Antwort von Prof. Dr. Gerhard Amendt auf "Kommt nicht in die Tüte"
In einem Schreiben an Bischöfin Jepsen, Unterstützerin der Anti-Gewaltaktion "Kommt nicht in die Tüte" zum Schutz für Frauen vor häuslicher Gewalt, erklärt Professor Dr. Gerhard Amendt vom Institut für Geschlechter und Generationenforschung
Problematisch an dieser Aktion ist, dass Gewalt innerhalb von Familien selektiv wahrgenommen wird. Es wird verleugnet, dass Gewalt in Familien einen systemischen Charakter hat. Wenn die Frau ihren Mann und der Mann seine Frau schlägt, was beide erwiesenermaßen zu gleichen Teilen tun, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass beide Eltern auch die Kinder schlagen. Eine besondere Variante mütterlicher Gewalt ist, dass 47 % nicht selber schlagen, sondern den Vater zum Vollstrecker ihres Willens machen.
Das Projekt "Kommt nicht in die Tüte" unterstützt ein Verständnis von Gewalt, dass wissenschaftlich nicht haltbar ist. Es fördert ein Verständnis von Gewalt, das eher dem mittelalterlichen Auseinanderfallen der Welt in gute und böse Mächte anhängt, als den Forschungserkenntnissen, über die wir heute über Gewalt in Familien und Partnerschaften verfügen.
Sozial- und gesundheitspolitisch ist es problematisch, dass die Auseinandersetzung über familiäre Gewaltverhältnisse noch immer von der Ideologie männlicher Gewalt und weiblicher Friedfertigkeit beherrscht wird. Es ist beängstigend eine Bischöfin auf der Seite des feindseligen Denkens zu sehen, das Konflikte nur verschärft. Solches Denken diskriminiert nicht nur Männer, es idealisiert Frauen und hält sie davon ab, über ihre eigene Gewaltneigung zu sprechen und professionelle Hilfe für sich selber zu suchen.
Wenn wir familiäre Gewalt mindern wollen, müssen wir uns von dem Trugbild verabschieden, dass Gewalt nur von Männern ausgeht und Gewalt von Frauen nur defensiven Charakter hat. Die Forschung zeigt hinlänglich, dass Frauen so gewalttätig wie Männer sind. Auch die zukünftige Effizienz der evangelischen Beratungsstellen in der Evangelische Konferenz für Familien- und Lebensberatung e.V. (Ekful) wird davon abhängen, ob der Weg zur professionellen Intervention in gewalttätige Familien noch zielstrebiger verfolgt wird.
Wir brauchen weder Häuser für geschlagenen Frauen noch für geschlagene Männer oder geschlagene Kinder. Wir brauchen qualifizierte Beratungsstellen für Familien mit Gewaltproblemen mit gut qualifizierten männlichen und weiblichen Mitarbeitern, die familienbezogen kooperieren, hohe berufsethische Standards in ihrer Tätigkeit praktizieren, die weder das eine noch das andere Geschlecht zum Sündenbock machen und die vor allem nicht außerhalb der professionellen Diskussion der freien Träger unreglementiert sich bewegen.
Prof. Dr. Gerhard Amendt
Hier gehts weiter: http://maennersache.blog.volksfreund.de/2008/12/05/antwort-von-prof-dr-gerhard-amendt-auf-kommt-nicht-in-die-tuete/
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Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein