Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Navid Kermani: Frauen im Islam

Texaco, Sunday, 30.04.2006, 15:17 (vor 6785 Tagen)

In den letzten Wochen ging es ja immer mal wieder um Geschlechterrollen im Islam. Ein sehr differenziertes Bild des Orients zeichnet der Iraner Navid Kermani in seinem Buch "Schöner neuer Orient". Was er über die ägyptischen Frauen schreibt, lohnt sich im Hinterkopf zu haben:

"Die jungen Frauen der Mittelschicht, die sich im Unterschied zu ihren Müttern für das Kopftuch entscheiden, wirken in der Regel alles andere als unselbständig oder verschüchtert. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der sie eine puritanische Sexualmoral verfechten und das Hohelied auf die Familie singen, schimpfen sie auf das Patrichat und etablieren sie sich in der Berufswelt. Sie kennen sich in Hollywood aus, lieben Meryl Streep und lesen Arundatha Roy, wünschen sich aber, daß der eigene Staat islamischer werde, ohne deswegen an die Herrschaft der Rechtsgelehrten oder die Rückkehr zum Kalifat zu denken. Vielmehr solle alles gesitteter zugehen, die Pornographie verschwinden, die nationale Kultur vor den Einflüssen des Auslands geschützt werden und die Politik und Wirtschaft sich nicht nur an den ausländischen, sondern allgemein an den tradierten Werten und den Worten des Prophets ausrichten, wie immer man diese nun wieder interpretiert. Man mag das als Fundamentalismus bezeichnen, was sich Bahn bricht, oder bloß als bürgerlichen Konservativismus in einer islamischen Gestalt."

Womit sich bestätigt: Auch in islamischen Ländern sehen Frauen ihre soziale Position in Familie und Gesellschaft an die Sexualität gekoppelt. Ihr Machtwille verlangt die Kontrolle des Sex, also sowohl der Sexualität des Mannes als auch eigene Selbstbeherrschung. Sie sind mit zwei Werteordnungen konfrontiert und picken sich aus beiden das heraus, was ihnen dafür in den Kram passt. Die bruchlose Selbstverständlichkeit, mit der das geschieht, widerlegt nicht nur die Mär von der "heute noch" unterdrückten Frau im Islam, sondern auch die vermeintlich früher bestehende Unterdrückung. Insofern kein Unterschied zu anderen Religionen, die in einer rigiden Moral münden.

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