Paul Breitner kann doch nur grätschen (Allgemein)
Mit Paul B. verbindet mich etwas: Wir gingen auf dasselbe Gymnasium. Er hatte es fünf Jahre vor meiner dortigen Ankunft abgeschlossen, doch hat der Umstand, in damals noch weniger bewegter Zeit auf dieselbe Schule gegangen zu sein, etwas zu bedeuten.
Zudem kam er aus Freilassing und spielte dreißig Kilometer südöstlich beim dortigen ESV, einem aberhehren Konkurrenten meines 1. FC T. Das war Grund genug, ihn nicht nur gelten zu lassen, ihm nicht nur Respekt zu zollen, sondern nach Art Harry Valeriens gar zu sagen: „Sappra, der kann’s“. Beide auch duschten wir in unserer Jugend nach den Spielen noch kalt, in ungefliesten, über Mörtel nicht einmal verputzten Räumen.
Erste Zweifel an Paul B. kamen allerdings auf, als Otto, der Schlosser, lange Jahre Nachbar und Freund, wenn nicht gar der beste, meines Vaters, bei einem der vielen feierabendlichen Diskurse der beiden Männer über unsere Ligusterhecke hinweg, plötzlich das Wort vom Maoisten einflocht. Das gesellte sich zu meiner Wahrnehmung, Breitner sei von seiner Ausstrahlung her (seine O-Beine wollen wir nicht weiter thematisieren, sie stellen die komplementäre Ergänzung zu den X-Beinen seines Fast-Altersgenossen Toni Schumachers dar) seit jeher ein finsterer Typus gewesen. Jahre später die Frage: Wie könnten sich Maoismus und Millionärsdasein je miteinander vertragen?
Bei Paul B. kommt ein nicht abstreitbares theatralisches Temperament hinzu. Wieviel mag es ihm schon zu Schulzeiten geholfen, wohl etwaige Wissenslücken ausgeglichen haben?
Im Folgenden spricht er, angesichts eines wenn auch hohen Wettkampfes, des WM-Finales 1974, vom „Aufkommen wahnsinniger Wut“. Zeichnet ihn diese Wortwahl nicht recht treffend? Franz B., seinen Kapitän, von dem ich ausgiebig aufgenommen habe, wären solche link(isch)en Worte kaum je in den Sinn gekommen. Beckenbauer war eben Weltklasse, und selbst in dieser nicht herkömmlich, bei Breitner reichte es nur zu vorübergehend nationaler Größe.
Und als er, der Maoist, dann hinausschritt in die Münchner Arena, konnte er es nicht besser darstellen als zu sagen: „Ich wollte heim zur Mami“ (Min. 2:17). Ein versierter Psychoanalytiker würde wohl „Retardierung“ diagnostizieren. Im Grunde wirkt Paul B. bei seiner Selbstinszenierung, man betrachte doch seine Hände bis vor’s Gesicht der moderierenden Weibse, deren Augen an seinen Lippen hängen, auch, als erkläre er sich der personifizierten Sackgasse des Sigmund Freud persönlich. Und siehe da, eine halbe Minute nach dem „Heim zur Mami“ kommt nun plötzlich diametral opponierend die Parole: „Wie die Stiere zum Stierkampf, die alles niederreißen wollten“. Ja, was denn nun, Paul? Und die Moderatorin, lange Wimpern bei blondem Spaghetti-Haarschnitt, dazu angenehm rote Fingernägel, lauscht fast andächtig.
Die Abitur-Prüfung war damals übrigens streng, viel, sehr viel strenger als heute, in Bayern sicher noch eine Stufe mehr. Wie konnte Breitner sie bewältigen? Das Nebenfach „Theater“ war damals noch nicht geschaffen, auch „Ideologie“ existierte noch nicht. War er bei den „Neusprachlichen“, die nach dem Vorabitur keine Mathematik, dieses womöglich nur mit gebrochen-rationalen Funktionen, keinen Sinus, keinen Logarithmus, mehr brauchten und stattdessen Sartre nach ihrem Gusto interpretieren durften? Aber hätten sie denn auch, auf Dummdeutsch geschrieben (führt nicht eine gerade Linie von der damaligen Linken ins heutige Verhängnis?), Heidegger „gekonnt“?
Ist es nicht so, daß sich der theatralisch aufbauschende Breitner von der Moderatorin nicht mehr prinzipiell, sondern nur noch in Abstufungen unterscheidet? Kurzum: Sie genügt vielmehr und quasi ganz von selbst dem Anspruch eines Weibes, er demjenigen eines wirklichen ernsthaften Mannes fast gar nicht. Freilich kommt selbst bei ihm, dem Maoisten, noch der Mann durch. Wer auch wollte die Natur bändigen?
Wer will, der betrachte halt das Theater:
https://www.youtube.com/watch?v=J4pTI5depGM
Beglückwünscht seien übrigens die Männer, die echte Weiber ehelichen konnten. Als wir unseren C. beerdigten, er war die Nr. 2 und ich die Nr. 10 und sein Kapitän, da stand in der Kapelle vor mir ein Weib, in deren Zügen nicht nur noch Schönheit wirkte, nein, wichtiger, sie verstand sich auch auf das "Pater Noster" und das "Ave Maria". Und das, obwohl ihr Mann, wie unser gemeinsam verstorbener Kamerad, den Suchtstoffen verfallen war. Das ist Treue, bis zum Tod, der scheiden soll und es womöglich gar nicht tut.