Mann und Frau - ähnlicher als gedacht?
Mann und Frau - ähnlicher als gedacht?
Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus? Von wegen. Die Geschlechter sind gar nicht so unterschiedlich
Frauen können nicht einparken, Männer nicht gut reden. Frauen sind geduldiger, Männer entschlossener. Klischees wie diese füllen Bankkonten von Sachbuchautoren, die mit ihren Werken über den kleinen Unterschied" Meinungen prägen - und tägliches Leben beeinflussen. Wissenschaftlich gesehen ist diese Differenzhypothese" jedoch nicht zu belegen, erklärt Janet Shibley Hyde von der Universität von Wisconsin (USA). Die Psychologin hat fast 50 so genannte Metaanalysen überprüft, bei denen vermeintliche Geschlechterunterschiede untersucht wurden. Verblüffendes Resultat: Frauen und Männer sind ähnlicher, als wir glauben. Lediglich bei körperlicher Kraft bestehen unleugbare Differenzen. Und zweifellos masturbieren Männer häufiger als ihre
Geschlechtsantipoden (American Psychologist, Band 60, 6/2005).
Ansonsten aber seien sich die Geschlechter zu knapp 80 Prozent der untersuchten Eigenschaften ähnlich, darunter mathematische Fähigkeiten, Impulsivität, Führungsstärke, Selbstwertgefühl oder sprachliche Kompetenz.
So belegten US-Psychologen, dass Männer bei Videospielen nur dann aggressiver zu Werke gehen, wenn sie dem Untersuchungsleiter bekanntgemacht wurden. In anonymen Studien hingegen agierten die Frauen deutlich aggressiver als die männlichen Probanden. Was mathematische Fähigkeiten angeht, fand Claude Steele von der Universität Stanford heraus, lieferten Frauen nur dann schlechtere Ergebnisse als
Männer, wenn ihnen zuvor gesagt wurde, dass sie mathematisch grundsätzlich unbegabter seien. Ohne derlei Hinweise schnitten beide Geschlechter in Tests ähnlich gut ab.
Offenbar, stellt Janet Shibley Hyde fest, beeinflussen populäre Rollenbilder das Ergebnis von Studien und erzeugen Ergebnisse, die unter objektiven Testbedingungen nicht zustande kämen. Das ganze Dilemma schaffe soziale Kosten", kritisiert die Wissenschaftlerin. Beispiel: Studien zeigten, dass männliche Jugendliche weniger selbstbewusst seien als weibliche Teens. Weil das fast niemand wisse, bekämen jene jungen Menschen kaum Zuwendung und Betreuung, die dies am dringendsten benötigten - mit entsprechenden psychosozialen Folgen.
Anderes Beispiel: Hydes Kollegin Carol Gilligan propagiert, Frauen und Männer sprächen mit unterschiedlichen moralischen Stimmen". Weibliche moralische Urteile orientierten sich eher an Fürsorge, männliche zielten eher auf Gerechtigkeit ab. Derlei Verdikte, so Hyde, würden keineswegs von Studien gestützt und führten zu Fehleinschätzungen. Demnach glaubten viele Männer, sie könnten naturgegeben nicht fürsorglich sein - schon gar nicht als Väter -, während Frauen mit vermeintlich untypischem weiblichem Sozialverhalten im Job Nachteile erlitten. Hyde: Die Differenzhypothese kann die Chancen von Frauen im Beruf beeinträchtigen, Paare davon abhalten, ihre Konflikte und Kommunikationsprobleme zu lösen, und das Selbstbewusstsein von Kindern und Heranwachsenden gefährden."
Klaus Wilhelm
PSYCHOLOGIE HEUTE JANUAR 2006