Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Letzte Äußerungen zum Thema Freiwirtschaft

VWL-Experte a.D., Friday, 29.07.2005, 20:16 (vor 7049 Tagen)

Ich hab mich in den letzten Tagen ausführlich mit dem Thema Freiwirtschaft beschäftigt und der eine oder andere hat sicher bemerkt wie sehr mir das Thema "am Herzen liegt".
Dehalb gehe ich hier noch einmal ABSCHLIEßEND auf verschiedene zentrale Punkte ein.
Wer daran kein Interesse hat SOFORT AUF ZÜRÜCK KLICKEN.
Den Anderen hoffe ich noch ein paar kleine Denkanregungen mitgeben zu können.

1.) Zinsen = Preis des Geldes
Die Freiwirtschaftler bezeichnen Zinsen als "Preis des Geldes".
Das stimmt nur insoweit, als der Zins durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird.
Eigentlich sind Zinsen aber nichts anderes als eine RISIKOPRÄMIE ähnlich einer Versicherungsprämie.
Wenn man jemanden Geld leiht, kann man nicht sicher sein, ob man dieses Geld jemals zurück erhält. Vielleicht verspekuliert der Beliehene das Geld oder verspielt es. Wenn er nichts mehr hat, ist bei ihm auch nichts mehr zu holen und das Geld ist futsch.
Deshalb verlangt der Verleiher des Geldes Zinsen, um zumindest einen Teil des Geldes abzusichern.
Das dem so ist, beweisen z.B. Industrieanleihen. Je risikoreicher die Anlage ist, je höher also die Gefahr des Geldverlustes, desto höher auch die Zinsen.
Wer ein Haus bauen möchte und ein Darlehen der Bank benötigt, bezahlt sicher weniger Zinsen, wenn er über einen hohen Eigenkapitalanteil verfügt, als wenn er nur wenig davon zur Verfügung hat.
Das übersehen die Freiwirtschaftler komplett.
Ein eingebauter Wertverlust des Geldes würde nicht, wie sie annehmen, automatisch zu niedrigeren Zinsen führen, weil die Leute ihr Geld lieber verleihen, als es auf der Bank "verotten" zu lassen.
Aufgrund des ja nicht abnehmenden Kapitalbedarfs der Unternehmer würde auch dann, derjenige das Geld bekommen, der bereit ist die höchsten Zinsen zu zahlen. Je "unsicherer der Kanditat", desto höher die Zinszahlung. Es würde also KEINE ÄNDERUNG eintreten.
(Wer sagt, das mit der Risikoprämie sei quatsch, weil man dann ja Zinsen zurück zahlen müsste, wenn man das verliehene Geld zurück erhält, soll sich bitte klar machen, dass man auch seine Brandschutzversicherungsprämien NICHT zurück erhält, wenn das Haus NICHT abbrennt)

2.) Niedrige Sparquote und Zinsen
Ein weiterer Punkt für STEIGENDE ZINSEN, den die Freiwirtschaftler übersehen liegt in der niedrigen Sparquote.
Da die Freiwirtschaft mit Hilfe von "verottendem Geld" die Menschen zum Konsum annimieren will, nimmt sie eine abnehmende Sparquote in Kauf.
Da der Kapitalbedarf der Unternehmer aber gerade dann ansteigt, da sie verstärkt investieren müssen, um die Nachfrage zu befriedigen, wäre ein STEIGENDES ZINSNIVEAU die Folge.
Die Banken (sofern diese überhaupt noch Existenzfähig wären) hätten weniger eingelegtes Sparkapital zur Verfügung, da sparen den Leuten "nichts mehr bringt". Das verbliebene Restkapital müsste nun eine steigende Kapitalnachfrage der Unternehmer bedienen. Folglich bekommt derjenige den "Zugriff", der bereit ist die HÖCHSTEN ZINSEN zu bezahlen.

Davon das der Geldumlauf abnimmt, wenn die Leute sparen kann sowieso keine Rede sein, da niemals soviel Geld (Papier und Münzen) im Umlauf ist, wie auf den Konten ruht. "Matratzenhortung" ist seit Jahrzehnten OUT.

Ein weiterer Effekt weniger Sparer wäre die sich noch verstärkende Konzentration des Zinseinkommens auf die Reichen.
Heutzutage gibt es in der Gesellschaft viele Sparer. D.h. die Banken können von vielen Menschen Kapital "sammeln" und es der Wirtschaft zur Verfügung stellen.
Sinkt die Sparquote, nimmt also die Anzahl an Menschen, die Sparkonten führen ab, so müssen die Banken auf die verbliebenen "Wenigen" zurückgreifen. Es kann also nur noch Kapital von Menschen verliehen werden, die sehr viel Geld haben, denn ein Kapitalbedarf von beispielsweise 1 Milliarde verteilt sich ja auf immer weniger Köpfe (Sparer). Diese bekommen dann aufgrund des knappen Kapitalangebots umso HÖHERE ZINSEN. Die Geldkonzentration auf wenige Köpfe wird also verstärkt.

Ein falscher Ansatz ist es auch zu glauben, dass bei nachlassender Konjunktur und sinkenden Gewinnen der Zinssatz nur bis zum "Urzins" fallen würde. Derzeit liegt der Zinssatz für sichere Kapitalanlangen bei ca 2 %, also sehr niedrig. Natürlich muss dieser Wert um die INFLATIONSRATE bereinigt werden, die derzeit bei ca 1,5 % liegt. Übrig bleibt ein aktueller Zinssatz von 0,5 % effektiv. Man kann hier also nicht von einen zu hohen Urzins sprechen.

3.) Schwundgeld - "Das Wunder von Wörgl" (Achtung: NICHT von Bern)
Die Freiwirtschaftsgläubigen führen als "Beweis" für ihre Thesen gerne das "Wunder von Wörgl" an. Das eingeführte Schwundgeld habe zu einem beispiellosen Wirtschaftswunder geführt.
Dazu sollte man wissen, das die Menschen lediglich ihr Bargeld, also Geld, das sie mit hoher Wahrscheinlichkeit sowieso verkonsumiert hätten in "Schwundgeld" umgetauscht haben.
Die Bankkonten wurden NICHT angetastet. Genausowenig sonstige Wertgegenstände.
Bei dem "Wertverlust" des Schwundgeldes handelt es sich folglich um NICHTS ANDERES als eine STEUER, vergleichbar der Mehrwertsteuer auf Konsumgüter.

4.) Vollbeschäftigung und Wachstum
Die Freiwirtschaftslehre behauptet in kürzester Zeit VOLLBESCHÄFTIGUNG zu erreichen. Das nur aufgrund eines höheren Konsums.
Wie bereits oben dargelegt führt eine niedrige Sparquote aber zu SEHR HOHEN ZINSEN und damit zwangsläufig zur Pleite der Unternehmen, die keine Kredite mehr erhalten und notwendige Investitionen nicht mehr tätigen können, wodurch sie ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren.
Eine steigende Arbeitslosigkeit ist die Folge.
Dieser Effekt wird durch den stetigen technischen Fortschritt noch verstärkt. Wie bereits heute, verlieren immer mehr Menschen ihren Arbeitsplatz aufgrund steigender Technisierung.
Von Vollbeschäftigung ist man also weit entfernt.
Ausgeglichen werden könnte dieser Effekt lediglich durch ein stark steigendes Wirtschaftswachstum.
Auch die Freiwirtschaftslehre kommt darum nicht herum, sofern sie tatsächlich Vollbeschäftigung erreichen möchte.
Ansonsten müsste man sich im STATUS QUO einrichten und steigende Arbeitslosigkeit hinnehmen.

Mit diesen abschließenden Betrachtungen zur Freiwirtschaftslehre hoffe ich dem Einen oder Anderen noch ein paar Anregungen zum Nachdenken gegeben zu haben. Es zeigt sich, das das Konzept ideologisch wertvoll jedoch NICHT PRAKTIKABEL ist.
Zum Einen berücksichtigt es weder das Verhalten der Menschen, zum Anderen ist es zu weiten Teilen logisch unschlüssig.
Ohne eine starke staatliche Kontrolle funktioniert das System überhaupt nicht. Von einer freien Marktwirtschaft ist man also weiter entfernt den je. Entgegen den Annahmen der alten Wirtschaftsliberalen regelt der Markt eben nicht alles von allein.
Diesem Irrlauben, der offensichtlich auch Herrn Gesell geprägt hat, läuft man schon lange nicht mehr hinterher. Gesells "natürliche Wirtschaftsordnung", die stark an Adam Smith' "Unsichtbare Hand des Marktes" erinnert, ist nach heutigem Verständniss EINFACH FALSCH.
Diese Art von NEO(bzw.ALT)LIBERALISMUS vertritt heute kaum noch ein ernstzunehmender Volkswirt.
Was die Persönlichkeit Gesells betrifft in Punkto Rassismus, rechter Gesinnung etc. maße ich mir jetzt mal kein Urteil an.

Damit schließe ich bezüglich dieses Themas und mache mich auch als VWL-Experte vom Acker.
Das Forum überlasse ich nun wieder dem eigentlichen Thema. Ich werde sicher weiter mitlesen und mich bestimmt hie und da auch nochmal zu Wort melden, aber dann unter neuem Namen.
Ich bin ja für vieles Experte (hihihi).


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