Persönliche Briefe von Helmut Marquardt
Herr Marquardt hat zu seinem 77. Geburtstag über 70 Briefe bekommen, in denen ihm auch Mut gemacht worden ist, seine schwere Lage durchzustehen. Er ist nicht in der Lage, jeden Brief persönlich zu beantworten und hat mich gebeten, diesen allgemeinen, aber persönlich gemeinten Dankesbrief ins Internet zu stellen. Ich bin seiner Bitte gern nachgekommen:
Burg, den 26.09.2013
An alle Gratulanten
Ich möchte mich auf diesem Wege bei allen Gratulanten für die Glückwünsche, tröstende und nette Worte zu meinem 77. Geburtstag, den ich leider trotz meiner schweren Krankheit immer noch nicht in Freiheit verbringen darf, recht herzlichst bedanken.
Es tut mir gut zu wissen, dass so viele Menschen aus nah und fern an meinem Schicksal Anteil nehmen.
Nochmals Danke
Ihr Helmut Marquardt
Am 25. September 2013, an seinem 77. Geburtstag, hat Helmut Marquardt einen erneuten Hilferuf an Ministerpräsident Haseloff gerichtet.
Er ist damit einverstanden, diesen persönlichen Brief auf dieser Webseite zu veröffentlichen:
Helmut Marquardt
Madel 100
39288 Burg
An den Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt
Herrn Dr. Rainer Haseloff
Hegelstr. 40-42
39104 Magdeburg
Burg, den 25.09.2013
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Haseloff,
Ich nehme den heutigen Tag, an dem ich heute 77 Jahre alt geworden bin, als Anlass, mich nochmals als schwerkranker Mensch an Sie, nicht nur als Ministerpräsident, sondern auch als mein Landesvater von Sachsen-Anhalt, zu wenden und flehe Sie um ernste Hilfe an.
Ich bin kein Schauspieler auch kein Simulant, aber mein Weinen müßten Sie hier aus der JVA Burg hören können.
Der Anlass ist die Ablehnung des Antrags zur Strafunterbrechung gemäß §455Abs.4StPO durch den Oberstaatsanwalt in Halle. Gestellt durch meine Rechtsanwältin Frau Dreger-Jensen aus Hamburg auf Grund der ärztlichen Gutachten der Pawlowklinik Magdeburg Abt. Nuklearmedizin, der Pfeifferschen Stiftungen Magdeburg und das ärztliche Gutachten des zuständigen Amtsarztes Dr. med. Priester und in seinem Auftrag der Neurologin Frau Dr. Langen. In der Ablehnung heißt es: „Nach Prüfung des Sachverhaltes sehe ich mich nicht in der Lage, Ihnen die erbetene Strafunterbrechung gemäß §455StPO zu bewilligen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind.“
Herr Ministerpräsident, ich habe in der Haftzeit 4 schwere Herzinfarkte erlitten, die letzten 2 Infarkte 2012, mir wurden 3 Bypässe am Herzen implantiert, meine Herzkranzgefäße sind verkümmert und sehen schlimmer aus wie bei einem hochgradigen Diabetiker und weisen starke Verschlüsse auf, meine Herzhinterwand weist starke Verkrustungen und Vernarbungen auf und wird sehr mangelhaft durchblutet, ich leide unter starken Herzstichen, die mich zum Kurz- und Flachatmen zwingen, Angstzustände und Schweißausbrüche aufkommen und sehr lange anhalten, ich bin danach gänzlich erschöpft und fühle mich wie nach der schweren Herz-OP am 08.03.2010.
Frau Dr. Trautmann aus den Pfeifferschen Stiftungen hat bei der letzten Untersuchung – ihr lagen auch die Befunde der Pawlowklinik vor – wörtlich zu mir gesagt: „Es gibt in ganz Deutschland keinen Arzt, der bei Ihnen und Ihrem Zustand sich noch einen Eingriff wagt, ich darf auf keinen Fall mich aufregen, das ist Gift für Sie kann sofort tödlich sein“. Alle Fachärzte haben festgestellt, dass ich mit der Einnahme von Tabletten „austherapiert“ bin.
Mein seelischer und gesundheitlicher Zustand verschlechtert sich nach 11 ¼ Jahren Haft auch deswegen so dramatisch, weil ich erleben muss, wie meine Familie zugrunde geht und sie alle wissen, dass ich zu Unrecht verurteilt worden bin.
Ich versichere Ihnen: ich habe in meinem ganzen Leben noch nie jemandem etwas zu Leide getan, ich bin christlich erzogen und bin ein gläubiger Mensch.
Wenn ich meine lebenswichtigen Tabletten absetzen würde, dann weiß ich, dass mir meine liebe Frau, einzige Tochter und einzige Enkelin folgen würden, das ist der einzige Grund, diese Qual zu ertragen.
Wenn Sie mich mal persönlich anhören würden, das ist mein allergrößter Wunsch, dann würden Sie so etwas was mit mir gemacht wurde, nicht für möglich halten.
Schließen und ziehen Sie bitte aus diesem meinem Schreiben Ihre Schlüsse, nur lassen Sie mich bitte nicht so lange warten, dieses Schreiben ist ein Hilferuf.
Mit aller Hochachtung freundlichst
Helmut Marquardt
Herr Marquardt ist einer der immer weniger werdenden Zeitzeugen des II. Weltkrieges. Das was er als 8jähriger Junge in Ostpreußen erleben musste, lastet auf ihm heute noch und kehrt in Form von Alpträumen wieder. Folgenden bewegenden Bericht hat er über seine Kindheitserfahrungen geschrieben.
Burg, den 15.08.2013
.........Meine schwere Krankheit macht mir zusätzlich zu meiner unschuldigen Verhaftung (11 Jahre unschuldig in Haft) sehr schwer zu schaffen. Ich leide nicht nur unter der Haft, sondern auch ganz schwer unter Alpträumen, die ich als 8jähriger zum Kriegsende in Ostpreußen erleben musste. Bei jedem Strauchdieb wird ein psychologisches Gutachten gemacht, in meinem Fall, in dem es noch nicht einmal ein Tatmotiv gibt, wurde nichts gemacht.
Ich bin noch ein lebender Zeitzeuge und kenne den Grund meiner Alpträume. Wir wohnten direkt am Frischen Haff, unser Haus stand auf einem Berg, so dass wir bei klarer Sicht über das ganze Haff bis Pilau sehen konnten. Im Nov./Dez. 1944 kamen die ersten Trecks, die über das Eis wollten, das ging so bis Ende Februar 1945, als wir, meine Mutter, meine zwei Schwester und ich, die Flucht mit dem Schiff von Rosenberg nach Pilau antreten mussten. Mein Vater durfte nicht mit, er hatte sich unser Ziel (Lodersleben bei Querfurt) eingeprägt. Ich habe erleben müssen, wie die hilflosen Trecks auf dem schutzlosen Eis mit Bordkanonen beschossen und Bomben von russischen Tieffliegern versenkt wurden und mit Pferd und Wagen im Haff untergingen. Selbst ganze Kuhherden sind ersoffen. Schwer verwundete Landser wurden auf einem zusammengenagelten Schlitten in Packpapier gewickelt, ein Pferd davorgespannt, und dann mußten sie selbst über das Eis fahren, auch diese gingen mit dem Pferd unter. Ich habe erleben müssen, wie sich ganze Familien selbst erschossen haben. Unterhalb unseres Hauses wurden in Viererreihen russische Kriegsgefangene zur Hinrichtung in den Kiesgruben der Haffberge vorbeigetrieben. Die nicht mehr konnten und umfielen, wurden vor unseren Augen erschossen. Die Blutspuren musste ein Gefangener mit Schnee zuscharren. Ich höre noch die MG-Salven aus den Kiesgruben. Die Wirklichkeit ......... war noch viel schlimmer als ich es hier versuche zu schildern.
Auf der Flucht haben wir in Pilau meinen Bruder getroffen, er war bei der Kriegsmarine, 7. Sicherungsflotille, er hat uns in Gotenhafen ein kleineres Schiff besorgt, das uns heil nach Zwinemünde gebracht hat. Ein paar Tage nach unserer Abreise mit dem Zug wurde Zwinemünde von englischen Bombern platt gemacht. Alles in allem hatten wir ganz großes Glück und sind am 10. März 1945 in Lodersleben angekommen. Mein Vater hat sich 1946 zu Fuß von Ostpreußen nach Lodersleben durchgeschlagen. Er hatte noch einen Landser aus Oldenburg und Hannover, denen er immer wieder Mut gemacht hat, bis vor Halle mitgebracht. Sie hatten noch lange sehr guten Kontakt.
Als wir, bei größter Armut, alle wieder zusammen waren, mein Bruder war nur kurz in englischer Gefangenschaft, weil er so viele Flüchtlinge aus Ostpreußen mitgerettet hat, haben wir uns in der „Unterhofkaserne“ – so nannte sich das Gebäude in Lodersleben, alle im Kreis an die Hände gefasst, mein Vater, meine Mutter, meine zwei Schwestern, mein Bruder und ich und haben Gott gedankt und zusammen das Vaterunser gebetet.
Ich, der ich selbst 1962 bei der Sturmflut in Hamburg Menschen vor dem sicheren Ertrinken, unter Einsatz meines Lebens, gerettet habe, muss jetzt schon 11 Jahre für etwas büßen, das ich nicht getan habe.
Dass ich dieses Schreiben nicht mit trockenen Augen schreibe, können Sie sich denken.........
Helmut Marquardt
An alle Unterstützer des Freundeskreises „Gerechtigkeit für Helmut Marquardt“
Wenn auch bis jetzt der gewünschte Erfolg noch Auf sich warten lässt, so möchte ich mich schon jetzt bei ihnen allen für Ihren Einsatz recht herzlich bedanken. Es hilft mir ungemein die schwere Zeit in der Haft trotz meiner schwer angeschlagenen Gesundheit (drei Herzinfarkte, drei Bypässe und eine verschlissenen Wirbelsäule) mit meinen 76 Jahren zu überleben.
Kirche, Justiz und Politik verschließen Augen und Ohren, wenn es darum geht ein Fehlurteil aufzuheben. Selbst die Landesbischöfin, die Justizministerin und der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt entziehen sich in ihrer Position der Verantwortung.
Mich hat 1962 bei der Sturmflut in Hamburg niemand gefragt, ob ich dafür zuständig bin Leben zu retten. Unter Einsatz meines Lebens habe ich damals Menschen vor dem sicheren Ertrinken gerettet. Diesen Menschen stand das Wasser damals wörtlich bis zum Hals. Heute steht mir das Wasser symbolisch bis zum Hals und keiner dieser Führungspersönlichkeiten, die für die Menschen im Land verantwortlich sein sollten, will mir helfen.
Mit freundlichen Grüßen und einem herzlichen Dankeschön
Helmut Marquardt