SpON schlägt zurück: Warum Käßmanns Rücktritt nichts mit Sexismus zu tun hat
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,680406,00.html
Geschlechterdebatte
Warum Käßmanns Rücktritt nichts mit Sexismus zu tun hat
Ein Kommentar von Markus Becker
Musste Margot Käßmann zurücktreten, weil sie eine Frau ist? Die Diskussion um die Ex-Bischöfin ist auch zu einer Geschlechterdebatte geworden, die teils absurde Züge trägt. Das führt nicht nur in die Irre, sondern nimmt Käßmann den Respekt, den sie für ihren Rücktritt verdient hat.
Fakt Nummer eins: Margot Käßmann hat sich hart am Rande der Volltrunkenheit hinter das Steuer eines Autos gesetzt und damit sich und andere in Gefahr gebracht. Deshalb ist sie in von ihren Ämtern als Bischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zurückgetreten. Fakt Nummer zwei: Deutschlands Kirchen haben ein Problem mit der Gleichberechtigung der Geschlechter.
Was Fakt eins und zwei miteinander zu tun haben? Überhaupt nichts, auch wenn einige Kommentare zuletzt diesen Eindruck erweckt haben. Als Käßmann über eine rote Ampel fuhr, hatte sie eine Alkoholkonzentration von 1,54 Promille im Blut. Wenn man nicht gerade ein Gewohnheitstrinker ist, ist man bei einem solchen Wert nicht mehr nur angeheitert. Man ist betrunken.
Ab einem Promille setzen gemeinhin erste Probleme mit der Kontrolle der Muskeln und des Gleichgewichts ein, die Worte kommen nicht mehr wie gewohnt über die Lippen. Werte ab 1,5 Promille gelten bereits als akute Vergiftung. Der TÜV Süd listet die Wirkung des Alkohols auf die Fahrtüchtigkeit minutiös auf: Ab 0,8 Promille sind Lenkbewegungen gestört, wichtige Verkehrsinformationen (wie etwa Ampeln) werden übersehen. Bei 1,5 Promille steige die Gefahr, einen Unfall zu verursachen, um das 20- bis 35fache, das Risiko, in einen Unfall verwickelt zu werden, sogar um den Faktor 115. Das Ergebnis waren in Deutschland allein 2009 mehr als 40.000 alkoholbedingte Verkehrsunfälle mit über 400 Toten.
Ein Flasche zu viel
Die Feministin Alice Schwarzer etwa schreibt, Margot Käßmann sei auch nur ein Mensch (als ob jemand etwas anderes behauptet hätte) und habe lediglich "ein Glas zu viel" getrunken. Bei 1,54 Promille war es aber wohl eher eine Flasche zu viel.
Käßmann hat das erkannt - und sich mit einer Geradlinigkeit zum Rücktritt entschieden, die Respekt verdient und durchaus Vorbildcharakter hat. Nicht erkannt haben es diejenigen, die den Rücktritt nun als Folge von Sexismus deuten.
Bisher weitgehend unwidersprochen steht die Behauptung im Raum, eine derartige Trunkenheitsfahrt wäre einem Mann nachgesehen worden. Woher diese Meinung kommt, bleibt rätselhaft. Stellen wir uns vor, ein erzkonservativer Kirchenmann wäre betrunken über eine rote Ampel gefahren. Sagen wir, ein Bischof Walter Mixa wäre den Polizeibeamten aus dem Auto entgegengetorkelt. Man darf mit einiger Sicherheit annehmen, dass er öffentlich in der Luft zerfetzt worden wäre - unbesehen seines Geschlechts.
Was sexueller Missbrauch mit Alkohol am Steuer zu tun hat
Denn die Zeiten, in denen Alkohol am Steuer als Kavaliersdelikt galt, sind zum Glück lange vorbei. Es ist ein Rückfall in jene Zeiten, wenn nun versucht wird, Käßmanns Trunkenheitsfahrt als Bagatelle abzutun - nach dem Motto: Sie sei gar nicht der eigentliche Grund der Demission der Bischöfin, sondern nur das letzte Glied in einer Kette größerer Probleme. Nämlich dass Käßmann erstens eine Frau und zweitens geschieden sei, was ihr den Argwohn der Kirchenpatriarchen eingebracht habe.
Männlichen Geistlichen wird gar unterstellt, sie hätten eine solche Trunkenheitsfahrt womöglich ebenso routiniert zu vertuschen versucht wie Fälle sexuellen Missbrauchs. Die von Geistlichen missbrauchten Jungen bleiben bei dieser Art der Argumentation nicht die einzigen Opfer, die missachtet werden. Die anderen sind die vielen tausend Menschen, die in den vergangenen Jahren bei alkoholbedingten Unfällen auf deutschen Straßen verletzt, verkrüppelt oder getötet worden sind. Sie selbst und ihre Angehörigen werden verhöhnt, wenn statt Trunkenheit am Steuer nun Sexismus für Käßmanns Rücktritt verantwortlich gemacht wird.
Auf diese Weise wird auch deutlich, wie wenig es den angeblichen Verteidigerinnen Käßmanns tatsächlich um sie als Person geht. Indem sie die Kirchenfrau zum Opfer einer Männer-Verschwörung stilisieren, verweigern sie ihr jenen Respekt, den sie für ihren schnellen, konsequenten und richtigen Rücktritt in höchstem Maße verdient hat.
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Es ist zwar bezeichnend, dass man überhaupt über solche Selbstverständlichkeiten noch debattieren muss (aber Alice und Co. zwingen einen halt dazu), doch die Vernunft ist noch nicht ganz aus dem Blätterwald verschwunden.
Wenn man von diesem einen politisch-korrekten Satz - ihr wißt, welcher gemeint ist - mal absieht.
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...und erlöse uns von dem Bösen.