Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Schaut mal, wie lange die schon jammern! (Manipulation)

Zecke24, Friday, 29.06.2012, 14:52 (vor 4291 Tagen)

-------------> DER SPIEGEL 52/1983

Fest der Hiebe

Zu Weihnachten herrscht in den 120 westdeutschen Frauenhäusern Hochbetrieb - deutlicher Beleg für ihre Existenzberechtigung. Doch die meisten Häuser sind akut gefährdet. *

In der niedersächsischen Gemeinde galt der Pastor immer als vorbildlicher Mensch, friedfertig und nächstenlieb. Zu Hause terrorisierte er seine Ehefrau.

"Er schlug mich oft, manchmal bis ich hinfiel", berichtete Brigitte Rühl, _(Namen von der Redaktion geändert. )

35. Am zweiten Adventssonntag rettete sie sich, nach neuerlichen Tritten und Faustschlägen, mit ihren vier Kindern in ein norddeutsches Frauenhaus - während ihr Mann von der Kanzel predigte und den Sündern vergab.

Mit Würgemalen am Hals und dunkelblau geschwollenen Füßen floh Mitte des Weihnachtsmonats die Arztfrau Christine Wöllny, _(Namen von der Redaktion geändert. )

37, vor ihrem prügelnden Gatten in ein schwäbisches Frauenhaus. Und Angelika Bader, _(Namen von der Redaktion geändert. )

29, Mutter von zwei Mädchen, wurde zuletzt wenige Tage vor dem Fest der Liebe von ihrem Lebensgefährten, einem Rechtsanwalt Dr. jur. aus Frankfurt, brutal malträtiert: "Der drosch immer, wenn er miese Laune hatte." Mit "Blutergüssen" und "geschwollenem Gesicht" kam sie bei einem "Verein zum Schutz mißhandelter Frauen e. V." im Hessischen unter.

Gewalt gegen Frauen - das ist in westdeutschen Ehen und Partnerschaften besonders an Fest- und Feiertagen schmerzliche Realität. Und gerade zur Weihnachtszeit häufen sich die Mißhandlungen so sehr, daß Roswitha Müller, Leiterin des Frauenreferats bei der Arbeiterwohlfahrt in Bonn, von einer "typischen Bescherung" spricht.

Rund um Advent und Heiligabend, das "Fest der Hiebe", wie es Ilse Werder vom Hanauer Verein "Frauen helfen Frauen" nennt, herrscht in Frauenhäusern, die geprügelten Frauen und ihren Kindern Zuflucht vor Mißhandlungen bieten, Hochbetrieb.

Wenn die Familie mehr als sonst beisammen ist, "haben wir eine generell konfliktträchtige Situation", weiß Monika Gotzes von der hessischen Zentralstelle für Frauenfragen. Dann entlade sich aufgestaute Wut. "Möbelrücken" nennt es die Polizei in Frankfurt, wenn sie in dieser Zeit - manchmal gleich mehrfach am Tag - gerufen wird, weil wieder mal die Fetzen fliegen.

Der Andrang in den Frauenhäusern zu den Festtagen ist Auswuchs einer Zeiterscheinung, die sich sonst gern "hinter dem Tabu der Peinlichkeit verbirgt", sagt die Bremer Soziologin Ute Gerhard. Rund drei Millionen Frauen, eher mehr, werden, grob geschätzt, tagtäglich von ihren Männern und Freunden geprügelt oder mit Messern und anderem attackiert.

Genaue Zahlen gibt es nicht, weil die häusliche Gewalt gegen Frauen, wie Ute Gerhard in der ersten umfangreichen "Bestandsaufnahme zur Situation der autonomen Frauenhäuser" schreibt, "das Dunkelfeld sucht" und häufig genug "der Toleranz oder gar Komplizenschaft nicht nur männlicher Staats- und Kontrollorgane sicher sein kann". Aber "wo immer ein Frauenhaus" öffnet, stellte die Bremer Wissenschaftlerin fest, _("Droht das Aus fürs Frauenhaus?"; ) _(vorgelegt von der Arbeitsgruppe ) _(Frauenrechte im Komitee für Grundrechte ) _(und Demokratie und dem autonomen ) _(Frauenhaus Bremen, in Zusammenarbeit mit ) _(der Zentralen Informationsstelle für ) _(autonome Frauenhäuser; 80 Seiten; fünf ) _(Mark. )

"da ist es in kurzer Zeit belegt, ja überfüllt".

Die Frauen und ihre Kinder nehmen allerhand Ungemach in Kauf. Sie lagern, nicht nur zur Weihnachtszeit, in überfüllten Häusern auf Matratzen und in Schlafsäcken, in Fluren und Gängen. Mitgenommen haben sie bei ihrer Flucht nur das Nötigste. "Die Hauptsache" für sie ist, so Monika Gotzes, "erst mal Sicherheit vor dem Mißhandler".

Geprügelt wird nicht nur in der Unterschicht. Rund die Hälfte der mißhandelten Frauen entstammt "wohlhabenden Bevölkerungsschichten", ermittelte der Pressedienst "Fachredaktion Soziales" in einer Umfrage bei 40 der rund 120 Frauenhäuser zwischen Flensburg und München sowie bei Polizei und Sozialverbänden. Auch sozial bessergestellte Ehefrauen haben "keine Hemmungen mehr", so das Umfrage-Resultat, ihren Mann bloßzustellen. Als Gewalttäter werden Professoren und Lehrer, Polizisten und Banker ebenso aktenkundig wie Arbeiter und Angestellte - da sei "kein soziales Gefälle mehr festzustellen".

Die Notwendigkeit von Frauenhäusern wird - sieben Jahre nach der Gründung des ersten in Berlin - über Partei- und Konfessionsgrenzen hinweg "von niemandem mehr bestritten" (Ute Gerhard). Doch zur "finanziellen Absicherung", stellte die Wissenschaftlerin fest, werde in den meisten Bundesländern "so gut wie nichts" getan.

"Seit der Wende" regiere vielmehr allerorten "eine alle Planungen behindernde Rotstiftpolitik". Die Mehrheit der Frauenhäuser sei inzwischen "akut bedroht", die ersten, etwa im holsteinischen Norderstedt, in Hannover oder Freudenstadt, müssen schließen.

Besonders gefährdet ist die Existenz der rund 80 "autonomen" Frauenhäuser, die von unabhängigen Frauen-Initiativen betrieben werden und staatlicher Aufsicht weitgehend entzogen sind. Sie arbeiten selbständig und eigenverantwortlich, wollen den mißhandelten Geschlechtsgenossinnen "Hilfe zur Selbsthilfe" gewähren und prangern Gewalt gegen Frauen als "Spitze des Eisberges" ihrer "gesellschaftlichen Unterdrückung" an.

Für ihre Arbeit beanspruchen die unabhängigen Frauengruppen Geld aus den öffentlichen Haushalten, wie es Hamburg (zuletzt 1,7 Millionen Mark für vier Häuser) und Berlin (1,17 für zwei Häuser) "vorbildlich" zur Verfügung stellen. Doch die beiden Stadtstaaten, seit je an der Spitze der Bewegung, sind Ausnahmen. Hessen zahlt gerade noch 400 000 Mark für Sach- und Investitionskosten in allen zehn Häusern, Nordrhein-Westfalen 2,1 Millionen für Personal in über 30 Einrichtungen. Darüber hinaus gibt es kaum irgendwo Zuschüsse.

Die unabhängigen Hausbetreiberinnen behelfen sich mit Spenden, Eigenbeiträgen und hier und da auch Zuschüssen von den Kommunen, vor allem aber mit dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Das gewährt "Hilfe zum Lebensunterhalt" für all jene, die ihn "nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln" bestreiten können, oder auch "zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage". Doch das ist aus Sicht der Initiativen nur eine "Verlegenheitslösung".

Finanzielle Abhängigkeit vom BSHG nämlich bedeute praktisch, daß der "Betrieb finanziell nur gesichert ist, wenn immer genügend und gleichbleibend viele Frauen mißhandelt werden und im Frauenhaus Zuflucht suchen". Das aber sei, so die Bremer Studie, "eine mehr als absurde Voraussetzung".

Insbesondere wo Unionsmehrheiten regieren, regt sich Widerstand gegen autonome Frauenhaus-Initiativen, weil die - anders als konventionelle Träger wie Arbeiterwohlfahrt oder Caritas - "zu sehr auf den Mann als Ungeheuer fixiert sind", wie der Münchner Stadtdirektor Hans Eberhard Körber sagt. Männern wie Körber kommt vieles, was die Frauenhäuser wollen, einer "radikalen feministischen Ideologie" gleich.

In Friedrichshafen am Bodensee verweigerte die Mehrheit von CDU und Freien Wählern im Kreistag dem örtlichen Frauenhaus einen vergleichsweise geringen Zuschuß von 36 900 Mark, weil "vorhandene kirchliche Einrichtungen ausreichen". Im Hanauer Stadtparlament lehnte die christliberale Mehrheit einen Jahreszuschuß von 24 000 Mark für den unabhängigen Verein "Frauen helfen Frauen" ab. In Gießen fördert die CDU-regierte Stadt nur das Schutzhaus der Caritas, nicht aber das autonome.

Da werde ganz offensichtlich, klagt Monika Gotzes von der Frankfurter Zentralstelle, "der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt". Auch in Offenbach und Frankfurt lassen CDU-Stadtregierungen selbstverwaltete Frauenhäuser links liegen. "Die CDU bürstet uns ab", schimpft die Mitarbeiterin eines hessischen Hauses, "weil ihr unser Konzept nicht paßt."

Im holsteinischen Norderstedt, dessen Frauenhaus seit Ende 1979 rund 400 Frauen und ebenso viele Kinder aufnehmen mußte, ging über dem Widerstand der CDU die ganze Einrichtung zugrunde. Gleich nach Erringung der Mehrheit im vergangenen Jahr strichen die Christdemokraten die kommunalen Zuschüsse gegen heftige Proteste vermummter Frauen von etwa 150 000 auf 85 000 Mark zusammen. Am Ende war der CDU selbst das noch zuviel - weil die örtliche Initiative "gegen die Familie" arbeite.

Den mißhandelten Frauen gaben die Norderstedter Christdemokraten einen zynisch anmutenden Ratschlag mit auf den Weg. "Hilf dir selbst", empfahl ein Ratsherr, "dann hilft dir Gott."

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14024604.html


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