Wutlos glücklich - Aus Neon 6/2006
kerstin_kullmann / NEON-Redakteur
Wutlos glücklich
03/07/06 | 17:35
Die alten GESCHLECHTERROLLEN holen uns ein. Müssen junge Frauen wieder kämpferischer werden?
Die Geschichte beginnt rätselhaft. Einen guten Ratschlag hätte sie noch, sagt die Frau, die Expertin, am Telefon. Einen guten Ratschlag, gerne. >Schreiben Sie das Wort auf keinen Fall«, sagt die Frau, >sonst liest keiner weiter.« Sie ist mittleren Alters, sehr klug und sie erforscht, was Frauen, was Männer heute ausmacht. Welches Wort? >Gleichberechtigung halt.« Aha. Aufgelegt.
Gleichberechtigung halt«
Na gut. Dann schreiben wir das Wort nicht. Junge Frauen brauchen es nicht. Sie wenden das Prinzip an, seit es existiert: für sich alleine entscheiden, auf Augenhöhe leben. Darauf haben sie einen natürlichen, einen politischen Anspruch. Junge Frauen planen kurzfristig, planen langfristig. Sie machen mit Männern Schluss, wenn die nie Kinder haben wollen. Sie machen mit Männern Schluss, wenn die im Bett schlimm riechen. Sie zahlen die halbe oder auch die ganze Miete. Ihr Leben besteht aus Jobben, Studieren, Bewerben. Aus Verlieben, Lieben, Entlieben. Aus >jetzt ein Kind oder später?«-Fragen. Egal, wie dringend Deutschland Mütter, Arbeitskräfte oder Altenpfleger braucht: Frauen treffen ihre Entscheidungen selbst. Doch der Ton wird schärfer. Worte wie >Gebärstreik« und >Versorgerehe« schwirren durchs Land. Der Arbeitsmarkt ist eng. Junge Mütter sollen das Sozialsystem retten. Frau sein droht zu einer gesellschaftlichen Verantwortung zu werden. Zur biologischen Pflicht. Vor zehn Jahren gab es die ewigen Mädchen, seit einigen Jahren die Renaissance der Weiblichkeit. Werden uns die alten Geschlechterrollen zum Verhängnis? Haben wir die Emanzipation verschlafen? Was wollen junge Frauen im Jahr 2006 ? und können sie ihre Ziele erreichen? Soziologen, Psychologen, Demoskopen tüfteln und befragen, um herauszufinden, was die junge Frau will. Wonach sie sich sehnt, woran es ihr mangelt. >Klar«, sagt Martina Gille vom Deutschen Jugendinstitut in München, >junge Frauen wünschen sich am meisten, erwerbstätig zu sein und eine Familie zu gründen.« Beides. Nicht eines von beiden. Der Wunsch ist so groß, dass man meinen könnte, er müsse allein deswegen wahr werden. Aber das ist nicht so leicht, sagen die Zahlen. Im Grunde unmöglich, sagen die, mit denen man über die Zahlen spricht.
? 40 Prozent der Frauen kehren nach einer Geburt nicht mehr in den Beruf zurück, obwohl sich über 60 Prozent der Frauen mit Kindern wünschen, wieder zu arbeiten.
? Fast ein Viertel der jungen Frauen sind kurz nach Gründung einer Familie unzufrieden mit der Haushaltsaufteilung. Mehr als neunzig Prozent der jungen Männer sind zufrieden.
? Frauen verdienen im gleichen Job im Schnitt 20 bis 30 Prozent weniger als Männer.
? Sie bekommen bereits beim Berufseinstieg weniger Geld ? bei gleicher, sogar bei höherer Qualifikation.
? Frauen stellen 49 Prozent der Beschäftigten, fast die Hälfte arbeitet Teilzeit ? nur elf Prozent der Führungskräfte haben Teilzeitjobs.
? Über 35 Prozent der Menschen, die im Land unter der Armutsgrenze leben, sind alleinerziehende Mütter. Arm ist, wer weniger als 938 Euro im Monat zur Verfügung hat.
? Fast 50 % der Paare lassen sich heute nach drei bis fünf Ehejahren scheiden.
Es sieht so aus, als müssten Frauen im Lauf ihres Lebens ihre Wünsche immer kleiner und enger falten, damit sie passen. Männer nicht.Gräbt man sich durch die Massen von Studien,durch Kreuztabellen und Variablen, dann rinnen einem die Illusionen klar wie Wasser durch die Finger. Dann hat man den Eindruck: Jung sein und eine Frau sein, das ist in Wahrheit eine Krankheit. Eine Frau, das ist ein defizitärer Organismus, dem gut zugeredet und dem auf die Beine geholfen werden muss. Aber warum helfen sich Frauen nicht einfach selbst?
Weil sie sich nicht krank fühlen
Jungen Frauen gehe es bestens. Sie seien glücklich. Das sagt Stephan Grünewald, Mitbegründer und Psychologe des Rheingold Instituts in Köln. >Junge Frauen sind die sozialen Gewinner des neuen Jahrtausends.« Seit 2001 haben Grünewald und seine Kollegen 4000 Frauen zwischen 18 und 30 Jahren befragt. Er sagt, die Anfang 20-Jährigen gingen mit der sozialen Unsicherheit am besten um. Mit der Terror-Angst ebenso wie mit dem Auseinanderfallen der Sinnzusammenhänge, kurz: mit allem, was einsam und verzweifelt macht. Sie würden Netzwerke und Freundschaften bilden und seien sozial virtuoser. Sie pflegten eine kuschelige, wie Grünewald sagt, eine >harmoniesüchtige« Form der Selbststabilisierung. Frauen würden in einem dichtgewebten sozialen Netz leben, mit dem Handy als Navigationssystem und dem Wunsch, immer angebunden zu sein. Frauen fühlen. Das tun sie gerne. Und sie möchten sich nicht wie Männer fühlen. Egal, wie weit sie heute davon entfernt sind, über Feminismus nachzudenken, sie stecken doch immer mittendrin: im Glaubensstreit der feministischen Theorie. Die einen ? Gleichheitsfeministinnen ? meinen, der Unterschied zwischen Frauen und Männern solle klein sein und immer kleiner werden, bis Frauen und Männer einander nicht mehr in anerzogene Rollenbilder pressen. Bis Frauen Chef sein können und Männer Hausmann. Die anderen ? Differenzialistinnen ? reden über die >neue Weiblichkeit«. Für sie sind Frauen und Männer von Natur aus verschieden. Die Strategie, sich auf weibliche Stärken zu konzentrieren, halten sie für die bessere. Sie finden den Graben, der zwischen den Geschlechtern liegt, gut. Sie finden ihn sexy. Er trenne Prinzipien voneinander, die sich aus der Entfernung besser erkennen lassen. Dann sehe man gut, was wirklich weiblich und was wirklich männlich sei. Bislang schien die Strategie der Differenzialistinnen aufzugehen: Junge Frauen sind stolz darauf, sich das Essen zahlen zu lassen oder das Taxi nach Hause, ohne sich fragen zu müssen: >Hat er mich gekauft?« Nein, hat er nicht. Er wird am nächsten Morgen nicht sagen: >Hol die Zeitung, mach Kaffee.« Er wird selbst zum Bäcker rennen und auch Blumen mitbringen. Für den Hausgebrauch scheint das zu klappen: mit der eigenen Weiblichkeit zu kokettieren, sich nicht zum Heimchen zu machen. 2006 wird es bei H&M besonders weiblich. Weiblich wie in der guten alten Zeit. Matthias Geduhn, Sprecher von H&M, erzählt von Etuikleidern und eleganten Blusen. Von Bleistiftröcken, Perlenketten, vom Berlin der 30er Jahre. Das Hausfrauenkleidchen, das man über der Jeans tragen kann, war schon im letzten Jahr ein Renner. Anmutung: patente, nette junge Dame. Werden in diesem Herbst junge Frauen im Kostüm mit Perlenkette in den Bars sitzen und auf ihren Retter warten? Auf die Erlösung aus dem Elend eines engen Arbeitsmarkts? Gar nicht unwahrscheinlich, glaubt Stephan Grünewald. >Erlösungsfantasien« nennt er das. >Je größer die soziale Ohnmacht, desto stärker der Wunsch nach einem Versorger.« In den letzten Jahren sei dieser Wunsch besonders stark geworden. Das gelte natürlich nicht für alle jungen Frauen: Manche begreifen sich gerade jetzt als Kämpferinnen. Doch viele Frauen, so Grünewald, würden defensiver, verharrender und hofften auf einen Mann als Retter. Sie würden lieblich, servil und angepasst werden. Sie täuschten vor, mit ihrer Weiblichkeit zu spielen. In Wahrheit drohe sie wieder zu ihrer einzigen Waffe zu werden. >Aus einem Arbeitsmarkt, in dem fünf Millionen Jobs fehlen, sind Frauen ganz schnell wieder draußen«, sagt die Autorin Katja Kullmann. In ihrem Buch >Generation Ally« beanstandete sie 2003 die feministischen Versäumnisse der Girlies der Neunziger. Heute ist sie sicher: Emanzipation droht zur Klassenfrage zu werden. Nur wer Geld, wer Arbeit hat, kann sich erlauben, auf Selbstständigkeit zu pochen. >In gesellschaftlich schwierigen Zeiten werden traditionelle Geschlechtervorstellungen verschärft durchgesetzt«, glaubt auch die Sozialpsychologin Gitta Mühlen-Achs. Sie sagt im Scherz: >Dann schlägt das Imperium zurück.« Und an welcher Front greift es an? >An der Front der Mütterlichkeit. Mit dem Muttersein kriegt man die Frauen immer.« Ute Vogt hat keine Kinder. Die SPD-Politikerin ist 41 Jahre alt, nicht verheiratet. Sie forderte letzten März den CDU-Ministerpräsidenten Günther Oettinger heraus. Sie hat haushoch verloren. Mit dem Muttersein hat man im Wahlkampf oft versucht, sie zu kriegen. Man hat sie als Karrierefrau bezeichnet und das als Beleidigung gemeint. Man hat ihr verboten, über Familienpolitik zu reden, weil sie davon keine Ahnung haben könne. Wenn Ute Vogt darauf hinwies, dass es in Deutschland ein Ding der Unmöglichkeit sei, Kinder und Beruf zu vereinbaren, kochte die Stimmung: >Das ist respektlos gegenüber den Müttern! Hausfrau sein ist auch Arbeit!« >Alles ist immer ein Angriff auf die Mütterlichkeit «, klagt Ute Vogt. Für sie ein Missverständnis: wirklich schwer hätten es hier nicht die Frauen, die fordern: Lasst mich Mutter sein! Sondern die, die hinzufügen: Und meinen Beruf will ich auch behalten! Junge Frauen leben in einer Welt der gefühlten Gleichberechtigung. Während der Ausbildung, während des Studiums, in einer jungen Beziehung gibt es kaum Gründe für Argwohn. Es gibt keine Probleme, die einen ahnen lassen, dass das jemals ein Vor- oder Nachteil sein könnte: Frau oder Mann zu sein. >Solange sie keine Kinder haben, leben junge Frauen oft mit der Illusion, die Zukunft partnerschaftlich regeln zu können«, sagt Gitta Mühlen-Achs. >Männer rütteln auch nicht an dieser Vorstellung. Sie glauben ja selbst daran. Am Ende fügen sie sich aber meist sehr bereitwillig in alte Rollenmuster.« Das deutsche Jugendinstitut fand heraus: Für junge Männer ist Gleichberechtigung oft eine abstrakte Frage, die sie so selbstverständlich mit >Ja gerne!« beantworten wie die Frage, ob man ihnen ein Bier aus dem Keller mitbringen soll. Wenn es um Arbeitsteilung im Haushalt, um Geldverdienen geht, antworten sie viel zögerlicher und lange nicht so euphorisch. Wenn es so weit ist, wenn ein Kind kommt und die Frage im Raum steht, wer daheim bleibt, wer weiterarbeitet, dann ist in Deutschland der alte Weg der leichtere: Das Ehegatten-Splitting bevorteilt die Versorgerehe. >Und die Gesellschaft «, sagt Ute Vogt, >mag keine Mütter, die ihr Kind in eine Krippe geben.« Was passiert? Frauen bleiben daheim, arrangieren sich, stecken zurück. Fallen aus dem Arbeitsmarkt und bereuen das später. Frauen, die aus qualifizierten Berufen drei Jahre in Elternzeit gehen, haben kaum eine Chance, dort einzusteigen, wo sie aufgehört haben. Das Dilemma: Weil Frauen weniger verdienen, bleiben sie mit dem Kind daheim. Die Familie braucht Sicherheit. Mehr Geld gleich mehr Sicherheit. Das ist eine so zwingende Einsicht, dass man sie, die Einsicht, am liebsten links und rechts dafür ohrfeigen würde.
Frauen wollen keine Männer sein
Selbst wer in Deutschland versucht, trotz aller Widerstände sein Ideal einer gleichberechtigten Beziehung zu leben, kann bitter daran scheitern. Wie Miriam Keller, 32, die im Studium schwanger wurde. Einen Sohn bekam, ihren Abschluss machte, sich bewarb. Den Kleinen betreute ihr Freund. Miriam bekam keinen Job, nicht mit Kind. Fünf Jahre nichts, nicht mal ein Praktikum. Jetzt hat sie noch einen Sohn und ist hauptberuflich Mutter. Oder Anja Grothmann, 31. Sie war vier Jahre Redakteurin, machte vier Jahre Mutterpause. Jetzt arbeitet sie wieder, doch die Kollegen sehen es nicht gerne, wenn sie früher gehen muss. Sie braucht teure Kinderbetreuung und hat bemerkt: Der Job kostet die Familie mehr, als er bringt. Ihr Mann sagt: >Was für ein kostspieliges Hobby.« Frauen wollen keine Männer sein. Leider bringt das im Berufsleben nicht viel. Umfragen sagen: Männlich aussehenden Frauen wird mehr Führungskompetenz zugetraut. Das fand die Sozialpsychologin Anke von Rennenkampff 2004 in einer Studie heraus. Von den Waffen der Frauen kann keine Rede sein. Männer um den Finger zu wickeln, hilft in Wahrheit nur so lange, wie ein Mann darauf steht. Ob einem das recht ist oder nicht: In einer Berufswelt, die männlich ist, müssen die Taktiken der Männer imitiert werden. Erst wenn man oben ist, kann man die Dinge unten verändern. Niemand weiß das besser als Alice Schwarzer: >Nicht in der Frauenecke hocken! Die Hälfte der Welt erobern«, waren die Kampfrufe der Feministinnen. Für Schwarzer ist die >neue Weiblichkeit« eine Falle, ein Rückschritt. Niemandem wurde ihre mangelhafte Weiblichkeit so sehr vorgeworfen wie Angela Merkel. Alice Schwarzer findet Angela Merkel gut. Junge Frauen lehnen Frauenquoten ab, weiß das Deutsche Jugendinstitut. Sie denken: Die Zeiten, in denen sie an der Hand genommen werden müssen, sind vorbei. Jetzt müssen sie sich anhören, dass sie zu wenig Kinder bekommen (Problem wegen der Rente), dass sie die Kinder zu spät bekommen (Problem wegen der Natur) und dass sie, sobald sie Kinder haben, zu faul sind und auf dem Arbeitsmarkt fehlen (Problem wegen der Wirtschaft). >Frauen «, sagt Gitta Mühlen-Achs, >haben es heute schwerer als früher. Die Ungerechtigkeiten sind weniger offensichtlich, die Zwänge subtiler. Frauen sind an allem, was sie nicht schaffen, selbst schuld. Männer haben sich aus der Problemwelt Frau zurückgezogen.« Frauen hungern sich auf ihr Idealgewicht runter? Selbst schuld. Fühlen sich nur mit großen Brüsten wohl? Sie tun es für sich selbst. Ziehen aus Liebe zum Freund in eine andere Stadt, finden keinen Job? Wenn man so blöd ist: selbst schuld. Frauen spielen mit ihrer Weiblichkeit, geben sich damenhaft, sind trotzdem stark und schlau. Doch die Widersprüche zwischen dem, was junge Frauen sich wünschen, und dem, was davon im Laufe ihres Lebens wahr werden kann, sind groß. Wie lang darf man die Welt um sich herum anlächeln, um all diese Widersprüche auszuhalten? >Die Träume«, sagt Gitta Mühlen-Achs, >die junge Frauen haben, sind wunderbar. Sie müssen nur viel früher damit beginnen, sich für die Realität zu rüsten.« Planmäßiger handeln. Weitsichtiger denken. Die Welt der neuen Weiblichkeit lullt angenehm ein ? die Realität aber sagt: So weit, wie wir denken, sind wir nicht. Denn was Frauen, egal wie weiblich sie wirken, wirklich wollen, ist klar: Gleichberechtigung halt.
kerstin_kullmann
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Barbarus hic ergo sum, quia non intellegor ulli.