Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Das Duell

Magnus, Monday, 05.09.2005, 20:09 (vor 7011 Tagen) @ Texaco

Als Antwort auf: Das Duell von Texaco am 05. September 2005 14:45:

Später gerne. Ich bin erstmal gespannt, wie ihr das gesehen habt.

Also ich war positiv von Merkel überrascht - sie hat sich didaktisch und rhetorisch wesentlich verbessert. Sie hat auf jeden Fall bewiesen, daß sie in der Lage ist, den Job als Kanzler zu übernehmen.

Was Schröder angeht: er war so wie immer, aber er hat sich auf jeden Fall staatsmännisch und rhetorisch gewandt dargestellt.

Warum Schröder laut Umfrage glaubwürdig ist als Merkel kann ich angesichts der Vergangenheit und den gebrochen Wahlversprechen (Ökosteuer, Arbeitslosigkeit etc.) nicht verstehen. Merkel ist in ihren Formulierungen auch vorsichtigt im Vergleich zu Schröder: sie verspricht eigentlich bis auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer nichts, sagt nur was sie anders machen will, und warum sie glaubt, daß das Vorteile hat und Verbesserung in sich birgt. Und sie ist in der Türkeifrage einfach realistisch, da Finanzierung des Beitritts ein Problem darstellt, als auch die Tatsache, daß Europa dann an Irak, Syrien etc. grenzen würde, sowie Volksabstimmungen in Frankreich und anderswo für ein böses Erwachen in dieser Beitrittsfrage sorgen würde und daher ein Versprechen an die Türkei verantwortungslos ist. Deswegen finde ich sie ehrlicher, da realistischer und offener.

Schröders Argumentation hingegen, daß die Einbindung der Türkei in die EU ein Sicherheitszuwachs darstellen würde, da ein Islamisches Land sich mit westlichen Werten in der EU verbinden würde, ist absolut unrealistisch, da die Türkei bereits mehrfach Anschlagsziel von Islamischen Fundamentalisten wurde - nur weil also ein islamisches Land in der EU ist, ist die EU nicht sicherer. Auch die Tatsache, daß Schröder sich in Bezug auf den Irak-Krieg als "Friedenskanzler" darstellt, geht an der Realität vorbei, wenn man berücksichtigt, wie er sich persönlich für die Aufhebung des EU-Waffenembargors gegen China eingesetzt hat und wie letzten Endes mit Spürpanzern in Kuwait und Deutschen Soldaten in AWACS-Flugzeugen die Amerikaner im Irakkrieg unterstützt wurden, und das ganze mit der Begründung, es würden sich um "Bündnisverpflichtungen" handeln, was falsch ist, da eine Verpflichtung nur dann vorgelegen hätten, wenn der Krieg durch ein UNO-Mandat legitimiert worden wäre. Vielleicht sind die ganzen Zusammenhänge für Otto-Normal zu undurchschaubar, ähnlich wie die Äußerungen und Ideen von Kirchhof, die der Kanzler somit leicht mit Polemik, die natürlich weitgehend gut ankommen kann, entgegentrat.

Die Sympathie-Frage stellt sich für mich nicht. Es ist mir sogar ziemlich egal, weil es mir nur um Inhalte geht. Warum Schröder sympathischer wirkte kann viele Gründe haben: 1. Er sieht für Frauen besser aus als Merkel, 2. Er hat sich loyal hinter seine Frau gestellt, insbonders als es um die Frage ging, ob Schröder-Kopf Merkels Kinderlosigkeit so vorwerfen kann, wie sie es getan hat. 3. Er hatte Stellung gegen die USA eingenommen, was die Hilfe in New Orleans angeht und dabei oberflächlich betrachtet geschickt Argumente gegen den schlanken Staat gebracht hat, die aber mit der Situation überhaupt nichts zu tun haben. Die USA ist mit ihre Polizei und Armee-Anzahl auch kein Schlanker Staat im eigentlichen Sinne. Krisenmanagement hängt von anderen Faktoren ab, und nicht davon, ob nun ein Staat schlank ist - also wenig bürokratischen Aufwand und Ausgaben hat - oder nicht. Punkt 2 zumindest hatte im Duell eigentlich nichts zu suchen, da viel zu privat.

Was Merkel und Sympathie angeht: die Frage, ob sie nicht ein Produkt der 68er wäre, da sie sonst als Frau nie Kandidaten geworden wäre, und Westerwelle als Schwuler auch nicht in dieser Position wäre in der er jetzt ist, antwortet sie sinngemäß mit: "In erster Linie bin ich ein politischen Produkt der Deutschen Einheit und zweiter hinsicht bin ich ein Produkt meiner Eltern", fand ich z.B. ausgezeichnet. Zum einen drückt sie dadurch aus, daß das, was sie erreicht hat, zum einen durch glückliche Umständer (Einheit/Geburt) zum anderen aber vor allem aufgrund ihrer persönlichen Leistung erreicht hat - was sie zwar nicht erwähnt, aber implizit logisch ist. Sie hat keine Dankbarkeitsempfindungen den 68ern oder der Frauenbewegung gegenüber und das läßt hoffen, daß sie vieles neutraler sieht als manch anderer - das nimmt auch dem Feminismus ein Wenig den Wind aus den Segeln, die ja gerne eine Kanzlerin als Produkt ihrer Leistung darstellen würden, was es nicht wäre und worauf sich Merkel nie reduzieren lassen würde.

Was mir insgesamt am Duell gefallen hat, auch wenn für mich keine neuen politischen Inhalte aufkamen, ist die Bedeutungslosigkeit des Geschlechts in der Auseinandersetzung gewesen. Das Thema Frau hat auch - nicht auch zuletzt durch Merkels Antwort (siehe oben) - eine geringere Rolle gespielt als im letzten Duell mit Stoiber, wo noch das persönliche Frauenbild thematisiert wurde.

Einen Aspekt habe ich durch das Duell jedoch noch gelernt: Offenbar will der Kanzler keine Große Koalition und auch keine rot-rot-grüne Koalition. Folglich wird er vermutlich zurücktreten, wenn es für Rot-Grün nicht reicht, da er bei schwarz-rot sowieso nicht Kanzler werden kann, wenn die CDU mehr Stimmen hat und er ja rot-rot-grün nicht akzeptieren würde. Interessant war jedoch zu hören, daß an einem rot-rot-grünen Bündnis Wowereit in Berlin Interesse hätte, wo ja jetzt schon eine rot-rote-Regierung geführt wird. Die Gefahr einer solchen Koalition ist also durchaus gegeben, wenn Wowereit sich durchsetzten würde, was nach der Wahl nicht unwahrscheinlich ist, besonders dann, wenn sich in den letzten zwei Wochen noch wesentliches bewegt in Richtung rot-rot-grün. (Siehe Situation Schleswig Holstein).

Als Fazit bleibt für mich: Merkel hat gezeigt, daß sie als Person genug Kompetenzen hat, als Bundeskanzler zu agieren, auch wenn Schröder laut Umfragen als Gewinner des Duells bezeichnet wird. Ich denke aber auch, viele werden ihre Entscheidung nicht aufgrund des Duells fällen, sondern aufgrund von Inhalten. Dennoch ist es vorteilhaft, daß sich Merkel so dargestellt hat und die Erwartungen vieler (40%) übertroffen hat. Wie sich das nun alles auf die Wahl auswirkt gilt abzuwarten, in 13 Tagen sind wir klüger.

Magnus


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