Jörg Kachelmann: Recht und Gerechtigkeit (Gleichschaltung)
Jörg Kachelmann: Recht und Gerechtigkeit
"Es ist relativ sinnlos, mit einer halben bis maximal einer Stunde pro Monat als möglicherweise unschuldiger Untersuchungshäftling Kontakt mit seiner Familie halten zu wollen. Das Briefeschreiben ist ebenso sinnlos, weil sich die Zensurbeamten der Justiz Zeit lassen. Ein Brief eines Untersuchungshäftlings der JVA Mannheim wird üblicherweise nach zwei bis drei Wochen zugestellt und braucht ebenso lange vom Absender in den Knast. Ein fröhlicher Vater-Kind-Dialog ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil jedes zu besprechende Ereignis schon lange vorbei ist. Vom Brief seines Kindes bis zur Antwort des Vaters darauf dauert es einen bis anderthalb Monate, und das nur, wenn der Vater nichts geschrieben hat, was der Staatsanwaltschaft verdächtig oder unangenehm ist." (44)
"Unter dem Druck einer halben Stunde pro Monat passiert nichts von alledem. Kind und Vater sitzen einander steif und unsicher gegenüber (ein Justizbeamter hockt unmittelbar daneben und überwacht den Besuch optisch und akustisch), Mutter und Vater können wegen des Kindes nicht miteinander reden, und nach Ablauf der halben Stunde sind sich alle einig, dass es furchtbar war und dass es vielleicht besser ist, diese Besuche dem Kind in Zukunft nicht mehr anzutun. So verschwinden die Kinder häufig schon in den ersten Wochen der U-Haft aus dem Leben der Väter, und es wird unmittelbar zur Legende, dass es ja doch auch darum gehe, die Gefangenen zu resozialisieren und auf eine Rückkehr in ein geordnetes Leben vorzubereiten. Bullshit. Das normale Leben der Gefangenen wird schon in der U-Haft systematisch zerstört; vom Begriff Unschuldsvermutung ganz zu schweigen. Es gibt nach kurzer Zeit kein normales Leben mehr. Noch nicht einmal Pakete von wem auch immer sind erlaubt. Schon nach kurzer Zeit gibt es nichts mehr zu resozialisieren, geschweige denn nach Jahren der Haft." (45)
"Knast ist nicht das Drinsein, sondern, wie man es hier nannte, das 'Kopfgeficke': das Nachdenken darüber, was draußen ist und was man verpasst. Es gab in Mannheim Leute, die saßen schon fünfundzwanzig Jahre - mit einer fernen Ahnung, was ein Computer ist; Internet und Handy kannten die Jungs nur aus der Glotze. In ihrem Verhalten erinnerten sie kaum noch an Menschen, denn die Haftschäden fangen schon nach wenigen Jahren an, und wer nach dieser Zeit rauskommt, ist nicht mehr in der Lage, draußen ein normales Leben zu führen - es wartet ja eh niemand mehr." (83)
"Ich lernte von den Mitgefangenen, dass es ihnen genauso ging: Kaum war man im Knast, meldeten sich Leute, mit denen man schon viele Jahren zu tun hatte, und erzählten irgendeinen Scheiß, um sich zu rächen. Nicht für etwas, was real passiert war, sondern einfach, um als Trittbrettfahrer die Situation auszunutzen, dass ein Knastinsasse niemals recht hat. Wie gesagt: Es gibt keine Unschuldsvermutung, das ist nur eine lächerliche Behauptung." (83)
--
Mach mit! http://wikimannia.org
Im Aufbau: http://en.wikimannia.org
gesamter Thread: