Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

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Gibt es Rassen ? Gibt es Geschlechter ?

susu, Sunday, 21.05.2006, 04:35 (vor 6549 Tagen) @ Bonaventura / Thomas Lentze

Hallo Thomas

Einverstanden ! Aber wir brauchen sie. Nicht unbedingt um zu
systematisieren, sondern vielmehr zum Handeln und Schwänzeln.

Nicht wirklich. Mal im Ernst: Wofür benötigst du die Kategorie Geschlecht genau. Und ließe sie sich nicht durch deutlich konkretere Eigenschaften ersetzen?

Finde ich auch ! Wenn die offensichtlichen, sinnenfälligen Klassen nicht
übereinstimmen mit den Erkenntnissen der Wissenschaft, dann antworte ich,
frei nach Hegel (oder einem ihm zugeschriebenem Satz): Umso schlimmer für
die Wissenschaft.

Ich entgegne, daß sich gerade Hegel als Dialektiker nicht für deine Position eignet. Und stelle im besonderen fest, daß gerade die Hegelsche Logik des An-sich-seins, des Für-andere-seins und Für-sich-seins sich als möglicher Ansatzpunkt für eine Diskussion über die Begrifflichkeiten anbietet, das An-sich-sein auf das du die Begriff zurückführen willst, das für-andere-sein, für daß ich deine Position halte, im Gegensatz zur Synthese im Für-sich-sein als emanzipatorischem Zug. Stark verkürzt, aber immerhin. Ich weise aufs Neue darauf hin, daß gerade das offensichtliche oft falsch ist, der Schein trügt. Aufgabe der Wissenscahften ist es, die drei Schranken des Erkenntnisgewinns zu reduzieren, die in der Beschränktheit der Sinne, des Geistes und der Sprache bestehen. Die Beschränktheit der Sinne wird durch die Empirie reduziert, die des Geistes durch die Dialektik und die der Sprache durch die Dekonstruktion.

Wobei ich das Sinnenfällige mit der Wirklichkeit gleichsetze, und das
Wissenschaftliche mit dem Konstruierten.

Wissenschaft ist immer auch Konstruktion, Modellbildung. Begriffe jedoch verweisen stets auf Modelle, ein Begriff ist immer Theoriegebunden. Und der offensichtliche Sinn wird genau durch die oben genannten Beschränkungen definiert. Die Empirie bricht mit jedem naiven Modell, direkter Welterfahrung. Die Dialektik führt den Begriff einem Prozess zu, der es einzenen erlaubt, ihn über ihren Geist hinaus zu denken. Die Dekonstruktion schließlich zeigt die Abhängigkeit des Begriffes von den Einschränkungen der Sinne und des Geistes und erkennt den Begriff selbst als Hürde.

Es gibt z.B. Früchte, die sehen ähnlich aus und schmecken ähnlich, sind
aber botanisch gesehen sehr verschieden. Sollte die überraschende
wissenschaftliche Erkenntnis nun meine Eßgewohnheiten ändern ?

Nein. Aber es sollte dich davon abhalten sie nach deiner Verwendung zu Gruppieren.

Ich z.B. bin heterosexuell motiviert, d.h. daß ich u.U. Frauen bumsen
möchte, Männer aber niemals. Betreibe ich somit Gleichmacherei ?
Allenfalls Gleichseherei. Aber selbst dieses Gleichsehen ist mit
konstitutionsbedingt vorgegeben, kein expliziter Akt.

Zum einen ist sie sehr wohl ein expliziter Akt, zum anderen ist deine Aussage insofern problematisch als das sie die Gruppen direkt wieder relativier ("u.U."). Es sind also nicht "Frauen", sondern "Frauen, welche..." und schon reicht der Begriff nicht mehr an Genauigkeit aus. Geschlecht ist offenbar eine zu grobe Kategorie um dein Verlangen in ihm zu subsumieren. Ist Geschlecht also eine relevantere Kategorie als Alter? Persönlichkeitsmerkmale? Geschlecht ist also keineswegs hinreichend um dein Verlangen zu beschreiben. Es als heterosexuell ohne nähere Angaben zu bezeichnen, ignoriert weitere Dimensionen dieses Verlangens und setzt es mit ebenso reduzierten, vieleicht völlig divergenten Formen von Verlangen gleich.

In dem Moment, wo mein hormongesteuertes Begehren erwacht - aber nicht nur
das, auch "höhere" Begehren -, gilt für mich eine Klasseneinteilung
diesseits jeglichen Konsenses einer Wissenschaftsgesellschaft, die aber
keineswegs in Widerspruch steht mit dem omnipräsenten Bewußtsein, daß
Menschen auf anderen Ebenen Individuen sind.

Die Frage ist: Was geht dabei verloren. Und was geht von dir dabei verloren.

susu


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