Der scheinbare Erfolg beruht auf gigantischer Lügen-Propaganda
Wer geht da ins Stadion?
Rentnerinnen, Frauenpärchen, Schulklassen mit Freitickets – in den WM-Stadien trifft man fußballuntypisches Volk, das fußballuntypisch reagiert.
Zwanzig Minuten vor Anpfiff verliert der Mann am Mikro langsam die Geduld. Vergeblich versucht er, vor dem Bochumer Stadion stehend, einen Stapel Freitickets für das Match Australien gegen Äquatorialguinea loszuwerden. Es ist eine Werbeveranstaltung des DFB-Sponsors Allianz. Ursprünglich sollten die Karten per Gewinnspiel verlost werden, doch es gibt mehr Preise als Teilnehmer.
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Die Verantwortlichen des Organisationskomitees (OK) haben schon lange vor Turnierbeginn gemerkt, dass sie hier und da nachhelfen müssen, um das Event WM aufzuwerten. Erstaunlich offen hat nun OK-Chef Jens Grittner im Interview mit dem Deutschlandradio eingeräumt: "Wir haben versucht, um im Marketingdeutsch zu sprechen, die Weltmeisterschaft so zu positionieren, dass es ein begehrliches Produkt ist." Das OK hat, um im Zeitungsdeutsch zu sprechen, geflunkert.
Weil der DFB als Veranstalter um alles in der Welt verhindern wollte, dass leere Zuschauerblöcke im Fernsehen zu sehen sind, hat er sich für die wenig attraktiven Spiele eine Strategie einfallen lassen, die man aus Nischensportarten wie dem Rollstuhlbasketball kennt: Frei- und Rabatttickets.
Für Jugendfußballmannschaften gab es großzügige Gruppenermäßigungen. Insgesamt mindestens 20.000 Schüler wurden gratis nach Bochum und Leverkusen transportiert. Sponsoren haben die Rechnung übernommen und ein Mittagessen spendiert, ein DFB-Landesverband hat die Busse gezahlt.
Egal, wie teuer die Karten oder wie voll die Ränge waren – dem regelmäßigen Stadionbesucher fällt etwas auf: Es herrscht eine ungewohnte Fußballstimmung bei der WM, denn es ist ein ungewöhnliches Publikum anwesend. Partyvolk, das dabei sein will. Darunter augenscheinlich viele, die noch nie beim Fußball waren, aber neugierig geworden sind: Rentnerinnen, Frauenpärchen, Töchter an der Hand ihrer Väter, Mädchenmannschaften aus den umliegenden Orten.
Nur ein Beispiel: Leverkusen, 1. Juli. Die Japanerinnen schlagen Mexiko 4:0 durch wunderbare Tore. Auf den Rängen hinter dem Tor haben zig Schulklassen Stellung bezogen, angeleitet von Grundschullehrerinnen, die mit Sitzplatznummerierungen und ihren Nerven kämpfen. La Olas drehen schon vor Anpfiff die Runde. Während des Spiels toben und brüllen und kreischen die Schüler. Nach dem Spiel fragt ein Junge seine Lehrerin: "Frau Kreiling, hat Deutschland gewonnen?"
Vielleicht ist es gut, dass der Frauenfußball ein neues Klientel anzieht. Was dem Turnier aber fehlt, sind nicht-deutsche Fans. Kaum eine Mannschaft außer den USA hat viele Anhänger mitgebracht, so fehlt es auf den Rängen an Spannung und Rivalität. Selbst die Mexikaner in Reihe zwei im Leverkusener Stadion entpuppen sich als verkleidete Sauerländer.