"Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen
Sam, Wednesday, 13.04.2005, 17:58 (vor 7555 Tagen)
Als Antwort auf: Totalitarianism: Between Religion and Science von Sam am 16. Oktober 2004 19:55:49:
"Als der christliche Glaube an die Heilsgeschichte und Schöpfungsordnung, in denen der Einzelne sich aufgehoben wissen konnte, im Laufe der säkularen Diesseitsorientierung seine Kraft zunehmend verlor, blieb die reine Profangeschichte übrig, die nun zum Ort säkularreligiöser Hoffnungen, Erlösungssehnsüchte und Heilserwartungen wurde...Der bloßen Profangeschichte erwuchs in den säkularen Erlösungshoffnungen und Weltauslegungen, insbesondere in den Heilsversprechungen ihrer Utopien, eine neue Dimension: Sie wurde zur säkularen Heilsgeschichte."
http://www.k-haus.at/stille/st_7_2.html#ley
Zum Thema auch:
Kirchenaustritte, verlassene Kathedralen, zu wenig Priester: Die christlichen Religionen haben Konkurrenz bekommen vom Staat, der sogar die Seelsorge übernimmt
http://www.zeit.de/2005/15/Entchristianisierung
Re: "Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen
ein weiterer Andreas, Wednesday, 13.04.2005, 20:21 (vor 7555 Tagen) @ Sam
Als Antwort auf: "Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen von Sam am 13. April 2005 14:58:
"Als der christliche Glaube an die Heilsgeschichte und Schöpfungsordnung, in denen der Einzelne sich aufgehoben wissen konnte, im Laufe der säkularen Diesseitsorientierung seine Kraft zunehmend verlor, blieb die reine Profangeschichte übrig, die nun zum Ort säkularreligiöser Hoffnungen, Erlösungssehnsüchte und Heilserwartungen wurde...Der bloßen Profangeschichte erwuchs in den säkularen Erlösungshoffnungen und Weltauslegungen, insbesondere in den Heilsversprechungen ihrer Utopien, eine neue Dimension: Sie wurde zur säkularen Heilsgeschichte."
Vollkommen richtig, aber nichts Neues.
Kulturen haben Religionen. Zivilisationen haben Ideologien.
Der kulturelle Mensch hat ein Gefühl, einen sicheren Instinkt über Sinn und Zweck des Daseins. Der zivilsatorische Mensch hat diesen Instinkt verloren und versucht über einen gedankliches Erklärungsmodell die Lücke zu füllen, weshalb ihm alle überlieferten kulturellen Formen als kindisch, widersprüchlich, unsinnig, als Ballast erscheinen. Der sukzessive Abbau innerlich nicht mehr verstandener kultureller Formen erscheint ihm als Befreiung, als Fortschritt. Der zivilisatorische Mensch ist notwendig Atheist.
Und da der Sinnzusammenhang, aus dem heraus sich eine Rollenverteilung ergeben hat, nicht mehr präsent ist, erscheint jede Differenzierung als willkürlich, überkommen und ungerecht. Die Gleichheit aller vor allen erscheint dem zivilsatorischen Menschen als gerecht. Das betrifft die Stände, die Geschlechter (Gleichberechtigung!) und als letzte und absurdeste Extrapolation auch das Vieh (Vegetarismus).
Der Hinterfragen, Zersetzen und Abbauen jeglicher Sinnstiftung geht in letzter Konsequenz soweit, daß Suchprozeß nach der "Wahrheit" - d.h. nach der perfekten Ideologie - selbst davon erfaßt wird. Die Endstufe ist der totale Nihilismus:
Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt.
(Losung der Sassaniden)
Gruß
Andreas
Re: "Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen
Andreas, Wednesday, 13.04.2005, 21:49 (vor 7555 Tagen) @ ein weiterer Andreas
Als Antwort auf: Re: "Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen von ein weiterer Andreas am 13. April 2005 17:21:
Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt.
Interessante Interpretation. Ich krieg das sogar noch kürzer hin:
Nichts ist wahr. 
Gruß
Andreas
Re: "Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen
Ekki, Wednesday, 13.04.2005, 21:57 (vor 7555 Tagen) @ ein weiterer Andreas
Als Antwort auf: Re: "Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen von ein weiterer Andreas am 13. April 2005 17:21:
Hallo, weiterer Andreas!
Kulturen haben Religionen. Zivilisationen haben Ideologien.
Der kulturelle Mensch hat ein Gefühl, einen sicheren Instinkt über Sinn und Zweck des Daseins. Der zivilsatorische Mensch hat diesen Instinkt verloren und versucht über einen gedankliches Erklärungsmodell die Lücke zu füllen, weshalb ihm alle überlieferten kulturellen Formen als kindisch, widersprüchlich, unsinnig, als Ballast erscheinen. Der sukzessive Abbau innerlich nicht mehr verstandener kultureller Formen erscheint ihm als Befreiung, als Fortschritt. Der zivilisatorische Mensch ist notwendig Atheist.
Da Du hier den Begriff "Zivilisation" nicht weiter differenzierst, läßt sich meiner Meinung nach der Umkehrschluß nicht vermeiden, daß das Heil nur in einer Zertrümmerung der Zivilisation liegt.
Und an wen erinnert uns das?
Richtig - an die Taliban, die die obigen Ausführungen sicher unterschrieben hätten - mit ihrem Herzblut, und mit dem Blut der von ihnen drangsalierten Menschen.
Grausig, weiterer Andreas, grausig!
Möge es Dir erspart bleiben, die Konsequenzen Deiner Worte am eigenen Leibe zu erfahren!
Ekki
Re: "Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen
Peaceful Warrior, Wednesday, 13.04.2005, 22:17 (vor 7555 Tagen) @ ein weiterer Andreas
Als Antwort auf: Re: "Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen von ein weiterer Andreas am 13. April 2005 17:21:
Kulturen haben Religionen. Zivilisationen haben Ideologien.
Der kulturelle Mensch hat ein Gefühl, einen sicheren Instinkt über Sinn und Zweck des Daseins. Der zivilsatorische Mensch hat diesen Instinkt verloren und versucht über einen gedankliches Erklärungsmodell die Lücke zu füllen, weshalb ihm alle überlieferten kulturellen Formen als kindisch, widersprüchlich, unsinnig, als Ballast erscheinen. Der sukzessive Abbau innerlich nicht mehr verstandener kultureller Formen erscheint ihm als Befreiung, als Fortschritt. Der zivilisatorische Mensch ist notwendig Atheist.
Und da der Sinnzusammenhang, aus dem heraus sich eine Rollenverteilung ergeben hat, nicht mehr präsent ist, erscheint jede Differenzierung als willkürlich, überkommen und ungerecht. Die Gleichheit aller vor allen erscheint dem zivilsatorischen Menschen als gerecht. Das betrifft die Stände, die Geschlechter (Gleichberechtigung!) und als letzte und absurdeste Extrapolation auch das Vieh (Vegetarismus).
Der Hinterfragen, Zersetzen und Abbauen jeglicher Sinnstiftung geht in letzter Konsequenz soweit, daß Suchprozeß nach der "Wahrheit" - d.h. nach der perfekten Ideologie - selbst davon erfaßt wird. Die Endstufe ist der totale Nihilismus:
Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt.
(Losung der Sassaniden)
[/b]
Gruß
Andreas
Wow, Andreas, selten etwas gelesen das mir so in´s schwarze traf. Erinnert mich an die Aussagen des britischen Biologen Dr. Rupert Sheldrake, der sich mit 12 jahren zum Atheismus bekannte und über eine lange wissenschaftliche Karierre zu den abendlichen kulturell-religiösen Wurzeln zurück fand. das Buch "Die Widergeburt der Natur" ist dazu sehr lesenswert
Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt.
Sven, Wednesday, 13.04.2005, 22:20 (vor 7555 Tagen) @ ein weiterer Andreas
Als Antwort auf: Re: "Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen von ein weiterer Andreas am 13. April 2005 17:21:
"Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt."
Sehr sympathisch!
)
Gruss,
Sven
"Nichts ist wahr. Alles ist Diskurs."
Sam, Thursday, 14.04.2005, 18:58 (vor 7554 Tagen) @ ein weiterer Andreas
Als Antwort auf: Re: "Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen von ein weiterer Andreas am 13. April 2005 17:21:
Der Hinterfragen, Zersetzen und Abbauen jeglicher Sinnstiftung geht in letzter Konsequenz soweit, daß Suchprozeß nach der "Wahrheit" - d.h. nach der perfekten Ideologie - selbst davon erfaßt wird. Die Endstufe ist der totale Nihilismus:
Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt.
(Losung der Sassaniden)
Oder: "Nichts ist wahr. Alles ist Diskurs."
Damit ist die poststrukturalistische Selbstauflösung treffend beschrieben.
Re: "Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen
susu, Saturday, 16.04.2005, 00:47 (vor 7552 Tagen) @ ein weiterer Andreas
Als Antwort auf: Re: "Politische Religionen" - Die religiösen Dimensionen im Politischen von ein weiterer Andreas am 13. April 2005 17:21:
Vollkommen richtig, aber nichts Neues.
Kulturen haben Religionen. Zivilisationen haben Ideologien.
Der kulturelle Mensch hat ein Gefühl, einen sicheren Instinkt über Sinn und Zweck des Daseins. Der zivilsatorische Mensch hat diesen Instinkt verloren und versucht über einen gedankliches Erklärungsmodell die Lücke zu füllen, weshalb ihm alle überlieferten kulturellen Formen als kindisch, widersprüchlich, unsinnig, als Ballast erscheinen. Der sukzessive Abbau innerlich nicht mehr verstandener kultureller Formen erscheint ihm als Befreiung, als Fortschritt. Der zivilisatorische Mensch ist notwendig Atheist.
Das kann ich so stehen lassen. Die Frage ist nur, was man daraus zieht... Mir erscheint die utopische Projektion, die in der Vergangenheit nicht nur das Heilsversprechen, sondern sogar dessen Einlösung zu erkennen glaubt suspekt. Das Problem der Ideologie stellt sich genau betrachtet als einen Mangel an Lösung von Denktraditionen dar, nicht als deren Vorhandensein.
Und da der Sinnzusammenhang, aus dem heraus sich eine Rollenverteilung ergeben hat, nicht mehr präsent ist, erscheint jede Differenzierung als willkürlich, überkommen und ungerecht. Die Gleichheit aller vor allen erscheint dem zivilsatorischen Menschen als gerecht. Das betrifft die Stände, die Geschlechter (Gleichberechtigung!) und als letzte und absurdeste Extrapolation auch das Vieh (Vegetarismus).
Interessant ist hier die Auflistung. Ist das nun eine Forderung nach der Wiedereinführung der Ständegesellschaft? Oder verstehe ich das falsch? Endlich mal wieder Klarheit statt Demokratie, die Monarchie muß wieder her! Natürlich erst, nachdem der Sinnzusammenhang ("Leviathan" auf jeden Lehrplan) wieder hergestellt wurde.
Nun geht dieser Artikel gerade mal bis zur Moderne, läßt aber die Postmoderne außen vor (wer schon bei Descartes das Würgen kriegt, wird erst Recht nicht mit Foucault fertig und wer die Monarchie vor die Demokratie setzt wird erst recht nicht mit politischem Anarchismus fertig). Für selbige ist nämlich Differenz das zentrale Wort. Und die Willkür der tradierten Differenzierungen ergibt sich gerade aus deren Gleichmacherei. Wo die Tradition schwarz-weiß sieht und sich über die Gleichheit beklagt, die alles unicolor mache, da steht der Poststrukturalismus und spricht von Farben. Dem Dualismus erscheint alles Monoistisch, auch wenn es Pluralistisch spricht. Da kann jemand nicht bis 2 zählen und hält jeden, der behauptet es gäbe mehr als Eins und Null für beschränkt...
Der Hinterfragen, Zersetzen und Abbauen jeglicher Sinnstiftung geht in letzter Konsequenz soweit, daß Suchprozeß nach der "Wahrheit" - d.h. nach der perfekten Ideologie - selbst davon erfaßt wird. Die Endstufe ist der totale Nihilismus:
Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt.
Als Antwort darauf ein Plädoyer:
Dem Nihilismus
Der Nihilismus ist die Ablehnung jeglichen Wertes, die Abwesenheit von Moral und Sinn. Aus Nihilismus zu handeln ist sinnlos zu handeln. Da der Nihilismus Ziellos ist, hat er nie Menschen als Mittel zum Zweck mißbraucht. Da der Nihilismus keine Werte kennt, hat er nie eine Gruppe von Menschen als minderwertig Klassifiziert. Da der Nihilismus keinen Sinn kennt und kein höheres Ziel hat er nie Menschen dazu gebracht sich hinzuschlachten und dahingeschlachtet zu werden. Da der Nihilismus das jenseits verneint hat er nie dazu geführt, daß Menschen in der realen Welt Taten vollbrachten um sich für ein späteres Leben zu profilieren.
Überdies: Ein Nihilist kennt keine Angst. Ein Nihilist kennt keine Order. Wenn ich die Leichenberge der Geschichte sehe, so muß ich feststellen, daß keiner von ihnen von Nihilisten verursacht wurde. Stets waren es jene, die sich dem größeren Guten hingaben, sei es der wahre Gott, sei es die höhere Rasse, sei es der "neue Mensch", die andere Menschen metzelten.
Der Sinn selbst ist die Gefahr. Der Zweck ist die Waffe. Aus Gleichgültigkeit führt niemand Kreuzzüge oder errichtet Gaskammern.
Und so offenbart sich deine Aussage denn auch in ihrer Umkehrung:
"Dies ist wahr, jenes muß"
Und mit Fleiß wurde jenes Soll erfüllt, das sich dem Glaubenden erschloß. Massenmord kostet Zeit und Muße und manchmal auch das Leben. Dem Wahnsinn des Zieles nicht anheimfallend öffnet der Nihilist eine Flasche Rotwein anstelle des Leibes des sogenannten Feindes.
Was ist ein Leben gegen die Freiheit?
Was ist ein Leben gegen die Wahrheit?
Was ist ein Leben gegen Frieden und Wohlstand?
Was ist ein Leben gegen Volk und Vaterland?
Ein Leben ist alles, wenn es dein Leben ist...
susu