Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Post vom BMJ zur gemeinsamen Sorge bei nichtehelichen Vätern

Christine ⌂, Thursday, 29.01.2009, 08:57 (vor 5537 Tagen)

Hallo zusammen,

am 07.01.2009 schrieb Frau Zypries bei Abgeordnetenwatsch folgendes:

Sehr geehrte Frau ,

die Auswertung der Praxisbefragung bei Rechtsanwälten und Jugendämtern ist abgeschlossen. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Befragung können Sie beim Bundesministerium der Justiz, poststelle@bmj.bund.de, anfordern.

Die komplette Frage und Antwort ist hier zu finden.

Daraufhin schrieb ich das BMJ an mit der Bitte, mir diese Zusammenfassung zuzuschicken, die unten angehängt ist.

Zur Vorgeschichte: Im Jahre 1998 mußte, ausgelöst durch den Maastricht-Vertrag, das gemeinsame Sorgerecht eingeführt werden, allerdings gab es dieses nur für ehemals Verheiratete. Deshalb mußte ein nichtehelicher Vater bis zum Bundesverfassungsgericht klagen und mit Urteil vom 29.1.2003 stellte das BVerfG u.a. fest:

L e i t s ä t z e

zum Urteil des Ersten Senats vom 29. Januar 2003

- 1 BvL 20/99 -

- 1 BvR 933/01 -

4. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob seine Annahme auch vor der Wirklichkeit Bestand hat. Stellt sich heraus, dass dies regelmäßig nicht der Fall ist, wird er dafür sorgen müssen, dass Vätern nichtehelicher Kinder, die mit der Mutter und dem Kind als Familie zusammenleben, ein Zugang zur gemeinsamen Sorge eröffnet wird, der ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG unter Berücksichtigung des Kindeswohls ausreichend Rechnung trägt.

Da es keine Fristsetzung durch das BVerfG gab, ließ sich das BMJ auch dementsprechend Zeit. Wie ihr aus dem unten angehängten Schreiben entnehmen könnt, wurde im Sommer/Herbt 2006 (also mehr als 3,5 Jahre nach Urteilsverkündung) mit der Befragung von Jugendämtern und Rechtsanwälten begonnen und wie einigen bekannt, wird erst dieses Jahr die Ausschreibung einer entsprechenden Studie vorgenommen.
Nun lest selbst, zu welchen Erkenntnissen das BMJ gekommen ist.
_________________________


Berlin, 27.01.2009 (Anschreiben wurde nicht gescannt)

Bundesministerium der Justiz

Umfrage des Bundesministeriums der Justiz bei Jugendämtern und Rechtsanwälten
zur gemeinsamen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern
- Zusammenfassung -

I. Vorbemerkung

1. Hintergrund der Umfrage
Seit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 können nicht miteinander verheiratete Eltern die gemeinsame elterliche Sorge ausüben, wenn sie übereinstimmende Sorgeerklärungen abgeben (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). Lehnt ein Elternteil die gemeinsame Sorge ab, hat die Mutter die Alleinsorge (§ 1626a Abs. 2 BGB).

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 29. Januar 2003 das Regelungskonzept der §§ 1626a, 1672 BGB im Wesentlichen für verfassungskonform erklärt (BVerfG, Urteil vom 29. Januar 2003 - 1 BvL 20/99, 1 BvR 933/01, BVerfGE 107, 150 ff.). Insbesondere in Fällen, in denen die Eltern mit dem Kind zusammenlebten und beide ihre Kooperationsbereitschaft schon durch gemeinsame tatsächliche Sorge für das Kind zum Ausdruck gebracht hätten, habe der Gesetzgeber davon ausgehen dürfen, dass die Eltern die nunmehr bestehende gesetzliche Möglichkeit einer gemeinsamen Sorgetragung in der Regel nutzten und ihre tatsächliche Sorge durch Sorgeerklärungen auch rechtlich absicherten (BVerfGE 107, 150 ff., 176). Nur ausnahmsweise werde eine Mutter, die mit Vater und Kind zusammenlebt, sich dem Wunsch des Vaters nach einer gemeinsamen Sorge verweigern, wenn sie dafür schwerwiegende Gründe hat, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen werden (BVerfGE 107, 177).

In seinen Urteilsgründen hat sich das Bundesverfassungsgericht maßgeblich darauf gestützt dass angesichts der neu geschaffenen Rechtsform zum Zeitpunkt des Urteils noch keine tragfähigen empirischen Aussagen möglich seien (vgl. BVerfGE 107, 150 ff., 179 f.). So fehlten insbesondere gesicherte Erkenntnisse darüber, ob es trotz der neu geschaffenen Möglichkeit gemeinsamer Sorgetragung von Eltern eines nichtehelichen Kindes dauerhaft eine beachtliche Zahl von Fällen gibt, in denen es bei Zusammenleben der Eltern mit dem Kind nicht zu einer gemeinsamen Sorge kommt, und welche Gründe hierfür maßgeblich sind. Mit Blick darauf hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt: "Da der Gesetzgeber Regelungen getroffen hat, die nur bei Richtigkeit seiner prognostischen Annahmen das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art. 6 Abs. 2 GG wahren, ist er verpflichtet, die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob seine Prämissen auch vor der Wirklichkeit Bestand haben." (BVerfGE 107, 150 ff., 179 f.).

Im Hinblick auf den Prüfauftrag des Bundesverfassungsgerichts wurden bereits verschiedene Maßnahmen vorgenommen. Unter anderem wird die Begründung der gemeinsamen elterlichen Sorge durch Sorgeerklärung seit dem Jahr 2004 statistisch erfasst. Im Jahr 2005 wurden im gesamten Bundesgebiet 91.485 (2004: 87.400) Sorgeerklärungen abgegeben. Unter Berücksichtigung der Geburtsstatistik 2005, nach der 200.122 (2004: 197.129) Kinder geboren wurden, deren Eltern nicht miteinander verheiratet waren, ergibt sich für die Begründung der gemeinsamen Sorge eine Quote von 45,72 % (2004: 44,34 %). Dies bedeutet einerseits, dass das Rechtsinstitut der Sorgeerklärung zu einem großen Teil gut angenommen wird. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass nicht verheiratete Eltern sich immerhin in mehr als der Hälfte der Fälle (2005: 54,28%, 2004: 55,66%) nicht entschließen konnten, die gemeinsame Sorge durch Sorgeerklärung zu begründen. Diese Prozentzahlen allein sind jedoch wenig aussagekräftig, weil sie keinen Aufschluss darüber geben, ob die Eltern zusammen leben und auf welchen Gründen die Nichtabgabe von Sorgeerklärungen beruht.

2. Gegenstand und Durchführung der Umfrage
Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium der Justiz im Sommer/Herbst 2006 eine Umfrage zur gemeinsamen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern durchgeführt. Die Umfrage hat sich an Jugendämter und Rechtsanwälte gewandt, weil diese Eltern in Fragen der elterlichen Sorge beraten und dadurch einen Einblick in Konfliktsituationen sowie deren Hintergründe und Ursachen haben.

- Die ca. 630 Jugendämter in Deutschland wurden per E-Mail angeschrieben. In dem Anschreiben wurde der Hintergrund der Umfrage dargestellt und um Teilnahme an der Umfrage gebeten. Dem Anschreiben lag neben dem Fragebogen auch ein Schreiben der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände bei, die die Durchführung der Umfrage unterstützt hat.

- Um möglichst gezielt die Rechtsanwälte zu erreichen, die mit Fällen zu § 1626a BGB befasst sein könnten, wurden die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) angeschrieben. Dieser Arbeitsgemeinschaft gehören etwa 6.000 Rechtsanwälte mit Interessen- bzw. Tätigkeitsschwerpunkt Familienrecht an. Über den Newsletter der Arbeitsgemeinschaft des DAV wurden sie über die Umfrage des BMJ informiert und um Teilnahme gebeten.

Die Fragebögen enthielten folgende Fragen:

1. Wie viele Einwohner leben in Ihrem Einzugsbereich als Träger der öffentlichen Jugendhilfe? (nur Fragebogen Jugendamt)

2. Wie häufig treten in der Beratungspraxis Ihres Jugendamtes (gesamtes Jugendamt) / in Ihrer familienrechtlichen Beratungspraxis Väter mit der Frage an Sie heran, ob bzw. wie sie gegen den Willen der Mutter die elterliche (Mit-)Sorge erlangen können?

3. Zu welchem Prozentsatz leben die Väter in diesen Fällen mit Mutter und Kind zusammen oder haben über längere Zeit (mindestens 1 Jahr) mit Mutter und Kind zusammen gelebt?

4. Welche Motive der Mutter werden für die Ablehnung der gemeinsamen Sorge angegeben? (Mehrfachnennungen möglich)?

5. Erscheinen die genannten Motive der Mütter Ihrer Einschätzung nach nachvollziehbar/plausibel?
Darüber hinaus konnten die Teilnehmer der Umfrage weitere Anmerkungen machen.

II. Wesentliche Ergebnisse der Umfrage

An der Umfrage haben sich 440 Jugendämter und 109 Rechtsanwälte beteiligt. Dies entspricht Teilnahmequoten von 69,8 % bei Jugendämtern und ca. 1,8 % bei Rechtsanwälten. Angesichts der Tatsache, dass die Teilnahmequote bei den Rechtsanwälten sehr niedrig ist und die Antworten aller Teilnehmer nicht auf statistischen Daten, sondern auf Erinnerungen und Schätzangaben beruhen, müssen die Urnfrageergebnisse mit besonderer Versieht interpretiert werden (hierzu zusammenfassend III.).

1. Häufigkeit von Beratungsanfragen
Die Frage nach der Häufigkeit von Anfragen der Väter sollte Aufschluss über den Beratungsbedarf von Vätern geben. Dies kann einen gewissen Eindruck darüber geben, wie häufig Eltern bei der Begründung der gemeinsamen Sorge uneinig sind. Darüber hinaus wurde über die Angaben zur Häufigkeit die Validität der Aussagen geprüft. Da davon auszugehen ist, dass der Eindruck einer Person in der Regel umso zuverlässiger ist, je häufiger sie mit der Thematik befasst ist, wurden die Angaben von Jugendämtern mit mehr als 20 Fällen pro Jahr nochmals gesondert ausgewertet.

Im Ergebnis gab die Mehrzahl der Teilnehmer an, mit Anfragen zur Begründung der gemeinsamen Sorge nach § 1626a BGB selten befasst zu werden: Knapp zwei Drittel der Jugendämter haben nur ein bis zehn Anfragen pro Jahr; bei den Rechtsanwälten haben die Hälfte der Teilnehmer nur bis zu drei Fälle pro Jahr. Allerdings erhalten manche Teilnehmer auch sehr häufig derartige Anfragen: Etwa ein Viertel der Jugendämter hat mehr als 20 Anfragen pro Jahr, 11% der Jugendämter haben mehr als 50 Fälle pro Jahr und 4% der Jugendämter haben sogar mehr als 100 Anfragen pro Jahr. Bei den Rechtsanwälten haben 13% mehr als 10 Fälle und einige wenige sogar bis zu 30 Fällen pro Jahr.

Für Aussagen zum Konfliktpotential waren die Zahlen zur Häufigkeit der Anfragen nur bedingt aussagekräftig. Festzustellen ist, dass regelmäßig Fälle vorkommen, in denen die Väter zur Frage des Sorgerechts eine Beratung beim Jugendamt oder Rechtsanwalt suchen. Weitergehende Aussagen erscheinen aus verschiedenen Gründen problematisch: Die Umfrage zeigt, dass die Häufigkeit der Anfragen von ganz verschiedenen Faktoren abhängig ist. So spielt gerade bei Jugendämtern die Bürgernähe und Leistungsorientierung des jeweiligen Jugendamts eine große Rolle. Darüber hinaus ist der Informationsstand der Eltern maßgeblich. So wird ein Vater, der angesichts der klaren Rechtslage seine Situation als aussichtslos empfindet, möglicherweise keinen Rechtsrat einholen. Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Angaben zur Häufigkeit der Beratung ein genaues Bild über die Häufigkeit von Konfliktfällen geben.

2. Anteil zusammenlebender Eltern ohne gemeinsame Sorge
In Frage 2 wurden die Teilnehmer um eine Schätzung gebeten, wie viele nicht verheiratete Eltern zusammenleben oder längere Zeit zusammen gelebt haben, ohne die gemeinsame Sorge zu begründen. Hierdurch sollte ein gewisser Eindruck entstehen, ob dies häufiger oder eher selten vorkommt. Insbesondere sollte überprüft werden, ob ein Rückschluss auf die gesetzgeberische Annahme möglich ist, wonach Mütter, die mit Vater und Kind zusammenleben, nur in Ausnahmefällen die Begründung der gemeinsamen Sorge ablehnen.

Die Auswertung hat hier zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt. In der Gesamtauswertung der Jugendämter wurde die Quote der zusammenlebenden Eltern insgesamt sehr niedrig eingeschätzt: So gehen von allen Jugendämtern nur 22% davon aus, dass mehr als die Hälfte der Eltern, die keine gemeinsame Sorge begründen, zusammen leben oder längere Zeit zusammen gelebt haben. Bei den Rechtsanwälten war dieser Anteil höher: Hier schätzte knapp die Hälfte der Teilnehmer, dass über 50% der nicht verheirateten Eltern zusammen leben, ohne die gemeinsame Sorge zu begründen. Die Sonderauswertung (Jugendämter mit mehr als 20 Fällen) und die Kombinationsauswertungen bei Jugendämtern und Rechtsanwälten haben zu ähnlichen Ergebnissen geführt. Dabei hat sich gezeigt, dass Teilnehmer, die häufiger mit § 1626a-Fällen befasst sind, die Quote der zusammenlebenden Eltern deutlich im mittleren Bereich ansiedeln und seltener im unteren (0-10%) oder oberen (75-100%) Bereich. Je öfter Teilnehmer mit diesen Fällen befasst sind umso deutlicher war dieses Ergebnis.

Nach den Ergebnissen von Gesamtauswertung, Sonderauswertung und Kombinationsauswertung leben etwa 25 bis 75% aller Eltern zusammen oder haben zumindest längere Zeit zusammen gelebt, ohne die gemeinsame Sorge zu begründen. Genauere Angaben sind nicht möglich, da die Antworten sehr unterschiedlich waren und auf bloßen Schätzungen beruhen. Insofern ist ein Rückschluss auf die Richtigkeit der oben genannten gesetzgeberischen Annahme nicht möglich.

3. Motive der Mütter bei der Ablehnung der gemeinsamen Sorge
Mit der Frage nach den Motiven der Mütter für die Ablehnung der gemeinsamen Sorge sollte festgestellt werden, ob diese nach Einschätzung der Teilnehmer überwiegend auf Gründen . des Kindeswohls beruhen. Den Teilnehmern wurden verschiedene Motive zur Auswahl gestellt, die zum Teil kindeswohlorientiert (z. B. "häufig Konflikte der Eltern") und zum Teil kindeswohlfern waren (z. B. "Mutter möchte sich am Vater rächen").

Im Ergebnis wurden von den Teilnehmern sowohl kindeswohlorientierte Gründe als auch kindeswohlferne Gründe genannt. Am häufigsten nannten die Teilnehmer die Motive "Die Mutter möchte die Alleinsorge behalten, um allein entscheiden zu können ("einfacherer Weg")" und "Die Mutter möchte nichts mehr mit dem Vater zu tun haben und lehnt daher jeden Kontakt auch in Angelegenheiten des Kindes ab". Beide Motive orientieren sich vorrangig eher an den emotionalen Befindlichkeiten der Mutter, wie zum Beispiel ihrem Sicherheitsbedürfnis (insbesondere beim Motiv "einfacherer Weg") oder verletzten Gefühlen. Diese beiden Motive wurden von ca. 80% aller Jugendämter und von mehr als 90% der Jugendämter genannt, die mehr als 20 Anfragen pro Jahr haben. Mit ca. 70% nannten die Jugendämter aber ebenfalls sehr häufig die kindeswohlorientierten Motive "Es kommt häufig zu Konflikten der Eltern, eine friedliche Verständigung ist nicht möglich." und "Eine Beziehung zwischen den Eltern hat nie bestanden, war lose oder ist beendet"; bei den Rechtsanwälten wurden diese beiden Motiven nur von ca. 50% der Teilnehmer genannt.

Die Ergebnisse der Befragung und die weiteren von den Teilnehmern genannten Motive zeigen, dass die Gründe für die Ablehnung der gemeinsamen Sorge sehr vielschichtig sind: Sie deuten darauf hin, die Entscheidung gegen die gemeinsame Sorge häufig auch emotional gesteuert ist und dabei u. a. Verlustängste, Besitzansprüche oder Kontrollbedürfnisse oder auch der Einfluss dritter Personen eine Rolle spielen können. Diese Ergebnisse sind jedoch mit äußerster Vorsicht zu interpretieren. Die Angaben der befragten Teilnehmer beruhen in aller Regel ausschließlich auf Informationen, die diese von den beratenen Vätern erhalten haben, und konnten von den Teilnehmern nicht verifiziert werden. Viele Teilnehmer der Umfrage haben besonders darauf hingewiesen, dass ein Kontakt mit den Müttern nicht bestand. Es ist daher möglich, dass der - hier wiedergegebene - Eindruck der Beratungsperson mit den tatsächlichen Motiven der Mütter nicht übereinstimmt.

4. Plausibilität der Motive

Mit der Frage nach der Plausibilität der Motive sollte ermittelt werden, ob die Ablehnung der gemeinsamen Sorge für die beratenden Personen in der Regel nachvollziehbar ist. Die verschiedenen Auswertungen bei Jugendämtern und Rechtsanwälten haben hier zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Von den Rechtsanwälten waren nur 37% der Meinung, dass die Motive der Mütter in der Regel plausibel ("weit überwiegend" oder "in der Mehrzahl der Fälle") sind; mehr als die Hälfte der Rechtsanwälte gab dagegen an, dass die Verweigerung der gemeinsamen Sorge durch die Mütter "in weniger als der Hälfte der Fälle" oder nur "selten" plausibel sei. Im Vergleich hierzu waren die Jugendämter deutlich weniger skeptisch. Nach der Gesamtauswertung der Jugendämter schätzten diese die Motive der Mütter zu 58% für plausibel ("weit überwiegend" bzw. "in der Mehrzahl der Fälle" ein, und nur 27% der Jugendämter für eher nicht plausibel ("in weniger als der Hälfte der Fälle" bzw. "selten"). Allerdings zeigen Sonderauswertung und Kombinationsauswertung, dass mit zunehmendem Anstieg der Fallzahlen auch die Skepsis der Jugendämter deutlich wächst

Auch diese Ergebnisse der Umfrage müssen mit größter Vorsicht interpretiert werden. Da die Beratungspersonen in der Regel keinen unmittelbaren Kontakt mit den Müttern hatten, kennen sie ausschließlich die Sicht der die Beratung suchenden Väter. Es ist daher nicht auszuschließen, dass der hier wiedergegebene Eindruck ein einseitiges und wenig objektives Bild abgibt.

5. Weitere Anmerkungen

Abschließend hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, eigene Anmerkungen anzubringen. Hiervon wurde zum Teil reger Gebrauch gemacht. Einige Teilnehmer haben darauf hingewiesen, dass Eltern häufig über die rechtlichen Folgen der Begründung bzw. Ablehnung der gemeinsamen Sorge wenig informiert seien. Dementsprechend spielten bei ihrer Entscheidung über die Abgabe der Sorgeerklärung emotionale Gründe - wie Verunsicherung, Kontrollbedürfnisse und eigene Verletztheit - sowie die Einflussnahme Dritter eine große Rolle. Darüber hinaus würden in einer intakten Beziehung die das Kind betreffenden Entscheidungen ohnehin gemeinsam getroffen, so dass viele Eltern nicht das Bedürfnis sehen würden, die gemeinsame Sorge zu begründen. Dieses Bedürfnis trete oftmals erst hervor, wenn sich die Eltern bereits getrennt hätten.

III. Folgerungen

Im Ergebnis hat die vom Bundesministerium der Justiz durchgeführte Befragung von Jugendämtern und Rechtsanwälten ein sehr vielschichtiges Bild ergeben. Sie hat einerseits gewisse Zweifel daran geweckt, ob die Prämissen, die der Gesetzgeber der Kindschafts-rechtsreform von 1998 dem Regelungskonzept des § 1626a BGB zugrunde gelegt hat, vollständig der Wirklichkeit entsprechen. Andererseits ermöglicht die Umfrage auch nur ein erstes - und zum Teil sehr einseitig geprägtes - Bild. So war die Teilnahmequote gerade der Rechtsanwälte sehr niedrig. Zudem wurden die Teilnehmer der Umfrage um persönliche Einschätzungen gebeten. Die Angaben der Teilnehmer beruhen ausschließlich auf Erinnerungswerten und Schätzwerten, nicht auf belastbaren statistischen Angaben. Schließlich haben die beratenden Jugendamtsmitarbeiter und Rechtsanwälte in der Regel nur mit den die Beratung suchenden Personen Kontakt. Die Teilnehmer der Umfrage kannten daher in der Regel nur die Sichtweise der Väter, hatten aber keine Gelegenheit, sich ein Bild von der Mutter und der Gesamtsituation zu verschaffen. Insofern ist nicht auszuschließen, dass die Angaben der Teilnehmer zum Teil einseitig sind und kein objektiv belastbares Bild abgeben. Im Ergebnis hat die Umfrage wichtige erste Erkenntnisse gebracht, jedoch handelt es sich nicht um eine empirisch gesicherte Untersuchung.

Aus den vorgenannten Gründen müssen die Ergebnisse der Umfrage mit größter Vorsicht interpretiert werden. Abschließende Aussagen dazu, ob die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Prüfauftrag herausgestellten gesetzgeberischen Annahmen zutreffen, sind auf ihrer Grundlage nicht möglich. Die Auswertung der Umfrage und ihre Ergebnisse haben gezeigt, dass eine wissenschaftliche Untersuchung erforderlich ist, um die tatsächlichen Gegebenheiten näher und objektiver zu beleuchten. Hierbei sollen insbesondere auch Interviews mit den betroffenen Müttern und Vätern durchgeführt werden. Das Bundesministerium der Justiz erarbeitet derzeit ein Forschungsdesign und wird auf dieser Grundlage eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag geben.

--
Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein


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