Wie aus misshandelten Kindern gutmeinende, gefühllose Kindermörder werden ...
Das Leiden einfach weggesperrt
Die Eltern des verhungerten Dennis sind in Cottbus zu lebenslanger Haft verurteilt worden / Richter: Die Behörden sind mit schuld
Von unserer Korrespondentin Katja Bauer
COTTBUS. Der sechsjährige Dennis ist über lange Zeit hinweg qualvoll verhungert. Seine Eltern haben dagegen nichts unternommen - obwohl sie nach Überzeugung des Gerichts um seinen Zustand wussten. Gestern sind Angelika und Falk B. vom Cottbuser Landgericht wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Es gab eine Zeit im Leben von Dennis, von der man zwar nicht wissen kann, ob sie glücklich war. Aber zumindest kann man wissen, dass diese Zeit etwas vom normalen Verlauf eines Kinderlebens hatte. In den ersten eineinhalb Jahren war Dennis im Heim. Er lernte krabbeln, laufen und essen. Er nahm zu, er wuchs, die Ärztin untersuchte ihn regelmäßig.
Nach eineinhalb Jahren kam das Kind zurück zu seinen Eltern. Der Vater war gerade aus der Haft entlassen, die Mutter hatte sich nach einem Selbsttötungsversuch stabilisiert und war wieder schwanger. Die drei älteren und der jüngere Bruder von Dennis kamen nach und nach aus staatlichen Heimen in die Familie zurück. So auch Dennis. Dieser Zeitpunkt ist wichtig im Leben von Dennis, denn es ist das letzte Mal gewesen, dass jemand seinen Zustand dokumentiert hat: Der eineinhalbjährige Junge war damals 9,65 Kilogramm schwer und 68 Zentimeter groß, stellte die Kinderärztin fest. Erst Jahre später, im Juni 2004, sah ein Mediziner das Kind wieder. Da war es seit Jahren tot.
Dennis starb als Sechsjähriger nach langem Leiden kurz vor Weihnachten 2001 in Cottbus. Er maß 89 Zentimeter und wog fünf Kilo, ein Viertel dessen, was Kinder in diesem Alter wiegen. Seine Leiche hatte die Mutter erst in den Bettkasten und später in eine Kühltruhe gepackt. Zweieinhalb Jahre lang verheimlichte sie den Tod ihres Sohnes, log ihrem Mann, ihren sieben Kindern, ihren Freunden, den Behörden, der Schule - das Kind war mittlerweile schulpflichtig - etwas vor. Der Junge sei krank und in der Klinik. Die Truhe stand in der Küche, darauf lag ein Deckchen. Die Grausamkeit im Fall des kleinen Dennis ist wohl am ehesten zu beschreiben als die Abwesenheit von Mitgefühl, welches zum Handeln zwingt. Es ist nicht leicht, sich das Leben des Kindes vorzustellen. Die Familie B. lebt am unteren sozialen Rand unserer Gesellschaft, beide Eltern sind vorbestraft und immer wieder auf Hilfe von Behörden angewiesen. Die Mutter, 44 Jahre alt, hat elf Kinder geboren, fünf davon sind von ihrem jetzigen Mann, auch Dennis. Der Mann ist sechs Jahre jünger und hat nach Gutachten eine Intelligenz am Rande der Debilität. Er hatte eine schreckliche Kindheit und hat nie gelernt, was Familie ist. Er ist ein Mann, der seine Frau liebt, ihre älteren Söhne adoptiert hat und die kleineren Kinder gerne hat . Und dann ist da Dennis, ein Junge, der nicht richtig isst. Der jammert, der immer weniger wird. Der problematischer ist als die anderen, schwerer lieb zu haben, der einer besonderen Zuwendung bedarf.
Der Vater ist oft mit Kumpels unterwegs , die Mutter mit einer wachsenden Zahl kleiner Kinder überfordert, jedes Jahr kommt ein weiteres. Er war trotzig und ein schlechter Esser , sagt die Mutter über ihr totes Kind. Sie merkt, dass sie mit ihm nicht zurechtkommt. Aber sie handelt nicht. Sie ist erfahren im Umgang mit Behörden durch eine lange Betreuungsgeschichte, sie täuscht Jugendamt, Sozialamt, Schulamt. Die lassen sich nur zu bereitwillig täuschen. Hätte das Schulamt mehr unternommen als nichts, könnte das Kind möglicherweise heute noch leben , sagt der Richter.
Das Gericht glaubt, die Mutter hatte Angst, dass ihr die Kinder wieder weggenommen werden, wenn ein Arzt, wenn Behörden Dennis leiden sehen. Sie macht die Hosen enger, einmal, zweimal, sie lehnt das Kind an die Wand als es nicht mehr alleine sitzen kann. Sie bindet ihn mit einem Bademantelgürtel am Bett fest, weil er nachts unruhig ist. Einer von beiden schraubt einen Riegel vor die Kinderzimmertür, sodass sie nur noch von außen zu öffnen ist. Man sperrt das Leid weg, dann muss man nicht mitleiden.
Die Eltern haben den Tod ihres Kindes förmlich herbeigewartet , sagte der Staatsanwalt. Wir wollten nicht, dass er stirbt , sagte die Mutter vor dem Urteil. Ich habe wohl wirklich etwas falsch gemacht. Heute weiß ich, dass Dennis zum Arzt gemusst hätte. Deshalb sind wir aber doch keine Mörder. Ich hab immer gedacht, dass alles gut geht.
http://www.badische-zeitung.de/nachrichten/welt/54,51-8335721.html