Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 1 - 20.06.2001 - 20.05.2006

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Hintergründe zum Töchtertag (lang!)

Jörg, Sunday, 24.06.2001, 13:44 (vor 8334 Tagen)

Hallo,

der untenstehende Beitrag entstammt dem inzwischen geschlossenen Parsimony-Forum "Ist Gleichberechtigung auch Gleichbepflichtigung?" und wurde dort am 21. April 2001 von Arne Hoffmann veröffentlicht. Ich halte ihn für recht aufschlußreich und habe Arne daher um Erlaubnis gebeten, ihn an dieser Stelle noch einmal veröffentlichen zu dürfen.

Gruß, Jörg

<hr>

Die folgende Absätzen stammen aus meinem kommenden Buch über "populäre feministische Irrtümer". Ich habe diese Passage inzwischen gestrichen, weil sie erstens nicht sehr spannend zu lesen ist (sorry!) und ich mir zweitens dachte: Sowas Verrücktes, wie einen "Töchtertag", an dem die Mädels schulfrei haben und die Jungs solange feministisch indoktriniert werden, wird es in Deutschland doch eh nie geben ...

Der Sinn dieses Töchtertages liegt darin, das angebliche "Selbstvertrauensdefizit" zu bekämpfen, welches Mädchen feministischen Gruppierungen zufolge davon abhält, Berufe mit Zukunft zu ergreifen und sich in der Arbeitswelt durchzusetzen.

Dieses angebliche "Selbstvertrauensdefizit" bei Mädchen ist das Ergebnis einer Studie der Amerikanischen Vereinigung von Frauen an der Universität (AAUW), die völlig unkritisch in feministische Werke (etwa von Gloria Steinem oder Carol Gilligan) sowie in generelle Bücher zum Thema Frauen aufgenommen wurde und so auch nach Deutschland hinüberschwappte. Ihre Grundaussage war, dass das Selbstwertgefühl von Mädchen in Grundschule und Mittelstufe (also zwischen 11 und 17 Jahren) um 23 Prozent abnahm und nur 29 Prozent der High-School-Schülerinnen im Vergleich zu 46 Prozent der männlichen Schüler mit sich selbst zufrieden waren. Dies wiederum würde ihren Lernerfolg logischerweise drastisch beeinflussen. Die AAUW verteilte an Journalisten und Politiker Tausende von Broschüren mit dramatischen Slogans wie "Wenn sich das Heilmittel für Krebs im Kopf eines Mädchens befindet, besteht die Möglichkeit, daß wir es niemals finden werden."

Da wir in einem Patriarchat leben, das Frauen gerne unterdrückt, handelte der amerikanische Kongress sofort und machte augenblicklich 360 Millionen Dollar locker, um gegen das von der AAUW behauptete Übel vorzugehen. Es kam zu runden Tischen, Selbsthilfe-Ratgebern für traumatisierte Mädchen in Millionenauflage und sich überschlagenden Presseartikeln. Nicht ein einziger Reporter oder Politiker stellte die Untersuchung in Frage oder kam auf den Gedanken, sie könne parteiisch sein und so durchgeführt, dass sie genau die Ergebnisse hervorbrachte, die ihre Auftraggeber haben wollten – eine Überprüfung, die bei allen anderen Studien grundlegende journalistische Sorgfaltspflicht ist. Es fanden auch keine Interviews statt, in der andere Sozialwissenschaftler um eine Stellungnahme gebeten wurden. Damit nicht genug: Jemand, der sich die komplette Studie statt nur der reißerischsten Zahlen ansehen wollte, hatte extreme Schwierigkeiten damit, sie in die Finger zu bekommen. Dies war weder per Postbestellung noch über Büchereien möglich. Die amerikanische Feminismusforscherin Christina Hoff Sommers schaffte es erst nach mehreren Anläufen, der Zahlung von 85$ und der Rücksendung einer ausführlichen Rechtfertigung, wofür sie die Studie verwenden wolle, der AAUW ein Exemplar aus den Fingern zu winden.

Danach setzte sie sich eigenhändig mit einigen Sozialpsychologen zusammen und entdeckte, dass die Studie so wasserdicht war wie ein löchriges Sieb. Die frappierendsten Schwächen gebe ich im Folgenden stark gerafft und vereinfacht wieder:

- Bis jetzt hat es kein Forscher geschafft, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Selbstbewusstsein und Lernerfolg herzustellen. Die Kausalität die die AAUW als völlig selbstverständlich voraussetzt, macht wenig Sinn, vor allem, wenn man bedenkt, dass Gruppen, die über sehr viel Selbstbewußtsein berichten, im Schulsystem eher wenig Erfolg haben und umgekehrt. So geben Schwarze ein wesentlich höheres Selbstwertgefühl an als Weiße – vielleicht gerade als eine Form von Selbstbehauptung gegenüber ungünstigen Lebensumständen. Asiaten, die gegenüber Amerikanern außerordentlich gut in Naturwissenschaften abschneiden, haben ein wesentlich geringeres Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Weiße Mädchen bekommen bessere Noten und gehen in größerer Zahl auf weiterführende Schulen als jede andere soziale Gruppe. Insgesamt beweist die AAUW-Studie genau das Gegenteil von dem, was sie zu beweisen behauptet, nämlich dass Selbstwertgefühl und schulischer Erfolg in einem eher umgekehrten Verhältnis zueinander stehen. Vermutlich arbeiten die Schüler, die von sich selbst am wenigsten überzeugt sind, am härtesten und erlangen so die besten Noten.

- Die Behauptung, Mädchen hätten besondere Probleme mit ihrem Selbstbewusstsein widerspricht völlig den Erkenntnissen, die von den meisten Experten über die Psychologie von Heranwachsenden aufgestellt wurden. Dementsprechend wurde sie auch nur von den Medien ernstgenommen, nicht von den Fachleuten. Ein Psychologe: "Als ich den Bericht sah, dachte ich: Das ist miserable Arbeit. Ich könnte beweisen, wie miserabel das ist, aber das ist mir die Zeit nicht wert." Wäre die AAUW nicht so versessen darauf gewesen, die Benachteiligung von Mädchen "nachzuweisen", hätte sie sich von sich aus mit solchen Fachleuten auseinandergesetzt. Objektiv gesehen lassen sich keine dauerhaften Unterschiede im Selbstwertgefühl von Jungen und Mädchen nachweisen. Auffallend ist allerdings, daß sich Jungen in diesem Alter fünfmal so oft das Leben nehmen wie Mädchen.

- Ein statistischer Vergleich von 93 anderen Studien, die nicht von einer politischen Gruppe in Auftrag gegeben worden waren, zeigte, dass Frauen sowohl über größere Zufriedenheit als auch über größere Depressionen berichten. Sie haben einfach die Möglichkeit, sich generell offener über ihre Gefühle zu äußern als Männer. Es gibt allerdings keinen Hinweis darauf, daß dies auf einen Mangel an Selbstwertgefühl bei Frauen schließen lässt.

- Die Studie entpuppte sich in einer Analyse als schlampig entworfen und durchgeführt. Schüler, die ihre Ausbildung abbrachen – überwiegend Jungen – wurden erst überhaupt nicht befragt. Auch die Additionen der Zahlen stimmten nicht: 88 Prozent der Mädchen und 92 Prozent der Jungen behaupteten von sich, immer oder manchmal glücklich damit zu sein, wie sie waren – eine Differenz von vier Prozent. Die AAUW rechnete den Unterschied auf siebzehn Prozent hoch.

- Selbst in der AAUW-Studie finden sich Statistiken, die für eine Zurücksetzung von Jungen sprechen können – etwa dass sowohl 80 Prozent der Mädchen als auch 71 Prozent der Jungen angeben, dass die Lehrer Mädchen für klüger halten. Die Mehrheit der befragten Schülerinnen und Schüler behauptete auch, Mädchen erhielten mehr Zuwendung. Solche Erkenntnisse wurden von der AAUW allerdings nicht mit bunten Textunterlegungen herausgestellt.

Wie schon gesagt: Die Öffentlichkeit nahm die Ergebnisse dieser Studie, wie so viele vergleichbare Legenden über vermeintlichen Sexismus, für bare Münze. Es kam zu einem nationalen "Nehmt-unsere-Töchter-mit-zur-Arbeit"-Tag, begleitet von entsprechenden Leitfäden für Lehrer, Flugblättern, Broschüren, einem Mini-Magazin und T-Shirts. Das Komitee, das mithalf, diesen Tag zu organisieren, bestand aus den führenden Köpfen des Feminismus, darunter Gloria Steinem, Naomi Wolf, Carol Gilligan und Callie Khouri (Drehbuchautorin von "Thelma und Louise"). Was war mit den Jungen? Die blieben in der Schule, wo sie sich mit Übungen zu beschäftigen hatten, die ihnen helfen sollten zu verstehen, wie unsere Gesellschaft Frauen benachteiligt. Im Augenblick werden große Anstrengungen unternommen, um aus diesem Tag einen nationalen Feiertag in den USA zu machen.

Die AAUW-Studie war nicht die einzige erfolgreiche Propagandaaktion, die so funktionierte. Als ein Jahr später der sogenannte "Wellesley-Report" veröffentlicht wurde, der noch dramatischere Zahlen zum selben Thema vorlegte, überschlugen sich erneut die Zeitungen vom San Francisco Chronicle bis zur New York Times mit Schreckensmeldungen über die Benachteiligung von Mädchen von der Einschulung bis zu ihrem Abschluß. Es war ganz offensichtlich, dass die Medien auch hier nichts anderes im Kopf hatten, als die Aussage dieses Reports nicht kritisch zu erörtern, sondern sie mit den entsprechenden Bildern zu "beweisen".

Kamerateams nahmen mehrere Unterrichtsstunden auf und wählten für die fertige Sendung die wenigen Minuten aus, in denen von den Lehrerinnen tatsächlich überwiegend Jungen an die Reihe genommen wurden. Bessere Noten, weniger Schulabbrüche, ein höherer Grad an Zufriedenheit mit dem Unterricht und höhere Abschlüsse von Mädchen wurden ignoriert. Bezeichnend war ein Interview der NBC-Nachrichtensendung "Dateline", in der eine Expertin so lange darüber berichtete, dass in Wahrheit die Jungen und nicht die Mädchen Probleme hatten, bis der Moderator schließlich entnervt fragte: "Was ist, wenn die Leute glauben, daß Mädchen benachteiligt werden?" – "Wenn die Leute glauben, dass da ein ernstzunehmendes Problem besteht, dann sollen sie ihre Töchter eben auf reine Mädchenschulen schicken", war die Erwiderung der Expertin. Dies war der einzige Teil des Interviews, der gesendet wurde.

Es kam zu politischem Druck von seiten des Kongresses gegen Fachleute, die die Benachteiligung von Mädchen bestritten. Die Verfasser des Wellesley-Reports hingegen setzten problemlos durch, dass man sie in Talk-Shows, in denen sie erschienen, mit keinen ernsthaften Kritikern ihrer Behauptungen konfrontierte.

Diese beiden Untersuchungen sind exemplarisch dafür, wie heutzutage der Mythos von der Benachteiligung der Frau medial konstruiert wird. Hätten Journalisten, Politiker und andere Meinungsführer einfach ihren Job getan und Quellen überprüft, Daten gegengecheckt und sich mit abweichenden Meinungen ernsthaft auseinandergesetzt, statt auf dramatische Presseberichte und peppige Hochglanzbroschüren zu vertrauen, wäre es zu dieser und mancher anderen Massenpsychose nie gekommen. Christina Hoff Sommers berichtet von einer Studentin, die Schulklassen besuchte, um die Diskriminierung von Mädchen nachzuweisen. Als sie nichts dergleichen entdecken konnte, protestierte sie bei der Lehrerin: "Sie verpfuschen mir meine Daten! Sie sollen parteiisch sein, und das sind Sie nicht." Mit jedem zukünftigen Besuch dieser "Forscherin" zeigten ihre Daten aber eine immer größere Ungleichbehandlung zuungunsten der Mädchen, was nach der Einschätzung der Lehrerin nicht mehr das geringste damit zu tun hatte, wie der Unterricht tatsächlich verlief.

So schließt sich der Kreis: Ideologisch ausgerichtete Forschungen führt zu entsprechenden Medienberichten, die unser Bild von der Wirklichkeit prägen, was zu weiteren vorurteilsbehafteten Forschungen führt. Und dann schwappt der ganze Mist nach Deutschland und wird hier offenbar völlig unhinterfragt übernommen.


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