Ein paar Duzend Beweise und schon ist man frei - nach einem halben Jahr
Unschuldiger saß im Gefängnis
Rosenheim (je) - Mit einem glatten Freispruch und einer Entschädigung für die halbjährige Untersuchungshaft in der JVA Stadelheim endete eine dreitägige Verhandlung vor dem Rosenheimer Schöffengericht gegen einen 29-jährigen in Rosenheim wohnenden Elektriker.
Die Staatsanwaltschaft hatte ihm vorgeworfen, seine hochschwangere Ehefrau mehrmals brutal geohrfeigt und anschließend vergewaltigt zu haben.
Der Verteidiger, Rechtsanwalt Steffen Ufer, der den Fall erst kurz vor der Hauptverhandlung übernommen hatte, war von Anfang an überzeugt, dass sein Mandant unschuldig sei und die Anzeige ein Racheakt der betrogenen Ehefrau sei. So stellte er bereits am ersten Verhandlungstag einen Antrag auf Haftentlassung seines Mandanten, da der Ermittlungsrichter seinerzeit «mit der angeordneten Untersuchungshaft über das Ziel hinaus geschossen» sei. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Heinrich Loeber lehnte den Antrag nach kurzer Beratung vorerst ab.
Vieles an diesem Verfahren erschien seltsam. So widersprachen sich die Aussagen der Zeugen und waren deshalb wenig hilfreich für die Wahrheitsfindung. So beschrieb die Freundin der Ehefrau den Angeklagten als bösartig und brutal, deutete aber auf Nachfrage des Gerichtes an, dass sie «die Geschichte von der Vergewaltigung», die ihr die Freundin erzählt habe, nicht ganz geglaubt hätte.
Eine andere Zeugin, die sich als Ursache der zerrütteten Ehe des Angeklagten offenbarte, nannte den Angeklagten einen lieben, rücksichtsvollen Menschen, der keineswegs jemanden brutal schlagen könne.
Patientin erwähnte Vergewaltigung nicht
Aufschlussreich hingegen waren die Aussagen des Frauenarztes und dessen Urlaubsvertreterin, welche die «vergewaltigte Ehefrau» wenige Tage vor und nach dem Vorfall im Rahmen der routinemäßigen Schwangerschaftsuntersuchungen konsultierte. Beide Ärzte sagten aus, dass Frau S. dabei nichts von einer Vergewaltigung erwähnt hätte und dass auch die ärztlichen Untersuchungen keine Spuren einer Blutung gezeigt hätten.
Bei der Anzeige und ersten Befragung durch die Polizei hatte Frau S. jedoch ausgesagt, dass sie nach der Vergewaltigung geblutet habe und Blutstropfen auf der Couch, auf der sich der Vorfall ereignet habe, noch sichtbar seien; Grund genug, die «Blutflecken» durch einen Sachverständigen analysieren zu lassen.
Noch dubioser wurde die Angelegenheit, da Frau S. behauptete, sie habe des Vorfalles wegen und auf Anraten ihrer Freundin im Rosenheimer Klinikum vorgesprochen. Trotz intensiver Recherchen der Kriminalpolizei waren im Klinikum keinerlei Aufzeichnungen über den Besuch von Frau S. vorzufinden.
Auch keiner der befragten Ärzte erinnerte sich an deren Besuch. Einzig eine Vertretungsärztin konnte nicht befragt werden, da sie gerade ihren Urlaub im Ausland verbrachte. Um jeden Zweifel auszuschließen, stellte die Staatsanwaltschaft den Antrag, die Verhandlung zu vertagen, um besagte Ärztin befragen zu können.
Dem nunmehr erneut von der Verteidigung gestellten Antrag auf Haftentlassung entsprach diesmal das Gericht und machte dem Angeklagten zur Auflage, sich bis zum nächsten, dritten Verhandlungstermin zweimal wöchentlich bei der zuständigen Polizei zu melden.
Couch als Tatort war längst nicht mehr da
Zwischenzeitlich erteilte das Gericht Anweisung, den «Werdegang» der ominösen Couch, auf der nach Angaben von Frau S. die Vergewaltigung stattgefunden haben solle, nochmals näher unter die Lupe zu nehmen. Dabei stellte sich heraus, dass diese zum Zeitpunkt der angeblichen Vergewaltigung gar nicht mehr in der Wohnung der Klägerin gewesen war, sondern einige Tage vorher an einen Nachbarn verkauft wurde. Die vom Sachverständigen analysierte Couch war eine andere. Auch die Befragung der aus dem Urlaub zurückgekehrten Ärztin verlief negativ.
Am Ende des dritten Verhandlungstages erwiesen sich die schweren Anschuldigungen von Frau S. als haltlos und sowohl das Gericht als auch der Vertreter der Anklage sprachen den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung frei.
