Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Ekki, Saturday, 06.05.2006, 15:36 (vor 6776 Tagen)

Hallo allerseits!

Ich möchte noch einmal zurückkommen auf Frank Schirrmachers Buch „Minimum“, das auch hier im Forum ein breites Echo gefunden hat.

Interessant ist ja nicht nur, was gesagt wird, sondern auch – und oft noch viel mehr – was nicht gesagt wird.

Und so bin ich beim Lesen des Buches auf eine Passage gestoßen, an der Schirrmacher auf wirklich ganz entscheidenden Aspekt zu sprechen kommt und ... prompt die Chance vergibt, die mit einer wirklich allseitigen Ausleuchtung dieses Aspekts verbunden gewesen wäre.

Hier zunächst die betreffende Passage:

<hr>

„Etwas Eigentümliches hat sich in den vergangenen Jahren in Italien abgespielt“, sagt der Abgeordnete Giorgio Benvenuto in einem nahezu verschwörerischen Ton, „die Anzahl der Haustiere, die Anzahl der Katzen und Hunde, die zu Hause gehalten werden, hat sich drastisch erhöht. Multinationale Unternehmen, die Haustierfutter herstellen, boomen in unserem Land. Selbst wenn Sie den Fernseher anschalten, werden Sie überrollt von all der Werbung für Katzen- und Hundefutter. Das bedeutet, daß den Leuten etwas fehlt, worum sie sich kümmern können. Ich glaube, Ihnen wird allmählich klar, daß es sich um ein Einsamkeitsproblem handelt, die Menschen fühlen sich einsam, auch in der Masse.“

Mit anderen Worten: Sie empfinden vorauseilend Einsamkeit, denn noch gibt es die Masse – zumindest in manchen Ländern. Und noch kann die Masse etwas bewegen. Was aber, wenn es sie nicht mehr gibt, was wäre wohl dann damals in Rumänien passiert, als Ceausescu gestürzt wurde?

Der amerikanische Wirtschaftsprofessor Steven Levitt und Stephen Dubner, ein Journalist der New York Times, haben in Freakonomics einen Anwendungsfall für dieses Gedankenbeispiel geliefert.

1966 erklärte der Diktator Nicolae Ceausescu Abtreibungen für illegal. Bis dahin hatte Rumänien bis zu vier Abtreibungen auf jede Lebendgeburt erlaubt. Ceausescu wollte Bevölkerungswachstum, und Bevölkerungswachstum heißt Kinder, und die Art und Weise, wie er seitdem die Verhinderung von Abtreibungen kontrollieren ließ, wäre eine eigene Geschichte wert. Tatsache ist, dass sich die Geburtenrate innerhalb kürzester Zeit verdoppelte, der Staat mit den vielen Kindern aber nicht zurechtkam und sie in jenen Kinder- und Waisenheimen vegetieren ließ, von denen eine entsetzte westliche Welt erst nach Ceausescus Sturz erfuhr.

Die Stunde der Kinder – dreiundzwanzig Jahre waren die ältesten der von der Ceausescu-Regel Betroffenen – aber kam 1989. „Das Abtreibungsverbot“, schreiben Levitt und Dubner, blieb bis zum Ende der Ceausescu-Herrschaft bestehen. Am 16. Dezember demonstrierten in den Straßen der westrumänischen Stadt Temesvár Tausenden von Menschen gegen sein marodes Regime. Viele der Demonstranten waren Schüler und Studenten. Einer der Oppositionsführer, ein einundvierzigjähriger Professor, sagte später, seine dreizehnjährige Tochter habe darauf bestanden, daß er trotz seiner Furcht an den Protesten teilnahm. 'Es ist höchst interessant, daß wir von unseren Kindern gelernt haben, uns nicht zu fürchten', sagte er. 'Die meisten von ihnen waren zwischen dreizehn und zwanzig Jahre alt.' Einige Tage nach dem Massaker in Temesvár hielt Ceausescu in Bukarest eine Ansprache vor Hunderttausenden von Menschen. Und wieder waren es die Jugendlichen, die sich nicht einschüchtern ließen. Mit ihren Rufen 'Temesvár!' und 'Nieder mit den Mördern!' machten sie Ceausescu fertig. ( ... ) Von allen kommunistischen Führern, die ion den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion abgesetzt wurden, hat nur Nicolae Ceausescu einen gewaltsamen Tod gefunden. Man sollte dabei nicht übersehen, daß sein Sturz maßgeblich von den rumänischen Jugendlichen herbeigeführt wurde – von denen viele ohne sein Abtreibungsverbot niemals geboren worden wären.“

<hr>

Soweit der Auszug aus Schirrmachers Buch.

Bevor ich zum Kern der Sache komme – nämlich dazu, was Schirrmacher zu demographischen Problemen sagt – kann ich es mir nicht verkneifen, Euch vor Augen zu führen, daß selbst die Gedankengänge, die zu diesen Überlegungen führen, so haarsträubend kraus sind, dass sich einem die Zehnägel aufrollen.

Der Text beginnt also mit der Feststellung eines italienischen Abgeordneten, daß viele Menschen in ihrer Einsamkeit verstärkt Haustiere nachfragen.

Daraufhin macht Schirrmacher einen vielfachen Salto Mortale der Logik:

Zunächst einmal bringt er das überaus merkwürdige Konstrukt, daß Menschen, die unter einer Masse anderer Menschen leben, „vorauseilend Einsamkeit empfinden“.

Häääää? Viel einleuchtender – und nicht erst seit gestern bekannt – wäre doch gewesen, dass man durchaus auch in einer Masse vereinsamen kann, wenn man keine individuelle Zuwendung erfährt. Das aber wäre – bzw. ist – eine ganz und gar gegenwärtige Einsamkeit, und keine „vorauseilend empfundene“.

Aber sei dem wie ihm wolle, Schirrmacher macht den nächsten gedanklichen Riesensatz:

„Und noch kann die Masse etwas bewegen.“

Also was nun? Führt die Masse zur Vereinsamung oder bewegt sie etwas? Sowohl als auch?

Mit dem nächsten Gedankensprung katapultiert uns Schirrmacher geradewegs auf den Balkan, in das Rumänien des neuzeitlichen Dracula Ceausescu:

„Was aber, wenn es sie nicht mehr gibt, was wäre wohl dann damals in Rumänien passiert, als Ceausescu gestürzt wurde?“

Ja – was? Das kann wohl nur der liebe Gott sagen. Doch halt – nicht nur er:

"Der amerikanische Wirtschaftsprofessor Steven Levitt und Stephen Dubner, ein Journalist der New York Times, haben in Freakonomics einen Anwendungsfall für dieses Gedankenbeispiel geliefert."

Folgt die Darlegung, daß der Sturz von Ceausescu den Massen der rumänischen Kinder und Jugendlichen zu danken ist. Aber zu dem, was angekündigt war – was nämlich bei Ceausescus Sturz passiert wäre, wenn es die Massen nicht gegeben hätte - dazu findet sich (zumindest in der von Schirrmacher zitierten Passage) kein Wort.

Ich habe deshalb im Internet nachgeforscht und bin tatsächlich fündig geworden:

„Freakonomics“ kann man hier http://www.freakonomics.com/pdf/StudentFREAKONOMICS.pdf ansehen und hier http://www.freakonomics.com/studyguide/index.php herunterladen (am Ende der Seite auf „The Student's Guide can be downloaded here“ mit der rechten Maustaste anklicken und dann „Ziel speichern unter“.

Ergebnis meiner Recherche:

Von Ceausescu keine Spur. Allerdings: Schirrmacher verweist in der Fußnote auf S. 163 einer in München erschienenen Ausgabe von Freakonomics. Insofern konnte ich nicht herausfinden, was die Autoren vielleicht zu Ceausescu noch geschrieben haben.

Aber jetzt zum Kern der Sache, zu den Ausführungen Schirrmachers und der Autoren von Freakonomics zur Demographie.

Wenn Schirrmacher schreibt:

„Ceausescu wollte Bevölkerungswachstum, und Bevölkerungswachstum heißt Kinder, und die Art und Weise, wie er seitdem die Verhinderung von Abtreibungen kontrollieren ließ, wäre eine eigene Geschichte wert.”

so kann man die von ihm hier weggelassenen Informationen zumindest ansatzweise nachlesen, nämlich hier: ]http://de.wikipedia.org/wiki/Cighid[/link] Die entscheidenden Passagen:

„In den Jahren nach 1970 wollte der rumänische Diktator Nicolae Ceausescu sein Volk vergrößern. Daher erließ er ein Gesetz, dass die Anzahl der Kinder pro Familie auf mindestens fünf festlegte. Verhütung und Schwangerschaftsabbruch wurden verboten und mit Freiheitsstrafe bedroht. Selbst Not leidende oder kranke Mütter mussten ihren Nachwuchs gegen ihren Willen zur Welt bringen. Viele versuchten, die Föten mit Drähten oder Medikamenten abzutreiben.
Massenhaft wurden behinderte oder überzählige Kinder geboren und in Sozialwaisenhäuser abgeschoben. Im Alter von drei Jahren wurden sie von einer Ärztekommission begutachtet. Die Stärksten („Sterne unserer Zukunft“ genannt) griff sich das Ehepaar Ceausescu und rekrutierte sie für seine Präsidentengarde (so genannte „Falken des Vaterlandes“). Danach suchten sich die Führer der Geheimpolizei Securitate ihre Rekruten.
Die Kinder mit Geburtsschäden, mit Behinderungen, mit chronischen Erkrankungen und mit Entwicklungsverzögerungen wurden als „Unwiederbringliche“ bezeichnet und in Heime abgeschoben. Ganz Rumänien war mit solchen Ärztekommissionen und Kinderheimen durchzogen. Viele Kinder starben bereits nach wenigen Wochen an Hunger, Erfrierungen, an Krankheiten und an mangelnder Hygiene.”

Ich erinnere mich übrigens noch gut an die SPIEGEL-Reportagen über Cighid – sowohl an die unmittelbar nach der Entdeckung, als auch über die einige Jahre jüngere über erste Ergebnisse des Versuchs, das Los der Kinder zu bessern. Insbesondere die Lektüre des ersten Artikels hat mich – sowohl des Textes als auch der Bilder wegen – psychisch bis zum Äußersten strapaziert.

Das obige Zitat von Schirrmacher legt übrigens nahe, dass er „die Art und Weise“, die „eine eigene Geschichte wert wäre“, nicht billigt. ABER GENAU AUF DIESEN PUNKT WIRD GLEICH ZURÜCKZUKOMMEN SEIN!

Zunächst einmal steht uns der nächste Schirrmachersche Genickbruch der Logik ins Haus:

Nachdem er das Grauen in den rumänischen Kinderheimen angedeutet hat, kommt er zum Kern seiner Argumentation, nämlich dass „die Stunde der Kinder 1989 kam“, als besagte Kinder und Jugendlichen maßgeblich zu Ceausescus Sturz beitrugen.

Mit Verlaub:

Es waren nicht die von Schirrmacher erwähnten Heimkinder, die da demonstrierten.

Der totale Hammer aber kommt zum Schluß:

„Man sollte dabei nicht übersehen, daß sein Sturz maßgeblich von den rumänischen Jugendlichen herbeigeführt wurde – von denen viele ohne sein Abtreibungsverbot niemals geboren worden wären.”

Ja sagt mal – geht's noch?! Wie verhält sich denn diese Aussage zu den Methoden der Abtreibungsverhütung, „die eine eigene Geschichte wert wären“? ))--

Oder ... ja, oder bin ich vielleicht auf dem ganz falschen Dampfer? Möchte Schirrmacher, der die amerikanischen Autoren ohne jeden Vorbehalt zitiert, in Deutschland am liebsten so agieren, wie Ceausescu in Rumänien? :twisted:

An dieser Stelle wird es Zeit, den Blick zu weiten - von dem Schirrmacherschen Gedanken-Apfelmus auf die Demographie-Problematik allgemein.

Äußerst interessant fand ich folgende Sätze:

„Tatsache ist, dass sich die Geburtenrate innerhalb kürzester Zeit verdoppelte, der Staat mit den vielen Kindern aber nicht zurechtkam und sie in jenen Kinder- und Waisenheimen vegetieren ließ, von denen eine entsetzte westliche Welt erst nach Ceausescus Sturz erfuhr.”

Da drängen sich doch folgende Fragen geradezu auf:

Kam der Staat Ceausescus nur deshalb „mit den vielen Kindern nicht zurecht“, weil er ein Terrorstaat war?
Oder könnte es sein, dass von einer „Verdoppelung der Geburtenrate innerhalb kürzester Zeit“ auch freiheitliche Gemeinwesen überfordert wären?
Oder könnte es vielleicht sogar so sein, daß unter den Staaten, bei denen heute Überbevölkerung und Kinderelend zu registrieren sind, keineswegs alle Diktaturen sind?

Und außerdem, liebe „Abtreibung-ist-Mord“-Fraktion: Wenn es in dem oben verlinkten Wikipedia-Artikel heißt:

„Verhütung und Schwangerschaftsabbruch wurden verboten und mit Freiheitsstrafe bedroht. Selbst Not leidende oder kranke Mütter mussten ihren Nachwuchs gegen ihren Willen zur Welt bringen. Viele versuchten, die Föten mit Drähten oder Medikamenten abzutreiben.”

- IST ES DAS, WAS WIR ZU ERWARTEN HABEN, WENN IHR UND EURESGLEICHEN MAL AN DIE MACHT KOMMT?

Auf alle diese Fragen bleibt Schirrmacher die Antwort schuldig. Das kann indes kaum verwundern: Ein ernsthaftes Nachdenken über diese Frage hätte ein ganz anderes Buch ergeben. Und Schirrmacher ging es offensichtlich um die vorbehaltlose Verklärung der Familie und um sonst gar nichts!

In der letzten Sendung der „Mitternachtsspitzen“ hat der Kabarettist Volker Pispers u.a. folgende Gedanken zur angeblichen demographischen Katastrophe gebracht – ich zitiere aus dem Gedächtnis:

„Bevor man anfängt, nach mehr Kindern zu rufen, soll man sich erst mal um die kümmern, <color=darkred>die bereits da sind</color>.“
„Sagen Sie mal, wissen Sie, wieviele <color=darkred>Norweger</color> es gibt? Sollen die jetzt alle in <color=darkred>Panik</color> verfallen, weil sie <color=darkred>am Aussterben</color> sind?“

Noch eine Einzelheit zum Schluß:

Da Schirrmacher zu Anfang des von mir zitierten Textes seinerseits einen italienischen Abgeordneten zitiert, habe ich nachgeforscht, welcher politischen Richtung dieser Abgeordnete zuzuordnen ist.

Ausweislich der italienischen Abgeordneten Liste ]http://www.camera.it/deputati/Composizione/schede_/d00048.asp[/link] gehört er ... der linkslinberalen „Olivenbaum“-Koalition von Romano Prodi an.

Man sieht: Das Problem der Vereinsamung des modernen Massenmenschen wird auch von Vertretern der Linken durchaus erkannt.

Welche halsbrecherischen gedanklichen Konstrukte dann allerdings daran geknüpft werden – das ist Schirrmachers ureigenste Leistung.

Maybritt Illner pflegt ihren Gästen am Ende von „Berlin Mitte“ „viel Freude beim Vermehren der gewonnenen Einsichten“ zu wünschen.

Ich wünsche der „Abtreibung-ist-Mord“-Fraktion viel Freude beim Vermehren der Bevölkerung – und gelegentlich vielleicht mal die ein oder andere Einsicht, z.B. diejenige, dass der Zeugungsakt alleine etwas vollkommen Wertneutrales ist, was per se noch keine intakten Familien, keine glückliche Gesellschaft hervorbringt.

Gruß

Ekki

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Nikos, Saturday, 06.05.2006, 18:53 (vor 6776 Tagen) @ Ekki

Als Antwort auf: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Ekki am 06. Mai 2006 12:36:

Hi Ekki!

Ich wünsche der „Abtreibung-ist-Mord“-Fraktion viel Freude beim Vermehren der Bevölkerung – und gelegentlich vielleicht mal die ein oder andere Einsicht, z.B. diejenige, dass der Zeugungsakt alleine etwas vollkommen Wertneutrales ist, was per se noch keine intakten Familien, keine glückliche Gesellschaft hervorbringt.<

Also ist der Zeugungsakt ca vergleichbar mit Grillengehen? Man kauft die Grillsachen, das Fleich und das Gemüse ein, man telefoniert ein Wenig für die Einladungen, man sucht sich einen Grillplatz aus, doch man weiss nie, wie es beim Grillen ausgeht, ob es lustig und schön wird oder eben total daneben geht. An sich eigentlich etwas vollkommen Wertneutrales, was per se noch keine intakten Freundschaften und keine glückliche Grillfeste hervorbringt?

Warum tut man dann nicht unterwegs das gesamte noch ungebratene Grillgut in die Tonne werfen, nur weil man sich es kurzfristig anders überlegt hat und plötzlich sich verwiklichen will, zb dadurch, daß man nun statt Grillen lieber zu Arbeit fährt? Hast Du jemandem gesehen, der zum Grillen fährt und plötzlich umkehrt und sagt "Vergiss das Grillen, ich will jetzt arbeiten!"? Und gibt es von der Sorte Millionen von Menschen?

Wie man das dreht und wendet: Es wird kein Wert mehr auf Kinder gelegt. Du sagst es auch: Wertneutral. An sich stimmt die Aussage schon, aber DASS man in Kindern keinen Wert gibt, DAS ist eine schlechte Ursache. Kinder sind von sich aus weder gut noch schlecht. Deshalb sollten wir ihnen den Wert geben, was wir aber nicht tun, weil inzwischen andere Sachen wichtiger geworden sind. Fälschlicherweise, wie ich meine. In etwa vergleichbar mit "Ich war noch nie Grillen, aber mir gefällt es nicht!".

Völlig vom Realität losgelöst.

Grüße
Nikos

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Garfield, Monday, 08.05.2006, 14:10 (vor 6774 Tagen) @ Nikos

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Nikos am 06. Mai 2006 15:53:

Hallo Nikos!

"Deshalb sollten wir ihnen den Wert geben, was wir aber nicht tun, weil inzwischen andere Sachen wichtiger geworden sind. Fälschlicherweise, wie ich meine."

Das ist aber in der Geschichte der Menschheit niemals anders gewesen! Heute ist es hierzulande sehr modern, die Verhältnisse in manchen armen Ländern, wo viele Kinder geboren werden, zu verklären. Die Menschen dort wären nicht so materiell eingestellt wie wir, heißt es oft. Sie würden ihre Kinder noch lieben und sie über alles stellen.

Die Wahrheit ist: Kinder werden in solchen Ländern nicht als Altersvorsorge betrachtet, sondern sie sind es wirklich. Weil es oft gar kein Rentensystem gibt, müssen die Eltern sich, wenn sie nicht mehr selbst arbeiten können, zwangsläufig von ihren Kindern ernähren lassen. Je mehr Kinder man hat, umso wahrscheinlicher ist es, daß das funktioniert.

Darüber hinaus werden die Kinder in armen Ländern auch frühzeitig dazu gebracht, Geld zu verdienen und damit die Familien mit zu ernähren. Und manchmal haben die Eltern auch kein Problem damit, ihre Kinder zu verkaufen.

Es sind also auch dort vor allem materielle Erwägungen, die die Menschen dazu bringen, viele Kinder in die Welt zu setzen. Die Kosten für Kinder sind oft niedrig, weil es keine 10jährige Schulpflicht gibt, kein Gesetz, das die Eltern zu Taschengeldzahlungen zwingt, damit sich die Hersteller von Süßigkeiten, Spielzeug, Musik-CD's, Computerspielen usw. daran bereichern können und teure Geschenke für die Kinder auch nicht üblich sind. So fällt die Kosten-Nutzen-Rechnung für Kinder eben meist positiv aus, während sie in Deutschland üblicherweise negativ endet.

Freundliche Grüße
von Garfield

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Ekki, Monday, 08.05.2006, 18:03 (vor 6774 Tagen) @ Garfield

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Garfield am 08. Mai 2006 11:10:28:

Hallo Garfield!

Es sind also auch dort vor allem materielle Erwägungen, die die Menschen dazu bringen, viele Kinder in die Welt zu setzen. Die Kosten für Kinder sind oft niedrig, weil es keine 10jährige Schulpflicht gibt, kein Gesetz, das die Eltern zu Taschengeldzahlungen zwingt, damit sich die Hersteller von Süßigkeiten, Spielzeug, Musik-CD's, Computerspielen usw. daran bereichern können und teure Geschenke für die Kinder auch nicht üblich sind. So fällt die Kosten-Nutzen-Rechnung für Kinder eben meist positiv aus, während sie in Deutschland üblicherweise negativ endet.
Freundliche Grüße
von Garfield

Kleine, aber bedeutende sprachliche Ungenauigkeit:

Die Kosten-Nutzen-Rechnung in Bezug[/u] auf Kinder fällt für deren Eltern[/u] positiv aus.

Was das von Dir oben beschriebene Schicksal dieser Kinder für diese selbst bedeutet, davor kann es einem nur grauen.

Und deshalb graut es mir auch vor denjenigen, die mir im Blauen Forum auf entsprechende Argumente antworteten, die "Perspektive" für Kinder können man nicht in Geld bemessen, und das gelte uneingeschränkt auch für die im Elend lebenden Kindern in der sogenannten Dritten Welt.

Diese Haltung ist wirklich kinderfeindlich[/u], ja, menschenverachtend[/u].

Gruß

Ekki

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Garfield, Monday, 08.05.2006, 20:24 (vor 6774 Tagen) @ Ekki

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Ekki am 08. Mai 2006 15:03:

Hallo Ekki!

"Kleine, aber bedeutende sprachliche Ungenauigkeit:
Die Kosten-Nutzen-Rechnung in Bezug[/u] auf Kinder fällt für deren Eltern[/u] positiv aus."

Stimmt, da hatte ich mich nicht korrekt ausgedrückt, aber wie ich sehe, wird es ja trotzdem richtig verstanden. :-)

"Was das von Dir oben beschriebene Schicksal dieser Kinder für diese selbst bedeutet, davor kann es einem nur grauen."

Vor kurzem las ich gerade wieder in einer Zeitung einen Artikel über eine Frau in einem afrikanischen Land, die dort allen Ernstes auf einem Marktplatz ihr Kind zum Kauf anbot. Sie wollte umgerechnet 50 Euro für das Kind. Weil sie das so offensichtlich gemacht hat, wurde sie verhaftet. Andere sind sicher cleverer und stellen es geschickter an. Die gehen dann direkt mit dem Kind in ein Bordell oder zu irgendeinem "Warlord", der gerade Soldaten sucht. Das gibt dann keine Anzeige, sondern Geld.

Auch in Deutschland sind ähnliche Praktiken noch gar nicht lange her. Noch aus dem 18. Jahrhundert sind Fälle dokumentiert, in denen Frauen Kinder zum Kauf angeboten haben. Und nicht nur das: Nicht wenige Menschen hatten vor gar nicht allzu langer Zeit auch hierzulande durchaus keine Skrupel dabei, Kinder in Notsituationen einfach auszusetzen und ihrem Schicksal zu überlassen oder sie gar zu töten, genau wie es heute noch manche Menschen mit Haustieren (und einige trotz der modernen Sozialleistungen und diverser anderer Unterstützung sogar immer noch mit Kindern) tun.

Jemand, der es sich gut überlegt, ob er ein Kind in die Welt setzt und sich gegebenenfalls nach reiflicher Überlegung dagegen entscheidet, handelt dabei jedenfalls defintiv verantwortungsbewußter als jemand, der sich sagt, daß man ein Kind ja immer noch verkaufen, aussetzen oder töten kann, wenn es mal zum Klotz am Bein werden sollte...

Freundliche Grüße
von Garfield

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Nikos, Monday, 08.05.2006, 21:04 (vor 6774 Tagen) @ Garfield

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Garfield am 08. Mai 2006 11:10:28:

Hi Garfield!

So fällt die Kosten-Nutzen-Rechnung für Kinder eben meist positiv aus, während sie in Deutschland üblicherweise negativ endet<

Du meinst also, daß dort, wo viele Kinder geboren werden, eben deshalb, weil die "Bilanz" so positiv ausfällt bzw. ausfallen kann, die Menschen in Reichtum leben, sich also deswegen Kinder leisten können und auch leisten, während in Deutschland das nicht möglich ist? Ohne dabei die jeweiligen Prioritäten der Menschen mit in der Kalkulation einzubeziehen, also ohne die Wertung für die jeweilige Situation (mit oder ohne Kinder) zu berücksichtigen? Ohne letztendlich den Wert, welchen man auf Kinder legt, zu definieren? Also, ist es dasselbe NICHTS zum trinken zu haben und Kinder oder keine Kinder zu bekommen, und Kinder oder keine Kinder deshalb zu bekommen, weil man dann nicht drei mal sondern nur ein mal im Jahr in den Urlaub fährt bzw gar nicht mehr fahren könnte?

Das kannst Du nicht gemeint haben!

Die Wirklichkeit scheint mir anders zu lauten: Solange kein Strom, kein TV und kein PC gibt (beispielhaft), weisst man die Freuden, die Kinder mit sich bringen (neben den Sorgen... natürlich), zu schätzen. Auch wenn diese Freuden eben mit eine Sicherung des Eigenüberlebens im Alter gekoppelt sind oder diese beeinhalten, oder es auschließlich diese sind. Daran sehe ich persönlich nichts schlimmes. Ich würde gerne meine Eltern unterstützen, wenn sie alt sind. Das haben sie für mich auch getan, als ich klein war.

Doch sobald man "befreit" ist, sobald das Ganze plötzlich "Rentensystem"
genannt wird, sobald man sich nur als Individuum sieht, von der ganzen Umgebung abgeschnitten und die eigene Freiheit als das wichtigste auf Erden betrachet, vergisst man ganz schnell, daß, trotz eines vorhandenen "Systems" zur Sicherung/Umverteilung der Renten, im Grunde auf das gleiche Prinzip aufgebaut werden muss. Eltern versorgen Kinder, solange sie noch klein sind. Sobald die Kinder groß werden, versorgen sie dann widerrum ihre Eltern. Also Stark versorgt Schwach.

Mittlerweile aber denkt man, daß Strom aus der Steckdose kommt und Rente aus dem Briefkasten, aus dem Bescheid des Bundesversicherungsanstaltes. Dem ist definitiv nicht so! Daß Kinder keine Steuern erwirtschaften, das ist mehr als klar. Daß aber Kinder nicht ewig Kinder bleiben, sondern Erwachsene werden, bzw selber Kinder zeugen, das scheint mir nicht so klar zu sein. Die eine Denkweise ist der Wachstum, die andere der Niedergang.

Gefährlich wird das ganze dann, wenn man absolutisch und fanatisch wird. Zu sagen, man muss zehn Kinder haben um glücklich zu sein, halte ich für falsch. Das Gegenteil zu behaupten, daß man keine Kinder braucht um glücklich zu sein, halte ich aber nicht nur für falsch, sondern für naiv und eigentlich schmarotzerisch. Die Zeugung von Kinder zu verweigern, weil die Kosten-Nutzen-Rechnung negativ ausfällt, obwohl man selber bei Zeiten gezeugt und geboren worden ist, ist für mich als ob ich niemals zur Versicherungskasse zahlen will, von dort aber die volle Leistung erwarte.

Vergleichbar wäre das Ganze, wenn in armen Gesellschaften auch keine Kinder mehr kämen, dort aber die Menschen weiterhin darauf bestunden, im Alter von (nicht vorhandenen) Kinder versorgt zu werden. Das wäre dann vergleichbar mit der Situation in Deutschland heute. Daß das nicht funktionieren kann, braucht, glaube ich, keine Erklärung. Sowie es in solchen Ländern nicht funktionieren würde, so kann das auch im Westen nicht funktionieren, auch wenn man hier systematischer vorgeht. Das o.g. Prinzip (Stark hilft Schwach) würde zusammenbrechen, wenn es plötzlich einer der beide Gruppen zu stark zu- oder abnimmt. Das ist deshalb so, weil diese Gruppen sich dynamisch verhalten, also die Starken werden irgendwann schwach und die Schwachen irgendwann stark.

Wo das Kinderzeugen medizinisch unmöglich ist, gelten natürlich andere Massstäben. Diese dürften aber die allerwenigsten Fälle sein.

Viele Grüße
Nikos

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Garfield, Tuesday, 09.05.2006, 15:15 (vor 6773 Tagen) @ Nikos

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Nikos am 08. Mai 2006 18:04:

Hallo Nikos!

"Du meinst also, daß dort, wo viele Kinder geboren werden, eben deshalb, weil die "Bilanz" so positiv ausfällt bzw. ausfallen kann, die Menschen in Reichtum leben, sich also deswegen Kinder leisten können und auch leisten, während in Deutschland das nicht möglich ist?"

Nein. Reichtum oder Armut sind ohnehin relative Begriffe. Ich meine das so: In armen Ländern, wo es oft kein oder kein ausreichendes Rentensystem gibt, braucht man Kinder zur Altersvosorge. Das ist ein Pluspunkt auf der Rechnung. Weiterhin gibt es dort keine oder zumindest keine so strengen Gesetze wie in Deutschland zum Schutz der Kinder vor Erwerbstätigkeit. So kann man Kinder schon frühzeitig zur Arbeit schicken, und sie tragen zum Familieneinkommen bei. Das ist ein weiterer Pluspunkt.

Auch in armen Ländern gibt es oft Schulen. Manchmal gibt es auch Schulpflicht, die läuft dann aber meist nicht über 10 Jahre, und die Eltern müssen auch nicht soviel Geld für Unterrichtsmittel ausgeben wie in Deutschland. So ist die Schulpflicht für Kinder (sofern sie überhaupt existiert) nur ein relativ kleiner Minuspunkt für die Rechnung.

Zusätzlich gibt es in manchen armen Ländern durchaus Möglichkeiten, Kinder zu verkaufen. Das ist zwar meist illegal, wird aber offensichtlich immer wieder gemacht. Diese Option bildet dann einen weiteren Pluspunkt für die Rechnung.

In armen Ländern gibt es kaum Gesetze, die Eltern zu Taschengeldzahlungen für Kinder zwingen, teure Markenkleidung, Spielekonsolen usw. sind auch oft nicht üblich - alles das entfällt also und kann für die Kosten/Nutzen-Rechnung keinen Minus-Punkt bilden.

So fällt diese Rechnung in armen Ländern oft positiv aus, völlig unabhängig vom Einkommen der Eltern.

In Deutschland dagegen steht hohen finanziellen Kosten für Kinder ein geringer oder gar kein finanzieller Nutzen entgegen. Es ist in Deutschland heute unüblich, daß Kinder ihre Eltern ernähren. Ganz im Gegenteil: Häufig ist es so, daß Eltern und Großeltern auch erwachsene Kinder bzw. Enkelkinder noch finanziell unterstützen. Das geht auch oft gar nicht anders, weil Güter wie Grundstücke, Häuser oder Autos bezogen auf die Einkommen im Wert überproportional gestiegen sind. Viele Menschen können sich so etwas heute nur noch über Kredite leisten, dafür müssen sie dann aber Zinsen zahlen, was auch bei den derzeit niedrigen Zinsen eine hohe Belastung darstellt. So ist es heute sehr viel schwerer, ein eigenes Haus zu finanzieren als noch vor 50 Jahren.

Immer öfter wandern die Kinder heutzutage auch aus, weil sie in Deutschland keine berufliche Perspektive mehr sehen, oder sie bleiben arbeitslos. Vor allem in letzterem Fall liegen sie dann weiterhin den Eltern auf der Tasche.

So fällt die Kosten/Nutzen-Rechnung in Bezug auf Kinder eben in Deutschland oft negativ aus.

Nur für diejenigen, die sich um die Zukunft ihrer Kinder wenig Gedanken machen, kann sie positiv ausfallen. Denn für eine große Zahl von Kindern bekommt man auch entsprechend hohe finanzielle Unterstützung vom Staat. Wenn man für die Kinder nur das Allernötigste kauft, sie auch nur die billigste Ausbildung machen läßt und sie so bald wie möglich aus der Wohnung wirft, dann kann man von den Leistungen für Kinder durchaus leben.

"Ohne letztendlich den Wert, welchen man auf Kinder legt, zu definieren?"

Es ging nicht um emotionale Werte, sondern um einen rein finanziellen Kosten/Nutzen-Vergleich. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, daß auch in armen Ländern sehr wohl viele Menschen solch eine Kosten/Nutzen-Rechnung in Bezug auf Kinder aufstellen, daß sie also keineswegs nur aus emotionalen Gründen viele Kinder in die Welt setzen. So ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn Menschen in Deutschland das ebenso tun. Im Übrigen soll es ja auch so sein, daß auch Einwanderer, die schon länger hier leben, nicht mehr viele Kinder bekommen. Das liegt also nicht an den Menschen oder an irgendeiner speziellen Mentalität, sondern es liegt an den Rahmenbedingungen.

"Also, ist es dasselbe NICHTS zum trinken zu haben und Kinder oder keine Kinder zu bekommen, und Kinder oder keine Kinder deshalb zu bekommen, weil man dann nicht drei mal sondern nur ein mal im Jahr in den Urlaub fährt bzw gar nicht mehr fahren könnte?"

Darum ging es mir nicht. Es ging einzig und allein nur darum, ob die Kosten/Nutzen-Rechnung insgesamt positiv oder negativ ausfällt. Wie hoch die Kosten bzw. der finanzielle Nutzen bei einem Kind sind, spielt dabei keine Rolle.

Wenn man nichts zu essen hat, ein Kind aber schon frühzeitig für sich arbeiten lassen kann, dann ist das eben ein Grund für ein Kind. Hat man aber nichts zu essen und kann ein Kind aus gesetzlichen oder anderen Gründen nicht für sich arbeiten lassen, dann hat man einen Grund gegen ein Kind, weil man es dann ja auch noch ernähren muß.

Im Übrigen gibt es in Deutschland auch genügend kinderlose Menschen, die sich nicht mal eine Urlaubsreise im Jahr leisten können. Und das sind keineswegs nur Erwerbslose.

"Auch wenn diese Freuden eben mit eine Sicherung des Eigenüberlebens im Alter gekoppelt sind oder diese beeinhalten, oder es auschließlich diese sind. Daran sehe ich persönlich nichts schlimmes."

Es ist auch nicht schlimm. Ich meinte das nicht wertend, sondern ich meinte es einfach nur so, daß Eltern in armen Ländern eben sehr wohl daran denken, wenn sie Kinder möchten.

"Ich würde gerne meine Eltern unterstützen, wenn sie alt sind. Das haben sie für mich auch getan, als ich klein war."

Das würde ich auch tun. Nur sind leider in Deutschland immer mehr junge Menschen finanziell nicht dazu in der Lage, ihre Eltern zu unterstützen. Weil sie selbst nichts haben. Somit können Eltern sich in Deutschland eben nicht darauf verlassen, von den Kindern später mal unterstützt zu werden.

"Doch sobald man "befreit" ist, sobald das Ganze plötzlich "Rentensystem"
genannt wird, sobald man sich nur als Individuum sieht, von der ganzen Umgebung abgeschnitten und die eigene Freiheit als das wichtigste auf Erden betrachet, vergisst man ganz schnell, daß, trotz eines vorhandenen "Systems" zur Sicherung/Umverteilung der Renten, im Grunde auf das gleiche Prinzip aufgebaut werden muss."

Das ist keineswegs ein Muß! Man kann auch selbst Geld fürs Alter zurück legen und dann später davon leben und auch eventuell nötiges Pflegepersonal bezahlen. Das deutsche Rentensystem verbaut vielen Menschen diesen Weg aber, weil es ihnen so viel Geld nimmt, daß sie eben nicht mehr viel fürs Alter zurück legen können. Damit verkehrt sich der ursprüngliche Sinn dieses Rentensystems ins Gegenteil.

"Das Gegenteil zu behaupten, daß man keine Kinder braucht um glücklich zu sein, halte ich aber nicht nur für falsch, sondern für naiv und eigentlich schmarotzerisch."

Hm, was sollen dann aber die Menschen tun, die keine Kinder bekommen können? Z.B. aus medizinischen Gründen, oder einfach mangels Partner? Das System der Versorgung der Alten über ihre Kinder kann also gar nicht für jeden Menschen funktionieren!

"Die Zeugung von Kinder zu verweigern, weil die Kosten-Nutzen-Rechnung negativ ausfällt, obwohl man selber bei Zeiten gezeugt und geboren worden ist, ist für mich als ob ich niemals zur Versicherungskasse zahlen will, von dort aber die volle Leistung erwarte."

Tja, aber auch Kinderlose zahlen in die Rentenversicherungskasse ein, und zwar (allein schon durch die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten für die Rente) bezogen auf einen Renten-Euro mehr als Menschen mit Kindern! Obendrein tragen sie auch noch eine höhere Steuerlast und finanzieren so auch die Zuschüsse zur Rentenkasse aus Steuermitteln stärker mit! Es ist eben gerade nicht so, daß Kinderlose nichts zahlen und dafür trotzdem Leistungen erwarten! Ganz im Gegenteil: Sie zahlen effektiv mehr als Eltern, und natürlich erwarten sie dafür eine Leistung! Was bleibt ihnen denn anderes übrig? Sie können nicht ausreichend selbst vorsorgen, da das staatliche Rentensystem ihnen das Geld dafür nimmt. Sie werden aber auch nicht aus diesem Rentensystem entlassen, weil es ohne die finanziellen Leistungen der Kinderlosen nämlich sofort zusammen brechen würde.

Im Rahmen des jetzigen Systems gibt es dafür keine Lösung. Also muß das System geändert werden. Mehr Kinder sind nämlich auch keine Lösung. Vor Jahrzehnten geborene Kinder könnten heute den Zusammenbruch des Rentensystems noch hinauszögern, aber sie könnten ihn auch nicht aufhalten. Und wenn wir heute mehr Menschen hätten, gäbe es nicht nur mehr Erwerbstätige, sondern auch entsprechend mehr Erwerbslose, die eben effektiv nichts zahlen können. Da die Zahl der Rentner etwa gleich wäre, würde die Rentenkasse ein wenig besser dastehen, aber die übrigen Sozialkassen hätten durch mehr Erwerbslose höhere Kosten, so daß die Steuergelder, die dann nicht in die Rentenkasse fließen müßten, dann eben dorthin fließen würden. Unterm Strich wäre nichts anders!

Die steigende Erwerbslosigkeit ist das Problem! Gäbe es mehr Jobs, dann würden auch die Geburtenzahlen wieder steigen. Aber es wird nicht mehr Jobs geben. Woher sollten die auch kommen? Momentan geht es der Wirtschaft in Deutschland prima - wenn das kaum zusätzliche Jobs generiert, dann kann man sich vorstellen, was in der nächsten Krise geschehen wird... Schon jetzt sind hunderttausende Jugendliche erwerbslos. Wem nützt eine weitere Erhöhung dieser Zahl?

"Vergleichbar wäre das Ganze, wenn in armen Gesellschaften auch keine Kinder mehr kämen, dort aber die Menschen weiterhin darauf bestunden, im Alter von (nicht vorhandenen) Kinder versorgt zu werden. Das wäre dann vergleichbar mit der Situation in Deutschland heute."

Nicht ganz - ohne hohe Kosten für ein staatliches Rentensystem hat man zumindest theoretisch die Möglichkeit, selbst Geld fürs Alter zurück zu legen. Und ohne Kinder müßten ohnehin die Alten weiter arbeiten, bis sie tot umfallen.

"Das o.g. Prinzip (Stark hilft Schwach) würde zusammenbrechen, wenn es plötzlich einer der beide Gruppen zu stark zu- oder abnimmt."

Es hängt aber eben nicht nur von der zahlenmäßigen Stärke der Gruppen ab! Die Jungen können nur dann ihren Beitrag zur Rente leisten, wenn sie auch legale Jobs finden und somit Rentenbeiträge zahlen. Das ist der zweite Faktor, den man dabei berücksichtigen muß.

Freundliche Grüße
von Garfield

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Altschneider, Tuesday, 09.05.2006, 15:44 (vor 6773 Tagen) @ Garfield

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Garfield am 09. Mai 2006 12:15:44:

Hallo, Garfiel, sehr schönes Posting: Und weil du schriebst -

Nur für diejenigen, die sich um die Zukunft ihrer Kinder wenig Gedanken machen, kann sie positiv ausfallen. Denn für eine große Zahl von Kindern bekommt man auch entsprechend hohe finanzielle Unterstützung vom Staat. Wenn man für die Kinder nur das Allernötigste kauft, sie auch nur die billigste Ausbildung machen läßt und sie so bald wie möglich aus der Wohnung wirft, dann kann man von den Leistungen für Kinder durchaus leben.<

möchte ich hierzu anmerken, dass mir tatsächlich wenigestens ein Fall bekannt ist, bei dem ein der so genannten alleinerziehnden Mütter sich weitere Kinder als Einkommensquelle "anschaffte". Die Rechnung geht auch insofern auf, weil HaushaltseinkommenFam = Einkommen des Ehemanns + Einkommen der Ehefrau + Staatliche Zuwendungen für Kinder geringer ist als das
HaushaltseinkommenallZM = Einkommen des Lebenabschnittsgefährten + Einkommen der Mutter + Staatliche Zuwendungen = HaushaltseinkommenFam + Kindesunterhalt, unter der Bedingung, dass die Frau sich einen neuen Partner sucht, der mindestens gleich viel verdient wie der alte Partner.

So ergibt es sich, dass für Frauen eine durchaus positive Bilanz durch Kinder entstehen kann, für Männer hingegen eine noch schlechtere negative Bilanz, als wenn Sie gar keine Kinder hätten.
Somit ist es nicht erstaunlich, wenn Männer keine Kinder wollen und auch legitim. Ein Fehler im System, der durchaus zu beheben wäre, da die starken finanziellen Anreize für die so genannten alleinerziehenden Mütter die Wahrscheinlichkeit für Väter steigen lässt, eine noch negativere Leistungsbilanz zu erzielen.

Grüße
Altschneider

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

scipio africanus, Tuesday, 09.05.2006, 15:51 (vor 6773 Tagen) @ Garfield

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Garfield am 09. Mai 2006 12:15:44:

Hallo Garfield

Nein. Reichtum oder Armut sind ohnehin relative Begriffe. Ich meine das so: In armen Ländern, wo es oft kein oder kein ausreichendes Rentensystem gibt, braucht man Kinder zur Altersvosorge. Das ist ein Pluspunkt auf der Rechnung. Weiterhin gibt es dort keine oder zumindest keine so strengen Gesetze wie in Deutschland zum Schutz der Kinder vor Erwerbstätigkeit. So kann man Kinder schon frühzeitig zur Arbeit schicken, und sie tragen zum Familieneinkommen bei. Das ist ein weiterer Pluspunkt.

Die Kinder als Altersvorsorge, richtig, das ist ein Argument für Kinder in den Ländern ohne staatlich abgesicherte Grundversorgung.
Es gibt aber noch einen anderen wichtigen Grund. Nach wie vor ist es für Frauen in Afrika beispielsweise eine Selbstverständlichkeit, dass eine Frau Kinder hat, und zwar viele. Wer dort als Frau kinderlos bleibt, gilt im besten Fall als bedauernswert.

Zusätzlich gibt es in manchen armen Ländern durchaus Möglichkeiten, Kinder zu verkaufen. Das ist zwar meist illegal, wird aber offensichtlich immer wieder gemacht. Diese Option bildet dann einen weiteren Pluspunkt für die Rechnung.

Ich glaube kaum, dass Kinder sozusagen "für den Verkauf produziert" werden. Diese Erscheinungen sind doch eher bitterster Armut geschuldet.

In Deutschland dagegen steht hohen finanziellen Kosten für Kinder ein geringer oder gar kein finanzieller Nutzen entgegen.

Völlig richtig. Rein von der materiellen Seite aus betrachtet, sollte man sich gegen Kinder entscheiden. Der materielle Lebensstandard sinkt mit jedem Kind.

Scipio


Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Garfield, Tuesday, 09.05.2006, 16:46 (vor 6773 Tagen) @ scipio africanus

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von scipio africanus am 09. Mai 2006 12:51:

Hallo Scipio!

"Ich glaube kaum, dass Kinder sozusagen "für den Verkauf produziert" werden. Diese Erscheinungen sind doch eher bitterster Armut geschuldet."

Klar - das glaube ich auch nicht. Wenn man aber die Möglichkeit hat, ein Kind notfalls (z.B. wenn man es nicht mehr ernähren kann) auch einfach zu verkaufen und daran dann sogar etwas zu verdienen, dann ist das in armen Ländern durchaus ein potenzieller finanzieller Pluspunkt.

Kinder nur zum Verkauf zu "produzieren" wäre aufgrund des meist geringen Verkaufserlöses tatsächlich zumindest für die Mutter auch eine Verlustrechnung, da gerade in armen Ländern mit eher schlechter medizinischer Versorgung Schwangerschaften und Geburten ja entsprechend höhere Belastungen für die Frauen sind und nicht selten dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen, was nicht nur einen Verlust an Lebensqualität bedeutet, sondern auch die Möglichkeiten zur Erwerbstätigkeit senkt.

Selbst Leihmütter in den Industrieländern, wo die medizinische Versorgung besser ist, lassen sich das Austragen eines Kindes gut bezahlen.

Freundliche Grüße
von Garfield

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Nikos, Tuesday, 09.05.2006, 18:23 (vor 6773 Tagen) @ Garfield

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Garfield am 09. Mai 2006 12:15:44:

Hi Garfield!

Bin ja mit vielem, was Du schreibst, einverstanden. Vom Standpunkt der Kosten-Nutzen-Rechnung her betrachtet, macht das Kinderkrigen gerade in Deutschland wenig Sinn, vorallem für Männer. Was ich aber ausdrucken wollte, war folgendes: Wir sind geboren und wir leben. Die meisten von uns haben keine steinreichen Eltern. Die meisten von uns haben zwar glückliche, finanziell aber auch eher ärmliche oder mittelständliche Kindheiten. Ich bin sehr froh, daß meine Eltern damals nicht so dachten, wie oft heute gedacht wird, sonst wäre ich ja gar nicht da. Mir gefällt das Leben sehr! Ich habe sehr viel Mist mitmachen mussen, aber nichts davon hat meine Meinung über das Leben ändern können. Ich lebe gerne weiter! Trotz allen Problemen und Sorgen bin ich sehr froh zu leben. Geboren zu sein. Und diese Großartigkeit des Lebens will ich auch andere erfahren lassen!

Wenn das Geld nicht reicht, dann sollten wir eben die restlichen Ansprüche zurückschrauben. Also, kein eigenes Haus, kein Auto, keine Reisen. Nicht sofort das Kinderkriegen ablehnen und als wenig sinnvoll und eigentlich gefährlich darstellen. Die Wertigkeit und die Priorität wird dadurch in der Tat aufs Materielle gesetzt, und Kinder werden dabei als Störenfriede empfunden. Das sollte so nicht sein. Kosten-Nutzen hin oder her, und aller Praktikabilität in ehren.

Das ist insofern nicht gerecht, als daß unsere Eltern uns zur Welt brachten, und zwar unter weit schwierigeren Bedingungen als heute. Sie liebten eben Kinder, und das ist gut und menschlich. Heute liebt man keine Kinder mehr, das kann man drehen wie man will. Obwohl man ja selber schon mal ein Kind war! Das meinte ich mit Schmarotzentum. Freiwillig Kinderlose leben, für mich, auf fremde Kosten. Nicht im reine finanzielle Hinsicht, sondern generell: Sie haben etwas bekommen, und geben dafür nichts vergleichbares zurück! Ich meine damit nicht die Rentenbeiträge, die zweifelslos auch Kinderlose zahlen. Ich meine das Leben! Sie haben das Leben geschenkt bekommen, und was (vergleichbares) verschenken sie?

Ein weiteres Sprichwort aus Griechenland besagt: "Wer kein Teig anrühren will, der siebt das Mehl vierzig Tage!" (gemeint sind Menschen, die alles tun und sagen würden, um etwas zu vermeiden, was sie nicht machen wollen)

Natürlich gibt es auch Menschen, die Kinder wollen, aber aus medizinischen Gründen keine bekommen können. Für sie gelten andere Massstäbe, habe ich vorhin schon geschrieben.

Viele Grüße
Nikos

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Garfield, Tuesday, 09.05.2006, 20:52 (vor 6773 Tagen) @ Nikos

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Nikos am 09. Mai 2006 15:23:

Hallo Nikos!

"Wenn das Geld nicht reicht, dann sollten wir eben die restlichen Ansprüche zurückschrauben. Also, kein eigenes Haus, kein Auto, keine Reisen."

Das ist leichter gesagt als getan, vor allem in Deutschland... Keine Reisen ist ja noch realisierbar. Meine Frau und ich fahren, seit wir unser Haus abzahlen, auch nur noch an die Ostsee zu meinen Eltern. Auch ohne Kinder können wir uns eine längere Auslandsreise finanziell nicht mehr leisten, obwohl wir beide nicht direkt schlecht verdienen.

Kein Auto ist aber schonmal schwierig. Das kann man sich leisten, wenn man in einer Großstadt wohnt und dort auch arbeitet und einkaufen kann. Sonst wird das aber schwierig. In Bewerbungsgesprächen wird man in Deutschland auch oft nach Auto und Führerschein gefragt. Hat man kein Auto, ist das ein Minuspunkt, denn damit signalisiert man, daß man von öffentlichen Verkehrsmitteln abhängig ist und nicht jederzeit flexibel Überstunden schieben kann. Wenn man auf dem Land wohnt, braucht man ein Auto auch zum Einkaufen. Selbst wenn es öffentliche Verkehrsmittel gibt: Mir soll mal jemand zeigen, wie man 4 volle Getränkekästen und 3 volle Einkaufstaschen mit Bus oder Bahn transportieren kann...

Viele Menschen können also am Auto nicht sparen. Okay - es gibt auch billige gebrauchte Kleinwagen für ein paar hundert Euro zu kaufen. Da hat man dann nur leider jedes Jahr ein paar Hunderter für Reparaturen abzuzweigen oder muß sich nach dem nächsten TÜV ein neues Auto kaufen. Und weil ältere Autos nicht den neuesten oder vielleicht gar keinen Katalysator haben, zahlt man auch noch ordentlich Steuern dafür. Man kann sich natürlich auch einen neuen Kleinwagen kaufen - aber selbst den können viele Menschen jetzt nicht mehr locker-flockig am Stück bezahlen, sondern müssen ihn auf Raten kaufen. Schon zahlt man monatlich mindestens 100-200 Euro. Wie man es auch dreht und wendet - ein Auto ist immer teuer.

Ohne eigenes Haus kann man natürlich leben. Man muß aber nun einmal irgendwo wohnen. Es gab auch mal jemanden, der sich irgendwo im Wald ein Erdloch gegraben hat. Das ist aber illegal. In den USA kann man sich irgendwo ein billiges Grundstück kaufen, einen Wohnwagen draufstellen und drin wohnen. In Deutschland gibt es keine billigen Grundstücke, und welche Vorschriften man in Deutschland beim Leben in einem Wohnwagen beachten muß, will ich gar nicht wissen...

Man kann natürlich auch zur Miete wohnen. Es gibt mittlerweile auch billige Mietswohnungen. Da wohnt man dann aber zuweilen mit asozialen Pennern im Haus, die einem die Türen eintreten und ins Treppenhaus pinkeln, findet sein Auto jeden Morgen aufgebrochen vor und wird ab und zu mal im Dunkeln von hinten bewußtlos geschlagen und ausgeraubt. Wenn man in einer sicheren Gegend wohnen möchte, dann muß man nach wie vor saftige Mieten zahlen, die auch immer noch fröhlich weiter steigen. Da zahlt man soviel wie manch anderer für einen Hauskredit - nur mit dem Unterschied, daß man im Alter kein Wohneigentum hat, sondern dann immer noch Miete zahlen muß - aber nur leider mit der dann fälligen Hungerrente kein Geld dafür hat.

Man kann sich natürlich auch ein billiges, kleines Haus kaufen, und man braucht ja eigentlich nicht immer die neueste und beste Ausstattung. Man hat ja eigentlich keinen Grund, beispielsweise den Abfluß teuer sanieren zu lassen - schade nur, daß man gesetzlich dazu gezwungen ist, bis 2015 den Abfluß auf Dichtheit prüfen und eventuell sanieren zu lassen. Man braucht auch nicht unbedingt die neueste Heizung - schade nur, daß eine alte Heizung viel Öl oder Gas verbraucht, das leider immer teurer wird. Man kann natürlich auch mit Holz heizen. Gute Öfen sind nur leider auch nicht billig, und auch Holz wird immer teurer. Es gibt auch Erdwärme-Heizungen - die kosten nur leider eine fünfstellige Summe. Und wenn man eine sehr alte Heizung hat, dann ist man gesetzlich gezwungen, die zu erneuern - oder aber ein Bußgeld zu zahlen. In Hessen muß mittlerweile schon jeder Öltank ab 1000 Liter regelmäßig von einem Gutachter inspiziert werden. Der macht dann den Deckel auf, sieht hinein, macht den Deckel wieder zu, geht und schickt danach eine Rechnung über 160 Euro.

Angesichts dieser Kosten will so mancher sein Haus vielleicht wieder verkaufen. Dazu braucht man neuerdings leider erstmal einen "Energiepaß". Der kostet ab so etwa 300 Euro, und da schreibt ein Gutachter rein, was jeder potenzielle Hauskäufer ohnehin sieht bzw. leicht abschätzen kann. Und wenn man dann wieder zur Miete wohnt, entgeht man all diesen Kosten auch nicht. Denn leider ist auch der Vermieter Hausbesitzer, muß den Unsinn also auch bezahlen und gibt die Kosten an die Mieter weiter.

Dummerweise ist ein eigenes Haus aber die beste Altersvorsorge. Nicht etwa wegen irgendwelchen Wertsteigerungen. Die Immobilienpreise werden in vielen Gegenden in Zukunft sinken, denke ich. Aber ein eigenes Haus erspart im Alter die Miete, die auch zukünftig noch ein wesentlicher Kostenfaktor sein wird. Auf die staatliche Rente kann man sich nicht verlassen - die wird in 30 Jahren bestenfalls noch Sozialhilfeniveau haben. Private Rente ist auch keine Lösung, denn weil in 30 Jahren Privatrenten kein gutes Geschäft mehr sein werden, werden die Versicherungen nur noch soviel auszahlen, wie sie gerade mal müssen und sich sogar davor noch nach Möglichkeit drücken.

Tja, so ist es also in Deutschland schwierig, sich die Kosten für Haus und Auto zu sparen. Meine Frau und ich haben sogar zwei Autos. Nicht etwa, weil wir das so toll finden, sondern weil wir die brauchen. Wir kommen beide in akzeptabler Zeit nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit, und unsere Arbeitsstellen liegen praktisch entgegengesetzt. Wenn meine Frau mich zur Arbeit fahren müßte, dann würde das durch die hohen Benzinpreise teurer werden als die Kosten für ein zweites Auto. Wenn ich sie zur Arbeit fahren würde, wäre das noch teurer.

"Das ist insofern nicht gerecht, als daß unsere Eltern uns zur Welt brachten, und zwar unter weit schwierigeren Bedingungen als heute."

Wirklich? Mein Schwiegervater begann schon mit 14 eine Lehre und gab dann Geld zu Hause ab. Bei meinem Vater war das ähnlich, und auch meine Mutter arbeitete schon mit 14 auf einer LPG. Und vorher, in der Schulzeit, brauchten die Kinder nicht viel. Sie waren froh, wenn sie genug zum Anziehen und zum Essen hatten.

Wie ist das aber heute? Die Kinder sind mindestens bis 15/16 in der Schule, oft bis 18/19. Wenn sie studieren, wohnen sie oft mit Mitte 20 noch bei den Eltern. Aber fangen wir mal im Kindergarten an: Wenn das Kind dort beliebt ist und viele Freunde hat, kommen die alle zum Geburtstag. Dafür muß man schon mal jede Menge Torte, Eis und andere Süßigkeiten finanzieren und/oder mit der ganzen Truppe zu MacDonalds gehen. Das Kind wird dann auch alle paar Wochen zu einem Geburtstag eingeladen - dann muß es jedesmal ein Geschenk mitnehmen, das natürlich auch nicht zu billig sein soll, schließlich will man sich und das Kind ja nicht blamieren. Die Ansprüche der Kinder steigen dann aber weiter an. Irgendwelche Klamotten reichen bald nicht mehr - es müssen teure Markensachen sein. Wichtig ist auch überteuertes Markenspielzeug. Bei Verwandten meiner Frau hat die Oma mal den Fehler gemacht, statt der gewünschten Barbie-Puppe eine billigere Puppe zu schenken - daraufhin wurde sie von ihrer Enkeltochter als Arschloch beschimpft. Spielekonsolen, Computer, Mobiltelefone, MP3-Spieler und Fernseher müssen her, und vieles davon generiert weitere Kosten für Spiele und sonstige Software, Internet, Telefongespräche, SMS, Klingeltöne, Hintergrundbilder... Die Eltern sind zum Wohle der deutschen Unternehmen sogar dazu verpflichtet, ihren Kindern Taschengeld zu zahlen, um ihnen einen Teil der gewünschten Kaufkraft zu sichern.

In Zukunft kommen noch Kosten für teure Privatschulen dazu, weil das Niveau vieler öffentlicher Schulen weiter sinken wird.

Das alles mußten Eltern früher nicht finanzieren. Angesichts stagnierender oder sinkender Einkommen ist all dieser Luxus heute immer schwerer finanzierbar.

"Freiwillig Kinderlose leben, für mich, auf fremde Kosten. Nicht im reine finanzielle Hinsicht, sondern generell: Sie haben etwas bekommen, und geben dafür nichts vergleichbares zurück!"

Sie haben etwas von ihren Eltern bekommen, nämlich ihr Leben. Und nicht wenige geben ihren Eltern durchaus etwas zurück, z.B. über Pflege im Alter. Das ist völlig unabhängig davon, ob man Kinder hat oder nicht.

"Sie haben das Leben geschenkt bekommen, und was (vergleichbares) verschenken sie?"

Glaubst du, daß allen Kinderlosen das Leben ohne Kinder so leicht fällt? Viele Menschen wünschen sich schon rein instinktiv Kinder. Und es ist kein schönes Gefühl, zu wissen, daß nach einem niemand mehr kommt, daß alle Familienfotos und alles Wissen über die Familiengeschichte dann niemanden mehr interessiert und in den Müll wandert. Daß man nichts weitergeben kann.

Freundliche Grüße
von Garfield

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Ekki, Wednesday, 10.05.2006, 15:07 (vor 6772 Tagen) @ Nikos

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Nikos am 09. Mai 2006 15:23:

Hallo Nikos!

Natürlich gibt es auch Menschen, die Kinder wollen, aber aus medizinischen Gründen keine bekommen können. Für sie gelten andere Massstäbe, habe ich vorhin schon geschrieben.
Viele Grüße
Nikos

Du solltest aber auch diejenigen Menschen bedenken, bei denen sich nicht erst der Kinder-, sondern schon der Partnerwunsch sich nicht erfüllt hat.

Wie Du weißt, gehöre ich dazu.

Meiner Meinung nach gibt es, wenn einem Menschen ein großer Wunsch über sehr lange Zeit nicht erfüllt wird, 2 Möglichkeiten:

1)
Der betreffende Mensch hält an dem Wunsch fest. Bestenfalls bleibt er ein Leben lang ein zuversichtlich Hoffender, und schlimmstenfalls verzweifelt er.

2)
Der betreffende Mensch findet sich in der ein oder anderen Form mit der Nichterfüllung des Wunsches ab und gewinnt dem Leben trotzdem positive Seiten ab.

Ich bin, wie Du weißt, in der zweiten Gruppe gelandet.

Mein Partnerschafts- und Familiengründungswunsch ist jedenfalls erloschen.

Diese Entwicklung kann ich nicht zurückdrehen, und erst recht nicht[/u] sehe ich auch nur den geringsten Anlaß, mich vor irgendjemandem zu entschuldigen oder zu rechtfertigen.

Und ich halte es für eine Tragödie und für eine Unverschämtheit, daß das Schicksal der unfreiwillig Alleingebliebenen überhaupt nicht gesehen wird, daß sie vielfach sogar noch abqualifiziert werden ("schrullige(r) alte(r) Junggeselle/Jungfer", "selbst schuld, daß er/sie keine(n) abgekriegt hat", "beziehungsunfähig", "psychisch gestört", "dekadentes, verwöhntes, verzogenes Zivilisationsprodukt" u.dgl.m.)[/b]

Und leider, leider sind auch und gerade die Gender-Foren ein Beispiel dafür, daß man sich als Kinderloser gefälligst vor Schmerzen über die Kinderlosigkeit bzw. über die Entfremdung der Kinder durch die Ex schier am Boden zu winden hat, will man ernstgenommen werden.

Anderenfalls wird man von den meisten so behandelt, wie im vorletzten Absatz beschrieben.

Gruß

Ekki

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

susu, Sunday, 07.05.2006, 00:14 (vor 6775 Tagen) @ Ekki

Als Antwort auf: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Ekki am 06. Mai 2006 12:36:

Huhu Ekki

Ich möchte noch einmal zurückkommen auf Frank Schirrmachers Buch „Minimum“, das auch hier im Forum ein breites Echo gefunden hat.
Interessant ist ja nicht nur, was gesagt wird, sondern auch – und oft noch viel mehr – was nicht gesagt wird.

Dein Beispiel ist ja gut und prägnant aber... Es ist beiweitem nicht das, was am wenigsten gesagt wird. Schirrmacher läßt das aus, was jeder auslassen muß, der für eine Erhöhung der Geburtenzahl eintritt:
a) Wir haben zum Jetzigen Zeitpunkt einen Mangel an Ausbildungsplätzen, zu große Klassen an den Schulen, einen zu geringen Anteil an Studierenden an der Gesammtbevölkerung und dabei trotzdem überfüllte Hörsäle. Wer die aktuelle Situation betrachtet gelangt zu dem Schluß, daß nicht zu wenige, sondern zu viele junge Menschen in Deutschland zugegen sind. Zumindest um ihnen tatsächlich gute Aussichten zu gewähleisten.
b) 1-Euro Jobs tragen zur Rentenfinanzierung exakt folgenden Betrag bei: 0€
c) Altes Buch mit bekanntem Inhalt: Malthus' "Essay on the Principle of Population". Wenn man schon von Bevölkerung schreibt, sollte man zumindest die Aussage des Essays kennen, daß sie zum ersten mal zum zentralen Thema machte. Und sich damit auseinandersetzen.

Zustimmung und Ergänzung
susu

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Scipio Africanus, Sunday, 07.05.2006, 13:00 (vor 6775 Tagen) @ susu

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von susu am 06. Mai 2006 21:14:32:

b) 1-Euro Jobs tragen zur Rentenfinanzierung exakt folgenden Betrag bei: 0€
c) Altes Buch mit bekanntem Inhalt: Malthus' "Essay on the Principle of Population". Wenn man schon von Bevölkerung schreibt, sollte man zumindest die Aussage des Essays kennen, daß sie zum ersten mal zum zentralen Thema machte. Und sich damit auseinandersetzen.

Hallo susu,

bei der ganzen Diskussion über den Geburtenrückgang werden zwei Dinge in aller Regel nicht unterschieden, nämlich die demografische Alterstruktur und die Bevölkerungszahlen.

Weniger Menschen in Deutschland sind an und für sich gar nicht nachteilig, sondern im Gegenteil in vielerlei Hinsicht von Vorteil.

Die Problematik ist die Überalterung der Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten, und damit die Altersversorgung durch wenige Erwerbstätige.

Diese zwei Sachverhalte werden nicht sauber auseinandergehalten.

Ich weiss nicht Recht, was du mit dem Verweis zu Malthus sagen willst.

Scipio

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Garfield, Monday, 08.05.2006, 13:56 (vor 6774 Tagen) @ Scipio Africanus

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Scipio Africanus am 07. Mai 2006 10:00:

Hallo Scipio!

"Die Problematik ist die Überalterung der Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten, und damit die Altersversorgung durch wenige Erwerbstätige."

Wie du schon richtig schreibst, sichern nur Erwerbstätige das deutsche Rentensystem. Man könnte es noch exakter definieren, indem man "legale Erwerbstätige" schreibt, denn auch bei Schwarzarbeit beträgt der Beitrag zur Rentensicherung 0 Euro.

Hunderttausende Jugendliche haben aber heute keine Chance, zu legalen Erwerbstätigen zu werden. Und diejenigen, die gute Chancen haben, zieht es häufig ins Ausland. Am Wochenende waren meine Frau und ich mit einer Cousine meiner Frau unterwegs. Sie wird in diesem Jahr 17, ist an einem Gymnasium, hat dort gute Noten und möchte Physik studieren. Studieren möchte sie noch in Deutschland, aber danach will sie ins Ausland gehen, sagte sie. Wenn sie das tut, gehört sie zu den Fachkräften, die teuer in Deutschland ausgebildet wurden und dann nur leider keinen Beitrag zum deutschen Rentensystem und überhaupt zum deutschen Sozialsystem leisten. Verübeln kann ich ihr das noch nicht einmal, wenn ich mir die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt ansehe.

Da wird schon mal ganz klar, daß wir mit Erhöhung der Geburtenrate bestenfalls die bestehenden Probleme auch nicht lösen und sie schlimmstenfalls sogar noch verschärfen können. Wenn nämlich in Zukunft die sinkende Zahl der Erwerbstätigen weiterhin nicht nur steigende Rentnerzahlen, sondern auch noch steigende Erwerbslosenzahlen finanzieren muß. Das kann so nicht funktionieren.

Beim Thema Demografie muß man dann noch etwas bedenken:

Wenn der jetzige Kurs so weiter gefahren wird, dann wird sich die gesundheitliche Versorgung für Pflichtversicherten verschlechtern. Das muß zwangsläufig ein Absinken des durchschnittlichen Sterbealters zur Folge haben.

Weiterhin sind heute schon viele Rentner in der Situation, durch Teilzeitjobs noch etwas zur mageren Rente hinzuverdienen zu müssen. Das wird in Zukunft zur Regel werden. Dann wird sich kaum noch jemand mit 65 oder 67 wirklich zur Ruhe setzen können.

Wenn man das ändern will, muß man die Rahmenbedingungen für die Masse der Bevölkerung in Deutschland deutlich verbessern. Das könnte dann auch den Effekt haben, die Geburtenzahlen zu erhöhen. Unter den derzeitigen Bedingungen ist eine Erhöhung der Geburtenzahlen jedoch absolut kontraproduktiv.

Freundliche Grüße
von Garfield

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

scipio africanus, Monday, 08.05.2006, 14:39 (vor 6774 Tagen) @ Garfield

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von Garfield am 08. Mai 2006 10:56:09:

Hallo Scipio!
"Die Problematik ist die Überalterung der Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten, und damit die Altersversorgung durch wenige Erwerbstätige."
Wie du schon richtig schreibst, sichern nur Erwerbstätige das deutsche Rentensystem. Man könnte es noch exakter definieren, indem man "legale Erwerbstätige" schreibt, denn auch bei Schwarzarbeit beträgt der Beitrag zur Rentensicherung 0 Euro.

Da hast du natürlich Recht. Ich würde es so sagen : Eine etwas höhere Geburtenrate ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Vorraussetzung, um die Renten auch in Zukunft zu sichern.

Hunderttausende Jugendliche haben aber heute keine Chance, zu legalen Erwerbstätigen zu werden. Und diejenigen, die gute Chancen haben, zieht es häufig ins Ausland.
Da wird schon mal ganz klar, daß wir mit Erhöhung der Geburtenrate bestenfalls die bestehenden Probleme auch nicht lösen und sie schlimmstenfalls sogar noch verschärfen können. Wenn nämlich in Zukunft die sinkende Zahl der Erwerbstätigen weiterhin nicht nur steigende Rentnerzahlen, sondern auch noch steigende Erwerbslosenzahlen finanzieren muß. Das kann so nicht funktionieren.

Dieses Szenario ist ziemlich pessimistisch. Ich denke, dass die Arbeitslosigkeit tendenziell abnehmen wird, wenn immer mehr geburtenstarke Jahrgänge ins Pensionsalter kommen. So hoffe ich doch, denn sonst siehts wirklich zappenduster aus.

Beim Thema Demografie muß man dann noch etwas bedenken:
Wenn der jetzige Kurs so weiter gefahren wird, dann wird sich die gesundheitliche Versorgung für Pflichtversicherten verschlechtern. Das muß zwangsläufig ein Absinken des durchschnittlichen Sterbealters zur Folge haben.

Wenn die Lebenserwartung zu sinken beginnt, dann wäre das der Beweis, dass das gesamte Modell "Sozialstaat" aufgrund der Überalterung gescheitert wäre.
Also, wenn ich das notwendige Kapital hätte, dann würde ich Alterssiedlungen bauen, und zwar in Ländern, in denen die Lohnkosten massiv tiefer sind als hier.
Alterspflege und Betreuung ist arbeitsintensiv. Mit den Renten, mit denen sich hier Alte durchkämpfen müssen, liesse sich in anderen Ländern ein schöner Lebensabend an der Sonne leben.

Weiterhin sind heute schon viele Rentner in der Situation, durch Teilzeitjobs noch etwas zur mageren Rente hinzuverdienen zu müssen. Das wird in Zukunft zur Regel werden. Dann wird sich kaum noch jemand mit 65 oder 67 wirklich zur Ruhe setzen können.

In meinem Modell eben nicht.

Wenn man das ändern will, muß man die Rahmenbedingungen für die Masse der Bevölkerung in Deutschland deutlich verbessern. Das könnte dann auch den Effekt haben, die Geburtenzahlen zu erhöhen. Unter den derzeitigen Bedingungen ist eine Erhöhung der Geburtenzahlen jedoch absolut kontraproduktiv.

So langsam muss schon was passieren, das ist richtig. Ob wir noch die Kurve kriegen ?

Gruss Scipio

Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz

Garfield, Monday, 08.05.2006, 19:16 (vor 6774 Tagen) @ scipio africanus

Als Antwort auf: Re: Schirrmachers - und nicht nur seine - Inkonsistenz von scipio africanus am 08. Mai 2006 11:39:

Hallo Scipio!

"Dieses Szenario ist ziemlich pessimistisch. Ich denke, dass die Arbeitslosigkeit tendenziell abnehmen wird, wenn immer mehr geburtenstarke Jahrgänge ins Pensionsalter kommen. So hoffe ich doch, denn sonst siehts wirklich zappenduster aus."

Na ja, aber wie schon geschrieben, werden diese Rentner-Generationen ja bei weitem nicht mehr die Renten bekommen, die viele heutige Rentner noch kriegen. Deshalb werden Rentner zunehmend weiter arbeiten müssen, zumindest auf Teilzeit und notfalls auch schwarz. Die werden Jobs besetzen, die dann für Jüngere nicht mehr zur Verfügung stehen. Ob das durch die Abnahme der Zahl der Jüngeren ausgeglichen werden wird, ist schwer abschätzbar.

Auch zusätzliche private Rentenversicherung löst dieses Problem nicht. Erstens wird vielen Menschen ja gar nicht genügend Geld gelassen, um noch größere Summen für eine Privatrente aufzubringen, zweitens werden heute vielen Menschen Privatrenten oder ähnliche Vorsorge-Formen über Hartz IV weggenommen und drittens wird in 30 Jahren private Rentenversicherung kein Bomben-Geschäft mehr sein. Heute haben wir die Situation, daß es relativ wenige Privatrenten-Empfänger, aber durch die zunehmende Rentenlücke relativ viele Einzahler gibt. So verdienen die Versicherungen daran prima und können den heutigen Privatrentnern hohe Renten auszahlen, deren Höhe dann wiederum für Werbezwecke verwendet wird. Es heißt dann üblicherweise, daß man vertraglich zwar nur 100 Euro Rente im Monat zugesichert hat, aber man würde tatsächlich mehr ausgezahlt bekommen, z.B. wie die aktuellen Renter 135,67 Euro... Also glauben viele Menschen, daß sie dann 135,67 Euro oder gar noch mehr kriegen. In 30 Jahren wird die Situation aber komplett umgedreht sein. Dann wird es viele Empfänger von Privatrenten geben und auf jeden Fall weniger Einzahler als heute. Womöglich sind wir dann soweit, daß sich kaum noch jemand eine Privatrente leisten kann, weil kaum noch jemand erwerbstätig ist... Dann werden die Versicherungen eben auch nur noch das auszahlen, was sie unbedingt müssen, zumal sie auch kein Interesse mehr daran haben werden, zwecks Werbung für neue Renteneinzahler den jetzigen Rentnern mehr auszuzahlen. Und sie werden natürlich auch mit allen Tricks arbeiten, um aus möglichst vielen dieser für sie dann unlukrativen Rentenversicherungs-Verträgen heraus zu kommen.

So wird vielen Rentnern dann nur noch ihre Arbeitskraft bleiben, um finanziell über die Runden zu kommen.

Dann muß man auch noch einbeziehen, daß die technologische Entwicklung ja weitergeht. Schon heute haben wir die Situation, daß gerade große Unternehmen auch bei guter Gewinnlage (teilweise sogar bei Rekordgewinnen) Personal abbauen - weil einfach immer weniger Personal benötigt wird. Wo früher viele Bankangestellte standen, stehen heute beispielsweise Automaten und nur noch wenige Angestellte. In Zukunft werden in Supermärkten auch zunehmend Automaten die Waren scannen und per Karte oder bar das Geld kassieren. Allein das wird wieder eine hohe Zahl von Erwerbslosen produzieren.

Viele Menschen glauben, die Erwerbslosigkeit wäre das Produkt einer Wirtschaftskrise. Die haben wir aber gar nicht! Die Exporte laufen gut wie nie, und mittlerweile laufen auch auf dem Binnenmarkt (vermutlich durch die für 2007 geplante Mehrwertsteuer-Erhöhung) die Geschäfte wieder besser. Trotzdem sinken die Erwerbslosenzahlen nicht wesentlich. Wenn jetzt noch eine wirkliche Wirtschaftskrise kommt (und die kommt früher oder später), dann wird es ganz übel...

Angesichts dessen sehe ich keinen Grund zum Optimismus.

"Wenn die Lebenserwartung zu sinken beginnt, dann wäre das der Beweis, dass das gesamte Modell "Sozialstaat" aufgrund der Überalterung gescheitert wäre."

Nicht durch die Überalterung, sondern durch die Abnahme der Erwerbsmöglichkeiten. Denn auch das Gesundheitswesen für die Pflichtversicherten wird effektiv nur durch legal arbeitende Erwerbstätige finanziert.

"Also, wenn ich das notwendige Kapital hätte, dann würde ich Alterssiedlungen bauen, und zwar in Ländern, in denen die Lohnkosten massiv tiefer sind als hier."

Dann solltest du aber Länder auswählen, bei denen du sicher sein kannst, daß die Lohn- und Lebenshaltungskosten in den nächsten Jahrzehnten nicht deutlich ansteigen! Oder vielleicht solltest du sogar solche Siedlungen hier in Deutschland in Erwägung ziehen, denn hier sinken zumindest die Einkommen... Dummerweise aber auch die der Rentner und ihrer nahen Verwandten...

"So langsam muss schon was passieren, das ist richtig. Ob wir noch die Kurve kriegen?"

Das Problem besteht darin, daß es offenbar noch vielen Deutschen zu gut geht. Wenn das mal nicht mehr so ist und sich endlich eine ausreichende Zahl zum Handeln aufrafft und vor allem auch die richtige Richtung erkennt, dann könnte es zu spät sein.

Freundliche Grüße
von Garfield

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