Öffentlicher Umgang mit Serienkiller [Sozialwissenschaft]
Zwischen Abscheu und Faszination: Amerikas zwiespältige Haltung zu
seinen Serienkillern [Sozialwissenschaft]
Buffalo (USA)) - In den USA gibt es die meisten Serienkiller: 85 Prozent
der Serienkiller auf dieser Welt stammen von dort. Trotz dieser
ungewöhnlich hohen Zahl behandelt die amerikanische Öffentlichkeit sie,
als wären sie Außerirdische, die mit dem Leben in den USA nicht das
Geringste zu tun haben. Gleichzeitig können die Amerikaner sich der
Faszination durch einen Charles Manson oder Jeffrey Dahmer kaum
erwehren. Auf Internetauktionen erfreuen sich Dinge aus dem Besitz von
Serienkillern großer Beliebtheit. Diese Widersprüchlichkeit deckt jetzt
der amerikanische Anglist David Schmid in seinem soeben erschienenen
Buch "Natural Born Celebrities: Serial Killers in American Culture" auf.
Ein Autograph vom "Oklahoma Bomber" Timothy McVeigh gefällig? Ein
Selbstbildnis von Charles Manson? Eine Weihnachtskarte vom so genannten
"Boston Würger" Albert DeSalvo? Auf der Seite www.murderauction.com ist
all das zu haben. Der von McVeigh mit der Hand beschriftete
Briefumschlag steht jetzt bei 100 Dollar. Für das Selbstbildnis von
Charles Manson muss man mindestens 2200 Dollar hinblättern. Und die
Weihnachtskarte kostet derzeit über 300 Dollar.
"Wir können es kaum leugnen", sagt David Schmid von der University at
Buffalo, "wir sammeln ihre Nagel-Scheren, ihre Fotos und ihre
Schmutzwäsche. Wir verfolgen ihre Prozesse und hören ihren [Beinah-]
Opfern zu. Online spielen wir Serienkiller-Spiele. Im Fernsehen
verschlingen wir stundenlang Filme über ihr Leben und ihre Taten. Wir
lesen einen Bestseller über Seienkiller nach dem anderen - und das
alles, obwohl wir doch schon zu Beginn wissen, wie alles ausgeht. Wir
tun dies alles, weil wir uns getrieben fühlen, der Idee zu widerstehen,
dass diese Charaktere, die so weit verbreitet sind in Amerika, überhaupt
etwas mit uns zu tun haben."
Schmid vertritt die These, dass die Serienkiller und die USA sehr wohl
etwas miteinander zu tun haben. Die Zwänge und Phantasien der
Amerikaner, so Schmid, repräsentieren Haltungen, die in der
amerikanischen Kultur tief verankert sind: Die immer noch vorhandene
Dominanz eines weißen patriarchalischen Systems, Frauenfeindlichkeit,
Zwiespältigkeit in Bezug auf Sex und sexuelle Orientierung, Furcht vor
Macht- und Kontrollverlust, und das alles gepaart mit der typisch
amerikanischen Besessenheit von Berühmtheit.
Mittlerweile habe sich, so Schmid, eine regelrechte
"Serienkiller-Industrie" entwickelt, die in den Medien für Beiträge
sorgt, die eben auf diese amerikanischen Ängste abstellen und die auch
das Gruselbedürfnis bedienen. "Selbst wenn unsere Serienkiller
bemerkenswert gewöhnlich zu sein scheinen, versichert uns die
'Serienkiller-Industrie', dass sie es nicht sind." Die hauptsächlichen
Produkte dieser "Serienkiller-Industrie" sind die
Dokumentationssendungen über diese Tätergruppe (die übrigens auch in
deutschen Fernsehprogrammen laufen). Schmid hat vor allem zwei Verfahren
herausgearbeitet, derer diese Sendungen sich bedienen. Da ist zum einen
die Geschichte mit der "Maske der Reinheit": Scheinbar ist der Täter ein
netter Junge von nebenan, doch in Wirklichkeit ist alles nur Fassade,
und dahinter lauert das Böse... Der andere Dreh, der gern angewandt
wird, ist die Suche nach abweichendem Verhalten bereits in der Kindheit,
etwa "...hat nie mit anderen Kindern gespielt" oder "...war zu Mädchen
immer anzüglich". "Der Konsument von solchen wahren Kriminalgeschichten
kann es sich mit dieser deterministischen Logik bequem machen", sagt
David Schmid. "Sie bindet diese Kinder an ihr böses Schicksal schon von
frühester Kindheit an. Dies schafft eine Distanz unserer 'guten
Familien' zu den Produkten jener 'schlechten Familien'. Dies wiederum
erlaubt uns zu leugnen, dass wir oder die Gesellschaft im Großen und
Ganzen in das Verhalten der Serienkiller impliziert sind." (wsa050830dm1)
Autor: Doris Marszk
Quelle: University at Buffalo
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Mirko,
03.09.2005, 17:57
- Re: Öffentlicher Umgang mit Serienkiller [Sozialwissenschaft] - Newsman, 04.09.2005, 04:11