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Die Abschaffung der Vaterrolle

Odin, Friday, 16.06.2006, 01:34 (vor 6679 Tagen)

Aus meiner Schriftensammlung - heute mal wieder ein bischen gestöbert:

BOPP, Jörg (1986): Die Abschaffung der Vaterrolle, S. 49-59, In: DUNDE, Siegfried R. (Hg.), Neue Väterlichkeit - von Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Mannes, Gütersloh: Mohn


Die Abschaffung der Vaterrolle

Wo die reformfreudigen Angehörigen der Mittelschichten heute über das Thema >Eltern und Kinder« reden, zeigen sich im Gewirr der Absichten oft zwei Tendenzen. Die eine verkürzt jenes Thema auf das Verhältnis zwischen Müttern und Kindern, und sie wird vor allem von Müttern vertreten. Die Väter werden hier theoretisch und praktisch abgeschafft. Auf der anderen Seite versuchen hauptsächlich junge Väter, sich bei der Versorgung und Erziehung ihrer Kinder ungewöhnlich stark zu engagieren. Literatur und Erziehungsalltag bieten also ein schillerndes Bild. Die Väter werden abgedrängt und aufgewertet. Sie werden vertrieben und kehren in ein aufgegebenes Gebiet zurück. Auf den ersten Blick scheinen beide Tendenzen sich zu widersprechen. Wer genauer hinsieht, entdeckt überraschende Gemeinsamkeiten.
In dem Bericht über eine junge Mutter heißt es: >Selbstverständlich träumte sie einen Traum vom eigenen Leben mit Kindern und Tieren ... Und der Vater? Nicht besonders wichtig.« Die Aussage ist für die Einstellung einer Anzahl von Müttern typisch. Sie glauben, daß sie ihre Kinder alleine aufziehen können, wenn sie von der Männerwelt nur nicht behindert werden und selbst über genug guten Willen, Kraft und Selbstkritik verfügen. Der Vater als hilfreicher Verbündeter und notwendiges Korrektiv im Umgang mit den Kindern - das ist für diese Mütter unvorstellbar und wurde wahrscheinlich von ihnen auch nie erlebt. Dabei entsteht ein denkwürdiger Widerspruch. Wenn in der Diskussion über Erziehung sich Jugendliche mit Selbstzeugnissen zu Wort melden, wird rasch deutlich, von welch großer Bedeutung für sie das Vater-Thema ist. Sie schildern, wie stark sie darunter gelitten haben, daß der Vater fern oder nicht vorhanden war. Oder sie beschreiben in seltenen Fällen auch, wie hilfreich es für sie war, den Vater als Stütze und kritisches Gegenüber erlebt zu haben. Da reden die Jugendlichen von der Unentbehrlichkeit des Vaters; manche kinderfreundlichen Mütter jedoch verdrängen ihn. >Vater, was habe ich mit dir zu schaffen?« - das ist die Frage, die diese Mütter von ihren Kindern erwarten. Sicher gibt es Notlagen, die Mütter dazu zwingen, ihre Kinder alleine aufzuziehen. Solche Mütter stehen unter erheblichen Belastungen. Nicht jede Mutter, die ihre Kinder ohne Vater aufzieht, ist allerdings in jener Lage. Und auch dort, wo sich die Mütter ihr Alleinsein nicht ausgesucht haben, ist es nicht notwendig, die Not nachträglich in eine Tugend zu verwandeln, d. h. das Unvermeidliche in das erzieherisch Beste umzudeuten. Menschlich ist das zwar erklärbar und nicht selten sogar verständlich, weil es die Last der Erziehung leichter macht; es ist gleichwohl eine Illusion.
Die Leidenschaft, mit welcher sich die Mütter ohne Väter dem Verhältnis zu ihren Kindern widmen, ist beeindruckend und befremdlich zugleich. Sie beeindruckt durch die Stärke des Engagements. Sie befremdet durch das Mutterbild, das sie unausgesprochen vermittelt. Hinter aller Aufopferung und allen Selbstzweifeln verbergen die Mütter große Allmachtsphantasien. Sie entwerfen das Riesengemälde einer Mutter, die für die Kinder beide Elternteile spielen und damit beide Geschlechter darstellen kann. Diese Mutter ist großartig. Die männlich-weibliche, also die androgyne, Mutter erscheint als Vertreterin eines Supergeschlechts. Dabei wird wenig bedacht, welche unrealistischen Vorstellungen von Weiblichkeit so den Kindern vermittelt werden. Das Bild von den grandiosen Frauen und den überflüssigen Männern behindert die Kinder bei der Suche nach ihrer eigenen geschlechtlichen Identität. Es belastet die Heranwachsenden mit einem Vorbild, das sie in ihrem Leben nie verwirklichen können, weil es jenseits aller menschlichen Möglichkeiten liegt.
Wenn bei den androgynen Müttern einmal doch von den Vätern die Rede ist, dann tauchen ständig zwei stereotype Bilder auf: entweder sind die Väter autoritär oder sie sind konturlos. Entweder ist der Vater ein Despot oder ein Niemand. In beiden Fällen zeigt er dasselbe Talent zu versagen; denn er macht entweder alles falsch oder überhaupt nichts.
So ist der Vater Gegenstand von Klage und Anklage. Mit Ausdauer werfen ihm die Mütter vor, er wolle mit den Kindern nichts zu schaffen haben. Selten wird die Frage gestellt, ob nicht auch die Mütter mit den Vätern nichts zu schaffen haben wollen, um die Kinder für sich zu haben, um sich vor Konkurrenz um die Zuneigung der Kinder zu schützen. Es kommt vor, daß Kritik an der Männerherrschaft in unserer Gesellschaft dazu herhalten muß, mütterliche Besitzansprüche auf die Kinder zu vertuschen. Immer wieder stöhnen Mütter darüber, die Väter kämen abends müde und abgeschlafft von der Arbeit nach Hause, seien verschlossen und verkröchen sich hinter die Zeitung oder vor das Fernsehgerät. Es gibt solche Väter ja zur Genüge. Aber ist einigen Müttern dieser Vatertypus nicht ganz recht, weil er sich nicht zwischen sie und die Kinder stellt? Liegt einigen Müttern nicht daran, den Vater als autoritär zu stilisieren, um sich selbst vor den Kindern als verständnisvoll erweisen zu können? Ein negatives Vaterbild kann überaus nützlich sein, um mütterlichen Monopolansprüchen auf die Kinder die höheren Weihen von Einfühlung und Selbstlosigkeit zu verschaffen. Zum anderen können die negativen Vaterbilder auch der mütterlichen Selbstberuhigung dienen. In den Berichten der androgynen Mütter ist es der Vater, der haßt und unterdrückt, der unbeherrscht und egoistisch ist. Die Psychoanalyse betont jedoch mit Recht, daß jede zwischenmenschliche Beziehung zwiespältig, also ambivalent, ist, d. h. sich aus Anteilen gegensätzlicher Gefühle zusammensetzt: Liebe und Haß, Vertrauen und Mißtrauen, Zuversicht und Angst. In den negativen Vaterbildern schieben die Mütter ihre eigenen Gefühle der Feindseligkeit und des Argwohns, der Angst und der Unsicherheit gegenüber den Kindern nun den Vätern zu, weil sie selbst sich dafür schämen. Sie bekämpfen an den Vätern, was sie in ihrer eigenen Gefühlswelt nicht wahrhaben wollen. Weil die androgynen Mütter ihre innere Zwiespältigkeit nicht schlichten können, benötigen sie den Vater als Sündenbock, um das eigene seelische Gleichgewicht zu erhalten.
Mit Hilfe des negativen Vaterbildes wird nicht nur eine verzerrte Vorstellung von der mütterlichen Gefühlswelt aufrecht erhalten; es dient auch dazu, das Seelenleben der Kinder zu verharmlosen. Jeder, der Erfahrung mit Kindern hat und seine eigene Kindheit nicht verdrängt, weiß genau, wie grausam, rücksichtslos, machthungrig und egoistisch Kinder auch sind; er weiß, wie langwierig und schwer das Bemühen ist, Kinder zu Einfühlung und Rücksicht zu erziehen. Die androgynen Mütter zeichnen von ihren Kindern ein Bild von aufdringlicher Harmlosigkeit. Sie verbreiten den Eindruck, die Kinder seien gut und würden nur durch den Einfluß der wüsten Väterwelt böse.
Was die Mütter an ihren Kindern angstvoll und ratlos erleben, wird von diesen abgespalten und den Vätern als Eigenschaft zugeschoben. Und an ihnen wird es bekämpft. Das negative Vaterbild hat die Aufgabe, das störanfällige Gleichgewicht in der Mutter-Kind-Beziehung zu festigen.
Ob die Väter so sind, wie die androgynen Mütter sie darstellen, will ich hier bewußt offen lassen; denn es kommt mir darauf an, darzustellen, welche seelische Aufgabe die negativen Vaterbilder haben und welchen Einfluß sie auf das Familienleben nehmen können. Solches tiefenpsychologische Vorgehen, das nach verdrängten seelischen Regungen fragt, kann vielleicht zu den Versuchen beitragen, die einfältigen Schwarzweißmalereien aufzuklären, die heute oft genug das Verhältnis zwischen den Geschlechtern belasten. Ohne Zweifel ist die Erörterung des Vater-Themas heute dadurch erschwert, daß es von dem Streit zwischen Frauen und Männern um ihren Anteil am gesellschaftlichen Leben überdeckt ist.
Die neuen Väter haben sich nun vorgenommen, die Erziehung der Kinder aus dem Konflikt zwischen den Geschlechtern herauszuholen. Sie wehren sich dagegen, die Mütter in ihrer Bedeutung für die Kinder derart hochzustilisieren, daß für die Väter kein Platz mehr bleibt. Die neuen Väter sind auf der Suche nach einer Alternative zu den autoritären und konturlosen Vaterbildern. Sie bemühen sich, Väter zu sein, die weder mit der Mutter um die Liebe der Kinder noch mit den Kindern um die Liebe der Mutter rivalisieren. Ihre Absicht ist außerordentlich sympathisch. Und ihre Versuche sind ebenso fesselnd wie bewegend. Aber welchen Preis müssen sie für ihre Schritte in Neuland zahlen? Ich will versuchen, ohne Griesgrämigkeit aufzuzeigen, was mich an dem Vorhaben der neuen Väter nicht überzeugt. Ein Vater schreibt an seine kleine Tochter: >Ich wäre gerne auch schwanger gewesen, würde dich auch gerne stillen können.« Der Wunsch macht deutlich, wie sehr es für manche Väter eine Kränkung des Selbstbewußtseins sein muß, daß sie an den lebenswichtigen Funktionen der Fortpflanzung weitaus weniger Anteil haben als die Mütter. Daß die Mütter für diesen Vorsprung mit erheblichen körperlichen Risiken bei Schwangerschaft und Geburt zahlen müssen, übersehen die Väter lieber. In ihrer Sehnsucht nach Gebär- und Stillfähigkeit drückt sich ihr Verlangen aus, ein Mann und eine Frau zugleich zu sein. Das soll ihr beschädigtes Selbstbewußtsein stärken.
Nicht nur die androgynen Mütter haben die Allmachtswünsche, ein Supergeschlecht zu verkörpern, sondern auch einige neue Väter. Diese Väter ohne Brüste sind eifersüchtig auf die frühe enge Beziehung der Mutter zu ihrem Kind. Sie spüren, daß sie diese Nähe zum Kind nie erreichen werden; sie können sich aber nicht damit abfinden. Deshalb wollen sie in die frühe Mutter-Kind-Beziehung eindringen, indem sie sich als eine Art stillende Mutter darstellen. Nicht nur die androgynen Müttern, sondern auch die neuen Väter können nicht darin einwilligen, daß sie Menschen mit begrenzten Fähigkeiten sind. Vermutlich fühlen sich manche Mütter von den stillenden Vätern bedroht, auch wenn sie das nicht offen zugeben. Sie verfolgen die starke Beteiligung der Väter an der Kinderpflege mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Argwohn; denn sie erleben, daß die Väter in der Familie nun mehr an Einfluß gewinnen, als sie in der Gesellschaft an die Frauen abgeben. Die Mütter erfahren, daß sie für die Abnahme ihrer Macht in der Familie nicht durch; eine Zunahme an öffentlicher Macht entschädigt werden. Deshalb fragen sich die Mütter: >Sind am Ende wieder wir die Dummen? Handeln wir uns neben der Konkurrenz in der Gesellschaft jetzt noch eine verschärfte Konkurrenz in der Familie ein?«
Die Väter nehmen die zwiespältigen Gefühle ihrer Frauen wahr und machen Angebote, die die mütterliche Unruhe dämpfen sollen. Sie bewundern die Körperlichkeit der Frau ganz außerordentlich, indem sie sich als Männer ohne Brüste bezeichnen. Damit werten sie ihre eigene Körperlichkeit und Sexualität ab. Ihr eigenes Geschlecht ist für sie durch das Fehlen von weiblichen Merkmalen bestimmt. Die Väter machen sich zu unvollkommenen Frauen, um sich durch diese Huldigung an das weibliche Geschlecht vor dem Argwohn der Mütter zu schützen. Es wird auf die Kinder großen Einfluß haben, wenn sie ihre Väter als Männer erleben, die ihr eigenes Geschlecht nicht als wertvoll empfinden.
Was die Väter ohne Brüste über den Umgang mit ihren Kindern berichten, ist eine fortwährende Schmuse-, Knuddel- und Liebeserziehung. Ein Vater verkündet pathetisch: >Das Schönste, das man einem Kind schenken kann, ist bedingungslose Liebe.« Nun ist es ein Selbstbetrug, wenn Eltern vorgeben, sie wollten und könnten ihre Kinder bedingungslos lieben. Sie wollen es in Wirklichkeit nicht, und erst recht können sie es nicht. Kinderwunsch, Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und Erziehung des Kindes werden auch von eigensüchtigen Interessen der Eltern bestimmt. Die Kinder dienen auch zur Festigung des elterlichen Selbstbewußtseins und zur Erweiterung ihres Horizonts. Mütter und Väter wollen von ihren Kindern viel zurückbekommen. Es ist deshalb hilfreich, wenn die Eltern sich das klarsichtig eingestehen und lernen, mit ihren eigenen Wünschen an die Kinder einfühlsam umzugehen.
Was die neuen Väter über ihren Umgang mit den Kindern erzählen, ist Beweis genug für den Eigennutz ihrer erzieherischen Tätigkeit. So dient z. B. das ständige Streicheln und Schmusen, in dem sie schwelgen, den sinnlichen Bedürfnissen der Väter mindestens ebenso wie den Wünschen der Kinder. Die Väter bringen sich und ihre Kinder unter einen ständigen Überdruck von körperlicher Nähe, emotionaler Wärme und Zuwendung. Unaufhörlich stellen sie sich die Frage, ob sie den Kindern auch genug Zärtlichkeit und Geborgenheit geben. Da gibt es keine Feindseligkeit der Väter gegenüber ihren Kindern. Wie die androgynen Mütter erscheinen auch die Väter ohne Brüste ständig und fast ausschließlich als Verwalter von Liebesgefühlen.
In dieser überhitzten Atmosphäre stellen sich die Väter nicht die Frage, ob sie für ihre Kinder auch anregend und interessant sind, ob sie die kindliche Phantasie beleben und die kindliche Erkenntniswelt erweitern können. Sie fragen sich nicht, ob sie ihren Kindern gekonnt dabei helfen, eine Welt zu entdecken, die für die Kinder neu, aufregend und begehrenswert ist. Alles dreht sich nur um Wärme und Zärtlichkeit.
Die Väter scheinen ihren Kindern wenig zu erklären und kaum Fertigkeiten beizubringen. Sie stellen sich nur als Träger von f Gefühlen, nicht als Vermittler von Welterfahrung dar. Die Aufmerksamkeit gilt dem familiären Binnenraum, nicht der umge- -benden Natur und Gesellschaft. Dadurch vermitteln die Väter ohne Brüste ihren Kindern nur ein emotionales Vaterbild. Es fehlt das zur Ergänzung notwendige sachorientierte Vaterbild, das die Familie zur Außenwelt öffnen und so den Gefühlsüberdruck in der Eltern-Kind-Beziehung abbauen könnte. Die starken Gefühle können sich in der Auseinandersetzung mit Sachen nicht beruhigen.
Wo Gefühlshitze und jenes einseitige Liebespathos herrschen, kann sich auch keine interessierte und duldsame Nüchternheit gegenüber dem kindlichen Triebleben entwickeln. Solche nüchterne Klarsicht gegenüber den kindlichen Triebwünschen ist für jede Erziehung genauso wichtig wie Liebe. Für die neuen Väter bleibt die Sexualität der Kinder ein Tabu. Sie wird einfach verschwiegen. Auch gegenüber der kindlichen Aggressivität sind die Väter ohne Brüste genauso hilflos und ablehnend wie die androgynen Mütter. Über die Feindseligkeit und Zerstörungslust j der Kinder reden sie nur in moralischen, nicht aber in psychologischen Begriffen. Sie fragen nach dem sittlichen Wert, nicht aber nach dem seelischen Sinn von kindlicher Aggressivität. So bemerkt ein Vater bei seinem bisher ängstlichen Sohn plötzlich Angriffslust und neugewonnene Stärke. Der Sohn läßt sich von den Kameraden nicht mehr verprügeln und setzt sich zur Wehr. Anstatt sich über dieses Wachstum zu freuen, stellt der Vater enttäuscht >typisch männliches Verhalten« fest. Er klagt über den Rückfall des Kindes in die >traditionelle Männerrolle«. Nun ist es im Grunde der Vater, der mit dieser Rolle Schwierigkeiten hat. Diese überträgt er unbesehen auf den Sohn. Die Erziehung gerät damit zum Kreuzzug gegen die Probleme, die der Vater in seinem Leben nicht bewältigen kann. Wenn die Kinder unkontrolliert vital werden, bekommen ihre Eltern Angst. Sie müssen feststellen, daß ihre Sprößlinge trotz Zärtlichkeit und Liebe nicht so sanft, vernünftig und gut werden, wie es die Eltern gerne hätten. Dieser Eigensinn der Kinder kränkt die Eltern und ruft bei ihnen Selbstvorwürfe hervor, sie hätten in der Erziehung versagt. Die androgynen Mütter und die Väter ohne Brüste vergessen, daß ihre Kinder auf elterliche Duldsamkeit gegenüber ihrer heftigen Vitalität mehr als dringlich angewiesen sind. Die neuen Väter zahlen für ihre Versuche, ihre Kinder zu versorgen, einen zu hohen Preis: die Einschnürung der kindlichen Vitalität.
Warum erzeugen diese Mütter und Väter bei ihren Kindern den Überdruck von Wärme und Liebe? Hinter dem Wunsch, Kinder zu erziehen, taucht bei den Eltern ein viel mächtigerer Antrieb auf: Sie wollen von ihren Kindern erzogen werden. Söhne und Töchter sollen dazu verhelfen, daß die Eltern ihre eigene Sehnsucht, in ihrem Leben unbefangen und sinnlich zu werden, stillen können. Die Kinder sollen die Eltern dabei unterstützen, ihr eigenes Lebensideal zu verwirklichen.
Melancholisch bemerkt ein Vater: >Kinder kommen mit lebendiger Seele zur Welt - unsere Seelen sind Steinbrüche.« Ein anderer Vater erlebt beglückt: >Mein Kind führt mich wieder zu Ursprünglichem.« Und eine Mutter berichtet: >Lebenslust und Leidenschaft, auch die habe ich durch meinen Sohn wieder neu gelernt.«
Es ist unheimlich, in welchem Umfang hier die Eltern das Leben ihrer Kinder mit Erwartungen überfrachten. Die Kinder müssen die Last der elterlichen Wünsche nach Selbstveränderung tragen. Das Wachstum der Kinder ist deshalb für die Eltern nur insofern willkommen, wie es die elterliche Wiedergeburt fördert. Die Erwartung, sich durch das Kind zu verwandeln, schlägt in Angst um, wenn dieses Anstalten macht, die elterliche Bürde abzuwerfen. Das ist der Grund für die Abneigung der Eltern gegenüber dem unkontrollierten Triebleben ihrer Kinder. Die androgynen Mütter und die Väter ohne Brüste zahlen für ihre Versuche, in der Kindererziehung neue Wege zu gehen, einen hohen Preis. Ihre Absicht, die Kindererziehung aus den Zwängen der überlieferten Männerherrschaft zu befreien, ist einleuchtend und verdient Respekt; sie wird allerdings teuer erkauft. Der Preis ist die Abschaffung der Vaterrolle. Die neuen Mütter betreiben die Abschaffung dadurch, daß sie den Vater überhaupt aus der Familie verdrängen. Die neuen Väter erreichen die Abschaffung der Vaterrolle dadurch, daß sie sich als Männer gegenüber den Kindern abwerten und als stillende Väter eine Mutterrolle übernehmen wollen. Das Kind hat nun keine Eltern mehr, sondern im ersten Fall nur eine Mutter und im zweiten Fall eine wirkliche und eine Möchtegern-Mutter. Im Spannungsfeld der Familie nimmt der Vater keine eigenständige, von der Mutter unterschiedene Position ein. Die Mutterrolle wird dabei ungemein zerdehnt. Bei den Vätern ohne Brüste zählt der Vater nicht als Träger eines Geschlechts von eigenem Wert. Von Bedeutung ist er nicht als Mann, sondern als mangelhafter Verteter der Frau. Es gibt im Grunde nur ein Geschlecht, nämlich das weibliche, das sich in eine vollkommene und eine unvollkommene Darstellung aufteilt. Es ist nicht die Mutter, die mit ihrer eigenen Körperlichkeit im Unterschied zum Vater eine besondere Rolle übernimmt. Vielmehr übernimmt eine Übermutter die Doppelrolle des weiblichen Supergeschlechts.
Auch die androgyne Mutter macht sich zur Übermutter, da sie die Rolle von Mutter und Vater spielen will. Aber gerade dadurch, daß sie beide Geschlechter verkörpern will, macht sie sich geschlechtslos; denn wo die Unterschiede zwischen Männern und Frauen aufgehoben werden, verliert das Geschlecht überhaupt seine Bewegung, seinen Sinn und seine Spannung. Die Übermutter ist keine Frau mehr; sie gehört zu einem gestaltlosen Phantasiegeschlecht, dessen scheinbare Großartigkeit seine Langeweile nicht verbergen kann.
Es verwundert nun nicht mehr, warum jene neuen Eltern so wenig Verständnis für die Triebhaftigkeit ihrer Kinder haben. Wo die Eltern sich in geschlechtslose Wesen verwandeln wollen, müssen sie die menschliche Triebhaftigkeit verleugnen, da diese den Unterschied zwischen den Geschlechtern immer wieder herstellt und aus der Andersartigkeit der Menschen immer wieder ihre Befriedigung zieht.
Die androgynen Mütter und die stillenden Väter haben Angst vor Unterschied und Getrenntsein. Abstand erleben sie als Verlust. Verschiedenheit erleben sie als Bedrohung. Deshalb entwickeln sie in der Kindererziehung auch das ungeheure Nähepathos, die ständige Sucht nach enger Verbindung mit den Kindern. Wie sie die Trennung in zwei Geschlechter nicht ertragen können, so fürchten sie sich auch vor einem Abstand gegenüber den Kindern. Nach ihren Vorstellungen soll die ganze Familie in einem Geschlechts- und Generationsbrei versinken.
Als Angehörige eines Supergeschlechts zeigen sich jene neuen Eltern ihren Kindern im Grunde nicht als irdische Menschen mit begrenzten Fähigkeiten, sondern als Monstren. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen diese aufgeblasenen Phantasiegebilde auf die Söhne und Töchter haben werden. Vielleicht bemerken die Kinder, wieviel Angst vor irdischer Begrenztheit und menschlicher Unvollkommenheit sich hinter den zerdehnten Rollen und den Riesenbildern verbirgt. Auch wenn sich heute die Geschlechter in manchen Äußerungsformen angleichen, wird nicht die Rolle des Vaters überflüssig. Auch wenn die Geschlechter heute Tätigkeiten übernehmen, die bisher dem jeweils anderen Geschlecht vorbehalten waren, löst sich nicht der Unterschied zwischen Mutter und Vater auf. Die menschliche Natur sperrt sich hier gegen alle Moden. Deshalb verschwindet nicht die Rolle des Vaters, sondern es verändert sich das Verhalten, mit dem der Vater seine
Rolle wahrnimmt. Es ist wichtig, diesen Unterschied zwischen Rolle und Verhalten nicht aus den Augen zu verlieren. Ein Vater kann heute durchaus Tätigkeiten ausüben, die bisher als Merkmal der Mutterrolle galten. Das ist aber noch kein Grund, in der Familie auf seine eigenständige Position zu verzichten. Die androgynen Mütter und die stillenden Väter unterliegen einem Kurzschluß. Sie verleugnen die Vaterrolle, anstatt sie zu verändern.
Die Psychoanalyse hat daran festgehalten, daß die Vaterrolle für die kindliche Entwicklung unverzichtbar ist. Im Notfall kann diese Rolle auch von einer männlichen Ersatzfigur übernommen werden.
Der Vater unterstützt das Kind bei dem Versuch, sich ohne Angst und Schuldgefühle aus der engen Bindung an die Mütter zulösen. Da der Vater in Vertrautheit mit der Mutter lebt, verkörpert er für das Kind die Gewißheit, daß Selbständigkeit gegen über und Liebe zur Mutter sich nicht gegenseitig ausschließen. Zum anderen ist der Vater auch für die Mutter unverzichtbar.
Als ihr Liebespartner dämpft er die mütterlichen Besitz- und Liebesbedürfnisse gegenüber dem Kind. Dadurch fällt es der Mutter leichter, die Ablösung des Kindes zuzulassen. Wie der Vater diese beiden Aufgaben wahrnimmt, ist eine andere Frage. Um dieses >wie« sollte der Streit heute gehen.


Jörg Bopp

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Die Abschaffung der Vaterrolle

Dirk, Friday, 16.06.2006, 12:02 (vor 6678 Tagen) @ Odin

Hallo,

mein Vorschlag allgemein wäre, sich bei Femis einmal den Lebenslauf in bezug auf den Vater anzusehen.

Könnte man schlußfolgern, wo der Vater fehlte, ist der Hang zum Feminismus wohl ziemlich wahrscheinlich?

Kann man jemanden erstnehmen, der allein aufgrund von Voreingenommenheit (gegen Väter weil man selbst keinen Vater hatte) für andere seine "Empfehlungen" abgibt?

Meiner Meinung nach kann nur dann jemand kompetent über Familie sprechen wollen, der selbst aus seiner Kindheit eine intakte Familie kennt.

Von Umweltpolitikern erwarten wir, daß sie selber einen grünen Daumen haben. Von Finanzexperten erwarten wir, daß sie einen Beruf mit Geld und Wirtschaft innegehabt haben. Von allen möglichen Personen in leitenden Positionen erwarten wir, daß sich dank Lehre, Studium usw. mit ihrer Materie auskennen.

Wenn es um Familienpolitik geht und um Feminismus, wird dagegen akzeptiert, wenn sich da jemand äußert, ohne je intakte Familie und Vater gehabt zu haben?

Und Familie heißt: Mutter, Vater, vielleicht Geschwister, sehr gern Großeltern (mütterlicherseits und väterlicherseits).

In diesem Zusammenhang wäre jetzt interessant, was z.B. Alice Schwarzer für einen familiären Background hat. Falls ihr dieser fehlt, ist sie schlichtweg nicht kompetent, sich in dieser Richtung zu äußern. Und für Aussagen wie "Männer sind potentielle Vergewaltiger!" sollte man ohnedies das Bundesverdienstkreuz aberkennen können.

Ich behaupte, wer eine intakte Familie selbst erlebt hat, hat keinen Grund, feministisch zu werden. Männer als Reaktion auf Feminismus dagegen schon einen Grund, antifeministisch zu sein *g*.

Dirk.

Die Abschaffung der Vaterrolle

Odin, Friday, 16.06.2006, 14:54 (vor 6678 Tagen) @ Dirk

Könnte man schlußfolgern, wo der Vater fehlte, ist der Hang zum Feminismus
wohl ziemlich wahrscheinlich?

Kann man jemanden erstnehmen, der allein aufgrund von Voreingenommenheit
(gegen Väter weil man selbst keinen Vater hatte) für andere seine
"Empfehlungen" abgibt?

Meiner Meinung nach kann nur dann jemand kompetent über Familie sprechen
wollen, der selbst aus seiner Kindheit eine intakte Familie kennt.

Im Gegenteil: Wo die Familie nicht intakt ist, kann auch aus Erfahrung gesprochen werden, was gefehlt hat. Da kann man nicht alle über einen Kamm scheren. Wer eine intakte Familie hat muss vielleicht theoretisieren, weil er keine Erfahrungswerte hat, wie sich ein fehlender Vater auswirkt.
Denk mal, wie Ulrike Meinhoff aufgewachsen ist.

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Die Abschaffung der Vaterrolle

Altschneider, Saturday, 17.06.2006, 16:03 (vor 6677 Tagen) @ Odin

Sehr interessanter Text, Odin, wenn ich auch eine Weile zum Lesen braucht.

Ich glaube, dass die Probleme der Väter, vor allem die Tendenz, sich mit der Mutter zu vergleichen anstatt einfach Vater zu sein, daher kommt, dass diese Männer tatsächlich glaubten, sie seien "neue" Männer, ihre Rolle etwas völlig Neues auffassten und daher entsprechend unsicher waren, sich ihre Vorbilder bei der Mutter suchen wollten - anstatt sich in der jahrtausendealten Tradion miterziehender Väter zu sehen und zu verstehen, dass das, was sie machten, etwas völlig normales und natürliches war.

Grüße
Altschneider

Die Abschaffung der Vaterrolle

Odin, Saturday, 17.06.2006, 16:59 (vor 6677 Tagen) @ Altschneider

Sehr interessanter Text, Odin, wenn ich auch eine Weile zum Lesen braucht.


Ich glaube, dass die Probleme der Väter, vor allem die Tendenz, sich mit
der Mutter zu vergleichen anstatt einfach Vater zu sein, daher kommt, dass
diese Männer tatsächlich glaubten, sie seien "neue" Männer, ihre Rolle
etwas völlig Neues auffassten und daher entsprechend unsicher waren, sich
ihre Vorbilder bei der Mutter suchen wollten - anstatt sich in der
jahrtausendealten Tradion miterziehender Väter zu sehen und zu verstehen,
dass das, was sie machten, etwas völlig normales und natürliches war.

Ich denke, es war ihr Kompromiss, Vater sein zu müssen/dürfen und trotzdem eigentlich ein schlechtes Bild von Vaterschaft zu haben. Vatersein wird ja auch heute noch von vielen als zweitrangig oder verzichtbar betrachtet. Mutter und Kind gehören zusammen, der Vater darf höchstens dazukommen, stört aber im Grunde nur die "eigentlich wichtige Beziehung". Er darf höchstens Unterstützer dieser Beziehung sein. Ihre Fortsetzung findet diese Anschauung in der dann logisch folgenden Vaterentsorgung nach der Scheidung. Die neuen Männer wetteifern dann höchstens noch, wer die bessere Mutter ist.

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