Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Bewertung von Abtreibung in alter Zeit (Recht)

Beelzebub, Thursday, 17.11.2011, 22:47 (vor 4546 Tagen) @ Rainer
bearbeitet von Beelzebub, Thursday, 17.11.2011, 22:51

Die klare Fassung des Mordparagrafen von 1871, nach der wegen Mordes
bestraft wurde, wer einen anderen Menschen "mit Überlegung" tötet[*],
definierte die Tötung Ungeborener ganz klar als Mord. Allein über den
Umweg, den Gezeugten aber noch Ungeborenen das Menschsein abzusprechen,
könnte verhindert werden von Mord zu sprechen.

Unsinn. Das StGB von 1871 (das landesweit übrigens erst 1872 in Kraft trat) enthielt neben dem Mordparagrafen noch diesen hier:

§ 218.

(1) Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleibe tödtet, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein.

(3) Dieselben Strafvorschriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher mit Einwilligung der Schwangeren die Mittel zu der Abtreibung oder Tödtung bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat.

Nix Gleichsetzung mit Mord, ein ungeborenes Baby galt nicht als Mensch, sondern als Leibesfrucht, dessen Abtreibung deutlich milder geahndet wurde als Mord.

Das war übrigens nicht neu, bereits das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 unterschied deutlich zwischen Mord und Abtreibung und widmete letzterer einen ganzen Abschnitt:

Abtreibung der Leibesfrucht.

§. 985. Weibspersonen, welche sich eines Mittels bedienen, die Leibesfrucht abzutreiben, haben schon dadurch Zuchthausstrafe auf sechs Monathe bis Ein Jahr verwirkt.
§. 986. Ist durch solche Mittel eine Leibesfrucht innerhalb der ersten dreyßig Wochen der Schwangerschaft wirklich abgetrieben worden: so soll die Thäterin mit Zuchthausstrafe auf zwey bis sechs Jahre belegt werden.
§. 987. Hat aber eine Weibsperson, durch der- gleichen oder andere gewaltsame Mittel, den Tod der Leibesfrucht nach der dreyßigsten Woche ihrer Schwangerschaft befördert: so soll dieselbe acht- bis zehnjährige Zuchthausstrafe leiden.
§. 988. Wer durch schädliche Medicin, oder auf andre Art, zur Abtreibung eines Kindes vorsätzlich Hülfe leistet, wird mit gleicher Strafe, wie die Mutter selbst, belegt.
§. 989. Personen, welche sich schon mehrerer solcher Verbrechen schuldig gemacht haben, sollen, wenn sie auch dafür noch nicht bestraft worden, zur Staupe geschlagen, und lebenslang auf die Festung gebracht werden.
§. 990. Ist die Abtreibung von einem Dritten ohne Wissen und Willen der Mutter veranstaltet worden: so hat der Thäter zehnjährige bis lebenswierige Festungsstrafe verwirkt.
§. 991. Sind in der Absicht, eine Weibsperson unfruchtbar zu machen, schädliche Arzeneyoder andre Mittel gebraucht, oder gegeben worden: so findet gegen den Thäter Gefängniß oder Zuchthausstrafe auf zwey bis vier Jahre statt.

Wie man sieht, existierte der angeblich von Feministinnen erfundene Begriff Abtreibung bereits im 18. Jahrhundert. Dass es im absolutistisch regierten Preußen Feministinnen mit Einfluss auf die Gesetzgebung gab, möchte ich für's erste dann doch ein wenig bezweifeln.

Übrigens, so superklar, wie du dir das vorstellst, war der Mordparagraf im StGB von 1872 nicht. Zwar lautete dessen § 211:

Wer vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird, wenn er die Tödtung mit Ueberlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft.

Da gab's aber auch noch § 214, welcher da lautete:

Wer bei Unternehmung einer strafbaren Handlung, um ein der Ausführung derselben entgegentretendes Hinderniß zu beseitigen oder um sich der Ergreifung auf frischer That zu entziehen, vorsätzlich einen Menschen tödtet, wird mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft.

Wer also tötete, um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, beging nach damaligem Recht (anders als heute) keinen Mord.

Zumindest in diesem Punkt ist die heutige Version von § 211 vorzuziehen.

Beelzebub

--
"Ihre Meinung ist widerlich. Aber ich werde, wenn es sein muß, bis zum letzten Atemzug dafür kämpfen, dass Sie sie frei und offen sagen dürfen." (Voltaire)

Ich denke, also bin ich kein Christ. (K. Deschner)


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