Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 1 - 20.06.2001 - 20.05.2006

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Re: Morgen ist der Internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen

pumphutt, Sunday, 25.11.2001, 00:39 (vor 8400 Tagen) @ green-eyes

Als Antwort auf: Re: Morgen ist der Internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen von green-eyes am 24. November 2001 21:00:00:

Deine Mitteilung war zwar an Joachim gerichtet, aber ich hoffe, Du nimmst es mir nicht übel, wenn ich dir trotzdem antworte.

weißt du was: es ist mir an so einem (gedenk)tag egal wer die gewalt verübt hat. ich selbst wurde über 10 jahre meiner kindheit von einem mann missbraucht. für mich ist einzig und alleine wichtig, dass (sexuelle) gewalt - egal von wem sie ausgeht - aufs schärfste verureilt wird.

Ich denke, ihr beide habt in gewisser Weise recht. Und manchmal glaube ich, daß hier auch das Problem liegt. Männer und Frauen reden aneinander vorbei. Ich habe mich in diesem Forum mal etwas durchs Archiv geblättert und festgestellt, daß beide Parteien Standpunkte vertreten, aber trotz Diskussion nicht bereit sind, sich ein wenig in ihren Positionen "anzunähern". Die Männer hier in diesem Forum haben in vielen Punkten recht - es gibt Diskriminierung von Männern in diesem Lande, andererseits habe ich oftmals den Eindruck, daß sich viele etwas in ihrer Weltsicht verrannt haben und über "die Stränge schlagen". Bei den Frauen wiederum sehe ich kaum Bereitschaft, mal ein wenig auf die Männer zuzugehen, sich für ihre Probleme wirklich zu interessieren, sich mal in einen Mann, in dessen Lebenssituation hineinzuversetzen und entsprechende Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Beide - Männer und Frauen - sind hier sehr auf sich konzentriert und daraus kann wohl kein kontruktiver Dialog folgen. Deadlock!

klar sind meine erfahrungen nicht repräsentativ. aber sowohl in der zeit in der ich in stationärer klinischer behandlung war, als auch in der zeit, in der ich ambulant in behandlung war, habe ich festgestellt, dass es für die meisten opfer (sexueller) gewalterfahrung als kind absolut nebensächlich ist wer nun die gewalt ausgeübt hat.

Die habe ich auch festgestellt. Allerdings gilt dies nur für die Kindheit. Im Nachhinein hat es mein Frauenbild sehr stark beeinträchtigt.
Und ich kämpfe heute noch dagegen an. Meine Erfahrungen sind nicht die des sexuellen Mißbrauchs, aber brutale Gewalt ist Gewalt - diese Erfahrungen prägen sehr. Solche Mechanismus brennen sich fest, sie aktiv ins Bewußtsein zurückzurufen und umzuformen ist sehr schwierig und bedarf jahrelanger Arbeit.

für uns als opfer dieser gewalt war es einfach wichtig, chancen und möglichkeiten zu haben GEGEN diese gewalt zu vorzugehen und zu protestieren.
auch wenn es hier nicht ins forum passen mag:
von den opfer (sexueller) gewalt gegen kindern, die ich in meiner stationären und ambulanten therapie kennen gelernt habe, war "nur" ein einziger mann darunter. alle andern wurden von männern missbraucht. bitte missversteht mich jetzt nicht. ich behaupte NICHT, dass männer immer und überall die täter sind.

Ich denke, daß ist einfach ein Problem der Wahrnehmung. Es wurde hier im Forum schon oft diskutiert: Gewalt - ob sexueller oder "konventioneller" Natur - wird nicht wahrgenommen, wenn sie gegen Männer gerichtet wird. Obwohl sie vorhanden ist - wird sie aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung ausgeschlossen, sie ist einfach nicht da, weil sie niemand sieht oder sehen will. Ich habe Gewalt in meiner Kindheit als etwas normales erfahren, von meiner Mutter verprügelt zu werden, mit aufgeplatzer Lippe am Abend ins Bett zu gehen, war für mich "Normalität" - ich kannte es nicht anders. Und es wurde auch niemals thematisiert! Und genau dort liegt das Problem - Gewalt gegen Jungen und Männer wird nicht thematisiert, sondern unter die Decke gekehrt und verschwindet somit aus dem Sichtfeld, ist "unsichtbar" und damit nicht mehr existent.

alledings habe ich eben in meinem (er)leben festgestellt, dass der grossteil der (sexuellen) misshandlungen von männern an weiblichen kindern erfolgt ist. ich bestreite keinesfalls, dass es auch frauen gibt, die sich an männlichen kindern vergreifen und diese misshandeln!
letztlich ist es jedoch für mich und die anderen egal gewesen WER (genetisch gesehen) sich an uns als kindern vergriffen hat.

Das ist dir vielleicht egal, es hilft aber weder der Gewaltdiskussion noch der Gewaltprävention, wenn permanent geleugnet wird, daß Gewalt auch von Frauen ausgehen und auch gegen männliche Kinder oder Männer gerichtet sein kann. Und genau das wird gegenwärtig getan.

was bei vielen misshandelten kindern bleibt, ist ein tiefes tiefes misstrauen gegenüber dem geschlecht desjenigen (m wie w), der sich da an einem vergriiffen hat.

es macht in meinen augen KEINERLEI sinn nun DIE männer oder DIE frauen zu beschuldigen. es macht nur sinn, sich darüber klar zu werden, dass kinder (m wie w) misshandlungen und gewalt ausgesetzt sind und gegen diese gewalt vorzugehen.

Richtig. Deswegen bin auch der Ansicht - wenn Gewaltprävention betrieben werden soll, dann nicht in dieser polarisierenden Form. Es mag schon Sinn machen, Gewaltforschung in mancher Hinsicht geschlechtsspezifisch zu betreiben, aber die Männer nur als Täter und Frauen immer nur als Opfer darzustellen, ist gewiß nicht der richtige Weg und es entspricht auch nicht der gesellschaftlichen Realität.

leider(!) hatte ich (und nicht nur ich) immer und immer wieder das gefühl, dass gegen weibliche gewalt (stichwort rabenmutter usw.) zwar recht rigoros vorgegegangen wird (stichwort kindesentzug), dass aber leider auch die rechtlichen möglichkeiten gegenüber männlicher gewaltanwendung recht beschränkt sind (stichwort: verjährung).
kann sein, dass es dich als mann stört, dass ich mich z. b. nach wie vor dafür engagiere, dass männliche gewalt bei kindesmissbrauch nicht unter eine realtiv kurze verjährungsfrist fällt. aber auch ich bin nur ein mensch (oder menschin ;-) und denke daher erst einmal an mich und all die frauen, die ich in meiner stationären wie ambulanten therapie/klinikaufenthalt kennen gelernt habe.

Und genau das ist der Punkt! Wenn alle immer nur an sich denken, kommt es niemals zu einer Lösung der Probleme.

einen großen vorteil sehe ich allerdings dabei für misshandelte männer: wenn die verjährungsfrist endlich heraufgesetzt wird, dann haben auch all die (von frauen) misshandelten jungen/männer eine chance dies für sich zu nutzen und jene frauen auch nach vielen vielen jahren anzuzeigen und zur verantwortung zu ziehen.
(sexuelle) gewalt gegenüber kindern hat sich mir bisher meist einseitig gezeigt. dies hat allerdings nicht dazu geführt, dass ich nun mädchen als alleinige opfer sehe. ich sehe es eher so, dass mädchen, denen (sexuell) gewalt angetan wurde sowas wie vorreiter und wegbereiter für ALLE kinder sein können, denen sowas passiert ist.

Das sehe ich eigentlich nicht so. Vielmehr führt diese einseitige Sicht nur zur Zementierung bereits vorhandener Vorurteile. Und das bereits kaum vorhandene Angebot für mißhandelte Jungen wird noch weiter zurückgefahren. Wenn ímmer nur behauptet wird, daß allein Mädchen Opfer von sexueller Gewalt werden können, ermuntert man die ohnehin eingeschüchterten Jungen wohl kaum, sich zu offenbaren.

erst dann, wenn eine opfergruppe die gesetze soweit verändert hat, dass z. b. ne kurze verjährungsfrist nicht mehr greift, dann haben auch die anderen opfergruppen eine chance sich endlich zu wort zu melden und ihre interesen zu vertreten.

Die Erfahrung und Geschichte zeigt hier oftmals ein etwas anderes Bild.
Die Emanzipation einer Gruppe führt in vielen Fällen dazu, daß die Bedürfnisse und Probleme anderer Gruppen überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden.

das leben ist nicht gerecht, sondern eben manchmal ein kampf gegen windmühlen.

Das ist eine Binsenweisheit. :-)

Grüße
pumphutt


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