Cicero an Atticus
Von hundert Ehen ist eine glücklich, mein Freund. Das ist eins von den Dingen, die jedermann weiß und niemand ausspricht. Kein Wunder, daß die außergewöhnliche Ehe weithin gespriesen wird. Denn nur das Außergewöhnliche wirkt als Neuigkeit. Aber es gehört zur Torheit des Menschengeschlechts, daß wir immerzu versucht sind, die Ausnahme zur Regel zu erheben. Wir werden von Ausnahmen angezogen, weil jeder Mensch sich für eine hält und glaubt, er sei zu etwas Außerordentlichem bestimmt; und unsere jungen Männer und Mädchen treten unter der Annahme in die Ehe, daß neunundneunzig Ehen glücklich und nur eine unglücklich oder daß grade sie selbst zu außerordentlichem Glück bestimmt seien.
Die Natur der Frau und das Wesen der Leidenschaft, welche Männer und Frauen zueinander zieht, vorausgesetzt, welche Aussichten hat eine Ehe, glücklicher zu sein als die vereinigten Qualen des Sisyphus und des Tantalus?
Durch die Ehe legen wir in die Hände der Frauen die Leitung unseres Haushalts, die sie, soweit sie das imstande sind, unverzüglich zu einem Schalten mit unserem ganzen Besitz ausdehnen. Sie ziehen unsere Kinder auf und glauben dadurch einen Anspruch zu erwerben, deren Angelegenheiten zu ordnen, nachdem sie herangewachsen sind. Bei alledem verfolgen sie ganz entgegengesetzte Ziele, als ein Mann ins Auge faßt. Frauen ersehnen sich nur die Wärme eines Herdes und den Schutz eines Dachs. Sie leben in beständiger Furcht vor Unheil, und keine Sicherheit ist ihnen genügend sicher; in ihren Augen ist die Zukunft nicht bloß etwas Unbekanntes, sonder Unheilvolles. Um dieses unbekannte Unheil abzuwehren, gibt es für sie keine Täuschung, zu der sie nicht ihre Zuflucht nähmen; keine Raffgier, die sie nicht betätigten, und keine andere Unterhaltung und keine Belehrung, die sie nicht bekämpften. Wäre die Zivilisation in den Händen der Frauen geblieben, wir hausten noch immer in Berghöhlen, und menschliche Erfindungen hätten mit der Zähmung des Feuers ihr Ende genommen. Darüber hinaus, daß eine Höhle ihnen Schutz biete, verlangen sie von ihr nur, daß sie um einen Grad protziger sei als die der Nachbarsfrau; und für das Glück ihrer Kinder verlangen sie nur, daß die in einer der ihren ähnlichen Höhle in Sicherheit seien.
Die Ehe verpflichtet uns unvermeidlich zum Anhören ausgiebiger Proben der Rede unserer Frauen. Nun befaßt sich aber das Reden der Frauen innerhalb der Ehegemeinschaft ich spreche hier nicht von dieser anderen Marter, dem Gerede bei ihren geselligen Zusammenkünften, - unter allen Verkleidungen durch List und Zusammenhanglosigkeit nur mit diesen zwei Gegenständen: Bewahren und Zurschaustellen.
Es hat eine Eigenschaft mit der Rede von Sklaven gemein, und zwar logischerweise, denn die Stellung der Frauen in unserer Welt hat viel mit der von Sklaven gemein. Das mag bedauerlich sein, aber ich wäre nicht unter denen, die es etwa ändern wollten. Die Rede der Sklaven und Frauen wird von Verschlagenheit gelenkt. List und Gewalt sind die einzigen Hilfsmittel, die den Enteigneten zur Verfügung stehen; und Gewalt anwenden, das können Sklaven nur durch engen Zusammenschluß mit ihren Leidensgenossen. Gegen einen solchen Zusammenschluß unterhält der Staat mit Recht eine beständige Wachsamkeit, und der Sklave ist daher genötigt, seine Ziele durch List zu verfolgen. Der Weg der Gewalt ist auch den Frauen versperrt, denn sie sind eines Zusammenschlusses unfähig; sie mißtrauen einander wie Griechen, und das mit gutem Grund. Daher schlagen auch sie den Weg der List ein. Wie oft, wenn ich meine Villen besuchte und den ganzen Tag mit meinen Verwaltern und Arbeitsleuten Besprechungen gehabt hatte, bin ich so erschöpft zu Bett gegangen, als hätte ich in gespannter Aufmerksamkeit des Körpers und Geistes mit jedem einzelnen gerungen, um nicht zum Krüppel gemacht oder beraubt zu werden. Der Sklave bringt die Zwecke, die er im Sinn hat, auf jedem Weg und Umweg ins Gespräch hinein; es gibt keine Falle für Zugeständnisse, die er nicht aufstellt, nichts, was er nicht unversucht läßt, keine Schmeichelei, keine Vorspiegelung von Logik, keinen Druck auf Furcht oder Habsucht; und das alles, um eine Pergola nicht bauen zu müssen oder einen Untergebenen loszuwerden, die eigene Hütte zu vergrößern oder einen neuen Mantel zu erhalten.
So ist auch das Reden der Frauen; aber um wieviel verschiedenartiger sind ihre Zwecke, um wieviel mannigfaltiger ihre Angriffsmittel, und um wieviel tiefer verwurzelt ist bei ihnen die Leidenschaft, ihre Absichten zu erreichen. Ein Sklave begehrt meist nur Annehmlichkeiten; hinter den Wünschen einer Frau aber verbergen sich Triebe, die für sie das Wesen des Lebens sind: zu bewahren, was sie besitzt; geachtet zu werden von denjenigen Matronen ihres Bekanntenkreises, die sie selbst verachtet und fürchtet; eine Tochter eingesperrt zu halten, die sie zu einem unwissenden, freudlosen Tier gemacht zu sehen wünscht. So tief eingewurzelt sind die Triebe einer Frau, daß sie für sie den Charakter selbstverständlicher Weisheiten und unerschütterlicher Wahrheiten haben. Daher kann sie nur Verachtung empfinden für jede Meinung die der ihren widerspricht. Jemand so Geartetem erscheint Vernunft unnötig und nebensächlich; eine Frau ist gegen sie im vorhinein taub. Ein Mann mag den Staat gerettet, die Geschäfte einer Welt geleitet und unsterblichen Ruhm durch seine Weisheit erworben haben, doch für seine Frau ist er ein einfältiger Tropf.
Solche Dinge werden nicht oft ausgesprochen, aber bisweilen von den Dichtern enthält denselben Dichtern, die vorauf verantwortlich sind für die Täuschung, daß die Ehe ein Himmel sei, und uns dazu verleiten, die gefährliche Ausnahme zu suchen. Euripides ließ in der Medea kein Wort davon ungesagt. Und es ist kaum zu verwundern, daß die Athener ihn unter Flüchen aus ihrer Stadt vertrieben, weil er solche Wahrheiten ausgesprochen hatte. Der Pöbel wurde dabei von Aristophanes angeführt, der freilich mit geringerer Aufrichtigkeit gezeigt hatte, daß auch er das alles wußte; aber er erstickte sein wissen, um einen größeren Dichter aus der Stadt zu verjagen. Und Sophokles! Welcher Ehemann hat nicht grimmig in sich hineingelächelt bei der Szene, in der Iokaste Lügen auf Lügen häuft und einer höchst unheilvollen Lage ein gutes Aussehen gibt? Ein bemerkenswertes Beispiel dieser sogenannten ehelichen Liebe, die jede Tatsache vor dem Gatten zu verbergen fähig ist, um den Anschein seiner Zufriedenheit zu wahren; eine kühne Veranschaulichung, daß nach ihrer Denkungsart eine Ehefrau kaum zwischen einem Gatten und einem Sohn unterscheiden kann.
O mein Freund, trösten wir uns mit der Philosophie! Die ist ein Gebiet, das sie nie betreten, ja für das sie nie das geringste Interesse aufgebracht haben. Lassen wir uns jenes Lebensalter willkommen sein, das uns von dem Verlangen nach ihren Umarmungen befreit, - Umarmungen, die bezahlt werden müssen auf Kosten aller Ordnung in unserem Leben und jeder Ruhe in unserem Gemüt.
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- Cicero an Atticus -
Andreas,
05.10.2001, 17:56
- Und nun? (n/t) -
Jörg,
05.10.2001, 18:54
- nix (oT) - Andreas, 05.10.2001, 18:59
- Re: Cicero an Atticus - Norbert, 05.10.2001, 23:52
- Re: Cicero an Atticus - Holger, 10.10.2001, 02:03
- Und nun? (n/t) -
Jörg,
05.10.2001, 18:54