Als Antwort auf: Sehr geehrte Frau Hölldobler-Heumüller, von Frank am 27. November 2005 10:16:
Ein Satz, den die Osthessen-News wörtlich aus dem Lamento der Frau Höll-dingsbums über angeblich nicht mehr untergekommene Frauen zitieren lautet wörtlich: "Diese Frauen sind teilweise mit ihren Kindern vor gewalttätigen Ehemännern geflüchtet."
Da stellt sich doch gleich die Frage, vor wem der andere Teil jener unglücklichen Damen flüchten musste. Vielleicht vor dem Gerichtsvollzieher?
Passt zu dem, was ich schon vor Jahren in einem höchst aufschlußreichen Interview mit einer ehemaligen FrauInnenhausmitarbeiterin gelesen habe und im folgenden wiedergebe (Hervorhebungen von mir)
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Frage: Welche Aufgaben kamen auf Sie als Mitarbeiterin in einem Frauenhaus zu?
Antwort: Zunächst war das ehrenamtlich, nur der sogenannte Ämterscheiß: Schriftverkehr erledigen, die Leute zum Sozial- und Jugendamt begleiten. Nach drei Monaten wurde ich gefragt, ob ich nicht fest dort arbeiten wolle, und ich sagte ja. Ich stieg richtig in den Betrieb ein. Ich machte die Neuaufnahmen, führte Einzelgespräche mit den Frauen, machte Gruppenbetreuung, half beim Ausfüllen des Aufnahmefragebogens, also Name, Adresse, Schulbildung etc. Das ergab folgendes Bild: 80% Hauptschule, 80% ohne abgeschlossene Berufsausbildung, 70% Ausländerinnen (davon 90% Türkinnen). Die Hälfte war dort bereits über ein Jahr, eine Frau war bereits dreieinhalb Jahre dort. Den Frauen wurden ja auch kaum Wohnungen angeboten....Welcher Vermieter gibt schon einer Frau eine Wohnung, die von der Sozi lebt und einen Haufen Kinder mitbringt? Die meisten von denen hatten bis zu fünf Kinder.
Was war der Grund für die Aufnahme im Frauenhaus?
Ungefähr 90% gaben an, geschlagen worden zu sein.
Bezog sich das auch auf die Kinder?
Das wurde auch manchmal gesagt. Meist haben wir dann aber gesehen, dass gerade diese Frauen ihre Kinder selber geschlagen haben. Dagegen sind wir aber immer ganz schnell vorgegangen.
Was gab es sonst noch für angegebene Gründe?
Von Relevanz war nur noch, dass die Männer eine neue Partnerschaft hätten. Ansonsten bekamen wir in vielen Fällen in den Wochen nach der Aufnahme mit, dass die Familien hoffnungslos überschuldet waren.
Wie erfuhren Sie davon?
Nun, bei uns flatterten doch die ganzen Mahnungen und Mahnbescheide ein, es gab ja Nachsendeanträge über ein Postfach. Vielen wäre eh in den nächsten Tagen eine Räumungsklage zugegangen, weil sie die Miete nicht mehr zahlen konnten. In vielen Fällen waren es die Frauen selber, die zu der Überschuldung beigetragen hatten, meist durch Bestellungen bei Otto, Quelle und so, halt bei den ganzen Versandfirmen.
War das auch ein Grund dafür, dass Frauen bei Ihnen vor der Tür standen?
Doch, mit Sicherheit. Heute würde ich sogar sagen, es war der überwiegende Anteil, der unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu uns kam oder auch, seltener, weil sie selber guten Grund für den Streit gegeben hatten und der Reaktion aus dem Weg gehen wollten. Zum Beispiel, wenn sie ein Verhältnis mit einem anderen Mann begonnen hatten und das ungestört fortführen wollten. Zu Hause ging das ja nicht.
Aber wenn eine Frau gekommen ist und hat gesagt. "Ich wurde geschlagen", dann wurde das nicht weiter hinterfragt, ob es nicht vielleicht auch andere Gründe geben könnte?
Nein, nein, überhaupt nicht. Es wurde gesagt, kommt sofort rein. Meist folgte dann auch unmittelbar ein Arztbesuch. Vergewaltigung oder gar sexueller Missbrauch waren eigentlich bis auf drei mir bekannte Fälle nie ein Thema.
(...)
Gut, die Frauen waren nun da, alle Formalien erst mal erledigt. Was passierte dann?
Erst mal haben wir uns darum gekümmert, dass die Frauen finanziell versorgt waren, also gemeinsam zum Sozialamt, da gab es Bargeld. Dann der gemeinsame Einkauf, damit was zu essen da war. Jede hat da ihr eigenes Fach im Kühlschrank gehabt. Wenn das gesichert war, wurden noch Einzelgespräche angeboten davon wurde aber kaum Gebrauch gemacht. Wir haben dann auch erklärt, was wir für Betreuungsangebote für Kinder haben.
Und dann ging auch schon der Alltag los: die Zimmer waren gerade halbwegs eingerichtet und schon haben sich manche feingemacht, gepudert, gespachtelt, geschminkt und ab auf die Rolle.
Was kann man darunter verstehen?
Nun, es warteten schon andere, neue Männer vor der Tür. Wenn wir Glück hatten, waren die Frauen zum Frühstück wieder da.
Und die Kinder?
Um die kümmerte sich der Nachtdienst. Der war eigentlich fürs Telefon da - das war ja rund um die Uhr besetzt. Aber hauptsächlich kümmerte sich der Nachtdienst um die Kinder, wenn die Mütter nicht da waren. Da war zum Teil die Hölle los, die mussten sich um einen ganzen Stall voll Kinder kümmern.
Wenn die Mütter morgens noch nicht wieder da waren, mussten wir die Schulkinder wecken, damit die zur Schule kamen. Oft war dann auch nichts zu essen da. Da mussten wir dann an die Notkasse ran und erst mal Brötchen einkaufen für die Kinder.
Welche Ausbildung hatten Sie und die anderen Mitarbeiterinnen?
Ich selbst komme nicht aus dem sozialpädagogischen Bereich. Aber die anderen waren schon ausgebildete Pädagoginnen. Außerdem waren sie alle ausgebildet im Stockkampf für den fall, dass es mal Ärger gab. Kurzhaarfrisur und Springerstiefel waren vorherrschend.
Mussten denn die Stockkampffähigkeiten öfter unter beweis gestellt werden?
Das war die Ausnahme. Kamen uns Männer zu nahe, hatten wir ja unsere Trillerpfeifen, da waren dann gleich alle da, das genügte meist. (...)
Was war denn das vorrangige Motiv, im Frauenhaus zu arbeiten?
Frauen zu helfen Frauen helfen Frauen, halt auch das typische Helfersyndrom. Die meisten waren sehr aktiv in der Frauenbewegung. Und es war eben klar, dass Frauen in dieser Gesellschaft grundsätzlich Opfer sind.
Wenn ich mal gesagt habe, verdammt noch mal, die Weiber müssen auch mal ihren Hintern hochbekommen, dann wurde das grundsätzlich abgeblockt. "Die haben doch so viel mitgemacht, siehst du denn nicht, dass die erst mal ihre Ruhe brauchen? Die sind geschlagen worden, die brauchen jetzt erst mal Zeit für Selbstverwirklichung." Manchmal konnte ich aber über das Chaos nicht mehr wegsehen. Die Küche, der Aufenthaltsraum waren ein Schlachtfeld, auch die Zimmer unaufgeräumt, überall lagen benutzte Pampers herum, der Gestank war teilweise bestialisch. Aber bei meinen Kolleginnen war nicht zu machen, ich sollte endlich ruhig sein, auch wenn es manchmal ein Horrorfilm war.
Und das änderte sich auch dann nicht, wenn man sehen konnte, die Kinder gehen so ganz ohne Betreuung durch die Mutter langsam auf dem Zahnfleisch?
Nein, dann kam wieder die alte Leier: "Du siehst doch, die Frauen können das im Moment nicht leisten." Außerdem waren wir dann ja für die Kinder da.
Also Verantwortung für die Kinder war kein Thema? Die hätten dann doch auch zu Hause bleiben können...?
Ach, Verantwortung war kein Thema.
(...)
10 Jahre später: Was ist Ihrer heutige Hauptkritik an der Arbeit der Frauenhäuser, an dem, was Sie damals erlebt haben?
Es wurde überhaupt nicht auf die Männer gehört...Deren Belange und deren Version, die Belange der ganzen Familie wurden überhaupt nicht berücksichtigt. Die Frauen konnten die Einrichtung gnadenlos ausnutzen und viele haben das auch getan. Überhaupt kann ich nur sagen: Notwendig ist ein Mindestmaß an staatlicher Kontrolle. Da fand damals ja gar nichts statt, und ich glaube, auch jetzt tut es das nicht.
Richtig zum Nachdenken bin ich gekommen, als ich vor zwei Jahren den Ludwig kennen gelernt habe, wir haben Freundschaft geschlossen. Der war damals in der ganz großen Krise, hatte zwei Söhne. Der war einer von diesen gewalttätigen Männern. Seine Frau war damals von einem anderen Mann schwanger, die lebten schon in zwei Wohnungen, aber im noch im selben Haus. Ludwig hat ihr damals tatsächlich auch zwei Ohrfeigen gegeben aber sie stand mit einem Riesenküchenmesser vor ihm und hat ihn bedroht. Und als ich dann später die damaligen Kontoauszüge gesehen habe, konnte ich die Ohrfeigen auch aus diesem Grund verstehen. Da habe ich mich an meine Frauenhauszeit erinnert und gedacht: "Wie viele Frauen hast du bedauert, die dir gegenüber gesessen und ihre Geschichte zum besten gegeben haben." Und ich habe gedacht: "Mein Gott, das hätte auch Ludwigs Frau sein können."
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Entnommen aus Matthias Matussek (Hg) Die vaterlose Gesellschaft - Briefe, Berichte, Essays S. 233 ff. Erschienen im Rowohlt Taschenbuch Verlag 1999
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