Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

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BT: Aufenthaltrechtliche Besserstellung für Zwangsehenopfer

Christine ⌂, Wednesday, 21.06.2006, 01:04 (vor 6926 Tagen)

Sorry für die Titelumstellung.

Gruß - Christine
--

HEUTE IM BUNDESTAG **** PRESSEDIENST DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES

Berlin:Mo, 19.06.2006Redaktionsschluss:13:45 Uhr(189)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Anhörung)
AUFENTHALTSRECHTLICHE BESSERSTELLUNG FÜR OPFER VON ZWANGSEHEN
BEFÜRWORTET

Berlin: (hib/SAS)Überwiegend kritisch geäußert haben sich in einer
öffentlichen Anhörung des Familienausschusses über "Zwangsverheiratungen"
am Montagvormittag die Sachverständigen zu einem Gesetzesvorstoß des
Landes Baden-Württemberg, "Zwangsehen" als einen eigenständigen
Straftatbestand im Strafgesetzbuch aufzunehmen.
Im Kern geht es dabei um die Frage, wie Opfer von Zwangsverheiratungen
insbesondere strafrechtlich besser geschützt werden können. Während
Befürworter eines solchen Straftatbestandes wie Christian Storr,
Stabstellenleiter des Ausländerbeauftragten Baden-Württemberg, sich
davon ein Schließen rechtlicher Lücken versprach, etwa, dass Fälle von so
genannten "Ferienverheiratungen" geahndet werden könnten, hielt Dagmar
Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund die Einführung eines solchen
Straftatbestandes für "nicht erforderlich".
Sie zweifelte daran, dass ein eigener Straftatbestand für sich genommen
etwas verändern würde und forderte, die im vergangen Jahr in Kraft
getretenen Regelungen erst einmal wirken zu lassen, wonach die Zwangsehe im
Strafgesetzbuch als Teil der Nötigung geahndet werden kann.
Grundlage der Diskussion im Ausschuss bildeten drei Anträge der
Opposition (16/1156, 16/1564, 16/61), deren Ziel eine Stärkung der materiellen
sowie aufenthaltsrechtlichen Stellung der Opfer von Zwangsehen,
Heiratsverschleppung und Heiratshandel ist.
Dabei geht es um den Sachverhalt, dass bei muslimischen oder türkischen
Frauen zumeist die Familien die Auswahl des Ehepartners, den Zeitpunkt
der Eheschließung und den Ort festlegen und dies in einer großen Zahl
der Fälle gegen den Willen der Eheleute geschieht.
Die in der Türkei geborene Autorin Necla Kelek machte sich
gleichermaßen für die Einführung eines Straftatbestandes "Zwangsehe" und für die
Heraufsetzung des Nachzugsalters für Ehepartnerinnen auf das 21.
Lebensjahr stark. Anders als das Gros der Experten unterschied sie
nicht zwischen einer arrangierten Ehe, bei der die künftige Gattin einen
von den Eltern vorgeschlagenen Ehepartner ablehnen kann und zwischen
Zwangsehe,
bei der keiner der Ehepartner eine Entscheidungsmöglichkeit hat: "Die
Zwangsverheiratung beginnt mit einer arrangierten Ehe" und sei keine
unabhängige Entscheidung einer mündigen Bürgerin, erklärte sie.
Nach Auffassung von Kelek sollte vor Einreise des Ehepartners
sichergestellt sein, dass er ein für den Familienunterhalt ausreichendes
Einkommen durch Arbeit bezieht und einen eigenen Haushalt führt. Damit könnte
einer "üblichen Praxis" bei türkischen Migranten ein Riegel
vorgeschoben werden, die "Importbräute" als kostenlose Haushaltshilfen im
Familienhaushalt einzusetzen.
Für Kelek sind Zwangs- und arrangierte Ehen der türkisch-muslimischen
Gemeinschaft das größte Hindernis für die Integration von Türken und
anderer muslimischen Gemeinschaften in Deutschland.
In scharfen Worten wandte sich Sidar Demidögen vom Bundesverband der
Migrantinnen in Deutschland e.V. gegen den Eindruck, der Großteil der
Migrantinnen hierzulande lebe in einer Zwangsehe. Man dürfe nicht den
Blick auf die Integrationserfolge verlieren; die Debatte der vergangenen
Wochen habe zu einer "unnötigen Stigmatisierung" eines Großteils der
muslimischen Community geführt.
Sie zeigte sich erfreut darüber, dass die Sachverständigen sich
mehrheitlich gegen die Erhöhung des von Kelek geforderten Nachzugsalters
aussprachen. Demirdögen selbst hielt einen entsprechenden Vorschlag für
"absurd".
Storr warnte davor, dass die Heraufsetzung des Nachzugsalters für
Ehepartner aus dem Ausland für die immer zahlreicher werdenden binationalen
Ehen eine Wartezeit bedeuten würde. Damit würde man "weit über das Ziel
hinausschießen".
Er plädierte dafür, das Nachzugsalter auf das 18. Lebensjahr
festzulegen. Freudenberg hielt die Heraufsetzung des Nachzugsalters auf das 21.
Lebensjahr für verfassungsrechtlich bedenklich.
Überwiegend Einigkeit herrschte unter den Experten bei Fragen zu
Änderungen des Aufenthaltsrechts: So hielt die Rechtsanwältin Marina
Walz-Hildenbrand eine Verlängerung des bestehenden Aufenthaltsrechts von sechs
Monaten auf drei Jahre für notwendig, um Heiratsverschleppungen
entgegenzuwirken.
Die Opfer von Heiratsverschleppungen hätten in vielen Fällen nicht die
Möglichkeit innerhalb eines halben Jahres nach Deutschland
zurückzukehren, um ihren Aufenthaltstitel zu verlängern und seien anschließend von
Abschiebung in das Land bedroht, in dem sie zwangsverheiratet wurden.
Auch forderte sie ein Recht auf Wiederkehr im Aufenthaltsrecht für
junge Menschen, die in ihren Herkunftsländern nicht zurechtkommen -
unabhängig von der Sicherung des Lebensunterhalts. Kritik übte die
Rechtsanwältin an der Härtefallregelung im Aufenthaltsrecht.
Möchte sich eine türkische Ehefrau innerhalb von zwei Jahren nach
Eheschließung von ihrem Mann scheiden lassen, so liegt es im Ermessen der
Ausländerbehörde, ob sie in ihr Herkunftsland zurückkehren muss, wo sie
Diskriminierungen ausgesetzt seit oder ob sie eine besondere Härte
geltend machen.
Storr trat für einen Hinweis in den Verwaltungsvorschriften ein, der
als einheitliche Entscheidungsgrundlage für die Ausländerbehörde gelten
könne.
Für eine materielle Besserstellung machte sich Heiner Bielefeld vom
Deutschen Institut für Menschenrechte stark. Er berief sich auf die
Kriseneinrichtung "Papatya" in Berlin, die den Zugang zu materiellen
Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII für die Betroffenen
von Zwangsverheiratungen für am wichtigsten halten.
Dabei sollten nicht nur Minderjährige, sondern auch junge Volljährige
Anspruch auf solche Leistungen erhalten.

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Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein

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