In sozialen Medien wandelt sich das Klima – in Richtung Frauenfeindlichkeit (Lügenpresse)
Bei Lobo gab es wieder Buchstabensuppe zum Frühstück. Der hat sich prima der gegenwärtigen Situation angepasst. Früher wäre er bestimmt bei der deutschen Wochenschau gewesen und hätte täglich aufs neue den Endsieg propagiert.
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Im Internet ist eine neue digitale Dimension des Frauenhasses entstanden. Ein misogyner Mob erschwert es Frauen, sich frei und offen zu äußern. Dagegen hilft vor allem eines.
Es gibt diesen besonderen Sound in sozialen Medien: vorsichtig tastend, manchmal beinahe fragend. Anflüge von Selbstironie mit einem Hauch Selbstzweifel. Fakten zitierend, keinesfalls behauptend. Ein paar »vielleicht«, »oder?« und »glaube ich« einstreuend. Etwas Charme, ein wenig Emotionalität, aber von beidem nicht zu viel. Schließend mit einer Art Demutsgeste gegenüber dem Publikum, etwa »oder wie seht ihr das?«, manchmal gar mit der Bitte um Hinweise auf eventuelle Fehler oder Vorabentschuldigungen. Das mag sich interessant anhören, aber dieser Sound – oder präziser: der Grund für seine Existenz – ist eine Katastrophe. Und zwar eine menschengemachte, eine Männer-gemachte.
Denn es handelt sich um die Art, wie Frauen in den sozialen Medien zu Sachthemen kommunizieren, damit ihnen am wenigsten Hass entgegenschlägt. Es ist der Sound der Misogynie-Minimierung, eine Form von vorauseilender Notwehr, und dass Frauen sich gezwungen sehen – bewusst oder unbewusst – ihre Kommunikation derart zu verändern, ist ein Ausweis des gigantischen Problems Frauenhass im Netz.
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In den sozialen Medien findet ein »sozialer Klimawandel« statt.
Eine zunehmend toxische Atmosphäre wird absichtsvoll erzeugt, die insbesondere Frauen davon abhalten soll, unbeschwert und offen zu kommunizieren. (Ähnliches lässt sich bei sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten beobachten.) Die Furcht vor Angriffen führt nicht nur zu dem oben beschriebenen Sound, sondern dient als neue Ausformung eines uralten patriarchalen Instruments.
Folge und Echo des Frauenhasses in den Köpfen
Schon 1792 schrieb die Frühfeministin Mary Wollstonecraft: »Warum müssen Frauen sich erniedrigen lassen, einen Grad an Respekt von Fremden zu erdulden, der sich völlig unterscheidet den Umgangsformen zwischen Männern, die vom Gebot der Menschlichkeit und Zivilisiertheit geprägt sind?« Meine Kolumnenkollegin Margarete Stokowski schrieb 2019 in einem Aufsatz zum Stand der Feminismusdebatte darüber, wie selbstverständlich und aggressiv Kommunikation als Machtinstrument benutzt wird, und zitiert wiederum Mary Beard: »Die abendländische Kultur ist seit Jahrtausenden geübt darin, Frauen den Mund zu verbieten.« Der frauenfeindliche soziale Klimawandel ist im Kern also eine Verschiebung alter, patriarchaler Mechanismen ins Netz, allerdings verbunden mit der netztypischen Eskalation und Beschleunigung.
Der soziale und psychische Preis einer Äußerung im Netz wird für Frauen absichtsvoll hochgetrieben, »silencing« ist der aus der amerikanischen Rassismus- und Sexismusdebatte stammende Fachbegriff dafür. Frauenhass im Netz als Folge und Echo des Frauenhasses in den Köpfen, in der Gesellschaft, in den Strukturen, die schon sehr lange bestehen und von Generationen von Frauenrechtlerinnen erforscht und bekämpft werden.
In den letzten Jahren ist im Netz zusätzlich eine neue digitale Dimension des Frauenhasses entstanden, begünstigt durch die Strukturen sozialer Medien einerseits und den Wandel der Gesellschaft andererseits. Rechtsextremismus und Islamismus, beide in den letzten Jahren auf dem Vormarsch, in der Welt wie im Netz, sind sich überaus einig in ihrer Frauenverachtung.
Es kommen neue netzoriginäre Frauenverachtungen junger, westlich geprägter Männer hinzu. Etwa von Gruppierungen wie den Incels, eine englische Abkürzung für »unfreiwillig zölibatär«, die getrieben sind von misogynem Hass und Verschwörungstheorien, über die Veronika Kracher ein so verstörendes wie lesenswertes Buch geschrieben hat. Aus diesen Zirkeln heraus sind bereits mehrere Attentate vornehmlich auf Frauen verübt worden, mit Dutzenden Toten: ja, es gibt inzwischen netzgeborenen Frauenhass-Terrorismus.
Tief sitzende Frauenfeindlichkeit aus der Mitte der Gesellschaft
Ergänzt aber wird der Frauenhass dieser extremistischen Gruppen durch eine tief sitzende Frauenfeindlichkeit aus der Mitte der Gesellschaft. Diese wiederum erscheint am sichtbarsten in sozialen Medien, und zwar bei fast jedem irgendwie frauenbezogenen Anlass. Es ist dieser Alltagsfrauenhass, der sich tarnt mit einer Mischung aus grobem Humor, prinzipieller Abwertung und sexistischen Attacken. Der Social-Media-Klimawandel in Richtung Frauenfeindlichkeit wird nicht nur von Extremisten aktiv betrieben, sondern auch von der Passivität und der unterschwelligen Akzeptanz von Frauenhass aus der gesellschaftlichen Mitte. Wo Abwertungen achselzuckend oder schmunzelnd hingenommen werden, von Leuten, die sonst von ihrer eigenen Moral oder gar ihrem proklamierten Feminismus enorm überzeugt sind.
Deshalb kann man es als eine Art Fortschritt von geringem Niveau aus betrachten, dass das flächige Ignorieren von Frauenhass jüngst nicht mehr geschah. Die Grünenpolitikerin Ricarda Lang war in der Talkshow »Hart aber fair« und hat dort zum emotionsgeladenen Thema Benzinpreis den CSU-Generalsekretär Markus Blume fachgerecht in mittelgroße Diskursstücke zerlegt. In sozialen Medien, vor allem auf Twitter, schlug ihr daraufhin eine atemberaubende Mischung aus giftigem Spott, Verachtung, Hass und Hetze entgegen. Sehr häufig in Form von Kommentaren und Abwertungen zu Langs Körper.
Zwar waren die Haupttreiber der Angriffe auf Lang wahrscheinlich Trolle, die mit ihrer szenetypischen Mischung aus Memes, Hohoho-Humor und Boshaftigkeit versuchen, absichtsvoll zu verletzen. Aber – und das zeigt das Ausmaß der Problematik – neben der Trollkampagne gegen Ricarda Lang waren auch viele Reaktionen ganz gewöhnlicher Männer zu beobachten. Offensichtlich emotional sehr mitgenommen durch die Benzinpreisdiskussion, versprühten sie in Kommentarspalten und sozialen Medien ebenfalls Abwertung und Hass auf die junge Grünenpolitikerin.
Der misogyne Mob schaukelte sich derart hoch, dass die Gegenreaktion – Solidarität mit Ricarda Lang – weit politik- und parteiübergreifend stattfand, vom CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bis zum nicht gerade Vollzeit-grünenbegeisterten Chefredakteur der »Welt«, Ulf Poschardt. Nach meiner Einschätzung hat auf Twitter die Zahl der Solidaritätsbekundungen inzwischen die Hass- und Häme-Tweets um den Faktor zehn übertroffen. Ricarda Lang hat sich mit folgenden Worten bedankt: »Danke. Wirklich. Es bedeutet mir viel, zu sehen, was für eine Solidarität möglich ist, auch und gerade über Parteigrenzen hinweg.«
Genau das ist eines der wichtigsten Mittel, um den frauenfeindlichen Klimawandel in sozialen Medien aufzuhalten: Solidarität gerade von denjenigen, die sonst inhaltlich und politisch eher nicht als Avantgarde eines kämpferischen Feminismus auftreten. Solidarität gegen Frauenhass über die eigenen sozialen Umfelder hinaus und der Misogynie aktiv entgegentreten, wo immer sie stattfindet. Widersprechen, aufklären, wenn nötig und situativ sinnvoll, verbale Gegenangriffe starten. Denn – und das ist leider keine Übertreibung: Frauenhass tötet.