Herren der Erschöpfung....
Ein Artikel der zumindest zeigt, das das Thema "Mann und männlichkeit" auch in Frauenzeitschriften diskutiert wird und somit durchaus als Thema auch solcher Zeitschiften in Betracht kommt. In der neusten Ausgabe der "Brigitte" wird diesem Thema ein ganzes Dossier gewidmet.
Herren der Erschöpfung
Das starke Geschlecht ist eigentlich das schwache. Männer sterben früher, sind häufiger krank, süchtig oder im Gefängnis. Und außerdem wissen sie nicht mehr, welche Rolle sie spielen sollen.
"Ah, das starke Geschlecht kommt!", prustet die am Küchentisch pichelnde Weiberrunde, wenn der erschöpft heimkehrende Gatte der Gastgeberin sich auch ein Bier aus dem Kühlschrank klaubt. Männer, das starke Geschlecht. Eine Lachnummer. Männer sind längst als das eigentlich schwache Geschlecht geoutet. Als ein diffuser Haufen von Gefühls-Autisten, sexuellen Prahlhänsen, Workaholics, kränkelnden Jammerlappen und Schluckspechten, die früh der Herzinfarkt hinrafft, zu dumm, sich richtig zu ernähren, gleichzeitig verrückt nach Risiko und auf immer abhängig von Mama. Eine Spezies, die beim Grillen ihre Erfüllung findet und statt die Spülmaschine auszuräumen lieber über das Gen spekuliert, das dieses Tun verhindert. Der Mann gilt höchstens noch als die Krone der Erschöpfung. Und der traditionelle Pascha ist ein Auslaufmodell. Zwar beziehen die Männer in den wohlhabenden Gesellschaften noch zwei Drittel des gesamten Einkommens, besitzen fast alle Waffen und dominieren die meisten Berufe. Aber die allermeisten Männer fühlen sich dabei weder privilegiert noch mächtig. Männer fühlen sich am liebsten gar nicht. Und wenn, dann verunsichert und überfordert.
Durchbeißen heißt die Devise
Als Kinder und Jugendliche erlernen Männer immer noch die traditionelle Männerrolle. Von der Wiege an spielen Eltern mit Jungen gröber und härter und gehen weniger auf deren Gefühle ein. Um ein Kerl zu werden, bleibt dem männlichen Nachwuchs nichts, als sich irgendwie abzugrenzen. Denn bis Jungen zehn Jahre alt sind, werden sie fast ausschließlich von Frauen betreut. Überwältigende 95 Prozent des Erziehungspersonals, von der Tagesmutter bis zur Grundschullehrerin, sind Frauen. Und zu Hause erlebt der Knabe auch meist Mami. Weil Papi seine Karriere ohne Babypausen durchziehen konnte und nun doch als derjenige, der mehr Kohle in die Haushaltskasse bringt, die Familie ernährt. Unbewusst werden Jungs weiter darauf verpflichtet, ihre Innenwelt zu missachten und sich in der Außenwelt stark zu zeigen. Sie werden weder in ihren Gefühlen bestärkt, noch können sie sich an einer gefühlvollen Männlichkeit orientieren. Es ist kein Vorbild in Sicht, niemand, der ihre Gefühle ernst nimmt. In der Ehe sind es zu 85 Prozent die Männer, die emotional dichtmachen. Und die Hälfte aller Männer haben ihren Papi nie weinen sehen. Nur jeder 20. Mann nimmt seinen Vater in den Arm oder küsst ihn, wenn er ihn begrüßt.
Als Bewegungstierchen sucht Mini-Mann eine Herausforderung für seine wachsende Muskulatur. Und findet sie im Sport, der ihn dann vor allem eines lehrt: Das Leben ist ein Kampf, der weh tut. Und Mann tut gut daran, seine Gefühle zu ignorieren und sich durchzubeißen. Hier ist kein Platz für Weicheier und Warmduscher. Wer beim Foul unter dem Basketball-Korb oder dem Aufprall auf die Judo-Matte noch nicht gelernt hat, sich für den Sieg oder eine größere Sache zu opfern, der kann das noch nachholen. Beim Drill in der fast frauenfreien Bundeswehr. Nur Männer, so die Botschaft, lassen ihr Leben für andere.
Beziehungsinvaliden und Gefühlsphobiker
Angehende Männer lernen noch immer zu konkurrieren, erfolgs-, leistungsorientiert und kompetent zu sein. Sie lernen sich über das, was sie tun, ihre Arbeit, zu definieren. Ihr Gefühlsleben bleibt dagegen eingeschränkt, sie können sich nicht äußern, gehen nur wenige nahe Beziehungen ein. Nur zehn Prozent aller Männer, so schätzen Experten, haben einen wirklich nahen, guten Freund, mit dem sie außer ihrem Kommentar über die Oberweite der Kellnerin auch ihr Seelenleben teilen. Nach dem Auszug aus dem Hotel Mama staunt der frisch gebackene Mann dann nicht schlecht. Was er eben mühevoll erlernt hat, wird ihm jetzt um die Ohren gehauen. Niemand will den althergebrachten Macht- und Arbeitsmann mehr haben. Dessen unheilvolles Wirken in der Zerstörung der Natur und dem Missbrauch von Macht so deutlich ist. "Männlicher Mut wird heute als männliche Aggressivität denunziert, aus Leistungswillen wird Karrierismus, aus Durchsetzungsvermögen männliche Herrschsucht", schreibt Deutschlands prominentester Männerforscher Prof. Walter Hollstein.
Die Wirtschaft braucht den traditionellen Mann nicht mehr. In der Produktion von Waren gehen durch Technologie Arbeitsplätze verloren, im beratenden, versorgenden und pflegenden Bereich nehmen sie dafür ständig zu. Statt handwerklicher Fähigkeit und Muskelkraft ist zunehmend ein Mitarbeiter gefragt, der an als weiblich geltenden Werten orientiert ist. Kumpel und Malocher lernen kreative Gruppenarbeit und Gewinner-Gewinner-Modelle. Statt Holz und Stahl hält Mann eine Computer-Tastatur in den Händen. Ehemals männliche Werte haben ausgedient. Arbeitswilligkeit bedeutet heute, im Call-Center zu hocken und anderen Menschen vormoderiert einen schönen Tag zu wünschen, Loyalität, dass Mann zu dumm ist, die Firma rechtzeitig zu wechseln, bevor er gefeuert wird. Und Produktivität entsteht nicht mehr durch gute und engagierte, sondern durch weniger Mitarbeiter. Ein Beruf ist keine Berufung mehr.
Und in allen Bereichen holen die Frauen auf. Sie wollen den traditionellen Mann schon lange nicht mehr. Männliche Gefühlsphobiker und Beziehungsinvaliden werden zunehmend abserviert. Vier von fünf Scheidungen gehen mittlerweile von Frauen aus. Und auch im Bett ist Mann samt seinem besten Freund gefordert. Bubis zahnloser Kuschelsex und der Liebesakt als unsensible Nahkampfübung werden nicht mehr hingenommen. Bis in die 80er Jahre nahmen Frauen sexuelle Missstände noch schuldhaft auf ihre Kappe und litten dann unter Orgasmus- und Erregungsstörungen. Heute ist sexuelle Lustlosigkeit die häufigste Diagnose. Frauen haben keinen Bock mehr auf gefühllose Rammler.
Doch auch die Männer selbst, gerade die jüngeren, möchten mit Bauch und Herz leben und ihre emotionale Intelligenz verwirklichen. Sie wollen Zeit für ihre Interessen und keine Workaholics sein. Sie wollen Zeit für ihre Kinder haben und gleichberechtigt an der Seite ihrer Partnerin das Leben und den Haushalt tragen. Und Kinder wollten ohnehin nie eine gelegentlich anwesende Sofarolle als Vater.
Junge Väter mit schlechtem Gewissen
Doch eine karrierefördernde 60-Stunden-Woche lässt sich schwer mit Kinderaufzucht vereinbaren. Und so siegt in den meisten Familien die traditionelle Arbeitsteilung. Plus Doppelbelastung nun auch für den Mann. Der mit dem ständig schlechten Gewissen moderner junger Väter herumläuft, doch kein besserer Vater zu sein als der nicht existierende, den er selbst erlebt hat. Aber selbst wenn der neue Papa diese Hürde nimmt, stößt er gleich auf ein weiteres Problem. Er kann wenig Sinnvolles weitergeben. Die Erlebnisgesellschaft gibt der Jugend Vorrang vor dem Alter. Die Kids können besser und effektiver mit den neuen Medien umgehen. Die Jugendlichen sind die Zielgruppe der Werbung. Väter haben als Vermittler gesellschaftlichen Wissens ausgedient und werden zu 'glorifizierten Babysittern', wie die US-Expertin für Geschlechterfragen, Susan Faludi ('Männer - das betrogene Geschlecht', Rowohlt, 635 S., 49,90 DM), schreibt.
Der Inbegriff gegenwärtiger Männlichkeit ist eine wahrhaftige Lachnummer. Al Bundy, der überforderte Antiheld. Großmäulig scheitert er an den gebündelten Anforderungen des heutigen Mannes. Er lässt den erfolgreichen Ernährer, den liebevollen Vater, den aufmerksamen Liebhaber und den geschickten Handwerker raushängen.
Tatsächlich aber hat er nur noch Kontrolle über die Knöpfe seiner TV-Fernbedienung. Denn mächtig ist der Mann nur noch in seiner Vorstellung. Je unsicherer Männer werden, umso unbesiegbarer werden die Gladiatoren und Terminatoren auf den Bildschirmen männlicher Fantasie. Um so wahnwitziger wird die männliche 'Mission impossible'. Wer im beruflichen Alltag die Entscheidungen aus der Hand geben muss, der greift zum Joystick und entscheidet über das Ableben der Moorhühner. Wer in seiner Sexualität daran verzweifelt, wie er bei der sachgerechten Bearbeitung des G-Punkts seinen Kopf abschalten und sie gleichzeitig beinhart, aber einfühlsam nehmen soll, der schiebt wenigstens seine Porno-Videos so oft und so tief in seinen Videorecorder, wie er es will. Und wer in der Familie keinen Stich bekommt und statt Porsche einen Corsa kutschieren muss, der kommt immerhin mit Schumi als Erster ins Ziel und boxt seine Gegner mit den Klitschko-Brüdern in den Staub. Wo auch die virtuelle Welt aus Telefonsex und PC-Game den wachsenden Burn-out nicht ausgleichen kann, bleibt Mann noch die Flucht in die Sucht. Sex, Extremsport, Alkohol, Arbeit oder Aktienkäufe. Gut ist, was ablenkt und Betäubung verspricht.
Ab in die Muckibude
Und dann gibt es ja noch den wirklichen, den kleinen Unterschied. Und je schwieriger und unklarer Mann-sein wird, desto stärker wird der Körper zur letzten Bastion bedrohter Männlichkeit. Im Körper allein lässt sich Männlichkeit noch unterscheiden. Da man einen Penis nicht beliebig verlängern kann und starke Körperbehaarung eher als affig denn als männlich gilt, bleiben die Muckis. Blasse Juristen mit der Muskulatur einer Stabheuschrecke posen neuerdings vor ihren Flurspiegeln und treffen sich mit männlichen Fleischmassen, deren Hauptgericht Anabolika sind, zum gemeinsamen Eisenpumpen in der Mucki-Bude. Der männliche Körper ist zum Schlachtfeld geworden. Wampe gegen Waschbrettbauch, Trizeps gegen hängende Schultern, steroider Stiernacken gegen gebeugtes Haupt. Wo früher in jeder Joghurt-Reklame noch ein paar weibliche 'Titten' mit ins Bild mussten, beult sich dem Betrachter heute der gestählte und rasierte männliche Pectoralis major, der Brustmuskel, entgegen. Der 'Adonis-Komplex' geht um und treibt immer mehr Männer in die Essstörung, über 80000 in der BRD, Tendenz steigend, und in den Wunsch nach einem nur durch Einnahme von Hormonen erreichbaren Körperbild. Der Mann endet auch im Rückzug auf seinen Körper dort, von wo er fliehen wollte: in der selbstschädigenden Überforderung. Denn plötzlich ist er nicht mehr Jäger, sondern Gejagter. Mit Laufband und Armani-Hose, mit Gesichtsmaske und Wadenmuskel-Implantat, der Mann hat sich selbst zum Objekt der Eitelkeit gemacht. Und braucht inzwischen genauso viel Zeit im Bad wie seine Frau.
Susan Faludi sieht Männer heute in der gleichen Situation wie die Frauen vor der Emanzipationsbewegung in den 50er Jahren. Damals waren Frauen ohne gesellschaftliche Macht. Ihnen blieb nur, ihre blonde, körperkurvenreiche Ultraweiblichkeit zu präsentieren, und die Einkaufsorgie. Heute haben die meisten Männer in den globalen Konzernen keine wirkliche Macht mehr und füllen ihre Leere zunehmend mit Konsum und der Flucht in eine fitnessgestählte Ultramännlichkeit.
Im alten Männlichkeitsmodell wurden Männer zu Männern, indem sie ihren Platz in einem sozialen System fanden. Und sich in der Politik, der Gemeinde, der Kirche, der Familie, dem Militär, dem Sportverein bewiesen. Heute wird Männlichkeit als Image und Ausstrahlung vermarktet. Jeder Mann konkurriert mit Super-Athleten, Gangsta-Rappern, Action-Helden und schlagfertigen Stand-up-Komödianten.
In einer Welt, in der es um die fünf Minuten Berühmtheit geht, den Erfolg, den Glamour, das Star-Event, den gestylten Medien- und Talkshow-Auftritt, in der Welt der retuschierten Titelseiten ist "der Blick, der Männer hetzt, der gleiche Blick, dem die Frauen zu entfliehen suchen" (Faludi).
Vergebliche Wiederbelebungsversuche
Die Männlichkeit, die in dieser Form ohnehin erst seit ein paar Jahrhunderten existierte, löst sich auf. Was natürlich nicht ohne mehr oder weniger absurde Wiederbelebungsversuche abgeht. Da wird der 'wilde Mann' herbeigetrommelt, da werden vermeintlich archaische Rollen wie Krieger, König, Liebhaber und Magier beschworen, um wieder so etwas wie Männlichkeit hervorzuzaubern. Und Soziobiologen stopfen jede angeblich männliche Unart kurzerhand in die Gene. Und suchen Konkurrenzverhalten, Sprachlosigkeit, Gewaltbereitschaft, Fremdgehen, ja sogar Vergewaltigung mit egoistischen Genen und einer angeblich angeborenen Jägermentalität zu erklären.
Männer können niemanden für den Schlamassel verantwortlich machen, in dem sie sitzen. Die Frauen haben ihnen diese Krise nicht eingebrockt. Es gibt keinen Gegner, gegen den Männer antreten können. Außer dem Mann selbst. Was zu dieser Selbstkonfrontation nötig ist, fällt ihm aber am schwersten. Es bedeutet den radikalsten Bruch mit seiner alten Rolle. Das wirkliche Ende von John Wayne, Clint Eastwood, Arnie Schwarzenegger und Brad Pitt. Zuzugeben, dass er Angst hat, zuzugeben, dass er hilflos ist und nicht weiterweiß, dass er hoffnungslos überfordert ist. Erst wenn Männer wirklich zugeben, dass sie sich verlaufen haben, werden sie gemeinsam beginnen können, nach dem Weg zu fragen.
Oskar Holzberg
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Wäre es nicht auch sinnvoll, neben dem ganzen Femi-und Maskugedöne, auch einmal darüber nachzudenken?
Es gibt übrigens auf der Brigitte.de Seite auch die Möglichkeit mitzudiskutieren.