei auch die Frage nach verpassten beruflichen Aufstiegschancen (Karrierechancen) stellen. Entsprechend der Rechtsprechung des BGH zum Karrieresprung auf Seiten des Pflichtigen wird eine - fiktive - höhere berufliche Position nur dann zu berücksichtigen sein, wenn eine solche mit hoher oder zumindest erheblicher Wahrscheinlichkeit zu erreichen gewesen wäre.

2. Nachteil und Altersversorgung

Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit führen regelmäßig zu verringerten Rentenanwartschaften. Diese Nachteile werden aber bereits über den Versorgungsausgleich ausgeglichen (Viefhues/Mleczko, Das neue Unterhaltsrecht, 2008, Rdnr. 352, 451, 455).

BGH, Urt. v. 25.06.2008, XII ZR 109/07
Die Auswirkungen einer vorübergehenden Unterbrechung der Erwerbstätigkeit auf die künftige Altersversorgung belasten nach Durchführung des Versorgungsausgleichs regelmäßig beide Ehegatten in gleichem Umfang. Ein dadurch entstandener Nachteil ist dann vollständig ausgeglichen (im Anschluss an das Senatsurteil vom 16.04.2008, XII ZR 107/0630).

Zu bedenken ist allerdings, dass der ausgleichsberechtigte Ehegatte lediglich an den Anwartschaften des ausgleichspflichtigen Ehegatten beteiligt wird, also auf dessen Einkommensniveau gesetzt wird. Hätte er ohne Berufsunterbrechung ein höheres Einkommen erzielt, so hätte er höhere Anwartschaften selbst erwirtschaftet (Schwolow FPR 2008, 383). Es ist aber nicht sachgerecht, dies im Wege des Unterhaltes mit Elemente eines "nachehelichen Schadensersatzes" auszugleichen (vgl. Borth FamRZ 2008, 1329, 1331).

Beispiel aus der Rechtsprechung (zum Ehevertragsrecht)

BGH, Urt. v. 28.11.2007 - XII ZR 132/05, FamRZ 2008, 582 f. = NJW 2008, 1080
Im Zusammenhang mit der Frage des ehebedingten Nachteils im Rahmen der Überprüfung eines Ehevertrages auf Sittenwidrigkeit hatte der BGH immer betont, dass sich die nachträgliche Vertragsanpassung auf den Ausgleich ehebedingter Nachteile beschränken müsse. Dies sei aber dann der Fall, wenn der erkrankte Ehegatte in der Ehe auf eine eigene Erwerbstätigkeit verzichtet hatte und deshalb kein im Versorgungsausgleich auszugleichendes Anrecht besitzt.

3. Nachteil und Vermögensaufbau

Entsprechendes gilt für den Nachteil, wegen der Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit geringeres Vermögen aufbauen zu können. Dies wird über den Zugewinn ausgeglichen (Viefhues/Mleczko, Das neue Unterhaltsrecht, 2008, Rdnr. 352, 451, 455).

4. Auschluss des Versorgungsausgleich und Gütertrennung

Ob bei einem Ausschluss des Versorgungsausgleichs bzw. bei Gütertrennung etwas anderes gilt, ist fraglich. Hier lässt sich argumentieren, dass mit der Regelung über den Ausschluss diese Positionen abschließend geregelt und einvernehmlich dem Ausgleich entzogen worden sind und dies nicht über den Unterhalt konterkariert werden dürfe.

5. Obliegenheit zum Abbau des Nachteils

Der Unterhaltsberechtigte ist gehalten, vorhandene Nachteile abzubauen, sofern dies möglich ist (Fortbildung, Umschulung, berufliche Wiedereingliederungsmaßnahmen).

Hinweis: In den kommenden Beiträgen werden die folgenden, weiteren Voraussetzungen besprochen:

6. Ehebedingtheit des Nachteils

7. Billigkeitsabwägungen

8. Nachteile aus der Dauer der Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes

9. Nachteile aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit

10. Nachteile aus der Dauer der Ehe

11. Keine Befristung trotz fehlender ehebedingter Nachteile

12. Unterhaltstatbestände ohne ehebedingte Nachteile (Alter, Krankheit)

http://www.rechtsportal.de/familienrecht/aktuelles/detail/id902-355302/voraussetzungen-der-begrenzung-und-befristung-...

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Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein


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