Wohl eher 7 Irrtümer und 2 bittere Wahrheiten
Als Antwort auf: Neun Tabus, über die sich keiner zu reden traut von Jörg am 06. März 2002 17:31:25:
Hallo Jörg!
Deine Begeisterung kann ich leider nicht teilen.
Ich hab selten einen so grottenschlechten Artikel gelesen, der
bestimmt nicht nur meinen Adrenalinspiegel in die Höhe schnellen läßt.
Ich hab mich richtig geärgert.
Im Detail:
Tabu 1: die Gleichverteilung
51 Prozent Frauen und 49 Prozent Männer leben in Deutschland. Ist es also
ein Naturgesetz, dass dieses Verhältnis in allen Lebensbereichen
erreicht sein muss?
Natürlich nicht in allen Lebensbereichen!
Welch ein Schwachsinn!
Wenn eine Firma 78% männliche Beschäftigte hat, dann sollten auch
annnähernd so viele Männern im Betriebsrat und in der Führungsetage
sitzen. Hat ein Betrieb aber eine weibliche Mehrheit, sollte sich diese
Zahl auch in der Führungszusammensetzung widerspiegeln.
Der einzige Bereich, wo Geschlechterparität Sinn macht, ist in der Politik.
Dann da geht es um Grundsätzliches. Da werden alle Lebensbereiche der
Menschen von Gesetzesänderungen betroffen. Also sollte auch alle Menschen
bei der Gestaltung mitreden.
2. Die Netzwerk-Theorie
Wenn Männer sich wirklich so verhielten, wären sie - was allerdings
nicht ausgeschlossen ist - ziemlich bescheuert.
Eben. Es ist nicht ausgeschlossen! Wie reizend, daß diese Möglichkeit
vom Autor sicherheitshalber mal mit eingeräumt wird. Daß dem tatsächlich
oft so ist, wird von Frauen immer wieder resigniert berichtet.
Die kommen nämlich oft über eine gewisse Karrierestufe nicht hinaus.
Viele wichtige Entscheidungen werden nämlich keineswegs in den offiziellen
Konferenzen, sondern ganz woanders getroffen....
3. Frauen werden auf zahm vorgeprägt
Abgesehen davon, dass heute kein Mensch mehr der Tochter
das Spielzeugauto vorenthält und dem Sohn die Puller-Puppe, - dieser
Ansatz stellt Frauen auch als völlig fremdbestimmte Wesen dar.
Genauso fremdbestimmt wie die männlichen Kinder auch.
Hier wird der negativ prägende Einfluß der Spielzeugindustrie völlig verkannt.
Man braucht nur mal ein wenig in den Spielzeugkatalogen blättern oder einen
entsprechenden Fachladen durchstöbern, dann wird ganz deutlich, welche Spielsachen für Jungen gedacht sind und welche für Mädchen.
Guckt sie Euch mal an, die Barbiewelt. Rosarot, mit Rüschen und Sternchen,
kämmbaren Haaren und Schminkutensilien.
In der Jungenabteilung dagegen strotzt es vor furchterregenden Monstern,
gefährlichen Kriegern und Ballerspielen.
Die Abteilung für wirklich geschlechtsneutrales, pädagogisch wertvolles Spielzeug ist vergleichsweise klein.
4. Frauen verdienen weniger als Männer
Tatsache hingegen ist, dass Männer im Vergleich zu Frauen häufiger die besser bezahlten Jobs besetzen
Und Tatsache ist, daß daran weitgehend die alten Rollenbilder schuld sind.
Männer denken: Ich muß möglichst viel Geld verdienen, weil ich dann bessere
Chancen bei den Frauen habe. Und falls ich mal eine Familie gründe, muß ich
in der Lage sein, zumindest vorübergehend uns alle 3 oder 4 zu ernähren.
Denn mit dem Erziehungsgeld kommen wir nicht weit und wer weiß, ob meine
Zukünftige bereit ist, weiterzuarbeiten.
Frauen denken: Wahrscheinlich lohnt es nicht, sich auf die gut bezahlte Stelle zu bewerben. Denn da wird 150%iger Einsatz gefordert. Aber wenn ich erst mal Kinder habe, muß ich sowieso die Prioritäten anders setzen. Wer soll sich sosnt um die Kinder kümmern? Daß sich mein Zukünftiger diese Aufgabe mit mir teilt, ist fraglich.
Wahrscheinlich bleibt die Verantwortung für die Kinder und vielleicht auch für den Haushalt sowieso an mir hängen. Also suche ich mir besser von Anfang an einen Job, bei dem ich die Stundenzahl leichter reduzieren kann.
5. Frauen und Haushalt
"Ihr wisst ja gar nicht, was wir leisten", heißt es stereotyp.
Wissen auch nur die Männer, die wirklich mal Hausmann mit Kindern waren.
Außerdem haben Männer einfach andere Standards. Da wird lieber jeder Handgriff durchrationalisiert, da wird der Haushalt lieber wie ein BWL-Beruf angegangen.
Da spür ich wenig von der Liebe zum Detail, bei der Inneneinrichtung,
der Dekoration, beim Kochen, da spür ich wenig Atmosphäre, aber viel
mehr Nüchternheit.
6. Der neue Mann
Geschlechterforscher haben längst nachgewiesen, dass es diesen soften Typen
bis heute nicht gibt.
Vollkommen falsch! Gott sei Dank!
Nicht nur die Studie von Zurlehner/Volz von 1999 (2000?) spricht von einem
Fünftel Männern, die bereit sind, sich auf neue Rollenmodelle einzulassen.
Man kann es auch überall selber beobachten. Man braucht nur mal auf einen
Spielplatz zu gehen oder in eine Fußgängerzone und beobachten, wie dort
die Männer mit ihren Kindern umgehen, wie sie den Einkauf erledigen etc.
Oder lest mal die Angebote im Bereich Freizeit- und Erlebnispädagogik.
Väter-Kinder-Seminare sind derzeit hoch im Kurs. Väterfrühstücke sind auch
seit Jahren fester Bestandteil in Kindergärten und immer mehr Väter holen
auch die Kids schon täglich vom KiGa ab.
Schaut mal ins Telefonbuch, bei wieviel Paaren inzwischen beide Vornamen
und nicht nur der des Mannes steht. Partnerschaft ist angesagt! Das haben
die meisten Männer, zumindest die jüngeren, längst begriffen.
Die Zahl der allein erziehenden Väter ist auch stetig gestiegen.
7. Einklang von Familie und Beruf
Familie und Beruf sind Gegensätze, die nicht in Einklang zu bringen sind.
Auch nicht durch Ganztagsschulen.
Familie bedeutet Zeit haben, Beruf heißt, keine Zeit haben. Und das gilt
für Frauen und Männer gleichermaßen.
Ausnahmsweise mal ein Punkt, den ich leider, leider für zutreffend halte.
Das ist eine bitter Wahrheit.
Nachdem wir jahrelang wegen der unmenschlichen Bedingungen des Arbeitsmarktes die Familien zerstört haben, müßte inzwischen dem Dümmmsten klar sein, daß wir damit die Situation nur verschlimmert haben. Denn wir haben unsere eigenen Wurzeln gekappt und uns ins Leere katapultiert. Wenn wir uns wieder erden wollen, müssen wir den Stellenwert der Familie wieder radikal verändern.
Und wer familienfreundlich sein will, "muß in der Arbeitswelt ansetzen" .
(um mal Min. Bergmann in ihrer gestrigen Erklärung zu zitieren.)
Von daher würde ich den obigen Satz leicht modifizieren:
Familie und Beruf sind Gegensätze, die NOCH nicht in Einklang zu bringen sind. Jedenfalls nicht gut und nur unter großen Mühen.
8. 100000 Jahre Männerherrschaft
Die Natur hat in den Jahrhunderten bisher gnadenlos jenen Lebensformen den
Vorrang einräumt, die durch bestmögliche Anpassung an die Umwelt, etwa durch Arbeitsteilung, ihre Leistungskraft bewiesen haben.
Das ist Darwinismus pur! Und ist in dieser Form nicht mehr zu halten.
Außerdem ist Anpassung hier mit Dominanz verwechselt worden.
Das Lebewesen, das mittlerweile am schlechtesten an die Natur angepaßt ist, und das seinen Bezug zur übrigen Natur immer mehr verliert, das ist leider der Mensch.
Wir passen uns nicht mehr an, wir machen lieber kaputt.
Aber unserem anthropozentrischen Weltbild droht der Zusammenbruch. Und gerade diejenigen (männertypischen) Eigenschaften, die uns diese Misere eingebrockt haben,
Dominanz, Aggression, Skrupellosigkeit, Konkurrenzverhalten,
sollten wir als erstes über Bord werfen, wenn wir nicht alle sinken
und elendiglich ersaufen wollen.
9. Feministische Linguistik
Zwar denkt kein Mensch bei "Deutschlands Lehrern" nur an Männer, aber sei's drum.
Bei solchen frauenverachtenden, absolut unsensiblen Sätzen packt mich echt die Wut!
gggrrrrr!
Ich bin also "kein Mensch"? Na besten Dank! (
Wie, bitte, will denn ein Mann beurteilen, was ein Frau bei bestimmten Wörtern hört und was sie nicht hört, was sich eine Frau vorstellt und was nicht?
Was die Frauen selber zu dem Thema verbale Diskriminierung sagen, das wird ja geflissentlich überhört, das wird ja lieber lächerlich gemacht!
Wenn ich lese oder höre "die Bürger Dänemarks" oder die "Arbeiter in der XY-Industrie" oder "die Lehrer an unseren Schulen", dann komm ich nur durch einen zusätzlichen gedanklichen Kraftakt darauf, mir darunter AUCH Frauen vorzustellen. Meine erste Vorstellung bei solchen Wörtern ist immer erst die von Männern. Daß Frauen hierbei mitgemeint sind, daran muß ich mich erst mal erinnern. Ich sehe sie nämlich NICHT automatisch
vor mir, wenn ich diese Wörter auf -er lese.
Und so geht es täglich, bei ganz, ganz vielen Bereichen.
Frauen kommen eben nicht vor.
Wir sollen uns ganz einfach mitangesprochen fühlen.
Aber so einfach ist das nicht.
Arne Hoffmann hat seinen Newsletter "invisible men" genannt.
Schade, daß ich so wenig Zeit habe und keine Autorin bin.
Ich könnte sonst mit einem Newsletter über "invisible women" täglich viele
DIN A4-Seiten füllen!.-((
Es ist so herabsetzend, so demütigend, dauernd ignoriert zu werden. Davon kann sich ein Mann wohl keine Vorstellung machen. Und sowas kratzt am Selbstwertgefühl. Und wie!
Fazit: Wenn das im Artikel Gesagte je zur allgemeinen Lehrmeinung deutscher Männer wird,
bleiben wir von einer konstruktiven Geschlechterdebatte meilenweit entfernt. (((
ciao
Beatrix
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- Neun Tabus, über die sich keiner zu reden traut -
Jörg,
06.03.2002, 19:31
- Wohl eher 7 Irrtümer und 2 bittere Wahrheiten -
Beatrix,
07.03.2002, 03:14
- Re: Wohl eher 7 Irrtümer und 2 bittere Wahrheiten -
elwu,
07.03.2002, 15:40
- Re: Wohl eher 7 Irrtümer und 2 bittere Wahrheiten - zahlvater, 09.03.2002, 22:50
- Re: eher bittere Wahrheiten -
Norbert,
07.03.2002, 18:38
- Re: Ist der Ruf.. - XRay, 08.03.2002, 01:42
- Re: Wohl eher 7 Irrtümer und 2 bittere Wahrheiten -
elwu,
07.03.2002, 15:40
- Wohl eher 7 Irrtümer und 2 bittere Wahrheiten -
Beatrix,
07.03.2002, 03:14