Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Mittelweg

Thorsten, Saturday, 30.07.2011, 15:40 (vor 4894 Tagen) @ Schmierfink

Die suchen dort keine einfachen Lösungen. Es ist so komplex, weil es genau so gewollt ist. So läßt sich Interessenpolitik besser verstecken.

Sagen wir so, Lobbyisten und Opportunisten haben wenig Interesse an Transparenz, egal ob die Komplexität bewußt geschaffen wird oder im Laufe der Zeit entstanden ist.

Denk an den "Professor aus Heidelberg". Nur in jungen Staaten nach einem Zusammenbrch ergibt sich eine Nische, in der solche Idealisten ectl. mal agieren können.

Das ist der Punkt. Die von Dir genannten einfachen Steuersysteme wurden nämlich nicht von Staaten "während des laufenden Betriebs" geschaffen, sondern bei einem Neuanfang.

Jede Entscheidung hat Nachteile, jede kann im Nachhinein die falsche gewesen sein.

Das Gefängnis der Freiheit ist das quälende Problem bei der Eigenverantwortung. Wird einem diese durch Bevormundung, Führung, göttliche Lenkung und was auch immer verweigert, kann man sich entspannt zurücklehnen und gegen die da oben mosern, denn man selbst ist ja macht- und verantwortungslos.

Thorsten: Entscheidungsfreiheit mal ganz anders, nämlich als Freiheit vom Zwang zur Entscheidung?
Ohne jede Frage wäre das einfacher.

Kann ich gut nachfühlen. Die Idee eines alles lenkenden Gottes, eines unendlich weisen Gurus, oder eines gütigen Diktators (engl.) hat etwas sehr ansprechendes, und da nehme ich mich selbst nicht aus. Das Beste und was dem noch am nächsten kommt, was ich bisher gefunden habe, sind gute Mentoren und Lehrer, nicht nur in der Schule. Aber ab einem gewissen Alter sind wir volljährig, und müssen zumindest die eine Entscheidung bewußt und verantwortungsvoll treffen, nämlich die, unsere Freiheit aufzugeben und uns selbst zu unterwerfen.

So lange wir dadurch wachsen und lernen, ist die Entscheidung auch aus persönlicher Sicht gerechtfertigt. Aber es kommt der Tag, an dem wir gelernt haben, was zu lernen war und uns statt dessen die Fehler unserer Lehrer immer unangenehmer werden und uns die Enge eines Rituals oder einer Ideologie immer bewußter werden. Das heißt nicht, daß diese schlecht wären, nur ist unsere Unterwerfung an dem Punkt der Entwicklung nicht mehr zu rechtfertigen. So wie eben jedes Kind einmal erwachsen wird, das Elternhaus verläßt, um auf eigenen Beinen zu stehen, und die Eltern dabei trotzdem noch in Ehren halten kann.

Und ich habe den Verdacht, dass diesen Hang (zur Gewalt) Leute in sich tragen, die ständig alles verkomplizieren wollen. Indem sie sich weigern, irgend etwas zuende zu denken, unterdrücken sie natürlich erfolgreich diesen Hang, zumindest eine Zeit lang.

Praktisches Beispiel: Ich hätte es mir gestern sehr einfach machen können und die polemische Antwort wählen können. Damit hätte ich (rhetorische) Gewalt angewandt und die Diskussion in zwei Pole gespalten, und zumindest einen Teil der Leser auf meiner Seite gehabt. Nur hätte ich mich in dem Fall in "meinem" Pol nicht wohlgefühlt, und hätte eingestehen müssen, daß mir die Gedenken und Werte des anderen Pols so fern dann auch wieder nicht sind. Deswegen habe ich heute Nacht (sehr viel) Zeit aufgewandt, um eine etwas "kompliziertere" und hoffentlich verständliche Antwort zu schreiben.

Kurz gesagt: Demokratie (in unserer Form) ist Radikalenzucht.

Und um das verhindern willst Du die Wahlmöglichkeiten und Freiheitsgrade in der Demokratie "vereinfachen"? Und nein, das ist weder eine rhetorische Frage, noch eine Fangfrage. Ich habe auch das Gefühl, daß zuviel Freiheit und vor allem die Abwesenheit von etwas, das uns verbindet und an einem Strang ziehen läßt, genauso ein Problem ist, wie zuviel Bevormundung und Konformität. Nur, was verbindet uns? Welches Ziel verfolgen wir? Welche Freiheiten geben wir auf? Wen oder was schließen wir aus? Schwierig genug, die Antworten darauf hier innerhalb des Forums zu finden, noch schwieriger, innerhalb einer ganzen Gesellschaft. Schon ist die Komplexität wieder da. Das einfachste war und bleibt halt immer noch ein gemeinsames Feindbild.

Der Islam ist nach wie vor Bedrohung und Terrorreligion. Breivik hat, wie viele andere, nichts gemacht, was Mohammed nicht auch gemacht hat oder hätte. Verstörung ruft sein Tun deshalb auch nicht in erster Linie unter Moslems hervor, sondern unter uns.

Verstörung, weil wir von den Moslems plötzlich gar nicht mehr so verschieden sind, wie wir geglaubt haben? Verstörung, weil Mohammed jetzt nicht nur Moslems, sondern auch Christen zu Terroranschlägen veranlasst? Im Ernst, ich kann viele von Deinen Gedanken nachfühlen, aber das hier bleibt mir, vorsichtig ausgedrückt, schleierhaft. Vielleicht deswegen, weil ich weder Moslem noch Christ bin, und deswegen nicht eines als göttliche Offenbarung und das andere als Teufelszeug betrachten muss.

Nicht jede tätige Umsetzung einer Ideologie ist ein Mißbrauch. Das denken nur Dumpfbacken, die nur die positiven Aspekte ihrer Ideologien sehen wollen. Mao und Pol Pot zum Beispiel haben sich genau an Marx' Vorgaben gehalten.

Da kann uns vielleicht ein Marxist weiterhelfen, aber ich dachte bisher, daß Marx den Zusammenbruch des Kapitalismus und den Aufstand des Proletariats als dem System inhärente Eigendynamik vorhergesagt hat, eben ohne daß es dafür explizite Führer wie Mao, Pol Pot und andere Menschenfreunde dafür braucht.

Thorsten: Wobei typischerweise die Anhänger der jeweiligen Ideologie selbst große Resistenz gegen Kritik und Selbstreflektion beweisen, während die Gegner gar nicht genug davon bekommen können, und sich beides, wie so vieles, gegenseitig bedingt.
Ja. Denk mal drüber nach.

Ich hoffe, nachdem was ich geschrieben habe, traust Du mir soviel Selbstreflektion noch zu, wenn das auch hier im Forum keine Selbstverständlichkeit sein mag.


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