Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: @carlos

Maesi, Monday, 12.09.2005, 22:33 (vor 7004 Tagen) @ carlos

Als Antwort auf: @ Maesi von carlos am 10. September 2005 16:09:

Hallo carlos, alter Kaempe

Ich habe so meine Zweifel; ich kann niemanden erspähen und ihm zudem Glauben schenken, daß er den während der letzten Jahrzehnte angerichteten Flurschaden zwischen den Geschlechtern wieder aufräumen möchte. So wenig es auch mir taugt, aber so ganz ohne anfängliche staatliche Eingriffe würd’s nicht gehen: Die bisherige Gesetzgebung und Rechtsprechung im Familienrecht, das unselige Gewaltschutzgesetz, die EU-Gleichstellungsrichtlinie... und, und, und... dieser ganze Zinnober muß erst einmal in den Orkus. Auch ich habe ja das bundesdeutsche Parteienspektrum durchforstet auf der Suche nach einer Partei, die sich unseren Ansinnen auch nur annähernd verpflichtet sähe... sorry, lieber Maesi, bis heut habe ich noch nix gefunden.

Meine kleine Aufstellung sollte dazu dienen, die verschieden starken Tendenzen zum geschlechterpolitischen Interventionismus aufzuzeigen. Wer massiven geschlechterpolitischen Interventionismus haben will, wird ihn mit den Gruenen oder mit der WASG zweifellos auch bekommen; bei SPD, CDU/CSU und FDP wird der Interventionismus als 'gesellschaftspolitisches Heilmittel' in dieser Reihenfolge immer schwaecher. Die Geschlechterpolitik wiederum stellt nur einen Mosaikstein dar in der Gesamtbeurteilung der Parteien. Ich kann und will keine Wahlempfehlung abgeben; ich muss sogar ganz offen gestehen, dass ich nicht wuesste, wen ich waehlen sollte, wenn ich in Deutschland wahlberechtigt waere.

Der wuchernde Interventionismus ist IMHO ein Zeichen von Verantwortungsscheue. Weil man die Verantwortung als unangenehm empfindet, versucht man sie immer staerker an eine hoehere hierarchische Ebene oder an irgendwelche 'Spezialisten' abzuschieben. Nick hat diese Verantwortungsabschiebung und die damit einhergehende Pseudofreiheit treffend als 'Waldi-Freiheit' bezeichnet. Wer derart von jeglicher Verantwortung 'befreit' ist, wird von der Obrigkeit dann halt fachgerecht verarztet - und exakt das findet (nicht nur) in der Gleichstellungspolitik statt. Der Buerger mutiert immer mehr zum Kind, das dem Staat eine Liste mit all seinen Wuenschen uebergibt und dann mit leuchtenden Aeuglein auf die grosse 'Bescherung' wartet. Die Politik ist dann das Christkind oder der Weihnachtsmann und muss moeglichst alle Wuensche erfuellen. Verantwortung? Nein danke.

Natuerlich geht es andererseits nicht ganz ohne Staat; die soziale Sicherheit, die wir durch den modernen Sozialstaat haben, ist ein erheblicher Wert. Trotzdem sollte man sehr genau darauf achten, welche Kompetenzen man an den Staat abgibt, und ob der Staat die an ihn delegierten Aufgaben auch tatsaechlich erfuellt und zu welchem Preis. Meines Erachtens ist es dringend notwendig, die staatlichen Sozialwerke (wieder) auf solide Fuesse zu stellen. Dazu gehoert v.a. auch eine Triage zwischen dem was notwendig und dem was wuenschenswert ist; letzteres muss konsequent auf seine Finanzierbarkeit geprueft werden, und dem Buerger ist die Rechnung praesentieren, bevor das Wuenschbare realisiert wird. Erst durch diese Transparenz (Glasnost) kann der Souveraen dann entscheiden, was er will und was nicht. Dazu ist aber auch das Nachdenken aller Buerger erforderlich; dieses Nachdenken koennen wir nicht an den Staat delegieren, sonst tragen wir die Demokratie selbst zu Grabe.

Bei der FDP verortet man ja ganz gerne drei Flügel: Die Wirtschaftsliberalen (Wolfgang Gerhardt, Hermann Otto Solms), die Linksliberalen und Feministen (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger; im folgenden der Einfachheit zuliebe kurz Schnarre genannt; das paßt ohnehin gut!) und den relativ kleinen Flügel der Nationalliberalen (mit dem vormaligen, von jener unseligen Schnarre geschaßten Generalbundesanwalt, Alexander Stahl). Die FDP... die fällt mir hauptsächlich dadurch auf, daß ich gar nicht weiß, wofür sie eigentlich steht. Dildo Schwesterwelle trägt noch durch jede Talkshow seine geschmacklosen Krawatten samt Jacketts, sowie seine gschaftlhuberischen, klugscheißerischen Attitüden spazieren; gemessen an der diesbezüglichen Frequenz und seiner Arroganz müßte er ja ein ganz großer Wichtiger sein.
Ja, wofür steht sie (nein... nicht er ihr... ?) eigentlich, die FDP? Da gab es schon viel aus dem Bauchladen der letzten Jahre, seit sie 1998 so wuchtig aus Ämtern und Würden geschmissen wurde und sich in der Folgezeit aufs Wiedergewähltwerden kaprizieren mußte, wollte sie nicht in der Bedeutungslosigkeit versumpfen. Konzepte mußten also ’raus aus dem Hut, dem alten, und innerhalb ganz weniger Jahre sammelte die FDP unverdrossen eine beachtliche Menge an nervtötendem Schwachsinn an.[...]
Die FDP redet von Liberalismus und meint X-Beliebigkeit; sie spricht von Freiheit und meint Schranken- und Prinzipienlosigkeit. Sie fordert Dinge ein, die sie früher selber erfolgreich verhindert oder bekämpft hat. Vor allem betrachtet im Lichte ihrer paar Popel-Prozente, die sie regelmäßig ergattert hatte, war keine andere Partei so lange und so oft an deutschen Bundesregierungen beteiligt; Gelegenheiten hätte sie also zuhauf gehabt. Trotzdem hat sie kaum je etwas wirklich Liberales umgesetzt; ganz im Gegenteil. Willy Brandt hatte es nicht so mit der Rechnerei, und die FDP hat seelenruhig zugeschaut, wie besagter Willy den einzigen fähigen Wirtschaftsfachmann in jener sozialliberalen Truppe, Karl Schiller (SPD), aus der Regierung ’rausgeekelt hatte und man mit der Schuldenauftürmerei so richtig loslegen konnte. Als nächstes folgte die berüchtigte Familienrechtsreform. Auch da hat die FDP mit ihren Ministern kräftig mitgemischt. Ich glaube kaum, daß der bestimmt nicht ohnmächtige, linke FDP-Flügel samt Schnarre großartiges Interesse zeitigen möchte, das dereinst selbst fabrizierte Desaster jetzt wieder zu beseitigen. Das, was jetzt uns’ Guido laut krakeelend vermaledeit, wie die Schuldenmacherei, hat seine Fraktion 1969 begonnen und bis 1998 unter Kohl munter abgenickt. Und Guido war damals ja schon längst Fraktionsmitglied. Dann ist er ja noch einer, der für Studiengebühren und kürzere -zeiten kämpft. Er selber brachte es indes auf Beachtliches: 18 Semester Jura, aber für eine ordentliche Promotion war die Zeit dann halt leider doch zu knapp.
Nein, die FDP hat’s so gemacht, wie mittlerweile auch die Grünen: Sie waren zum Dackelschwanz verkommen, den der Dackel zum Wackeln braucht; außerdem aalt sich’s halt so richtig schön und bequem in den Sesseln der Macht, nachdem man erst mal so ein ganz Wichtiger geworden ist... Ist ja auch ein wohlfeiles, praktisches Argument, daß man aufgrund und infolge des bösen Salates der bösen Wahlarithmetik keine eigenen Programmpunkte umsetzen kann. [...]

Ich stimme Dir zu, dass die FDP kein griffiges Programm hat, und die wenigen griffigen Punkte oftmals dem Machtstreben opfert. Die intellektuelle Tieffliegerei ist IMHO jedoch bei allen Parteien gleichermassen feststellbar: man(n) erinnere sich etwa an die Erguesse einer Frau Dr. Christine Bergmann, eines Heiner Geisslers, der Justizministerin Zypries oder jetzt wieder von Herrn Altvater und seinen gruenen Kollegen in Kandidatenwatch. Ebenso ist mir klar, dass es seinerzeit die Liberalen waren, die das 'moderne' Scheidungs(un)recht 1977 mithalfen durch den Bundestag zu peitschen. Darin wurde eine der wichtigsten Tugenden des Rechtsstaates bedenkenlos geopfert: naemlich die untrennbare Einheit zwischen dem Verhalten des vor Gericht Stehenden und der richterlichen Wuerdigung ebendieses Verhaltens; vor Gericht sollte bei Scheidungen keine 'schmutzige Waesche' mehr gewaschen werden, stattdessen warf man die 'schmutzige Waesche' achtlos auf einen grossen Haufen und heute stinkt sie zum Himmel. Hier ist IMHO der Hauptgrund der familienrechtlichen Verheerungen der letzten 30 Jahre zu finden. Unter Kohl wurde die staatliche Ignoranz gegenueber Niedertraechtikeiten keineswegs liquidiert, vielmehr waren die Christdemokraten inzwischen voll auf das 'moderne' Scheidungsrecht aufgesprungen und dokterten bloss ein bisschen daran herum, damit wenigstens die uebelsten Niedertraechtigkeiten einen Unterhaltsausschluss bzw. -minderung bewirken sollten - zumindest in der Theorie, denn in der Praxis aenderte sich nix. Die Liberalen waren bekanntlich wieder mit von der Partie.

Ihr Schweizer habt’s besser. Wie gerne würde auch ich permanent gefragt werden und immer wieder zu allem und jedem mein Ja und Amen geben können, anstatt nur alle vier Jahre so ein lumpiges Kreuzerl bei irgendeiner depperten Partei, die mich ja doch nur verarscht. Denke ich allerdings an den Umstand, daß sich bei Euch regelmäßig, so ? mal Daumen, lediglich 35% der wahlberechtigten Bevölkerung an den Volksabstimmungen und –entscheiden überhaupt beteiligen, dann sträuben sich mir die Haare, lieber Maesi... Ein Jammer! Daran kann man aber auch gut ablesen, wie sehr die Dummheit international verteilt ist.
Was also wird der alte carlos am 18. September wählen? Ich weiß nur, was ich unter Garantie nicht wählen werde: Rot-Rot-Grün. Aber ansonsten...

Das ist der Vorteil der Referendumsdemokratie. Der Nachteil ist, dass man alle paar Monate zur Stimmurne gebeten wird. Ausserdem gibt es natuerlich auch in der Schweiz eine wuchernde Gleichstellungsbuerokratie, die von den Vollzugsorganen schon laengst nicht mehr kontrolliert wird. Im Allgemeinen fahren wir jedoch nicht schlecht mit den direktdemokratischen Instrumenten.

Gruss

Maesi


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