Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Wikimannia/ Beschneidung (Projekte)

Dummerjan, Monday, 16.04.2012, 19:05 (vor 4385 Tagen)

Hier sollte man noch die Diiskussion um die AIDS-Diskussion einbringen.

Hintergrund: Es gibt Bestrebungen mit dem Argument, dass Beschneidungen zu einer Verringerung der AIDS-Ansteckung führen, die Zirkumzension durch die UNESCO empfehlen zu lassen.

Warum aber wurde dies nicht auch für weibliche Beschneidungen untersucht?

Das Ergebnis für die männliche Beschneidung beruht auf einer epidemiologischen Untersuchung ex-post. Weitere Faktoren, welche die AIDS-Infektion beeinflussen, wie Lebensstil usw. wurden gar nicht erst in betracht gezogen, so dass die Möglichkeit von ganz anderen Einflußfaktoren, für welche die Beschneidung des männlichen Gliedes nur ein "Surrogat" bzw. Marker ist, gar nicht berücksichtig wurde. Daher ist es durchaus wahrscheinlch, daß ganz andere Gründe für diese Verringerung der AIDS-Inffektionen verantwortlich sind.

Auf Basis einer derartigen Faktenlage eine solche Empfehlung aussprechen zu wollen ist skandalös. Vor allem, da keine gesicherete Risikobetrachtung einer solchen Behandlung vorliegt.

Wikimannia/ Beschneidung

Goofos @, Tuesday, 17.04.2012, 21:41 (vor 4384 Tagen) @ Dummerjan

Man sollte dazu schreiben, dass inzwischen Männer in Afrika beschnitten werden. Die WHO macht sich dazu nur noch Gedanken wie man die Vorhaut noch effektiver, schneller und "sicherer" von den afrikanischen Männer weg schneiden kann.

Aids in Schwarzafrika - Spektrum der Wissenschaft 1996

FN, Wednesday, 18.04.2012, 11:24 (vor 4384 Tagen) @ Dummerjan

Die AIDS-Epidemie in Schwarzafrika

In allen Regionen südlich der Sahara wird das AIDS-Virus überwiegend durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr übertragen, aber nur in manchen ist der Anteil Infizierter extrem hoch. Könnte der Umstand, daß in diesen Ländern die meisten Männer nicht beschnitten sind, in Kombination mit riskantem Sexualverhalten der Epidemie Vorschub leisten?
Von John C. Caldwell und Pat Caldwell

Weltweit sind mittlerweile ungefähr 16 Millionen Menschen mit dem Human-Immunschwäche-Virus (HIV), dem Erreger von AIDS, infiziert. Doch die Pandemie hat einen Brennpunkt: Allein zwei Drittel der Betroffenen sind Schwarzafrikaner, die meisten wiederum Bewohner der von uns AIDS-Gürtel genannten Staaten im östlichen und südlichen Teil des Kontinents. Dort leben zwar nur zwei Prozent der Erdbevölkerung, aber 50 Prozent aller Infizierten überhaupt (Karte A im Kasten auf Seite 78). In industrialisierten Ländern wird das Virus meist durch gemeinschaftliches Benutzen verunreinigter Spritzen unter Drogenkonsumenten oder durch homosexuellen Geschlechtsverkehr übertragen, in Afrika südlich der Sahara hingegen durch heterosexuellen. Wüßte man im einzelnen, was gerade dort die Ausbreitung der Seuche so begünstigt, ließen sich gezielte Strategien zur Eindämmung entwickeln - und auch bislang nicht erkannte oder weniger beachtete Risiken für die Heterosexuellen in Asien und in den westlichen Ländern besser einschätzen.

Als eine Erklärung für die hohe Durchseuchung im AIDS-Gürtel wird oft angeführt, das Virus habe hier seinen Ursprung und breite sich wie die Wellen eines Erdbebens vom Epizentrum immer weiter aus. Die ersten AIDS-Fälle erschienen aber in Krankenhäusern in Uganda und Ruanda zur gleichen Zeit wie im Westen; auch ist unter Gewebeproben, die in den siebziger Jahren Afrikanern entnommen und aufbewahrt worden waren, keine HIV-positiv. Zudem ist der AIDS-Gürtel - wie schon der Begriff besagt - langgestreckt und nicht kreisförmig, wie dies beim Umsichgreifen einer Infektion von einem zentralen Herd aus zu erwarten wäre. (Ein verwandtes Virus, HIV-2, ist seinem Verbreitungsmuster nach mit aller Wahrscheinlichkeit in Westafrika entstanden, hat aber weniger Menschen befallen, und die Symptome des Vollbildes AIDS entwickeln sich noch zögerlicher; mit ihm wollen wir uns jedoch in diesem Artikel nicht befassen.)

Welche Faktoren könnten der raschen Ausbreitung von HIV (also HIV-1) in Schwarzafrika Vorschub leisten? Wir beschlossen, erst einmal alles, was wir über die dortige Epidemie wußten oder zu wissen meinten, erneut zu überprüfen. Konnten wir sicher sein, daß HIV in erster Linie durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr übertragen wurde? Bestanden Verhaltensunterschiede zwischen dem AIDS-Gürtel und der übrigen Region, welche die Schwere der Epidemie erklären könnten? Hing die Anfälligkeit für AIDS mit anderen in den stark infizierten Gebieten verbreiteten Gesundheitsproblemen zusammen?

Für solch kritisches Nachfragen hatten wir ein solides Fundament: Seit mehr als drei Jahrzehnten untersuchen wir Familienentwicklung, Fertilität und Geburtenkontrolle in Schwarzafrika, seit 1989 auch die epidemiologischen, sozialen und verhaltensspezifischen Aspekte der dortigen AIDS-Epidemie. Davor, in den späten siebziger Jahren, hatten wir uns zudem mit charakteristischen Ausprägungen von Sexualität sowie mit Krankheiten befaßt, die durch Geschlechtsverkehr übertragen werden.

Seit 1989 arbeiten wir mit einer westafrikanischen Forschungsgruppe zusammen, die sich speziell mit sexuellen Beziehungen befaßt, und mit I. O. Orubuloye von der Ondostaat-Universität in Nigeria, ferner seit 1991 mit James Ntozi und Jackson Mukiza-Gapere von der Makerere-Universität in Kampala (Uganda), John Anarfi von der Universität von Ghana in Akkra und Kofi Awusabo-Asare von der Universität Cape Coast in Ghana.

Heterosexuelle Übertragung

Wir hatten Zweifel an der Vorstellung, HIV werde in Schwarzafrika in erster Linie durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr verbreitet. Denn anderswo ist die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung bei einmaligem ungeschützten Vaginalverkehr vergleichsweise gering: vom Mann zur Frau etwa 1 zu 300 und umgekehrt möglicherweise nur 1 zu 1000 - sofern beide Partner bis auf die Infektion des einen gesund sind. Bei ungeschütztem Analverkehr, gemeinsamem Gebrauch von Nadeln zur Injektion von Drogen oder bei der Transfusion verseuchten Blutes ist das Risiko ungleich höher. Diese Übertragungswege reichen zwar aus, um innerhalb kleiner Bevölkerungsgruppen (wie Homosexuellen und injizierenden Drogenkonsumenten), nicht aber um innerhalb der gesamten Gesellschaft eine Epidemie aufrechtzuerhalten.

Trotz unserer anfänglichen Skepsis erwiesen sich die Belege für heterosexuelle Ansteckung als Hauptfaktor der Epidemie in Afrika als überzeugend. Besonders sorgfältigen Studien zufolge sind wahrscheinlich 20 Prozent mehr Frauen infiziert als Männer, die meisten durch ihren Ehemann. In westlichen Ländern dagegen stellen weibliche Infizierte nur ein Fünftel bis ein Zehntel gegenüber den männlichen (die sich eher als Frauen HIV durch Drogeninjektion oder analen Geschlechtsverkehr zuziehen).

Weitere Studien haben andere typische Übertragungswege für die meisten Regionen Afrikas ausgeschlossen. Analer Geschlechtsverkehr wird, wie wir beispielsweise feststellten, unter anderem mit Hexerei in Zusammenhang gebracht, deswegen für verabscheuungswürdig gehalten und mithin selten praktiziert. Auch Fixer gibt es kaum: Marihuana wird zwar verbreitet geraucht, doch zu injizierende Drogen sind für die Menschen in diesen armen Gesellschaften nicht erschwinglich.

Viele westliche Wissenschaftler vermuten, die starke heterosexuelle Ausbreitung von HIV in Afrika sei auf ungewöhnliche Sexualpraktiken zurückzuführen. Doch gemessen an dem, was in anderen Kulturen als Stimulans toleriert wird, verhalten sich Schwarzafrikaner recht konventionell; selbst bei kommerziellem Sex gibt es kaum Vorspiele oder sado-masochistische Akte, die Blutungen verursachen könnten (Blut-zu-Blutkontakt ist das Gefährlichste bei HIV).

Also überlegten wir, ob andere Gepflogenheiten selbst konventionellen Geschlechtsverkehr gefährlich machen könnten. In manchen Teilen Afrikas gebrauchen Frauen beispielsweise Astringentien wie Alaun (im Westen lange Zeit zur Blutstillung von Rasierschnitten genutzt) beziehungsweise Tücher oder Blätter, um die Vagina trockenzuhalten; die dortigen Männer begehren es so aus lokaler Tradition. Auch dem Ausfluß infolge von Pilzinfektionen - einem häufigen Problem in den Tropen unter schwierigen hygienischen Bedingungen und bei dürftiger medizinischer Versorgung - suchen die Frauen auf diese Weise beizukommen. Dadurch kann die Schleimhaut rissig oder anderweitig beeinträchtigt werden und deshalb bei Geschlechtsverkehr leichter bluten. Wir fanden jedoch keinerlei Indizien für ein erhöhtes HIV-Infektionsrisiko im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen.

Erster Verdacht auf Beschneidung als Faktor

Ein neuer Anhaltspunkt fand sich 1989. Ein kanadisch-kenianisches Team, das an der Medizinischen Kenyatta-Hochschule in Nairobi - der stark heimgesuchten Hauptstadt Kenias (Bild 1) - arbeitete, hatte ein Jahr zuvor berichtet, daß die AIDS-Rate unter den Luo-Wanderarbeitern aus dem Westen des Landes höher sei als unter den Kikuyu aus der Zentralregion.

Zunächst erklärten sich die Forscher dies damit, daß die Luo nahe Uganda heimisch sind, das als das mögliche Epizentrum der HIV-Epidemie angesehen wurde. Als jedoch die Vorstellung, der Erreger breite sich rundum von einem Herd gleichmäßig aus, an Plausibilität verlor, bedachte das Team, daß die männlichen Kikuyu beschnitten sind, die Luo aber nicht - und diese ziehen sich offenbar häufiger weichen Schanker und Syphilis zu (deren primäre Manifestation als harter Schanker bezeichnet wird). Beide übertragbaren Geschlechtskrankheiten gehen mit geschwürigen Veränderungen einher. Tatsächlich war im Zusammenhang damit das Risiko, sich auch noch mit HIV zu infizieren, unerwartet hoch: Die Ansteckungswahrscheinlichkeit bei einmaligem Besuch einer HIV-positiven Prostituierten lag für einen Luo mit weichem Schanker in Nairobi bei 50 Prozent. Mehr als die Hälfte dieser Männer sind Anfang des Jahrzehnts bereits selbst HIV-positiv gewesen (siehe Kasten auf dieser Seite).

Daran anknüpfend veröffentlichte eine amerikanische Gruppe unter Leitung von John Bongaarts vom Weltbevölkerungsrat 1989 eine Analyse, wonach die schwarzafrikanischen Regionen mit hoher HIV-Infektionsrate bemerkenswert gut mit jenen übereinstimmten, in denen die Männer üblicherweise nicht beschnitten sind. Zur gleichen Erkenntnis kam das kanadisch-kenianische Team, als es im Folgejahr seine eigene Analyse beendet hatte.

Überraschenderweise stieß keine der beiden Veröffentlichungen auf großes Interesse. Mitarbeiter des globalen AIDS-Programms der Weltgesundheitsorganisation betonten, die Studien zeigten jeweils lediglich einen statistischen Zusammenhang zwischen Beschneidung, den genannten Geschlechtskrankheiten und einer HIV-Infektion auf, belegten aber keinen ursächlichen; ein physiologischer Mechanismus, durch den eine ungekürzte Vorhaut anfälliger für HIV mache, sei nicht nachgewiesen worden. Andere Wissenschaftler maßen den Folgerungen der beiden Forschergruppen denn auch wenig Bedeutung bei.

Viele AIDS-Experten meinten vielmehr, die Lebensbedingungen und Verhaltensweisen in Afrika seien auf allgemeine, unspezifische Weise so ungünstig, daß die Seuche sich unaufhaltsam über den ganzen Kontinent ausbreiten würde. Damit gaben wir uns nicht zufrieden - ein besonderer Umstand, meinten wir, müsse verantwortlich und also zu entdecken sein.

Hintergrundforschung in Nigeria

Die verstärkte Suche nach einem kulturellen Faktor begannen wir in einem Land außerhalb des AIDS-Gürtels; in Nigeria hatten wir schon drei Jahrzehnte lang Traditionen und sexuelle Verhaltensweisen studiert. Weil die meisten Männer und viele Frauen mehrere Sexualpartner haben, schien die Bevölkerung geradezu für eine AIDS-Epidemie unter Heterosexuellen disponiert. Dennoch entsprach der Anteil HIV-Infizierter mit 0,5 Prozent dem in den USA und lag nur wenig höher als in anderen westlichen Ländern. Was war in Nigeria dann anders als im AIDS-Gürtel?

Aus Gründen, die in überkommenen Sitten und in der Religion verwurzelt sind, aber wohl auch mit gewissen Formen der Landwirtschaft sowie der Besitz- und Erbverhältnisse zusammenhängen, hielt man in Schwarzafrika die Fruchtbarkeit der Frauen stets für wichtiger als ihre voreheliche Keuschheit und eheliche Treue (siehe unseren Artikel in Spektrum der Wissenschaft, Juli 1990, Seite 122). Seitensprünge können zwar gelegentlich Grund für Auseinandersetzungen, Bestrafungen und seltener auch Trennung sein; sie wurden aber nie als Sünde angesehen und derart gebrandmarkt wie in den traditionellen westlichen und asiatischen Gesellschaften. Diese tolerante Einstellung hatte viel Gutes: Die Geburt eines Mädchens war keine Enttäuschung, es hatte die gleichen Überlebenschancen wie seine Brüder; und Frauen wurden nicht unterdrückt oder vor der Öffentlichkeit versteckt. Die Kehrseite war, daß die Bevölkerung dadurch anfälliger für sexuell übertragene Krankheiten wurde.

Unsere Erhebungen in Nigeria ergaben, daß die meisten Männer mit einer sowie mehr als ein Viertel jener mit mehreren Ehefrauen im Laufe des Jahres vor der Befragung auch außereheliche Beziehungen hatten; jeweils drei von vier alleinstehenden Männern hatten in diesem Zeitraum mit mindestens zwei Frauen Geschlechtsverkehr. Die Frauen waren etwas zurückhaltender: Rund ein Drittel der verheirateten und die Hälfte der alleinstehenden hatten mit mindestens zwei Männern intime Kontakte.

Obwohl die westlichen Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten sexuell sehr viel freizügiger geworden sind, ächten sie außerehelichen Verkehr immer noch stärker; die Zahl vorehelicher Partner ist aber inzwischen hoch. Die dennoch geringe heterosexuelle Übertragung von HIV ist den hier besseren Vorbeugungsprogrammen zu verdanken.

In Nigeria mangelt es hingegen an Möglichkeiten zur Bekämpfung von womöglich begünstigenden Infektionen und an präventiven Mitteln wie Kondomen. So konnte es uns nicht überraschen, daß Geschlechtskrankeiten wie Gonorrhoe und - in geringerem Maße - Syphilis dort verbreitet sind; weicher Schanker ist allerdings nahezu unbekannt und HIV nicht derart stark verbreitet wie im AIDS-Gürtel. Ähnliches gilt freilich für die anderen außerhalb gelegenen Regionen Schwarzafrikas. Unsere Frage, warum dann die Seuche gerade im AIDS-Gürtel katastrophale Ausmaße angenommen hatte, wurde immer verzwickter.

Aussondern anderer Möglichkeiten

Gemeinsam mit anderen Forschungsgruppen prüften wir verschiedene Hypothesen. Erfolgte die Ausbreitung beispielsweise längs Zonen außergewöhnlich häufiger Geschlechtskrankheiten? Dagegen sprach, daß diese im Westen Ugandas und Ruandas, aber noch außerhalb des AIDS-Gürtels, bereits seit mehr als einem Jahrhundert dermaßen grassieren, daß viele Menschen unfruchtbar geworden sind. Diese Landstriche sind deshalb als Hauptinfertilitätsgürtel der Welt bekannt (Karte B im Kasten auf Seite 78). Dennoch tritt AIDS dort allenfalls moderat auf. Bemerkenswert war lediglich, daß weicher Schanker - ähnlich wie in Nigeria - selten ist.

Wie stand es dann mit den ethnischen Gruppen, bei denen als Körperschmuck, Initiationszeichen oder Abwehr magischer Übel Narben-Tätowierungen üblich sind? Mancherorts werden allen Mitgliedern eines Haushalts, in dem eine Krankheit aufgetreten ist, nacheinander mit demselben Instrument Muster in die Haut geschnitten. Somit besteht erhebliche Gefahr, infektiöses Blut zu übertragen. Dieser Brauch ist jedoch weder im ganzen AIDS-Gürtel verbreitet, noch auf ihn beschränkt.

Schließlich gingen wir systematisch alle Umstände durch, die Männer zu Sexualverkehr mit wechselnden Partnerinnen - insbesondere mit Prostituierten - veranlassen könnten:

- Das ist zu erwarten, wenn sie erst spät in der Ehe Erfüllung finden. Hohes Heiratsalter der Männer ist aber in Afrika südlich der Sahara außerhalb des AIDS-Gürtels üblicher (Karte C im Kasten auf Seite 78).

- In Gesellschaften, die Ehen mit mehreren Frauen zulassen, ist der Anteil von Junggesellen zwangsläufig hoch. Auch dies ist außerhalb des AIDS-Gürtels stärker der Fall (Karte D).

- In manchen afrikanischen Regionen bleiben Frauen nach der Geburt eines Kindes lange sexuell enthaltsam; mitunter haben Männer während mehr als der Hälfte ihres Ehelebens dieses Tabu zu achten. In Teilen des AIDS-Gürtels währt die kulturell gebotene Abstinenz jedoch nur relativ kurze Zeit (Karte E).

- Die traditionellen Männer- oder Kriegerbünde verpflichten die jungen Mitglieder vielfach, kein Mädchen zu schwängern. Befriedigung ohne Sanktionen finden Männer solange am ehesten bei Prostituierten.

- Das gilt auch, wo hohe Brautgelder Sitte sind, die Eltern also auf Töchter besonders acht haben, damit Heiratsvereinbarungen nicht hinfällig werden.

- Größere Autonomie von Frauen wie in matrilinearen Gesellschaften oder dort, wo sie stärker an Handel und Gewerbe teilhaben, könnte auch bedingen, daß sie sexuell unabhängiger vom Ehemann sind und beide sich häufiger auf andere Partner einlassen, was das Infektionsrisiko erhöhte. Das trifft wiederum kaum auf den AIDS-Gürtel zu (Karte F).

Erhärteter Verdacht

Das einzige Ergebnis dieser Suche nach einem charakteristischen, geographisch auf den AIDS-Gürtel eingrenzbaren Faktor war Frustration. Als wir aber unsere Karten der Durchseuchung mit HIV gemäß neueren Daten aktualisierten, zeigte sich, daß die Gebiete Afrikas, in denen viele Männer nicht beschnitten sind, doch ziemlich genau mit denen zusammenfallen, die besonders unter der Epidemie leiden (Karte G). Das motivierte uns, auch Einwände gegen die Hypothese eines Zusammenhangs kritisch zu sortieren.

Einige Wissenschaftler hatten gemeint, die Angaben über die Verbreitung der Beschneidung seien veraltet, weil sie dem "Etnographic Atlas" entstammten, den George Murdock von der Universität Pittsburgh (Pennsylvania) schon 1967 veröffentlicht hatte. Andere behaupteten, die Analyse der unterstellten Beziehung sei fehlerhaft oder die regionale Übereinstimmung bloß zufällig. Weiter kompliziert wurde die Debatte dadurch, daß manche westlichen Mediziner die Beschneidung für eine sinnlose Verstümmelung halten und Argumente dafür, die lediglich auf Verdachtsmomenten beruhen, nicht gelten lassen wollten. Hinzu kam eine politische Überlegung: Einige Beamte im Gesundheitswesen befürchteten, die Kontroverse über Zirkumzision, AIDS-Anfälligkeit und Zugehörigkeit zu bestimmten ethnischen oder religiösen Gemeinschaften könnte von den Anstrengungen für bessere Präventionsstrategien ablenken und Feindseligkeiten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen schüren.

In den vergangenen drei Jahren haben wir nun die Methodik der Untersuchungen, auf denen unsere Hypothese beruht, und die anthropologischen Quellen neuerlich überprüft - die Befunde sind solide. Des weiteren fanden wir sehr wenig Rückhalt für die Behauptung, die Daten zur Beschneidung seien überholt; in einigen Gebieten des AIDS-Gürtels sind fast alle Männer unbeschnitten - eine Situation, die immerhin fast nirgendwo sonst in Afrika vorkommt. Allerdings scheint ein Punkt auf der Karte nicht in unser Muster zu passen: In Abidjan, der ehemaligen Hauptstadt der Elfenbeinküste, ist die Zirkumzision seit alters üblich, und trotzdem sind dort die HIV-Infektionsraten so hoch wie mancherorts im AIDS-Gürtel. Unseres Erachtens liegt das jedoch sehr wahrscheinlich an den vielen Zuwanderern aus dem Umland, wo die Mehrheit der Männer nicht beschnitten ist.

Wir führten deshalb die dramatische Übertragung von HIV im AIDS-Gürtel auf ein Zusammenwirken fehlender Beschneidung mit riskantem Sexualverhalten zurück; dazu gehören häufiger Partnerwechsel und Geschlechtsverkehr mit Prostituierten ebenso wie weichen Schanker unbehandelt zu lassen. Ungeschützter Sex hat sicherlich zur Verbreitung von AIDS über den afrikanischen Kontinent und sogar über die ganze Welt beigetragen; riskantes Verhalten allein kann jedoch die Epidemie, die wir im AIDS-Gürtel erleben, nicht aufrechterhalten. Fraglos ist bei der Bewertung der statistischen Zusammenhänge Vorsicht angebracht. So sind Männer etwa in Asien oft beschnitten, doch gibt es dort nicht so viele AIDS-Fälle wie in Afrika, wahrscheinlich aufgrund anderer sexueller Gepflogenheiten. Außerdem bietet die Zirkumzision allein keinen Schutz vor der Ansteckung - überall in Schwarzafrika, auch dort, wo alle Männer beschnitten sind, ist der Anteil HIV-Infizierter unter den Prostituierten und ihren Freiern hoch. Von diesen Kreisen aus könnte das Virus auf die übrige Bevölkerung übergreifen.

Da es sich in verschiedenen Grup-pen mit deutlich unterschiedlicher Geschwindigkeit ausbreitet, müssen Aufklärungs- und Vorbeugungsprogramme in aller Welt vor allem Menschen mit hohem Risiko erreichen und überzeugen: Homosexuelle, Prostituierte und ihre Kunden, intravenös spritzende Drogenkonsumenten sowie Männer und Frauen mit wechselnden Sexualpartnern. In Schwarzafrika könnte Empfehlung und Angebot von Zirkumzision andere Maßnahmen verstärken - Sexualkunde in den Schulen (Bild 2), das Propagieren des Gebrauchs von Kondomen und bessere Behandlung von Geschlechtskrankheiten, insbesondere von weichem Schanker (Kasten Seite 80).

Es gibt immerhin Anzeichen von Verhaltensänderungen im AIDS-Gürtel. Die durchschnittliche Anzahl von Sexualpartnern scheint in Ostafrika rückläufig. In Uganda werden, vielfach auf Verlangen von Frauen zunehmend Präservative benutzt. Im ländlichen Südwesten Tansanias wie wohl auch anderwärts haben Männer sich offenbar eigene Gedanken gemacht und lassen sich in vehement steigender Zahl beschneiden - oft auch gleich ihre Söhne; Kliniken, die Zirkumzision als Schutz vor Ansteckung mit HIV anbieten, inserieren mittlerweile in Zeitungen. Allerdings müssen Mediziner jeden einzelnen eindringlich warnen, sich danach in trügerischer Sicherheit zu wiegen.

Literaturhinweise

- The Relationship between Male Circumcision and HIV Infection in African Populations. Von John Bongaarts, Priscilla Reining, Peter Way und Francis Conant in: AIDS, Band 3, Heft 6, Seiten 373 bis 377, 1989.

- Geographical Patterns of Male Circumcision Practices in Africa: Association with the HIV Seroprevalence. Von Stephen Moses, Janet E. Bradley, Nico J. D. Nagelkerke, Allan R. Ronald, J. O. Ndinya-Achola und Francis A. Plummer in: International Journal of Epidemiology, Band 19, Heft 3, Seiten 693 bis 697, September 1990.

- Sexual Networking and AIDS in Sub-Saharan Africa: Behavioural Research and the Social Context. Herausgegeben von I. O. Orubuloye, John C. Caldwell, Pat Caldwell und Gigi Santow, Australische National-Universität, 1994.

- Forum: The East African AIDS Epidemic and the Absence of Male Circumcision: What Is the Link? In: Health Transition Review, Band 5, Heft 1, Seiten 97 bis 117, April 1995.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1996, Seite 76
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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