Ein feminines Eigentor (als Text)
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Ein feminines Eigentor Weltwoche Nr. 25.08
Der Staat ist ein tägliches 50-Millionen-Franken-Geschäft für die Frauen. Das machen sozialdemokratische Politikerinnen nun transparent, unfreiwillig allerdings. Von Urs Paul Engeler
Es gibt überflüssige politische Anfragen in Bern, und es gibt kontraproduktive Vorstösse. Die aufgeregt formulierte, letzte Woche im Nationalrat eingebrachte Forderung der sozialdemokratischen Frauen und ihrer Wortführerin Maria Roth-Bernasconi aus Genf, dass der Bund endlich alle seine Zahlungen «geschlechterspezifisch aufgeschlüsselt> zu präsentieren habe, erfüllt beide Eigenschaften ohne Vorbehalt: Erstens liegen diese Daten für die wichtigsten Politikfelder vor; man muss sie nur zusammentragen und rasch addieren. Zudem weisen alle offiziellen Statistiken aus, dass die Männer die ewigen Verlierer und die Frauen die grossen Profiteurinnen des voluminösen Umverteilungsstaates Schweiz sind.
Etwas zu laut hat SP-Nationalrätin Roth-Bernasconi darum proklamiert: «17 Jahre nach dem grossen Frauenstreik in der Schweiz ist es Zeit, in der Frage der Verteilung von Macht und Geld klare Fakten auf den Tisch zu legen.> Die Antwort lautet nämlich: Der Geldtransfer von den Männern zu den Frauen, organisiert über eine Vielzahl von Kassen und Gesetzen, beträgt derzeit zwischen 15 und 20 Milliarden Franken jährlich.
Die AHV, das wichtigste Sozialwerk der Schweiz, schüttete im Jahr 2006, dem jüngsten mit Detailzahlen, Beiträge im Umfang von knapp 31 Milliarden Franken aus: ordentliche Renten, Zusatzrenten, Kinderrenten, Witwen- und Witwerrenten, Waisenrenten. Die Statistik zeigt, dass mit jeder Überweisung, Monat für Monat, den Männern 1,031 Milliarden Franken zuflössen, den Frauen hingegen 1,619 Milliarden. Nur bei den Kinder- und Waisenrenten kassierten die Männer etwas mehr. Insgesamt bezogen die Frauen jedoch mit jeder Monatstranche satte 588 Millionen Franken mehr aus dem Rententopf, pro Jahr also über 7 Milliarden Franken. Die Hauptgründe für diese beachtliche Differenz sind die frühere Pensionierung der Frau (64 Jahre) und ihr längeres Leben.
Die geschenkten 7 Milliarden Franken sind jedoch erst die Hälfte der Gender-Wahrheit. Da der Anteil der Frauen an der erwerbstätigen Bevölkerung 44 Prozent beträgt und weil die weiblichen Beschäftigten, wie mit Verweis auf gewerkschaftliche Studien regelmäs-sig geklagt wird, überdies weniger verdienen als ihre Kollegen, zahlen sie auch weniger Beiträge und Steuern. Überschlagsmässig, aber geschlechtskorrekt gerechnet, steuern sie nur knapp einen Drittel der benötigten Mittel bei. Für die AHV heisst dies, dass die Frauen derzeit pro Jahr weniger als 10 Milliarden Franken einzahlen und gleichwohl 19,4 Milliarden Franken herausziehen. Der Unterschied ist gross und macht ziemlich genau 10 Milliarden Franken aus, jährlich.
Umwälzpumpe Krankenkasse
Ähnliche Resultate produzieren fast alle Versicherungszweige. Zwei Drittel der Ergän¬zungsleistungen (EL) von 3,1 Milliarden Fran¬ken kommen Frauen zugute; dies schafft eine Ungleichheit von stattlichen 820 Millionen Franken, jährlich - oder gar eine solche von 950 Millionen Franken, wenn die Einnahmenstruktur mitkalkuliert wird. Unter dieser Prämisse werden die Frauen auch in der So¬zialhilfe bevorteilt, die ihr Geld den beiden Geschlechtern fast paritätisch zuspricht (50,1 Prozent den Männern, 49,9 Prozent den Frau¬en). Differenz: rund 800 Millionen Franken, jährlich.
Obwohl in der Schweiz die weiblichen Beschäftigten in der Minderheit sind, bezogen sie im Jahre 2006 via Arbeitslosenversicherung (ALV) fast gleich viele Taggelder, nämlich 14,2 Millionen Franken gegenüber 14,6 Millionen der Männer. Die Höhe der Entschädigungen korrigiert die Zahl allerdings wieder zu einem schönen Teil zugunsten der Männer, was in dieser sozialpolitischen Teildisziplin zu einem knappen Unentschieden führt. Mit einem Frauensieg endet hingegen der Verteilkampf vor der Invalidenversicherung (IV). Beide Geschlechter langen ungefähr gleich kräftig zu, was die Quote der Rentenbezüger betrifft. Die Männer nehmen allerdings, leicht unterproportional, nur etwa 55 Prozent der ausbezahlten Gelder an. Einbezahlt haben sie über ihre Lohnabzüge zwei Drittel. Die Differenz in Millionen Franken: immerhin 70, jährlich. Waren Entschädigungen über die Erwerbsersatzordnung (EO) fast gänzlich eine Männerdomäne, so hat sich dies mit der finanziellen Abdeckung des Schwangerschaftsrisikos (Mutterschaftsversicherung) aus der EO grundlegend verändert. Im Jahr 2006 wurden aus dieser Kasse den Soldaten und Soldatinnen (respektive ihren Arbeitgebern) 769,5 Millionen Franken ausgerichtet, für die Mütter gab's 546,1. Millionen Franken (42 Prozent). In Relation zu den Beitragsleistungen ergibt sich abermals eine Differenz zugunsten der Frauen: 100 Millionen Franken jährlich.
Seit die Krankenkassenprämien für Männer und Frauen identisch sind, funktioniert auch diese Versicherung als gewaltige Umwälzpumpe. Pro Jahr verursacht eine Frau im Schnitt Krankheitskosten von 3721 Franken; die billigeren Männer dagegen beanspruchen 921 Franken weniger. Die gesamte Frauschaft des Landes bezog im Jahr 2006 Arzt- und Spitalleistungen von 11,44 Milliarden Franken; die Männerwelt belastete das Gesundheitswesen nur mit 7,88 Milliarden. Die behördlich ausgewiesene Differenz: 3,56 Milliarden Franken, jährlich.
Schwerer sind die Umverteilungswirkungen der Zweiten Säule (berufliche Vorsorge) abzuschätzen, da die Reglemente der einzelnen Versicherer sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. In vielen Kassen bezahlen Frauen die gleichen Riskoprämien wie Männer, verursachen jedoch weniger Risikofälle. Umgekehrt profitieren die Frauen davon, dass für sie, trotz höherer Lebenserwartung, die gleichen Umwandlungssätze gelten wie für Männer. Überdies ist der Anteil von Witwenrenten deutlich höher als die Zahlungen an Witwer. «Per saldo>, rechnet Pensionskassenexperte Martin Wechsler, «heben sich diese Faktoren in etwa auf. Von allen Sozialversicherungen ist die Zweite Säule am ausgewogensten ausgestaltet.>
«Wer profitiert von Bundesgeldern?>, fragen die SP-Frauen - und meinen die Männer. Die Wahrheit ist genau umgekehrt: Unter dem Strich und zurückhaltend gerechnet, zahlen die staatlichen Sozialsysteme den Frauen jährlich mindestens 15,5 Milliarden Franken oder Tag für Tag gegen 50 Millionen Franken mehr aus als den Männern. Der von Feministinnen misstrauisch betrachtete Staat ist eine Einrichtung zur Förderung der Frauen. Das beweist die Gender-Analyse der Geldströme. Schwieriger bis unmöglich sind allgemeine staatliche Aktivitäten wie Armee, Polizei, Landwirtschaft, Bildung, Aussenpolitik, Verkehr oder Zinszahlungen für den Schuldendienst «geschlechterspezifisch aufzuschlüsseln>.
Die bereits mehrmals mit diesem Begehren konfrontierte Eidgenössische Finanzverwaltung (EFV) verweist auf die politischen und methodischen Probleme einer solchen Aufgliederung. «Klar könnte man die Armee-Ausgaben zum grössten Teil den Männern zurechnen und die Subventionen an die Hochschulen allmählich mehrheitlich den Frauen>, meint EFV-Vizedirektor Karl Schwaar, Chef der Abteilung Ausgabenpolitik, «doch entscheidend ist nicht der Empfänger, sondern die Wirkung. Von der Sicherheit profitieren letztlich alle, ebenso von einem allgemein hohen Bildungsniveau. Nach welchen Kriterien will man das aufschlüsseln?> Selbst von einer teuren externen Studie seien keine Gewissheiten zu erwarten.
Frau mit Beruf und Kind, ohne Mann
Kommt dazu, dass eine umfassende Untersuchung auch Gendermässig sauber nachzuweisen hätte, wer dem Staat die vielen Milliarden für die Verteilaktionen beschafft. Es sind, wie oben nachgewiesen, zu mindestens zwei Dritteln die Männer. Der geräuschvoll vorgetragene Vorstoss der linken Frauen wendet sich letztlich gegen die Geschtechtsgenossinnen: ein klassisches Eigentor.
Die Intervention lenkt so den Blick auf einen politischen Grosstrend. Der Staat schaufelt nicht nur systematisch Geld von den Männern zu den Frauen; er wuchert auch schleichend weiter Richtung einer Feminisierung von Politik und Gesellschaft. Nicht nur wurden flächendeckend Gleichstellungsbüros eingerichtet und reihenweise frauenfördernde Human-Resources-Spezialisten eingestellt, was in einer korrekten Gender-Rechnung ebenfalls ausgewiesen werden müsste. «Gender Mainstreaming> - in gutem Bundesdeutsch: «Berücksichtigung der Geschlechterdimension in politischen Strategien, Programmen und Massnahmen> - Lenkt heute als Leitbegriff das Tun und Lassen der gesamten Beamtenschaft: Selbst das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) sah sich genötigt, eine Mitarbeiterin für den auch zwischen Buchdeckeln abgehandelten Problemkreis «Raum hat (k)ein Geschlecht, oder doch?> einzustellen. Als konkretes frauliches Anliegen in der Verkehrs- und Siedlungsplanung wurden «Gehwege ohne Treppen und grössere Absätze und mit Sitzbänken> sowie «gute ÖV-Angebote zu Einkaufsmöglichkeiten> identifiziert.
Die umfassenden Bemühungen der Gleichstellerinnen werden bei Bedarf mit illegalen Selektionsmethoden (so etwa die direkten Interventionen von SP-Aussenministerin Micheline Calmy-Rej zugunsten gescheiterter Anwälterinnen auf eine Diplomatenkarriere) und mit allerlei integrierten Konzepten zur Verweiblichung der Verwaltung sowie der Führung von bundeseigenen Betrieben (Frauenquoten in den Verwaltungsräten) unterstützt. Den wissenschaftlichen Beistand und damit die letzte Legitimation liefert das auf Antrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Mann und Frau kürzlich lancierte Nationale Forschungsprogramm Nummer 60. Titel: «Perspektiven einer nachhaltigen Gleichstellungspolitik in der Schweiz>. Kosten der Propagandastudien, ebenso zulasten der Genderbilanz: 8 Millionen Franken. Der moderne Staat diskriminiert die Männer.
Dass Bund, Kantone und Gemeinden Kinderkrippen subventionieren, Tagesstrukturen forcieren und die Einschulung von Kleinkindern zur Pflicht erklären wollen, wird offiziell als Familienpolitik bezeichnet und mit teilweise einleuchtenden wirtschaftlichen Argumenten abgestützt. Der wahre Perspektivepunkt neuzeitlicher Politik ist jedoch die vom Mann befreite Frau mit Beruf und Kind.
Die «Fakten in der Frage der Verteilung von Geld und Macht>, welche die SP-Frauen mit ihrem Vorstoss verlangen, liegen auf dem Tisch. Klar ist auch, warum «die geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Sparmassnahmen> sie derart ängstigt: Nur wer profitiert, kann verlieren.
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- Ein feminines Eigentor -
Christine,
09.07.2008, 02:48
- Ein feminines Eigentor - Christian2, 09.07.2008, 09:01
- Ein feminines Eigentor - Zeitgenosse, 09.07.2008, 09:41
- Ein feminines Eigentor (als Text) -
Lude,
09.07.2008, 10:50
- Ein feminines Eigentor (als Text) - Drakon, 09.07.2008, 14:57
- Endlich mal etwas mehr Klarheit (oT) - Mus Lim, 02.06.2009, 10:25