Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 1 - 20.06.2001 - 20.05.2006

67114 Postings in 8047 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Re: Anzeige von Sexualstraftätern soll Pflicht werden (Artikel in der SZ)

Garfield, Thursday, 30.01.2003, 13:50 (vor 7759 Tagen) @ Odin

Als Antwort auf: Re: Anzeige von Sexualstraftätern soll Pflicht werden (Artikel in der SZ) von Odin am 29. Januar 2003 19:16:57:

Hallo Odin!

Das was du hier jetzt geschrieben hast, ist ja alles gut und richtig - wenn es denn auch wirklich genauso angewandt wird...

Erfahrungsgemäß geschieht das aber eben nicht. Siehe "Gewaltschutzgesetz". Es ist wohl nicht zu erwarten, daß sich mit diesem geplanten Gesetz irgendetwas an der Tatsache ändern wird, daß Mißbrauchstäter für Polizei und Justiz weiterhin vor allem Männer sind.

Was mich aber vor allem beunruhigt, sind eben die Aussagen dahingehend, daß in Zukunft eventuelle Mitwisser von Mißbrauchs-Straftaten härter belangt werden sollen.

Stell dir nur mal folgendes Szenario vor: Du hast eine Frau und ein Kind. Wie du ja schon richtig festgestellt hast, begehen sehr wohl auch Frauen Kindesmißbrauch. Nun stellt sich also heraus, daß deine Frau euer Kind ebenfalls sexuell mißbraucht hat. Da du beruflich sehr eingespannt bist und somit wenig Zeit für deine Familie hattest, hast du davon nichts mitbekommen und bist nun total überrascht und schockiert.

Das Kind wird dann schon mal vom Jugendamt ins Heim gesteckt (was den Schaden noch verschlimmert), und die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht nur gegen deine Frau, sondern auch gegen dich. Mit der Begründung, daß du als ihr Mann und Vater des Kindes doch irgendetwas von dem Mißbrauch hättest bemerken müssen. Man wird dir also zumindest unterstellen, bewußt darüber hinweggesehen und keine Anzeige erstattet zu haben. Okay - als Ehemann können sie dir da vielleicht nichts. Was aber, wenn mit diesem Gesetz auch nahe Verwandte verpflichtet werden, Anzeige zu erstatten? Dann mußt du auch als Ehemann nachweisen, daß du wirklich nichts davon mitbekommen hast. Nur wie?

Obendrein können sie dir auch noch unterstellen, daß du an dem Kindesmißbrauch womöglich aktiv beteiligt warst. Bekanntlich haben Frauen ja gar keine kriminelle Energie sind bei kriminellen Aktivitäten grundsätzlich nur Komplizinnen von Männern... Dann bist du auch als Ehemann dran. Das könnte dir in so einem Fall zwar auch jetzt schon blühen, nur kann dich das durch diese Gesetzesverschärfungen noch härter treffen. Die geforderten besseren Präventivmaßnahmen können ja auch beispielsweise darin bestehen, daß schon beim kleinsten Verdacht auf Kindesmißbrauch beide Eltern sofort in U-Haft und die Kinder ins Heim kommen. Dann kannst du nämlich auch noch deinen Job verlieren, und das alles, ohne irgendetwas Gesetzwidriges getan zu haben.

Es ist einfach zu befürchten, daß durch solche Maßnahmen der Mißbrauch mit dem Mißbrauch wieder zunimmt und daß es dann wieder viele Unschuldige trifft und wieder sehr viel Schaden völlig sinnlos angerichtet wird.

Kindesmißbrauch ist doch bereits strafbar, und da die Öffentlichkeit sehr sensibel auf so etwas reagiert, gehen Polizei und Justiz auch entsprechend intensiv dagegen an. Wer jetzt beispielsweise eine Internet-Seite mit Kinderpornographie findet, kann das der Polizei melden, und die haben da Leute, die sich nur damit befassen. Jeder, der sich auf solchen Seiten herumtreibt, muß damit rechnen, daß die Seite von der Polizei überwacht wird und daß man seinen Zugriff und ebentuelle Foto-Downloads registriert. Und daß er dann eines Tages die Polizei anläßlich einer Hausdurchsuchung vor der Tür stehen hat. Und wenn dann tatsächlich auf seinem Rechner irgendetwas gefunden wird, was mit Kinderpornographie zu tun hat (und das braucht nur ein Cookie, eine temporäre Datei oder irgendeine andere Spur sein, die diese Seite auf der Festplatte hinterlassen hat), dann sieht das ziemlich übel für den Betreffenen aus. Diese Möglichkeiten gibt es schon längst, und ich weiß nicht, was man da noch sinnvollerweise verschärfen sollte. Klar - es gibt Bereiche im Internet, die sich nicht so einfach überwachen lassen wie das www. Aber die werden durch verschärfte Gesetze auch nicht transparenter.

Überhaupt ist es ja sehr modern, immer wieder Maßnahmen zu fordern, die es ermöglichen sollen, Straftäter schneller ausfindig zu machen. Nur wie sinnvoll ist das, wenn diese Straftäter dann ohnehin nur Bewährungsstrafen kriegen und dann so weitermachen wie vorher? Nützt es so viel, wenn man ihnen immer wieder schnell auf die Spur kommt, sie dann aber auch immer wieder nach kurzer oder gar keiner Haftstrafe auf die Öffentlichkeit losläßt? Wäre es nicht besser, für schwere Delikte, insbesondere im Falle von Wiederholungstätern, das Strafmaß deutlich zu erhöhen? Einfach um die Öffentlichkeit vor solchen Elementen zu schützen?

Man muß da immer Vor- und Nachteile abwägen. Wenn man die Haftzeiten nicht erhöht, dafür aber mehr für Prävention tut und der Polizei bessere Möglichkeiten gibt, Täter schneller zu fassen, sieht das so aus:

Vorteile: Viele echte Täter werden eher gefaßt werden.
Bei Justizirrtümern sind die Folgen für die Betroffenen nicht
immer katastrophal (allerdings immer noch beträchtlich).
Die Kosten für die Unterbringung von verurteilten
Strafgefangenen sind relativ niedrig. Allerdings wird dieser
Vorteil durch den Bau von Luxusgefängnissen teilweise wieder
zunichte gemacht.

Nachteile: Es wird dann mehr falsche Verdächtigungen geben, mit teilweise
fatalen Folgen für die Betroffenen.
Echte Täter werden weiterhin bald wieder auf freiem Fuß sein.
Wiederholungstäter werden zwar schneller wieder gefaßt werden,
vorher aber immer wieder noch neue Straftaten begehen, worunter
andere Menschen dann leiden müssen.
Wir alle müssen weitergehende Eingriffe in unsere Privatsphäre
und Möglichkeiten des Datenmißbrauchs in Kauf nehmen.
Wiederholungstäter können mehr Schaden jeglicher Art anrichten,
also auch finanziell (was den Vorteil der niedrigen
Gefängniskosten ebenfalls vermindert).

Legt man den Schwerpunkt auf längere Haftzeiten für schwere Delikte, dann sieht das folgendermaßen aus:

Vorteile: Echte Täter bleiben länger im Gefängnis und die Öffentlichkeit
ist so vor ihnen geschützt.
Wir alle müssen keine zusätzlichen Eingriffe in unsere
Privatsphäre akzeptieren und auch beim Datenschutz wird sich
zumindest nichts verschlechtern.
Es wird weniger falsche Verdächtigungen geben.
Wiederholungstäter können weniger Schaden jeglicher Art
anrichten.

Nachteile: Die Polizei wird durchschnittlich etwas länger brauchen, um
Straftäter zu ermitteln.
Bei Justizirrtümern sind die Folgen für die Betroffenen
schwerwiegender.
Die Kosten für die Unterbringung von Häftlingen in Gefängnissen
werden steigen. Das läßt sich aber dadurch abfedern,
daß man erstens keine Luxusgefängnisse mit Schwimmhalle usw.
mehr betreibt und zweitens noch mehr Möglichkeiten nutzt, um
die Häftlinge sinnvoll arbeiten zu lassen.

Da kann nun jeder für sich abwägen, welches wohl die bessere Variante wäre. Ich finde jedenfalls, daß es nicht viel Sinn macht, auch unter Inkaufnahme von massiven Nachteilen für die Allgemeinheit dafür zu sorgen, daß Straftäter vielleicht schneller gefunden werden, wenn man sie dann ohnehin gleich wieder auf die Öffentlichkeit losläßt. Das meine ich allgemein, also nicht nur bezogen auf Kindesmißbrauch.

Freundliche Grüße
von Garfield


gesamter Thread:

 

powered by my little forum