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Jenseits von Geschlecht (Gesellschaft)

Wiki, Saturday, 27.02.2021, 18:13 (vor 1154 Tagen)

Kurt Starke: Jenseits von Geschlecht
Sprache Gendern ist populär. Langfristig wird es sich aber nicht durchsetzen können, denn es führt sozial, formal und kulturell ins Nichts.
derFreitag, Ausgabe 03/2021
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/jenseits-von-geschlecht

In meinem fachlichen Umfeld, der Sexualwissenschaft, ist die sogenannte geschlechtergerechte Sprache Standard und zugleich Standarte. Jetzt hat auch die Duden-Online-Redaktion entschieden, 12.000 bislang im generischen Maskulinum gehaltenen Artikeln über Personen- und Berufsbezeichnungen jeweils einen zweiten, weiblichen hinzufügen. Das Gendern wird wie ein Hoheitszeichen gepflegt, und jede Beschädigung erscheint wie Blasphemie. Ich würde diese Sprache gern verwenden. Weil ich den emanzipatorischen Anspruch teile und weil ich viele, die diese Neubildungen verwenden, persönlich hoch schätze.

Aber, ach! Ich kann es nicht. Ich vermag sie weder auszusprechen noch hinzuschreiben; und erblicke oder höre ich sie, wird mir unbehaglich. Wenn ich Sie, liebe Leser, anspreche, dann kann ich keinen Sinn darin sehen, Sie mit „Leserinnen und Leser“ anzusprechen. Leser ist in der deutschen Sprache ein Allbegriff, nicht nur in der Mehrzahl, sondern auch in der Einzahl. Aus dem grammatikalischen Artikel kann man bei Allbegriffen (wie etwa: der Mensch, die Person, die Persönlichkeit, der Säugling, das Kind, der Spatz, die Meise …) nicht auf das Geschlecht schließen. [...]

An dieser Stelle will ich auch auf das Gendersternchen eingehen. Ich habe immer bemängelt, dass Formen wie Leserinnen und Leser oder LeserInnen oder Leser_innen eine gesellschaftliche Minderheit ausklammern, und zwar Transpersonen, die sich nicht in das binäre Schema männlich/weiblich einordnen lassen. Auf den ersten Blick wird mit dem Sternchen (liebe Leser*innen) Gerechtigkeit hergestellt. Auf den zweiten Blick wird dies, insbesondere von Transsexuellen, die nicht fremd-, sondern selbstbestimmt ihr Geschlecht bezeichnen möchten, als ein Diktat, eine Vereinnahmung betrachtet. Zudem ist es seltsam, wenn eine Transperson wie eine Fußnote bezeichnet oder, anders herum gesehen, zu einem erdenfernen Himmelskörper gemacht wird, und zwar in der Verkleinerung (Sternchen). Wenn man es genau betrachtet: Würde man im Radio oder im Fernsehen mit „Liebe Hörer*innen“ angesprochen (mit einer winzigen Pause anstelle des Sternchen oder auch ohne diese Pause), werden nur weibliche und Transpersonen angesprochen, die männlichen Hörer werden ausgeschlossen.

Die „geschlechtergerechte“ Wortkonstruktion trennt. Mit ihr wird die alte Geschlechtertrennung zementiert und die Unversöhnlichkeit der beiden Geschlechter zum Konzept gemacht. Ich erinnere mich, dass es in der alten Richard-Wagner-Schule Leipzig, der RiWa, in Stein gemeißelt getrennte Eingänge für „Knaben“ und „Mädchen“ gegeben hat. Solche Separierungen gab es von klein auf und zuhauf. Sie waren fast immer offen oder latent mit Diskriminierungen verbunden, jedenfalls nichts, was Gemeinsamkeit, Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung förderte.

Wird sich die „geschlechtergerechte“ Sprache allgemein durchsetzen? Wird sie Eigentümlichkeit einer Elite, einer Subkultur bleiben oder mehr und mehr Sprachdiktat im Sinne einer Political Correctness werden, so wie schon heute Hochschulen sie bei Qualifizierungsarbeiten erzwingen, Zeitschriften sie von den Autoren verlangen, Verwaltungen dazu genötigt werden? Eine Weile wird sie wohl noch vorhanden sein. Aber letztlich wird sich die „geschlechtergerechte“ Sprache nicht durchsetzen, schon weil es in vielen Sprachen, insbesondere im dominanten Englischen, keine Entsprechung gibt. Und wohl auch, weil für Tiere eine sprachliche Genderisierung auch wegen des Sternchens scheitern oder zu albernen Worten führen würde. Zudem wäre es abwegig, alte Schriften nachträglich zu verändern. Geldwechsler*innen, Feudalherr*innen, Indianer*innen, junge Pionier*innen gab es sprachlich nie. Das „Gendern“ führt sozial, kulturell und sprachlich ins Nichts.

Hauptsächlich aber wird es entschwinden, weil fortschrittliche Kräfte erkennen, dass mit diesem Sprachdiktat die Wirklichkeit nicht nur nicht verbessert wird, sondern die realen Ungerechtigkeiten verdeckt und in Ruhe gelassen werden. Die „geschlechtergerechte“ Sprache wird in Inhalt und Form ihren Namen und ihrem Anliegen nicht gerecht.


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