Hier wird wieder schweres Geschütz aufgefahren:
Nina Chruschtschowa über Putin "Er lebt den Traum vom großslawischen Reich"
Stand: 07.03.2022 11:44 Uhr
Fern der Realität, in einem anderen Universum, paranoid - so schätzt Nina Chruschtschowa, Urenkelin des Stalin-Nachfolgers Nikita Chruschtschow, Russlands Präsidenten ein. Die Politologin hat Putin studiert, sagt, wie er tickt und was er wirklich will.
Von Antje Passenheim, ARD-Studio New York
Putins Krieg ist ein Ein-Mann-Krieg. Der Krieg eines Diktators, der in seiner eigenen Welt lebt, sagt Nina Chruschtschowa. "Nichts davon ist logisch oder rational kalkuliert. Doch es ist im Rahmen dessen, wie der Verstand eines Diktators funktioniert." Chruschtschowa war noch ein Kind, als ihr Urgroßvater unfreiwillig in den Ruhestand ging - abgesetzt als mächtigster Politiker der Sowjetunion. Die Urenkelin des Stalin-Nachfolgers Nikita Chruschtschow hat Russlands Präsident Putin von ihrem Wahlland USA aus studiert wie kaum eine andere.
Er sei ein einsamer Autokrat, sagt die Politologin dem ARD-Studio New York: "Das ist kein politischer Verstand mehr, kein realistischer Verstand mehr. Er lebt in einer erfundenen Realität, in der sich ihm jeder unterwerfen muss, anstatt realistisch zu reagieren."
"Das Reich von Putin dem Großen"
Putin wolle vielleicht die NATO bestrafen, indem er die militärische Infrastruktur der Ukraine zerstört. Vielleicht wolle er eine Marionettenregierung in Kiew. Doch hinter seinem Feldzug stehe ein weniger pragmatisches, aber alarmierendes Ziel: "Er will das Reich von Putin dem Großen errichten."
Der Kremlchef wolle unantastbar werden, meint die Politologin der New Yorker Universität "New School", in den Fußstapfen Wladimirs des Großen, der als bedeutendster Fürst Altrusslands gilt - dem Vorläuferstaat der heutigen Länder Russland, Ukraine und Belarus.
Nina Chruschtschowa
Nina Chruschtschowa über Putin "Er lebt den Traum vom großslawischen Reich"
Stand: 07.03.2022 11:44 Uhr
Fern der Realität, in einem anderen Universum, paranoid - so schätzt Nina Chruschtschowa, Urenkelin des Stalin-Nachfolgers Nikita Chruschtschow, Russlands Präsidenten ein. Die Politologin hat Putin studiert, sagt, wie er tickt und was er wirklich will.
Von Antje Passenheim, ARD-Studio New York
Putins Krieg ist ein Ein-Mann-Krieg. Der Krieg eines Diktators, der in seiner eigenen Welt lebt, sagt Nina Chruschtschowa. "Nichts davon ist logisch oder rational kalkuliert. Doch es ist im Rahmen dessen, wie der Verstand eines Diktators funktioniert." Chruschtschowa war noch ein Kind, als ihr Urgroßvater unfreiwillig in den Ruhestand ging - abgesetzt als mächtigster Politiker der Sowjetunion. Die Urenkelin des Stalin-Nachfolgers Nikita Chruschtschow hat Russlands Präsident Putin von ihrem Wahlland USA aus studiert wie kaum eine andere.
Antje Passenheim
Antje Passenheim ARD-Studio New York
Er sei ein einsamer Autokrat, sagt die Politologin dem ARD-Studio New York: "Das ist kein politischer Verstand mehr, kein realistischer Verstand mehr. Er lebt in einer erfundenen Realität, in der sich ihm jeder unterwerfen muss, anstatt realistisch zu reagieren."
"Das Reich von Putin dem Großen"
Putin wolle vielleicht die NATO bestrafen, indem er die militärische Infrastruktur der Ukraine zerstört. Vielleicht wolle er eine Marionettenregierung in Kiew. Doch hinter seinem Feldzug stehe ein weniger pragmatisches, aber alarmierendes Ziel: "Er will das Reich von Putin dem Großen errichten."
Der Kremlchef wolle unantastbar werden, meint die Politologin der New Yorker Universität "New School", in den Fußstapfen Wladimirs des Großen, der als bedeutendster Fürst Altrusslands gilt - dem Vorläuferstaat der heutigen Länder Russland, Ukraine und Belarus.
Wladimir Putin | picture alliance/dpa/Pool Sputni
Putin sei ein einsamer Autokrat, der keinen realistischen Verstand habe, meint die Politologin Nina Chruschtschowa. Bild: picture alliance/dpa/Pool Sputni
Putin lebt "in einem komplett anderen Universum"
Putin hänge an der Vision des russischen Schriftstellers Alexander Solschenizyn, den er sehr verehre, erklärt Chruschtschowa weiter. "Es ist diese Vision von Alexander Solschenizyn, dass alle slawischen Länder sich vereinigen: Er hat Belarus, er holt sich die Ukraine und dann gibt es die potenzielle Revolution in Kasachstan."
Solschenizyns Traum liege vor einem völlig paranoiden Diktator, der sich irgendwo versteckt und immer einsamer wird, sagt die Russin, die seit den 1990er-Jahren in den USA lebt.
"Er hat panische Angst vor dem Tod - so wie Stalin in seinen späten Jahren. Er ist paranoid. Es scheint, als habe Putin dieses Endstadium eines Diktators erreicht, der in einem komplett anderen Universum lebt. Eines, das wir uns fast nicht vorstellen können."
Nichts zu machen mit amerikanischer Diplomatie
Mit amerikanischer Diplomatie komme niemand bei diesen Diktator weiter, sagt die Professorin für Internationale Angelegenheiten. Ein dünnhäutiger Autokrat lasse sich nicht die Pistole auf die Brust setzen. "Wenn Du Dich nicht benimmst, dann bestrafen wir Dich. So funktioniert das nicht mit Autokraten."
Auch die Idee, dass die russische Bevölkerung einen Umsturz herbeiführen könnte, sieht sie als Illusion der westlichen Welt. Nach - wohl bemerkt staatlichen - Umfragen sollen inzwischen mehr als 70 Prozent der Russen hinter diesem Krieg stehen. Doch auch unabhängige Quellen bestätigen diese Tendenz: Viele Russen kränke es, dass ihr Land von der ganzen Welt geächtet wird.
"Sie schließen sie von allem aus: Wettbewerbe, Fußball, das Bolschoi-Ballett, Sänger, Künstler, alles." Zusammen mit den anderen Sanktionen gebe das der Mehrheit das Gefühl: Sie zerstören ganz Russland. "Und sollte ein Teil der Bevölkerung sich gegen Putin erheben - das wäre blutig." Ob wir das wollen, fragt Chruschtschows Urenkelin.
Putin hat Geheimdienst FSB stark gemacht
Sie ist sich recht sicher: Selbst wenn das einträte, käme nicht der politische Führer an die Macht, den sich die Amerikaner wünschten. Dazu hätte Putin seinen Geheimdienst, den KGB-Nachfolger FSB, zu stark gemacht. Er durchziehe jeden Lebensbereich. "Selbst wenn Putin weg wäre - diese Leute sind da. Und sie sind zu weit Brutalerem bereit. Denn sie wollen an der Macht bleiben, weil sie wissen: Das wäre sonst das Ende ihres Lebens."
"Wollt ihr einen größeren Krieg?"
Nina Chruschtschowa meint: Die Ukraine müsse sich klar darüber werden, wie viel sie bereit wäre, an Russland abzutreten. Putin gehe es um die Krim und die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Seine Frage sei diese: "Wollt Ihr einen größeren Krieg? Oder gebt Ihr mir, was ich will? Und die Frage ist: Wie viel würde die Ukraine geben, um zu beenden, was gerade passiert? Würde sie diese Gebiete dafür abtreten, die doch ohnehin für sie verloren sind?"
Sie selber, sagt Nina Chruschtschowa, hüte sich davor, diese Frage zu beantworten.
https://www.mdr.de/geschichte/nina-chruschtschowa-102.html