Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Rezension zu Die Emanzipationsfalle von Gaschke

DschinDschin, Friday, 04.08.2006, 15:07 (vor 6936 Tagen)

Rezension des Buches "Die Emanzipationsfalle"
Kopiert von der Seite single-generation Rezension Die Emanzipationsfalle - Gaschke

Zitat:

Die Avantgarde der Kinderlosen als Zielgruppe der Bevölkerungspolitik

"Bevor nicht alles andere versucht ist, um das Bewusstsein der gewollt Kinderlosen zu ändern, halte ich Strafsteuern für sinnlos.
Und es ist nicht alles versucht worden, denn wir haben die Anti-Kinder-Fraktion jahrelang mit Argumenten traktiert, die sich eigentlich an bereits Bekehrte und Traditionalisten wenden. Das konnte nicht wirken. Wir müssen Argumente finden für die Avantgarde der Kinderlosen, für gut ausgebildete Singlefrauen und FDP wählende Erfolgsjungmänner, für entschiedene Nichteltern, für Unentschlossene und Schwankende. Dabei geht es um nicht weniger als um ein neues Mensch-, vor allem wohl ein neues Frauenbild. Diese Bewusstseinsarbeit wird nicht ganz leicht in einer Gesellschaft, in der (...) große Bevölkerungsgruppen gar keinen Kontakt mehr zu Kindern haben und gerade ein erheblicher Teil der Multiplikatoren in den Medien zu dieser kontaktlosen Gruppe gehört."
(aus: Susanne Gaschke "Die Emanzipationsfalle", 2005, S.156)

Zwei typische Vertreterinnen der Generation Karrierefrau

Die Medienbranche wird von zwei typischen Protagonistinnen der um die 1970er Jahre geborenen Frauen geprägt.
Für die Geburtselite steht Susanne GASCHKE, Jahrgang 1967, die Aufsteiger repräsentiert dagegen Katja KULLMANN, Jahrgang 1970.
Erstere rechnet sich zur Generation Berlin, letztere hat für sich das Etikett Generation Ally erfunden. Beide gehören zur Generation Golf, die Florian ILLIES für die 1965 - 1975 Geborenen erfunden hat.
Von Susanne GASCHKE ist gerade das Buch Die Emanzipationsfalle erschienen, das uns hier als Anlass dient, um den tobenden Kulturkampf der Mitte-Elite aus einer Perspektive zu betrachten, die gegenwärtig vollkommen unterbelichtet ist.
Ausgehend von den Familiengeschichten und Biografien der Journalistinnen Susanne GASCHKE und Katja KULLMANN wird eine Milieutheorie der Kinderlosigkeit entwickelt.
Weder die Feminismusschelte à la Gaschke, noch die Ökonomische Theorie der Kinderlosigkeit von Gary BECKER bis Bert RÜRUP ist in der Lage die Kinderlosigkeit in Deutschland hinreichend zu erklären. Ganz zu schweigen von der Zeugungsstreikthese von Ulrike WINKELMANN bis Meike DINKLAGE.
Gebärunwilligkeit, Zeugungsstreik oder Kostenfalle sind lediglich Etiketten für unbegriffene Phänomene, die Symptome eines neuen Typs von Klassengesellschaft sind.

Der demografische Wandel als Ergebnis gesellschaftlicher Veränderungen

Der Wandel des Kapitalismus, der mit einem Wandel des Bildungssystems, des Arbeitsmarktes, der Entstehung neuer Berufe und neuer Konsumchancen einherging, hat neue Milieus mit neuen Bedürfnissen hervorgebracht.
Welche Konsequenzen die gestiegene Lebenserwartung hat, ist gleichfalls noch unbegriffen.
Seit den 90er Jahren steht der demografische Wandel zunehmend mehr im Mittelpunkt der politischen Agenda. Damit hat diese Problembeschreibung das Ökologiethema, mit dem die Grünen die politische Bühne erobert haben, verdrängt.
Der demografische Wandel wird als Problembündel dargestellt und je nach Perspektive wird entweder die steigende Lebenserwartung oder der Geburtenrückgang als schwerwiegendste Problemursache betrachtet.
Susanne GASCHKE vertritt die nationalkonservative Problembeschreibung, wonach der Geburtenrückgang gravierende gesellschaftliche Folgen haben wird, wenn nicht schnell politisch und kulturell radikal umgesteuert wird.
GASCHKE folgt hier Bevölkerungswissenschaftlern wie Herwig BIRG und Soziologen wie Franz-Xaver KAUFMANN, die das nationalkonservative Paradigma am konsequentesten positioniert haben.
Im folgenden werden wir uns nicht mit der Frage beschäftigen, inwiefern die Geburtenkrise überhaupt existent ist. Dies wurde ausführlich im Beitrag Die politische Konstruktion der Geburtenkrise behandelt.
Wir werden uns jedoch mit den biografischen Wurzeln, d.h. den identitätstheoretischen Gründen für Vorwürfe wie Gebärunwilligkeit oder Zeugungsunwilligkeit beschäftigen.
Hier liegt eine zentrale Ursache für die Vehemenz, mit der dieses Thema die Debatte bestimmt.
Daneben werden die Faktoren Partnerschaft und Heirat näher beleuchtet, denn in der nationalkonservativen Perspektive kommt diesen Faktoren eine zentrale Rolle bei der Problembeschreibung Geburtenrückgang zu.
Zu allererst werden wir uns nun den Biografien von Susanne GASCHKE und Katja KULLMANN widmen.

Vorbemerkung: autobiografischer Essayismus als Ausgangspunkt für Fallvergleiche

Wir werden hier die Bücher Die Emanzipationsfalle von Susanne GASCHKE und Generation Ally von Katja KULLMANN der Gattung autobiografischer Essayismus zuordnen.
Diese Gattung verknüpft biografische Selbstinszenierung und Gesellschaftsbeschreibung, indem eine steile These aufgestellt wird, die mit einem Buch belegt werden soll.
Während dem Roman im Rahmen der Literatursoziologie und mittlerweile auch anderer Soziologien eine gewisse seismografische Bedeutung zugesprochen wird, sind Sachbücher als Dokumente gesellschaftlichen Wandels für die Soziologie eher irrelevant geblieben.
Nichtsdestotrotz wurde z.B. das Buch Generation Golf von Florian ILLIES inzwischen auch in der Soziologie und Politikwissenschaft zum Ausgangspunkt entsprechender empirischer Untersuchungen oder theoretischer Überlegungen genommen.
Wenn wir die Fälle von GASCHKE und KULLMANN vergleichen, dann sollen sie unsere Milieu-These zum besseren Verständnis illustrieren.

Die Geburtselite: Das Beispiel Susanne Gaschke

Susanne GASCHKE repräsentiert die bildungsbürgerliche Tradition der Geburtselite.
Im Kapitel Nie mehr jammern schildert GASCHKE die Familie, in die sie hineingeboren wurde.
Ihre Großmutter, 1910 geboren, überlebte als einzige von 5 Kindern und durfte deshalb Medizin studieren. Mit 35 Jahren hatte sie bereits 3 Kinder geboren. In der Zeit zwischen Kriegsende und Rückkehr des Ehemanns aus russischer Gefangenschaft, arbeitete die Großmutter im öffentlichen Gesundheitsdienst. 1949 gab sie ihre Stelle zugunsten ihres Ehemannes auf, eröffnete aber Mitte der 50er Jahre in Kiel eine der ersten staatlichen Eheberatungsstellen.
GASCHKEs Mutter, Jahrgang 1943 und damit Angehörige der 68er-Generation, ging aufs Gymnasium und studierte Anglistik und Geschichte. Sie arbeitete danach auf einer Teilzeitstelle am selben Gymnasium wie der Ehemann.
Susanne GASCHKE gehört familiengeschichtlich also mütterlicherseits bereits zur dritten Akademikerinnengeneration. Im Buch thematisiert GASCHKE ihre Berufsorientierung als Bruch der Familientradition:

"Sie habe sich bewusst gegen Vollzeittätigkeit entschieden, sagt meine Mutter, weil sie uns die Erfahrungen ihrer eigenen Kindheit nicht zumuten wollte (...). Inzwischen frage sie sich manchmal, ob ihre Entscheidung richtig gewesen sei, denn heute werde über Hausfrauen und Nur-Mütter geredet, als ob sie Vollidiotinnen und, schlimmer noch, volkswirtschaftliche Parasiten seien. (...).
Und als jemand, der in den Genuss einer unbeschwerten, komfortablen Kindheit gekommen ist, halte ich die gegenwärtige Stimmungsmache gegen Hausfrauen für extrem ungerecht.
Allerdings war sowohl für mich wie für meine Schwester trotz des harmonischen häuslichen Vorbilds klar: wir nicht! Wir werden selbstverständlich arbeiten, mit oder ohne Kind, mit oder ohne Mann, ganz egal, arbeiten! Erfolg haben! Uns durchsetzen! Mir (Jahrgang 1967) ist das mit einer nunmehr vierzehnjährigen Tochter ganz gut gelungen, meiner Schwester (Jahrgang 1972), bisher ohne Kinder, auch. Manchmal frage ich mich allerdings, ob meine Muter sich durch unsere entschlossene Berufsorientierung gekränkt fühlt, ob sie unsere geringe Neigung zur häuslichen Sphäre als Kritik empfindet - ich hoffe nicht, haben doch sie und mein Vater durch die vielen, vielen Stunden, in denen sie unsere Tochter hüteten, meinen Berufsweg erst möglich gemacht." (S.15f.)

GASCHKEs Großmutter hatte im Alter von 35 Jahren 3 Kinder geboren, die Mutter immerhin zwei Kinder, während GASCHKE und ihre Schwester ihren gesellschaftlichen Gebärauftrag noch nicht erfüllt haben.
Am 14. August 2003 fragte Susanne GASCHKE im Leitartikel Wo sind die Kinder? und forderte für das Land der Egoisten: Kein Nachwuchs, keine Rente. GASCHKE - selber Teil des Problems - forderte damals:

"Der Staat, >die« Politik, kann den gesellschaftlichen Individualisierungsprozess nicht aufhalten. Dieser ist ein kulturelles Problem, das sich normalen Gesetzesinitiativen entzieht. Wenn die Menschen als Dinks (double income, no kids) oder heute noch lieber als Singles leben wollen, kann niemand sie daran hindern. Aber mutige Politiker müssten ihnen unverblümt sagen, dass ihre individuelle Entscheidung gegen Kinder, die sich mit Millionen von gleichgerichteten Entscheidungen zum Massenphänomen summiert, nicht folgenlos bleiben wird. Wer, als Kinderloser, die halbe Million Euro (Existenzminimum), die zum Großziehen von drei Kindern mindestens nötig wäre, im Frühling des Lebens für Tauchurlaube ausgibt, kann nicht im Herbst die Sparbücher seiner Eltern plündern; die werden überdies leer sein."

GASCHKE prangert hier den hedonistischen Lebensstil von Kinderlosen an, den sie als Folge des gesellschaftlichen Individualisierungsprozesses betrachtet, dem mit politischer Gesetzgebung allein nicht gegengesteuert werden kann. Diese Argumentation bildet auch den Kern des neuen Buches.
Wir können also festhalten, dass GASCHKEs Perspektive auf den Geburtenrückgang durch die Erfahrungen ihres Milieus gestützt werden.

Die Aufsteiger: Das Beispiel Katja Kullmann

Im Jahre 2002 erschien das Buch Generation Ally von Katja KULLMANN. Das Buch wurde zum Bestseller.
Im Gegensatz zu GASCHKE bleibt KULLMANNs Familiengeschichte mehr im Dunkeln. Man erfährt, dass ihre Eltern 1978 in eine Eigenheimsiedlung in Friedrichsdorf gezogen sind. Der Ort mit ca. 20.000 Einwohnern liegt im Taunus und gehört zum Großraum Frankfurt. Über ihre Mutter erfahren wir:

Die Lebenssituation der Mutter

"Meine Mutter (...) hatte ihren Job als Rechtsanwaltsgehilfin 1970 aufgegeben, weil ich zur Welt kam. Ich wurde unter anderem deshalb geboren, weil meine Eltern unbedingt heiraten wollten, meine Mutter aber noch nicht 21 war und die Einwilligung zur Hochzeit nur mit Hilfe eines dicken Bauches bekam, denn sie stammte aus einem katholischen Haushalt, und ein uneheliches Kind wäre eine Schande gewesen. Sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, meinen Vater mit der Kindererziehung zu beauftragen, auch, weil er eine bessere Ausbildung als sie hatte und mehr verdiente. Eigentlich kam mir meine Mutter immer ganz zufrieden vor, und sie sich offenbar auch.
Aber spätestens Ende der 70er werden unsere Mütter mit dem Nachdenken begonnen und bemerkt haben, dass ihr Alltag plötzlich ein >Rollenbild« war, zu dem es verdammt nochmals Alternativen gab. Sie werden nicht umhingekonnt haben, ihre eigene Biografie zu durchleuchten, zu erkennen, dass sei andere Möglichkeiten gehabt hätten oder zumindest haben sollen. Denkbar, dass unseren Müttern in schwachen Momenten ihr eigenes Leben plötzlich schäbig erschien. (...).
Unsere Mütter bemühten sich verzweifelt darum, neben dem Haushalt noch ein bisschen an sich selbst zu denken. Wir jedoch hatten zu keinem Zeitpunkt vor, jemals nicht an uns selbst zu denken. Diesen Fehler würden wir niemals machen. Wir, die zwischen 1965 und 1975 Geborenen, sind die erste Frauengeneration, die unmittelbar von der Frauenbewegung profitierte." (S.37f.)

KULLMANN stellt also - genauso wie GASCHKE einen Bruch in der Familientradition fest, anders als GASCHKE kann KULLMANN jedoch mütterlicherseits auf keine Akademikerinnentradition verweisen.
KULLMANN beschreibt in ihrem Buch auch den hedonistischen Lebensstil der Generation Ally, auf den sich GASCHKEs obiger Vorwurf der Gebärfaulheit bezieht:

"Wir unternehmen einen Weekend-Trip nach Paris, zum Shoppen; jetten eben schnell nach Verona, zur Oper in die Arena, wegen der Kultur; hüpfen flugs über den Kanal, zum Notting Hill Carnival nach London oder übern Teich zum Christopher Street Day nach New York, um den Anschluss nicht zu verpassen; mieten uns in ein Ayurveda-Ressort in Thailand ein, der Schönheit und der Balance wegen." (S.48)

Was jedoch bei GASCHKE ausgeblendet wird, dass sind die teilweise miserablen Arbeitsbedingungen in der Medienbranche, die mittlerweile zur Begriffsprägung Generation Praktikum geführt haben:

"Ein Praktikantensalär bestand meist aus einer Pauschale zwischen 500 und 1000 Mark. Das mieseste Gehalt, das ich je bekam, wurde von einem großen Zeitschriftenverlag spendiert, für den ich wöchentlich 50 Stunden tätig war, fast immer ohne Mittagspause und ohne Wochenende, über drei Monate. Und das für ein Monatslohn von 250 Mark, was einem Bruttostundenlohn von rund 1,25 Mark entspricht.
Neben lächerlicher oder gar fehlender Entlohnung bringt der Praktikantenstatus noch weit prägendere Erfahrungen mit sich: Unterforderung, Überforderung und Überflüssigkeit." (S.52)

Was weiter auffällt: Im Gegensatz zu GASCHKE, spielt für KULLMANN das Elternhaus keine entscheidende Rolle. Sich unabhängig vom Elternhaus durchsetzen zu müssen, kennzeichnet den Aufsteiger:

"Ich hatte mich für den Fachbereich Gesellschaftswissenschaften entschieden, weil ich annahm, dass ich nach einem Studium der Politologie und Soziologie zumindest rudimentäre Ahnung hätte von Recht, Wirtschaft, Psychologie und Politik (...). Das schien mir die geeignete Voraussetzung zur Journalistenlaufbahn zu sein. Da ich nach wie vor im Rhein-Main-Gebiet wohnte, jetzt allerdings nicht mehr in Friedrichsdorf bei meinen Eltern, sondern am Rande Frankfurts in einer 28 Quadratmeter großen Dachkammer mit Kochecke und Dusche im Keller, hatte ich mich an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität eingeschrieben, einer so genannten linken Uni, und eine Massen-Uni noch dazu." (S.56)

Katja KULLMANN wird durch Lifestyle-Magazine sozialisiert:

"Der Beginn der Lifestyle-Ära und unsere Volljährigkeit fallen historisch zusammen. Kurz vor meinem Eintritt in die Oberstufe erschien 1985 die inzwischen eingestellte Zeitgeist-Illustrierte Tempo, ein Jahr später folgte das Szene-Stadtmagazin Prinz, in der Abiturphase kam MAX hinzu, 1994 dann Fit for Fun, zwei Jahre später die Fotostrecken- und Sex-Tipps-lastige Frauenzeitschrift Amica. Analog zur Trendmaschinerie des produzierenden und werbenden Gewerbes erfanden die Lifestyle-Medien Freizeitbeschäftigungen und Sinnstiftungen und führten immer neue Hyper-hyper-Vokabeln ein." (S.75)

Später arbeitet dann KULLMANN selber für solche Lifestyle-Magazine:

"Einer meiner ersten bezahlten Jobs bestand in der freien Mitarbeit als Szene-Reporterin in der Frankfurter Prinz-Redaktion. Auch dort wurden Lifestyle-Trends gemacht beziehungsweise frei erfunden." (S.77)

Am Ende des Buches Generation Ally zieht Katja KULLMANN Bilanz:

"31 ist mein Alter. Zwischen meinem 20. und 30. Geburtstag bin ich neun Mal umgezogen und habe in vier verschiedenen Städten gelebt, jeweils mindestens ein halbes Jahr lang. Ich habe Praktika absolviert, um Erfahrung zu sammeln, und viele verschiedene Jobs gemacht, um mich über Wasser zu halten, habe Einkaufswagen sortiert, gekellnert, Hongkongfilme synchronisiert und telefonische Marktforschung betrieben. Ich habe studiert und das Studium abgeschlossen und wegen der Frauenquote an der Uni eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft angeboten bekommen, aber ich ging lieber raus in die Praxis. Dort habe ich einen damals noch ordentlichen Beruf erlernt, den der Redakteurin, und mich fest anstellen lassen. Ich war erfolgreich, so erfolgreich, dass ich mich als Freiberuflerin selbstständig machte und meine Ich-AG gründete, in einer Zeit, in der die Start-ups- und Existenzgründerwelle boomte. Ich wollte weniger arbeiten und mehr verdienen, was sich beides bislang nicht erfüllt hat.
Ich habe neben Europa auch den nordamerikanischen und den südamerikanischen Kontinent fast komplett bereist. Asien ist als nächstes dran. Ich beherrsche zumindest eine Fremdsprache und habe Grundkenntnisse in zwei anderen Sprachen; außerdem habe ich das große Latinum, was für das Hier und Heute rein gar nichts bringt, man weiß nie, ob man es in den Lebenslauf schreiben soll oder nicht.
(...).
Die Zahl der Männer, die ich näher kennen lernte, liegt über dem statistischen Mittel von 4,4, allerdings hatte ich noch nie einen One-Night-Stand, die kleinste Erotik-Einheit war ein Two-Night-Stand. Vorläufig bin ich kein Single, ich führe eine Beziehung.
(...).
Ich nehme die Pille, und auch wenn ich sie häufig vergesse, musste ich noch nie abtreiben. Vielleicht bin ich unfruchtbar, ich habe es noch nie testen lassen. Wenn man mich fragt, ob ich Kinder will, dann weiß ich nicht, was ich sagen soll. Ich kann es mir durchaus vorstellen, aber ich kann mir auch vorstellen, kinderlos zu bleiben. (...). Ich weiß nicht, ob ich eine richtige Frau bin. Ich weiß nicht, ob ich später einsam bin. Ich habe Angst, Angst zu haben. Und ich hasse Ally McBeal." (S.213ff.)

Das Buch Generation Ally erschien im Februar 2002. Im Sommer 2002 traf die Jobkrise auch den Pop-Journalismus der Lifestyle-Presse. Die Bilanzierung ist deshalb nicht nur unter biografischen, sondern vor allem unter gesellschaftlichen Aspekten zu betrachten.

Natürliche Feinde: Geburtseliten und Aufsteigerinnen

Liest man beide Bücher, dann ergeben sich viele Gemeinsamkeiten. Sie weisen daraufhin, dass sich beide als Angehörige der Mitte-Elite verstehen.

"Wir gehören zur Neuen Mitte, ohne dass wir wüssten, was das eigentlich sein soll, und wenn wir uns schlecht fühlen, gehen wir einkaufen oder lassen uns farbige Strähnchen ins Haar montieren." (S.87)

Es ist wohl dieser Satz, der die Differenz markiert.
Während GASCHKEs Generation Berlin die Neue Mitte definiert hat, zählt sich KULLMANN zum Wählerpotenzial.
Im Sinne von Gerhard SCHULZEs Erlebnisgesellschaft, gehört GASCHKE dem Niveaumilieu an, während KULLMANN dem Selbstverwirklichungsmilieu zuzuordnen wäre.

"Meine Freundin Rosie kenne ich seit meinem zehnten Lebensjahr. (...). Wir gingen auf ein altsprachliches Gymnasium, weil ihr Vater und meine Mutter dort auch schon zur Schule gegangen waren. Rosie dachte pragmatisch und lernte als dritte Fremdsprache Französisch, mir gefiel die überall in meinem Freundeskreis entsetzt kommentierte Nutzlosigkeit von Altgriechisch" (S.53),

schreibt GASCHKE.
Die Wahl Altgriechisch charakterisiert diesen bildungsbürgerlichen Habitus (Pierre BOURDIEU) ganz gut. Dagegen besitzt KULLMANN zwar das Große Latinum, aber innerhalb ihres Selbstverwirklichungsmilieu ist das eher kein notwendiges Distinktionsmerkmal.
GASCHKE beschreibt ihre Karriere als typisch für die Töchter der Emanzipation:

"Als ich 1986 Abitur machte - selbstverständlich war ich, unter großer Ermunterung durch meine Lehrer, auch Schulsprecherin gewesen -, hatte ich das Gefühl, dass die Welt auf mich wartete. In der Konfrontation mit dem Arbeitsmarkt der neunziger Jahre relativierte sich diese Wahrnehmung ein wenig, aber so ging es allen im Zeitalter der Kohl'schen Massenarbeitslosigkeit, die im Jahr 1998, lange vor Hartz IV, 4,8 Millionen Arbeitslose betrug. Zu keiner Sekunde hatte ich das Gefühl als Frau benachteiligt zu sein, im Gegenteil: Die Ladenhüter bei der Kandidatur um politische Ämter, in der Konkurrenz um Volontariate und erste Stellen waren eindeutig die gleichaltrigen Nur-Männer." (S.19)

Vergleicht man jedoch die Karrieren von GASCHKE und KULLMANN, dann wird deutlich, dass zwar beide Abitur, Studium und Karriere in der Medienbranche absolviert haben, aber in unterschiedlichen Segmenten.
GASCHKE arbeitet bei der seriösen Wochenzeitung Die ZEIT, die eine lange Tradition aufweisen kann, während KULLMANN im neu entstandenen Lifestyle-Sektor arbeitete.
Es ist offensichtlich kein Zufall, dass GASCHKE und KULLMANN genau jene Karrieren machten.
Obwohl sich beide als erfolgreiche Töchter der Emanzipation beschreiben, gehört GASCHKE zur Geburtselite, die die traditionellen Segmente besetzt, während die Aufsteiger in den neu entstandenen Märkten ihre Chance suchten.
Neben der Geschlechterdifferenz darf also die Herkunft keineswegs ausgeblendet werden. Es müsste also gefragt werden wie durchlässig die einzelnen Segmente überhaupt sind.
Die Studien von Michael HARTMANN über den Mythos der Leistungseliten weisen darauf hin, dass Deutschland eine geschlossene Gesellschaft ist.

Der Habitus der Eliten

"Festgemacht wird der >richtige« Habitus in den Chefetagen der deutschen Großunternehmen an vier zentralen Persönlichkeitsmerkmalen: an der Vertrautheit mit den dort gültigen Dress- und Benimmcodes, einer breiten Allgemeinbildung in einem klassisch bildungsbürgerlichen Sinne, unternehmerischem Denken (inklusive der aus Sicht von Spitzenmanagern damit notwendigerweise verknüpften optimistischen Lebenseinstellung) und - als wichtigstes Element - der persönlichen Souveränität in Auftreten und Verhalten. All diese Eigenschaften weist man um so eher auf, je stärker einem das Milieu von Kindesbeinen an vertraut ist. Das ist der entscheidende Vorteil der Bürgerkinder, wenn es um die Besetzung solcher Positionen geht."
(Michael Hartmann in der Frankfurter Rundschau vom 28.01.2003)

Der Soziologe Andreas BOES vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München sieht in der Film- und Fernsehwirtschaft einerseits und der IT-Branche andererseits modellhafte Arbeitsstrukturen für die zukünftige Gesellschaft:

"Im einen Bereich, also Film und Fernsehen, befürchten wir, dass es zu einer Atomisierung der Beschäftigten kommt, dass die Menschen dadurch als Einzelkämpfer immer mehr unter Druck kommen, dass ihre Arbeits- und Lebensbedingungen sich verschlechtern werden, dass insbesondere auch die Möglichkeiten, Familie zu haben dem Leben insgesamt auch einen Raum einzuräumen immer schwieriger werden und dass die Beschäftigten quasi in eine Abwärtsspirale geraten, wo sie sich gegenseitig immer mehr Konkurrenz machen. Gegenläufig glauben wir im Bereich der IT-Industrie, dass die Beschäftigten sehr viel stärker versucht und bemüht sind, sich gemeinsam mit den Kollegen auch zu wehren (...).
Den Grund für diese gravierenden Unterschiede sieht Boes in den unterschiedlichen betrieblichen Strukturen. Während die meisten IT-Beschäftigten noch feste Verträge mit meist kleinen Firmen haben, arbeitet die Mehrheit in der Filmbranche als vollkommen freie Mitarbeiter. Sie erhalten immer nur Verträge für eine bestimmte Produktion. Ist der Streifen abgedreht, haben sie keinen Anspruch, beim nächsten Film wieder beschäftigt zu werden. So konnten die Produzenten relativ problemlos in der Krise die Honorare kürzen, gleichzeitig aber die Anforderungen hochschrauben und oft sogar noch die Arbeitszeiten immer mehr verlängern." (DeutschlandRadio, 22.09.2005)

Es wäre zu fragen, ob nicht die Medienbranche in weiten Teilen sozusagen ein extremistisches Milieu ist, dessen Arbeits- und Lebensbedingungen erst jenes Bedürfnis nach Ästhetisierung des Single-Daseins hervorbringen, weil ansonsten die eigene Lebenssituation als unerträglich erfahren werden müsste.
Während die Single-Ästhetik ein typisches Produkt der Aufsteigerinnen zu sein scheint, für das der Hedonismusvorwurf zu kurz greift, so müsste die Single-Rhetorik als Abwehrmechanismus der Geburtselite begriffen werden.
Sicherlich ist diese Sicht etwas simplifizierend. Single-Ästhetik und Single-Rhetorik können nicht allein unter dem Gesichtspunkt zweier konkurrierender Milieus betrachtet werden, nichtsdestotrotz wäre dieser Aspekt eine genauere Untersuchung wert.




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weiterführende Links

* Zum Teil 2 des Rezensionsessays



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Rezension zu Die Emanzipationsfalle von Gaschke 2. Teil

DschinDschin, Friday, 04.08.2006, 15:09 (vor 6936 Tagen) @ DschinDschin

Milieu und Paarbildung

Im Buch Liebesphasen - Lebensphasen (1997) richtet der Soziologe Günter BURKART den Blick auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der verschiedenen Milieus:

Die Generation der Bildungsexpansion und mögliche Probleme der Paarbildung

"Die Kohabitation wurde (...) in den siebziger Jahren als neue Lebensform etabliert, zunächst nicht als Alternative zur Ehe im allgemeinen, sondern als Alternative zur frühen Ehe, zum Alleinleben und zum längeren Verweilen im Elternhaus. Ihre Träger waren die jungen Erwachsenen der Bildungsexpansionsphase.
Hier taucht die Frage auf, ob vielleicht diese Generation der Bildungsexpansion besonders anfällig ist für das Scheitern von Ehe und Familie, nicht nur, weil sie die erste ist, die das Experiment versucht, anders zu leben (erst mal nicht den gesicherten Weg zu Familie und Karriere einzuschlagen, aber dann, später, vielleicht nicht mehr dazu in der Lage zu sein), sondern auch weil es sich dabei häufig um soziale Aufsteiger handelt. Bei ihnen sind Probleme mit der habituellen Übereinstimmung in der Partnerschaft wahrscheinlicher, sind sie doch hin- und hergerissen zwischen dem Herkunftsmilieu (meist Arbeiter- oder kleinbürgerliches >Harmoniemilieu«) und dem durch den Gang ins Bildungsmilieu erworbenen Selbstverwirklichungsdiskurs." (S.90f.)

BURKART legt nahe, dass auch bei den Töchtern der Emanzipation strikt zwischen Geburtselite und Aufsteigern zu unterscheiden ist.
Wenn die Paarbildung jedoch immer noch eine entscheidende Voraussetzung für die Familiengründung ist, dann heißt dies auch, dass auch Elternschaft und Kinderlosigkeit in diesem Zusammenhang gesehen werden müssen.
Dass hier tatsächlich ein Zusammenhang besteht, hat Gert HULLEN in dem Beitrag Tempo und Quantum der Reproduktion (2003) deutlich gemacht.
Nicht erst der Aufschub der Familiengründung, sondern bereits der Aufschub der Partnerbildung ist die Ursache des Geburtenrückgangs.
Für HULLEN beginnt die Partnerbildung jedoch erst beim Zusammenziehen, d.h. Partnerschaften ohne gemeinsamen Haushalt werden bei dieser Untersuchung nicht berücksichtigt.

Studienfachwahl und Kinderlosigkeit

"Lange Zeit schien die Trennlinie innerhalb der Gesellschaft vor allem zwischen Familien und Kinderlosen zu verlaufen, doch die Schichtkomponente gewinnt an Bedeutung. Wenn wir den gegenwärtigen Trend der Kinderlosigkeit im akademischen Milieu fortschreiben, droht Nachwuchs tatsächlich zu einer Angelegenheit der Unterklasse zu werden - und zwar vor allem, weil die eine Seite aussteigt. Zynisch formuliert könnte das heißen: Kinder bekommen in Zukunft nur noch die Gefühlvollen und Blöden." (S.95)

GASCHKE ist vorzuwerfen, dass sie nicht innerhalb der Gruppe der Akademikerinnen differenziert, denn diese Gruppe ist keineswegs homogen.
Klaus-Jügen DUSCHEK & Heike WIRTH haben für das Jahr 2004 das Leben mit Kindern von Akademikerinnen untersucht.
Bei den 37 - 40jährigen westdeutschen Akademikerinnen sind 65 % der Ingenieurinnen und 64 % der Human- und Veterinärmedizinerinnen Mütter. Dagegen sind bei den Mathematikerinnen und Naturwissenschaftlern nur 50 % Mütter. Nicht untersucht wurde jedoch inwieweit die Studienfachwahl auch Ergebnis der Herkunft ist und inwiefern die Arbeitsmarktsituation Einfluss auf die Familiengründung hat.

Frühe Mutterschaft

Susanne GASCHKE beschreibt ihre ungeplante Schwangerschaft als Ausnahme von der Regel:

"Ich hatte einen neuen Freund und wurde (...) nach drei Monaten schwanger. Das war eine extrem eigenartige Situation für mich, die sich nie etwas aus >Familie« gemacht hatte, und passte ganz und gar nicht zum >erst mal«-Prinzip, wonach Kinderkriegen eine Leitersprosse ist, die man definitiv erst nach allen Examina und nach gelungenem Berufseinstieg erklimmt. Gleichzeitig stellte ich fest, dass theoretisch über Kinder nachzudenken und praktisch schwanger zu sein einen dramatischen Unterschied bedeutet: Während ich mich politisch vehement für ein liberales Abtreibungsrecht eingesetzt hatte, fand ich es nun eine scheußliche Vorstellung, tatsächlich einen Abbruch vornehmen zu lassen. Das war keine große moralische Frage: Ich fand es einfach traurig, deprimierend, irgendwie versagermäßig. Trotzdem hätte ich mich wohl nicht auf eine Karriere als Alleinerziehende eingelassen. Insofern war es spannend, was mein noch sehr neuer Freund zu dieser Entwicklung sagen würde. (...). Uns wurde sehr schnell klar, dass die zentrale Frage, die es zu entscheiden galt, lautete: >Können wir uns denn vorstellen zusammenzubleiben? Für einen nahezu unvorstellbar langen Zeitraum, nämlich immer?« Wir konnten, und deshalb konnten wir auch das Kind behalten." (S.55f.)

GASCHKE fühlte sich in dieser Situation von der Ratgeberliteratur allein gelassen:

"Ich selbst wurde Anfang der neunziger Jahre dank politisch korrekter Verhütungsmethoden schwanger und war mehr mit mir selbst als mit feministischer Theorie oder praktischer Frauenpolitik beschäftigt.
(...).
Um mich auf die Geburt vorzubereiten, las ich als Studentin natürlich Bücher. Bei Frauen meiner Generation war eine Schwangerschaft mit Anfang zwanzig nicht sehr verbreitet, es gab also kaum erfahrene Freundinnen, die mich hätten beraten können. Und so informierte ich mich zum Beispiel aus Unser Körper, unser Leben, einem amerikanischen Frauengesundheitsbuch vom Boston Women's Health Collctive aus den siebziger Jahren, das allerdings erst 1980 auf Deutsch erschienen war. Ich fühlte mich höchst beunruhigt durch die düsteren Warnungen". (S.28f.)

Aus der Sicht von Katja KULLMANN stellt sich die Kinderfrage erst gar nicht:

"Der erste Mensch, der mich fragte, ob ich Kinder haben wolle, war nicht mein Freund, nicht meine beste Freundin und auch nicht meine Mutter. Sondern der Chef eines privaten Radiosenders. Ich war 26, kurz vor Studienende und hatte mich bei mehreren Verlagen und Sendern um eine Volontariatsstelle beworben." (S.91)

Der Lebensentwurf von KULLMANN sieht Kinder erst - wenn überhaupt - in den Dreißigern vor:

"Auf die Mutterschaftsfrage hatte ich mir keine pfiffige Antwort überlegt, denn ich hatte bis dahin noch nie ernsthaft darüber nachgedacht. Ich wollte beruflich durchstarten, wie es damals hieß. Ich freute mich auf glamouröse Jobs in aufregenden Städten, wollte die Nächte durchtanzen und tagsüber Karriere machen. Kinder kamen in diesem Panorama nicht vor, dieses Phänomen verbannte ich weit hinter meinen 30. Geburtstag. Und fast alle meine Freundinnen machten es genauso. wir düsten in dieser Zeit von Assessment Center zu Auswahlverfahren, wir sprachen bei Roland Berger und Young & Rubicam, dem Stern und der Commerzbank vor, einige gründeten gleich einen eigenen Hutladen (...) und immer, wenn wir erfuhren, dass eine frühere Bekannte, Kommilitonin oder Schulfreundin ein Kind bekommen hatte, schüttelten wir den Kopf und hatten kurz Mitleid. Sie waren zu früh dran, fanden wir. (...). Mütter in unserem Alter, zwischen 20 und 28, waren dies Ausnahme, die die Regel bestätigten. (...). Die Einsamkeit der postmodernen Frau vor der Familiengründung - wir haben sie anfangs genossen". (S.92f.)

KULLMANN begründet dies damit, dass das Single-Dasein in den 90er Jahren im Trend lag:

"Das Singletum war (...) der gesamtgesellschaftliche Megatrend der 90er. Alles musste Event-Charakter haben, als Ausgleich für fehlende Gefühle. Singles machen zwar nur 17 Prozent der deutschen Bevölkerung aus, aber sie verfügen über 21 Prozent des frei verfügbaren Einkommens. Es gab plötzlich Single-Bettwäsche, Single-Reisen -etwa auf dem Clubschiff Aida -, Single-Menüs im Tiefkühlregal, Single-Shows im Fernsehen und Single-Partys in jeder Stadt. Fisch sucht Fahrrad oder Konrad sucht Conny hießen die Kuppelveranstaltungen, die Anfang der 90er von linksalternativen Stadtmagazinen erfunden worden waren". (S.126)

Es stimmt zwar, dass in den 90er Jahren die Singles ein mediales Modethema waren, dieser Single-Ästhetik in den Medien entspricht jedoch kein diesbezüglicher Anstieg der Einpersonenhaushalte.
Ganz im Gegenteil: die anschwellende Single-Rhetorik muss als Abgesang auf das Single-Dasein gelesen werden. Der Wandel des Wertewandels und damit die Rückbesinnung auf die Familie ging in den 90er Jahren mit einer aggressiven Single-Rhetorik einher .
Rückblickend erweist sich das Reden über die Familie im Gewande der Single-Rhetorik als kontraproduktiv.
Der Terror der Individualisierungsthese dürfte viel dazu beigetragen haben, dass Singles sich Illusionen über ihre Situation gemacht haben.
Nicht der Feminismus hat - wie GASCHKE meint - Kollateralschäden verursacht, sondern die Single-Rhetorik, die den Umbau des Sozialstaats begleitet, ist für die Kollateralschäden verantwortlich .

Die Avantgarde der Mütterelite: Frühgebärende

Die Erfahrung von Susanne GASCHKE war kein Einzelfall, sondern offenbar typisch, zumindest für die Medienbranche. Elke BUHR schreibt dazu:

Studieren mit Kind

"Als ich schwanger wurde, war ich zwar im statistischen Durchschnittsalter für das erste Kind - 27 Jahre war es damals, demnächst dürfte es 30 Jahre erreichen -, aber in der studentischen Peer Group war das Kind der erste Fall dieser Art. Es gab Menschen mit Kindern in der Bekanntschaft, sie hatten sie mit siebzehn oder achtzehn bekommen, Resultate postpubertären Verhütungschaos. Alle anderen, so schien es, würden dann erst an Kinder denken, wenn das Studium abgeschlossen und der Job sicher war - nicht vor Mitte oder Ende Dreißig, wenn überhaupt. >Da ist jetzt das Kind drin?« fragte der Freund, der in der Schwulenbar kellnerte, und schaute skeptisch auf meinen dicken Bauch: >Ist das nicht irgendwie eklig?« Später umstanden die Freundinnen zu fünft das Krankenhausbett und staunten, als hätte ich gerade das Jesuskind auf die Welt gebracht." (S.138)

Dieser Beitrag erschien im Dezember 2003 im Kursbuch zum Thema Die 30jährigen.
In den letzten Jahren hat sich jedoch einiges getan. Studieren mit Kind ist kein Exotenfach mehr. Es wird jedoch noch einige Jahre dauern bis sich dieser Trend auch bevölkerungsstatistisch sicher belegen lässt. So lange dürfen sich die früh gebärenden Elitemütter als Besonderheit inszenieren. Danach wird sie der Mainstream zu neuen Inszenierungen zwingen.

Das Ende der Single-Ästhetik ist längst eingeläutet

Die aktuelle Debatte um die Infantilisierung der Gesellschaft und die Rolle der Popmusik ist der verspätete Abgesang auf den Hipster-Pop .
Statistisch gesehen, leben wir längst nicht mehr in der jugendlichen Gesellschaft, sondern in einer Gesellschaft der 30-40jährigen.
Der neue Stern am Pop-Himmel heißt Adult-Pop. Es droht die Marius Müller-Westernhagenisierung der Republik:

"Lass uns runterfahrn ans Meer
Und uns dort am Strand vermehrn"

heißt es im Song Eins.
Wir werden demnächst Demografie-Thriller als Lektüre vorgesetzt bekommen und Ildiko von KÜRTHY wird über die Panik der 35jährigen Singlefrau schreiben . Die Britin HELEN FIELDUNG lässt Bridget Jones schwanger werden und in den USA löst Baby and the City die Serie Desperate Housewives ab.
Wenn sich Susanne GASCHKE über die Single-Ästhetik echauffiert, dann hat das höchstens noch historischen Wert. Die historische Singleforschung wird sich damit beschäftigen müssen. Die Kultur ist dagegen längst weiter.
Single-Generation.de wird diesen Aspekt in einem späteren Beitrag näher beleuchten.

Doppelkarriere-Familien erobern die Stadt zurück

Die Neidgesellschaft

"Ich verlasse das Haus. Es ist kurz nach sechs, im Umkreis von 500 Metern gibt es hier mindestens vier Coffeeshops, aber keiner beginnt mit dem Aufschäumen von fettfreier Milch und dem Verkauf von Trendgebäck vor acht Uhr. Zwischen sechs und acht trinkt Deutschland noch real-überbrühten Filterkaffee mit Glücksklee und ißt Hackepeterbrötchen oder Bockwurst. Ungetoastete Bagels mampfende New-York-Simulanten stehen später auf." (aus: Sascha Lehnartz "Global Players", 2005, S.23)

"Wenn man selbst die Einzige ist, die morgens blass und unausgeschlafen aussieht, weil man nachts dreimal wachgeschrien wurde und um halb sieben endgültig aufstehen musste, hasst man die Ganztagsfrühstücker."
(aus: Susanne Gaschke "Emanzipationsfalle", 2005, S.170f.)

Lief man Anfang der 80er Jahre durch die innenstadtnahen Wohngebiete, konnte man den Beginn der Aufwertung dieser Gebiete feststellen.
Hausbesetzer und Punks, Künstler und Studenten - Kinderlose also - eroberten damals diese Quartiere. Dieser Vorgang wurde später als Yuppisierung beklagt .

Nun - 25 Jahre später - sind diese Quartiere Keimzellen einer Entwicklung, die in den Medien bislang kaum Beachtung findet. Erst das Phänomen der Prenzlauer Berg-Eltern lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass sich in den schicken Quartieren eine neue Elternelite etabliert.

Familienfundamentalisten versuchen zwar noch, diese Entwicklung zu verleugnen. Es wird behauptet, dass es sich dabei um Ausnahmen handelt oder es werden Statistiken herangezogen, die belegen sollen, dass sich hier keineswegs ein neuer Baby-Boom anbahnt.
Zuviel Aufmerksamkeit hätten nämlich die Pläne der mächtigen Elternlobby durchkreuzen können. Inzwischen ist das Elterngeld in den Koalitionsvereinbarungen von Schwarz-Rot festgeschrieben worden. Dies bedeutet, dass die Kinder der Erfolgreichen besser gefördert werden als die Kinder der Erfolglosen. Wer hat, dem wird noch gegeben!
Die Geburtseliten werden durch diese Maßnahme gegenüber den Aufstiegswilligen privilegiert. Diese bevölkerungspolitische Maßnahme stärkt also den Trend zur Klassengesellschaft.
Das Elterngeld wird auch den Trend zur Doppelkarriere-Familie stärken. Diese Familienform wohnt eher in der Stadt als weit draußen auf dem Lande. Die Soziologin Monika ALISCH hat diese Entwicklung bereits 1993 als Konsequenz der Durchsetzung des Feminismus beschrieben (siehe hierzu näher den Beitrag Dienstleistungsmetropole Frankfurt).
Nun wird auch in einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik diese Entwicklung bestätigt (Welt v. 22.10.2005)

Der Normalo: Fehlanzeige!

Das Buch von Susanne GASCHKE widmet sich lediglich den Problemen, die unsere extremistischen Milieus betreffen: das Niveaumilieu der Geburtselite und das "hedonistische" Milieu der erfolgreichen Aufsteigerinnen. Wer nicht zu diesen Mitte-Eliten gehört, der muss sich sagen lassen:

"Die Netten (...) sind längst verheiratet. Übrig bleiben diejenigen, die sich nicht festlegen mögen und ihre Freiheit mit Klauen und Zähnen verteidigen. Und natürlich die absoluten Zumutungen, über die wir gar nicht weiter zu reden brauchen." (S.59)

Jenseits der Geburtseliten und den erfolgreichen Aufsteigern beginnt für GASCHKE sozusagen die Unterschicht.
Das Problem unserer schreibenden Zunft ist, dass sie weit weg ist vom Rest der Gesellschaft. Eine frei schwebende Intelligenzia, die Selbstreferenzialität für eine Tugend hält.
Der Kulturkampf zweier extremistischer Milieus verhindert einen vorurteilsfreien Blick auf die Gesamtgesellschaft.
GASCHKEs Buch liest sich in weiten Teilen wie eine verspätete Antwort auf Katja KULLMANNs Bestseller Generation Ally. Manche Passagen sind auch lottmannesk, wenn sie Die Jugend von heute beschreiben.

Die Jugend von heute

"Die von mir so bewunderte und angagierte Jugend von heute war vollkommen krank. Und zwar in einem Ausmaß, das noch keiner vor mir erkennt hatte. Mehr noch: Definierte man die Jugend als die Zeit nach der Kindheit und vor der Berufstätigkeit, so gab es seit den 90er Jahren gar keine Jugend mehr. Keiner erreichte mehr postpubertäre Reife. Ich war der letzte lebende Teenager. Ich hatte es noch erlebt: Petting, Matratzenpartys, Pink Floyd, Liebesbriefe, nackt im Wald liegen und sich stundenlang in die Augen schauen. Derartiges ist der Jugend von heute ganz und gar unbekannt. Das kennen sie noch nicht einmal aus dem Kino." (aus: Joachim Lottmann "Die Jugend von heute, 2004, S.48f.)

"Einzelne Männer aus ihrem politischen Bekanntenkreis sind vor Sehnsucht nach Susi fast wahnsinnig geworden. Sie gehört zu einer neuen Generation von Frauen, die es wahrscheinlich selbst glauben, wenn sie sagen, sie hätten mit einem Typen bei Vollmond am Strand gesessen, >als Freunde«. Frauen, die ehrlich überrascht sind, wenn ihnen jemand zu Leibe rückt, mit dem sie >nur so« in einem Bett übernachten wollten.
(aus: Susanne Gaschke "Emanzipationsfalle", 2005, S.136.)

Obwohl GASCHKE durchaus repräsentative Lebensverlaufsstudien durchgesehen hat, bevorzugt sie doch lieber fragwürdige Meinungsumfragen, die ihre Vorurteile bestätigen.
Es würde hier zu weit führen, die Zahlen zu widerlegen. Single-Generation.de wird jedoch in einem späteren Beitrag die Entwicklung der Einpersonenhaushalte in den 90er Jahren näher unter die Lupe nehmen.
Im Beitrag Die Anzahl der Einpersonenhaushalte - Mythen und Fakten haben wir zwar die generelle Entwicklung aufgezeigt, nicht jedoch die Entwicklung einzelner sozialer Gruppen.
Das Buch von GASCHKE ist zugespitzt auf Entscheidungssituationen. Wer sich nicht entscheidet, der gehört zur Gruppe der Unentschiedenen.
Diese Perspektive negiert das Vorhandensein von Entwicklungen zwischen zwei Entscheidungszeitpunkten. Die punktuelle Betrachtungsweise ignoriert Entwicklungsprozesse wie sie z.B. bei der Paarbildung notwendig sind.
GASCHKE geht es darum, Entscheidungen zu erzwingen. Dahinter steht durchaus ihre eigene Erfahrung, dass ungeplante Ereignisse entweder revidiert oder angenommen werden können.
Der Soziologe Günter BURKART hat eine Entscheidungstheorie entwickelt, bei der die Elternschaft als biografische Entscheidung betrachtet wird.
Entscheidungen im Lebensverlauf sind demnach sehr komplex, weil sowohl unterschiedliche Lebensbereiche (Beruf, Freizeit), strukturelle Restriktionen (Arbeitsmarktsituation, Finanzsituation), die Bedürfnisse des Partners usw. berücksichtigt werden müssen. Dieses Arrangement ist bei zwei grundsätzlich gleichberechtigten Partnern nun einmal problematischer als wenn sich ein Partner den Entscheidungen des anderen fügt.
Je nach Milieuzugehörigkeit ist diese Entscheidung also einfacher oder schwieriger zu fällen. Es ist also gar nicht nötig mit Begriffen wie Hedonismus oder Selbstverwirklichung, also Egoismus herumzufuchteln.
Die Probleme, um die es GASCHKE geht, entspringen dem individualisierten Milieu, denn nur dort ist gemäß BURKART die Elternschaft optional und keine kulturell normierte biographische Selbstverständlichkeit.
GASCHKE dagegen sieht das individualisierte Milieu als stilprägend auch für andere Milieus:

"Die Kinderabstinenz der weiblichen Bildungsavantgarde wirkt übrigens doppelt und dreifach, denn es geht ja nicht nur um die Zahl der nicht geborenen Kinder, sondern auch um eine Trend- und Vorbildfunktion.
(...).
Die Konsumforschung hat herausgefunden, dass der Lebensstil der Privilegierten den gesellschaftlichen Trend prägt: Was, wenn dieser Lebensstil Kinderlosigkeit zur Norm erhebt?" (S.79)

fragt GASCHKE.
Angesichts der Tatsache, dass selbst die Mittelschichten Angst vor dem Absturz haben und Überflüssigkeit nicht allein die Lebenssituation der Unterschichten bedroht, ist Individualisierung keineswegs mehr so verheißungsvoll.
Vielmehr wird Individualisierung heutzutage eher als Zwangsindividualisierung erlebt .
Urlaub oder Kind, eine solche Entscheidung stellt sich für viele in Zukunft möglicherweise gar nicht mehr, weil - entweder das Geld oder die Zeit fehlt.
Durch den forcierten Arbeitsplatzabbau, die Durchsetzung von Niedriglöhnen und die Kürzung von sozialstaatlichen Leistungen, verändern sich die Bedingungen von Lebensentscheidungen rapide.
Kinderlosigkeit wird zukünftig weniger eine Frage der Optionsvielfalt, sondern eine Frage der Chancengleichheit sein.
Wenn bei GASCHKE das Frühgebären zur generellen gesellschaftlichen Problemlösung verkommt, gerät der aktuelle gesellschaftliche Wandel völlig aus dem Blick.
Die Verengung auf eine kleine Elite führt dazu, dass deren Probleme als gesamtgesellschaftliche Probleme erscheinen. Dies ist aber nicht der Fall.

Fazit: Die Avantgarde der Mütterelite ist vergangenheitsfixiert

Liest man im Jahr 2010 das Buch Die Emanzipationsfalle von Susanne GASCHKE noch einmal, wird man sich fragen, wie es dazu kam, dass damals solch gravierende Fehleinschätzungen an der Tagesordnung waren.
Man wird dies auf die damals weit verbreitete Single-Rhetorik zurückführen, die sowohl Singles als auch Eltern ein falsches Bild ihrer Lage vermittelt hatte.
Bis zur Jobkrise der Generation Golf kurz nach der Jahrtausendwende konnte man sich als aufstiegswillige Singlefrau noch an die Single-Ästhetik klammern, die von erfolgreichen Aufsteigerinnen - als Gegengift zur zunehmend geschlosseneren Gesellschaft - in Umlauf gebracht wurde.
Sozialpolitiker werden ihre damalige Single-Rhetorik damit rechtfertigen, dass die damit verbundenen Kollateralschäden der notwendige Preis waren, um die neue Klassengesellschaft zu etablieren.
Die dritte Mütterbewegung wird GASCHKEs Buch als frühes Manifest feiern, das ihren Belangen Ausdruck verliehen hatte, bevor offensichtlich wurde, dass Singles die wahren Modernisierungsverlierer waren.
Im Jahre 2010 ist für jeden klar, dass lebenslang Kinderlose eine quantitativ zu vernachlässigende Randgruppe sind.
In den schicken Großstadtquartieren dominieren Doppelkarriere-Familien mit einem Kind, während die Mehrzahl der männlichen Kinderlosen in tristen Quartieren oder Wohnwagensiedlungen haust, weil sie sich die Mieten in Arbeitsplatznähe nicht mehr leisten können.
Der Geburtenrückgang konnte jedoch nicht gestoppt werden, denn es stellte sich heraus, dass lebenslange Kinderlosigkeit gar nicht die Hauptursache des Geburtenrückgangs war.
Susanne GASCHKE hatte deshalb im Jahr 2007 das Buch Die Ein-Kind-Falle geschrieben.

"Freundin Tanja, wie ich Mutter einer Vierzehnjährigen. >Hast du eigentlich mal über ein zweites Kind nachgedacht?«, fragte sie am Ende eines weinseligen Abends. Ich sah sie entgeistert an: >Jetzt noch?« - >Vielleicht würde es uns jünger machen«, sagte sie." (S.60)

--
Barbarus hic ergo sum, quia non intellegor ulli.

Gaschke! Bleib bei der Zeit

pit b., Friday, 04.08.2006, 18:31 (vor 6935 Tagen) @ DschinDschin

Ich hab den Beitrag zwar noch nicht ganz gelesen, kann mir aber einen Komentar schon jetzt nicht verkneifen.

Wir müssen Argumente finden für die Avantgarde der
Kinderlosen, für gut ausgebildete Singlefrauen und FDP wählende
Erfolgsjungmänner
, für entschiedene Nichteltern, für Unentschlossene und
Schwankende.

Na na na, was meinen wir den mit "FDP wählende Erfolgsjungmänner"???
Etwa Männer die den politischen Liberalismus bevorzugen und daher auch in ihrem Privatleben freiheitsliebend sind!? Erstaunlich wie Frau Gaschke (mancher kennt ihre Artikeln in der Zeit) es wieder Mal schafft ganz beiläufig aus einer völligen Selbstverständlichkeit einen spezifischen Vorwürf für Männer zu vormulieren. Nach dem Motto: Das sind die Antichristen, die die demographischen Katastrophe auslösen weil sie über ihr Geld und über ihre Freizeit selbst bestimmen und verfügen wollen. Wie böse!!! Was ist den eigendlich mit den Frauen? Hat Alice Schwarzer, die Ikone der Frauenbewegung, eigendlich Kinder in die Welt gesetzt? Laut Biographie nicht! Respekt! Wie Selbstbewusst die ist!!!

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