Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Herrschen anstrengender als dienen

Garfield, Wednesday, 17.05.2006, 12:56 (vor 6554 Tagen) @ Bonaventura

Hallo Bonaventura!

"Ich möchte mich entschuldigen, daß ich so spät antworte."

Kein Problem - besser spät als nie! :-)

"Wer den Unterschied zwischen Seinshöhe und Werthöhe erkennt..."

Du hattest diesen Unterschied am Beispiel des Christentums erläutert. Das ist in der Tat ein gutes Beispiel. Das frühe Christentum war offensichtlich eine Art Widerstandsbewegung gegen die etablierten Mächtigen. Deshalb betonte man auch die Bedeutung der unteren Schichten. Wieso aber mußte man diese Bedeutung dermaßen betonen? Wieso diese Fußwäsche-Geschichte? Ganz offensichtlich war das nötig, weil viele Menschen - und zwar auch in den unteren Schichten - die bestehenden Verhältnisse als normal und natürlich ansahen. So daß sie sich eben mehr oder weniger willig in die bestehenden Hierarchien fügten. Um sie aus dieser Haltung heraus zu bekommen, mußte man ihnen verdeutlichen, daß sie auch Menschen von Bedeutung sind. Und nicht nur das: Dies zu betonen, war ja überhaupt nur deshalb nötig, weil Menschen der niederen Schichten eben allgemein praktisch als minderwertig betrachtet wurden! Es ging also anfangs gar nicht darum, einen Unterschied zwischen Seinshöhe und Werthöhe zu zeigen, sondern eben gerade diesen Unterschied abzuschaffen! Indem man nämlich auch die Menschen in den unteren Schichten dazu ermutigte, ihre Bedeutung zu erkennen und eine entsprechende Stellung und Wertschätzung einzufordern. Und damit eben ihre Seinshöhe ihrer Werthöhe anzupassen.

Aus diesem Grunde bekämpften die Mächtigen das Christentum anfangs. Bis man dann auf die Idee kam, das Christentum zur Staatsreligion zu erklären, die christlichen Führer in die Reihen der oberen 10.000 aufzunehmen und sie so zu korrumpieren.

Von da an verbreiteten die höheren und niederen christlichen Würdenträger zunehmend die Theorie von einer gottgegebenen Ordnung, die der Mensch nicht antasten dürfe. Das mit der Differenz zwischen Werthöhe und Seinshöhe griff man auf, verkehrte seinen Sinn aber ins Gegenteil. Man tröstete die Menschen der unteren Schichten jetzt damit, daß sie zwar eine geringe Seinshöhe hätten, daß aber ihre Werthöhe eigentlich mindestens genauso hoch wäre wie die der oberen 10.000. Gott würde die Armen sogar ganz besonders lieben, und alle diejenigen, die sich auf ihre Kosten bereichern, nach dem Tode ganz übel bestrafen. So fügten sich viele Menschen in den unteren Schichten in ihr Schicksal, in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod, in dem sie die Herren sein würden.

Für mich zählt lediglich der Ist-Zustand, also das, was du offenbar als Seinshöhe bezeichnest. Von einem Wert, den mir vielleicht irgendjemand theoretisch zuspricht, habe ich nichts. Und so sehe ich eben auch die Verhältnisse zwischen Mann und Frau unter dem Aspekt, wer tatsächlich wem mehr dient. Wie das alles theoretisch dargestellt wird, ist für mich vollkommen irrelevant.

Um es mal ganz klar zu formulieren: Wenn ich irgendeinen Scheißjob mache und damit meiner Frau ein bequemes Leben auf der Couch vor dem Fernseher ermögliche, dann fühle ich mich dabei als ihr Diener. Wenn mir dann jemand erzählt, daß ich ja der Herr im Hause wäre, dann ist das für mich nur eine hohle Phrase, die rein gar nichts an der Realität ändert. Auch wenn meine Frau mir Butterbrote für die Arbeit mitgibt und mir abends Essen kocht, bleibt es real immer noch so, daß ich ihr mehr diene als sie mir.

Freundliche Grüße
von Garfield


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