Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Die Anwendung der Scharia in Deutschland insbesondere im Bezug auf Frauenrechte

Christine ⌂, Tuesday, 16.12.2008, 13:50 (vor 5673 Tagen)

Deutscher Bundestag - Wissenschaftliche Dienste

Die Anwendung der Scharia in Deutschland

1. Begriff und Geltung der Scharia

Scharia ist die arabische Bezeichnung für islamisches Recht. Darunter versteht man das religiös begründete, auf Offenbarung zurückgeführte Recht des Islams. Neben Rechtsgebieten wie dem Privat- und Strafrecht beinhaltet die Scharia der Idee nach die Gesamtheit der aus der Offenbarung zu gewinnenden Normen für das Handeln der Menschen im Verhältnis zu Gott und zu seinen Mitmenschen. Die Scharia unterscheidet zwischen religiösen Vorschriften, die das Verhältnis zu Gott (Beten, Fasten etc.) regeln, und rechtlichen Vorschriften für das Handeln der Menschen untereinander (Vertragsrecht, Familienrecht, Strafrecht etc.).
Bis ins 19. Jahrhundert galt das islamische Recht in der gesamten islamischen Welt. Es war nicht kodifiziert. Der Rechtsprechung lag ausschließlich die Lehrtradition der Rechtsschulen zugrunde. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in fast allen Staaten der islamischen Welt bis auf das Familien-und Erbrecht weite Teile der Rechtspflege dem Anwendungsbereich der Scharia entzogen. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde das islamische Familien- und Erbrecht in vielen Staaten zu staatlichem Recht. Die Türkei schaffte die Scharia 1926 als Gesetzesgrundlage vollständig ab und führte ein auf dem schweizerischen Recht basierendes Zivilgesetzbuch ein. In Saudi-Arabien dagegen gilt die Scharia uneingeschränkt. Andere Staaten (etwa Pakistan und Sudan) haben beschlossen, die Scharia zur Grundlage der Rechtsprechung zu machen. Die Wiedereinführung der Scharia in allen Rechtsgebieten gehört zu den Hauptforderungen des islamischen Fundamentalismus.

2. Rechtliche Vorschriften der Scharia

In Deutschland können Vorschriften der Scharia nach dem deutschen Internationalen Privatrecht (IPR) zur Anwendung kommen. Das deutsche IPR bestimmt, welches staatliche Recht bei Fällen mit Auslandsbezug anzuwenden ist (Art. 3 Abs. 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB)). Ausgangspunkt des IPR ist der Gedanke der Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen. Das traditionelle islamische Recht ist außerstaatliches Recht. Es kann daher nach dem deutschen IPR nur soweit angewendet werden, als es zum Recht des jeweiligen Staates geworden ist. Nach Art. 6 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist (Ordre-public Vorbehalt). Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind andere Maßstäbe anzulegen als bei der Rechtsanwendung in einem reinen Inlandsfall, so dass bei ganz oder überwiegend auslandsbezogenen Sachverhalten eine differenzierte Anwendung der Grundrechte im Rahmen ihrer aus der Verfassung selbst zu entwickelnden Reichweite geboten sei. Je stärker der Inlandsbezug ist, umso stärker setzen sich die deutschen Rechtsvorstellungen durch. Kriterien dafür sind u. a. Aufenthaltsdauer, westliche Lebensweise, Ausbildung, Schul- oder Hochschulbesuch in Deutschland, Bindung an das Heimatland. Eindeutig ist dies bei Vorschriften bzw. Auslegungen der Scharia, die evident menschenrechtswidrig sind und/oder Frauen diskriminieren. Zu den Normen der Scharia zählen jedoch auch die - unproblematischen - religiösen und privatrechtlichen Vorschriften.

Die deutschen Gerichte und Behörden müssen sich daher mit den Vorschriften der Scharia des Herkunftslandes auseinander setzen, wenn sie über Voraussetzungen für die Eheschließung, eine Scheidung, über das Sorgerecht für die Kinder oder in Erbrechtsfällen zu entscheiden haben. Die in der Scharia vieler Länder vorgesehene Ungleichbehandlung nach Geschlecht und Religionszugehörigkeit erfordert die Prüfung einer möglichen Grundrechtsverletzung der Betroffenen im Rahmen des Ordre-public Vorbehalts. Beispielsweise steht den Frauen nach islamischem Recht selten ein Scheidungsrecht zu, während dem Mann weitestgehende Freiheit in der Form der Verstoßung (Talaq) zugebilligt wird. In einem Scheidungsverfahren prüfen daher die Gerichte, ob ein Verstoß gegen die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG, gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG und gegen die Eheschließungsfreiheit aus Art. 6 GG vorliegt. Islamische Vorschriften, die im Falle der Scheidung pauschal dem Mann das Sorgerecht für die Kinder zubilligen, verstoßen gegen das Grundrecht der Kinder auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Nach dem deutschen IPR ist im Erbrecht das Recht des Staates anzuwenden, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser zum Todeszeitpunkt besaß. Das deutsche Erbrecht erlaubt weitgehende Testierfreiheit, der Erblasser kann daher innerhalb der Grenzen des Pflichtteilsrechts unter seinen Erben differenzieren. Die im islamischen Recht auffälligen Ungleichbehandlungen auf Grund des Geschlechts treten beispielsweise auf, wenn Söhne und Töchter zu Erben berufen sind und den Töchtern nur die Hälfte des Erbteils eines Sohnes zusteht. Eine solche Ungleichbehandlung verstößt gegen Art. 3 GG und ist daher nicht anzuwenden. Der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten und der Kinder des Erblassers ist grundrechtlich durch Art. 14 GG geschützt. Eine vollständige und kompensationslose Pflichtteilsentziehung nächster Angehöriger verstieße daher bei ausreichendem Inlandsbezug gegen den Ordre-public Vorbehalt. Des Weiteren knüpft islamisch orientiertes Erbrecht unterschiedliche Rechtsfolgen an die Religionszugehörigkeit. Zulässig ist, dass der Erblasser lediglich nach der Religionszugehörigkeit der Erben unterscheidet. Will er aber mit seiner Erbeinsetzung Einfluss auf die religiöse Entscheidungsfindung des Erben nehmen, er also dessen Überzeugung durch eine bedingte Erbeinsetzung "kaufen", verstößt die Erbeinsetzung gegen den Ordre-public und ist nichtig.

3. Mehrehe

Nach der Scharia ist die Mehrehe mit bis zu vier Frauen erlaubt. In Deutschland ist es verboten, eine Mehrehe zu schließen. Im Sozialrecht ist sie insofern anerkannt, als eine im Ausland wirksam geschlossene Mehrehe Ansprüche mehrerer Ehegatten auf Witwenrente oder Witwerrente nach dem Sozialgesetzbuch begründet. Diese Ansprüche werden anteilig und endgültig aufgeteilt, so dass auch beim Tod eines Ehegatten die hinterbliebenen Gatten weiterhin nur ihre anfänglich berechneten Ansprüche erhalten. Nicht anerkannt wird die Mehrehe in solchen Fällen, in denen aus der Einehe Privilegien abgeleitet werden wie beispielsweise im Steuer- oder Aufenthaltsrecht. Nach § 30 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz wird keinem weiteren Ehegatten eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn ein in polygamer Ehe lebender Ausländer bereits mit einem Ehegatten in der Bundesrepublik lebt.

4. Religiöse Vorschriften der Scharia
Die religiösen Vorschriften der Scharia genießen den Schutz der Religionsfreiheit des Grundgesetzes nach Art. 4 GG. Dazu gehören Regeln über Gebet, Moscheebau, Gebetsruf, Bekleidungssitten, Fasten, Bestattungswesen. In seinem sog. Kopftuchurteil entschied das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2003, dass ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage erfordert. Daraufhin haben einzelne Bundesländer gesetzliche Grundlagen für Verbote von religiösen Bekundungen im Schuldienst geschaffen.

Nr. 85/08 (16. Dezember 2008)

Quellen:
- Andrae, Marianne, Anwendung des islamischen Rechts im Scheidungsverfahren vor deutschen Gerichten, NJW
2007, S. 1730 ff.
- Brockhaus Enzyklopädie, Band 13, 21. Auflage 2005, S. 555 ff.
- Pattar, Andreas Kurt, Islamisch inspiriertes Erbrecht und deutscher Ordre public, 2007.
- Scholz, Peter, Islam-rechtliche Eheschließung und deutscher Ordre public, in: Das Standesamt 2002, S. 321 ff

Verfasser: ORRn Elisabeth Delfs, geprft. RK Sebastian Janzen, Fachbereich WD 3, Verfassung und Verwaltung

http://www.bundestag.de/wissen/analysen/2008/scharia.pdf
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Interessant ist aus meiner Sicht nicht alleine die Bevorzugung der Frauen, wir kennen es hier ja schließlich nicht anders, sondern auch der Umstand, wie verwässert die Grundrechte/Gesetze bei uns sind.
In dem einen Fall darf das Recht der Scharia angewendet werden, in dem anderen Fall wiederum nicht.
Auch wenn das den einen oder anderen hier aufbringen mag; es darf und können mMn in unserem Land nur unsere Gesetze angewendet werden, so bescheiden viele Gesetze auch sein mögen.

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Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein


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