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30 Jahre Brandanschlag Solingen – Rechtsbeugung im Namen des Volkes! (Allgemein)

Rainer ⌂ @, ai spieg nod inglisch, Monday, 29.05.2023, 22:51 (vor 547 Tagen) @ Propaganda-TV

Schon damals war völlig klar, dass es sich um einen politischen Prozess handelt. Politik will niemals Gerechtigkeit, genau so wenig wie die Justiz. Es werden Schuldige zum hängen gebraucht, damit das Volk wieder beruhigt wird. Damit das Volk an gerechte Führer glaubt. Hat beim letzten Führer aus Österreich auch bestens funktioniert. Früher hat man die Schauprozesse der Sowjetunion verurteilt, und heute betreibt man selbst genau die gleichen Schauprozesse.

https://rundekante.com/30-jahre-brandanschlag-solingen-rechtsbeugung-im-namen-des-volkes/

Sehr geehrte Damen und Herren,
drei der vom OLG Düsseldorf wegen des Brandanschlags in Solingen Verurteilten haben sich nach jahrzehntelangem Schweigen entschlossen, Stellung zu dem damaligen Urteil zu nehmen. Ich bin, als damals aktiver Verteidiger, damit beauftragt, für eine entsprechende Verbreitung Sorge zu tragen. Da ich das rechtskräftige Urteil als Jurist zu akzeptieren habe, mit dem Inhalt allerdings keinesfalls konform gehe, tue ich mich hiermit leicht und überreiche Ihnen in der Anlage entsprechende Erklärungen.
Rechtsanwalt

Erklärung 30 Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen, Felix Köhnen

30 Jahre sind seit dem Brandanschlag in Solingen am 29.Mai 1993 vergangen. Mehr als 28 1/2 Jahre sind seit dem 13. Oktober 1995 vergangen, dem Tag, an dem mich das Oberlandesgericht Düsseldorf als einen von vier Angeklagten zu der Jugendhöchststrafe von 10 Jahren verurteilte. Meine Unschuld beteure ich seit 30 Jahren!

Ich wende mich mit diesen Worten erstmals an die Öffentlichkeit, weil ich nicht länger schweigen will.

Den Angehörigen der Opfer dieses schrecklichen Verbrechens, den Familien Genf, Ince, Duran und Saygin möchte ich nochmals mitteilen: Christian Buchholz, Markus Gartmann und ich sind nicht die Mörder Ihrer Angehörigen. Keine Worte können ausdrücken, was Sie durchleiden mussten und noch immer durchleiden.

Es gab in meiner Jugend eine Phase, in der ich eine rechte Einstellung hatte.

Ich war ausländerfeindlich eingestellt und äußerte Parolen, die absolut Scheiße, verletzend und falsch waren. Als der türkenfeindliche Liedtext einer ehemaligen Skinhead-Band vor Gericht verlesen wurde, habe ich mich gegenüber den Opferfamilien geschämt. Aber das macht einen Menschen nicht zu einem Brandstifter und Mörder.

Zutreffend ist auch, dass ich zeitweise Mitglied in der Kampfsportschule HAK-PAO war, dessen Leiter erst im Prozess als V-Mann des NRW-Verfassungsschutzes enttarnt wurde. Zum Zeitpunkt des Brandanschlags von Solingen war ich nicht mehr Mitglied. Das Pogrom von Rostock und die Morde von Mölln schockierten mich damals.

Auch unter dem Einfluss dieser unfassbaren Anschläge kaufte ich im Frühjahr 1993 ein T-Shirt gegen Nazis.

Dass ich in dem Hauseingang der Opferfamilien – wie vom Gericht im Urteil „festgestellt“ – Benzin ausgeschüttet haben soll, lässt mich schaudern und macht mich wütend! Bei allem, was mir heilig ist: zu einer solchen Tat wäre ich niemals fähig gewesen!

Ich habe mir niemals vorstellen können, dass es in Deutschland möglich ist, dass Ermittlungsbehörden unter einem enormen öffentlichen und politischen Druck, neben dem bereits festgenommenen Christian R. noch drei, weitere und zwar unschuldige Personen verhaften würden. Die Ermittlungsbehörden konnten und wollten nicht wahrhaben, dass der Solinger Brandanschlag die Tat eines Einzelnen gewesen war.

Dass die Ermittler nicht unvoreingenommen gearbeitet haben, ist an unzähligen Beispielen – auch während des Prozesses – deutlich geworden. Die ermittelnden Beamten haben versucht, uns um jeden Preis zu überführen und dabei alles vernachlässigt, was entlastend hätte sein können.

Nach den Urteilsausführungen des Gerichts soll das Tatmotiv ein Streit auf einem Polterabend mit Ausländern gewesen sein, die wir „fälschlicherweise“ für Türken gehalten haben sollen. Es gab auf dem Polterabend zwei Auseinandersetzungen. An letzterer waren Christian Buchholz, Markus Gartmann und ich beteiligt, aber keine Ausländer, sondern deutsche Jugendliche.

Bei den auf dem Polterabend anwesenden Ausländern handelte es sich um zwei Jugoslawen, die mir Monate vorher auf einem Geburtstag als solche vorgestellt wurden, und die waren an der Auseinandersetzung nicht beteiligt. Wir wurden nach dem Streit mit den deutschen Jugendlichen aufgefordert, den Polterabend zu verlassen, und u.a die beiden Jugoslawen begleiteten uns zum Ausgang.

Ich wusste, dass es keine Türken waren und wiederhole: es gab mit diesen keine Auseinandersetzung und somit auch kein Tatmotiv.

Nachdem wir den Polterabend verlassen hatten, hielten wir uns noch vor dem Gelände auf und gingen zu einem Bekannten, der in der Nähe wohnte.

Die Wohnung sollen wir laut Urteil „gegen 0.25 Uhr“ erreicht und „gegen 0.40 Uhr“ wieder verlassen haben. Unser Aufenthalt dort soll also nur 15 Minuten gedauert haben. Tatsächlich hielten wir uns dort über eine Stunde auf.

Nach dem Verlassen der Wohnung sollen wir an der 3,2 km entfernten Kreuzung Schlagbaum „zufällig“ Christian R. getroffen haben, den Gartmann nur flüchtig und Buchholz und ich gar nicht kannten. Christian R. soll den Vorschlag gemacht haben, das Haus der Familie Geng anzuzünden. Buchholz, Gartmann und ich sollen diesem Vorschlag ohne Widerspruch und „sofort“ zugestimmt haben.

Dann sollen wir „ohne daß dies näher diskutiert wurde“, um „Benzin zu beschaffen”, zu der BP-Tankstelle Schlagbaumer Straße und anschließend zur Unteren-Werner- Straße, dem Tatort, gegangen sein.

Demnach sollen Christian Buchholz, Markus Gartmann und ich 4,6 Kilometer in 56 Minuten zurückgelegt haben. Inklusive des vermeintlichen Treffens mit Christian R., inklusive der vermeintlichen Benzinbeschaffung (die laut Urteil „längstens 5 Minuten“ beansprucht habe) und inklusive der vermeintlichen Tatausführung.

Laut Urteil mit Promillewerten von 2,87 (Gartmann), 2,32 (Buchholz) und 2,23 (ich), wobei ein Gefängnisarzt bei Markus Gartmann zudem eine chronische Bronchitis mit ausgeprägten Herzrhythmusstörungen feststellte.

Obwohl weder ein Kauf noch ein Diebstahl von Benzin an der BP-Tankstelle nachgewiesen werden konnte, unterstellten die Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, dass Christian R. irgendwo einen „mit Benzin gefüllten Behälter bereit gestellt hatte und ihn nun abholte“. Dabei sei „nicht ausgeschlossen daß er sich das Benzin von einem Kunden der auch zur Nachtzeit stark frequentierten BP-Tankstelle beschafft hat (“zwei bis drei Liter Benzin“).“ Am Tatort wurde vom Brandsachverständigen kein Brandbeschleuniger nachgewiesen, indes behauptete dieser, mal „Benzin gerochen“ mal „knöcheltief in Benzin“ gestanden zu haben. Eine (angeblich) genommene Probe habe er im Brandschutt vergessen.

Das Haus Untere-Werner-Straße 81 wurde von den Ermittlern nicht gesichert und nach circa zwei Monaten abgerissen.

Am Beispiel der Weg-Zeit-Berechnung und der vermeintlichen Benzinbeschaffung wollte ich andeuten, wie die Ermittlungsbehörden arbeiteten, und wie die Richter diese Arbeitsergebnisse in Form ihrer „freien Beweiswürdigung“ als unumstößliche Tatsachen festlegten.

Bei keiner Betrachtung des Solinger Brandanschlags kommt man um die Geständnisse von Markus Gartmann herum, also desjenigen, der am Tatabend die ganze Zeit mit uns, also mit Christian Buchholz und mir, zusammen war. Das Urteil des Oberlandesgerichts basiert im Wesentlichen auf diesem mehrfach widerrufenen Geständnis des damals 23-jährigen Markus Gartmann. Warum, so fragt sich die Öffentlichkeit wahrscheinlich heute noch, sollte sich jemand eines so gravierenden Verbrechens bezichtigen und zwei weitere Personen gleich mit, wenn er die Tat gar nicht begangen hat?

Dass dieses Geständnis mit unzulässigen Vernehmungsmethoden und einem nicht protokollierten „Vorgespräch“ zustande gekommen ist, ist damals wie heute ein Skandal! Aber auch hier entschied die „freie Beweiswürdigung“ der Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf anders.

Die Strategie eines der beiden Anwälte Gartmanns, der seinem Mandanten suggerierte, er könnte einer lebenslangen Freiheitsstrafe nur dann entgehen, wenn er ein Geständnis ablegen würde, war aufgegangen. Die fragwürdigen Vernehmungsmethoden gipfeln in den zahlreichen Aussagevarianten des über Tage verhörten Christian R.

Fast niemand aus der Bevölkerung, auch nicht die Medien oder Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft oder Kultur, haben sich die Mühe gemacht, sich all den Zweifeln, Widersprüchen und Unwahrheiten zu widmen, denn mit dem rechtskräftigen Urteil verstummten auch die Zweifel.

Und der deutsche Staat, der sich bei jeder Gelegenheit rühmt, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein? Hat er nicht im Fall Solingen versagt? Hat er nicht „Staatswohlgründe“ über die Gründlichkeit gestellt, den Fall Solingen Stück für Stück aufzuklären?

Als Unschuldiger viele Jahre inhaftiert gewesen zu sein, ist ein Alptraum.

Schlimmer als die jahrelange Haft ist es mitzuerleben, wie wir drei zu Unrecht Verurteilen Christian Buchhoiz, Markus Gartmann und ich, lebenslang als Mordbrenner und Neonazis stigmatisiert werden, gerade vor dem Hintergrund des 30. Jahrestages des Solinger Brandanschlags. Am Schlimmsten aber ist, dass es Menschen gibt, deren Leben ausgelöscht werden durch Mitmenschen, deren rassistischer Hass buchstäblich über Leichen geht. Ein solcher Mitmensch war ich nie und werde ich niemals sein!

Mai 2023
Felix Köhnen

Markus Gartmann – Erklärung „30 Jahre Solinger Brandanschlag“

Es ist wichtig, dass man den Opfern dieser furchtbaren Tat gedenkt. Sie haben das Schrecklichste erlitten, und niemand kann sich wirklich in ihr Leid hineinversetzen. Es ist aber auch so, dass für diese furchtbare Tat drei Menschen zu Unrecht verurteilt wurden, und man diesem Unrecht heutzutage keine Aufmerksamkeit mehr schenkt.

Dass man mir nicht glaubt, dass ich ein falsches Geständnis abgelegt habe, kann ich nachvollziehen. Ich war damals der Situation nach der Verhaftung und den Verhören nicht gewachsen. Ich habe den Überblick verloren und wusste nicht mehr, wie es weitergeht. Gegen den Druck der mich vernehmenden Beamten, etwas zu gestehen, was ich nicht begangen habe, konnte ich mich nicht wehren. Felix Kühnen und Christian Buchholz waren stärker als ich. Sie haben diesem Druck standgehalten. Sie haben immer die Wahrheit gesagt, leider scheint das auch 30 Jahre nach dem Brandanschlag niemanden zu interessieren. Es gibt kein Hinterfragen des Urteils, Medien und Öffentlichkeit scheint es gleichgültig zu sein.

Auch heute noch setzen manche Medien unwahre Behauptungen über mich in die Welt. ln einem Interview wurde ich gefragt, ob ich noch rechts eingestellt wäre. Ich antwortete, dass ich das schon lange nicht mehr bin. Trotzdem wurde das Gegenteil veröffentlicht. Das ist frustrierend und macht mich wütend.

Bei der Urteilsverkündung verglich der Vorsitzende Richter das amerikanische und das deutsche Justizsystem und meinte, dass wir in den USA einen Freispruch bekommen hätten. Als Vergleich nannte er den Fall O. J. Simpson. Der Vorsitzende Richter erklärte, dass das deutsche Justizsystem das bessere wäre. Ich möchte nicht darauf eingehen, welches System das bessere ist. Aber es ist eine Frechheit, einen Systemvergleich heranzuziehen, wenn die Richter im Urteil um Sekunden feilschen, damit der Indizienprozess irgendwie aufgeht.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei Hatice und Kamil Gene entschuldigen, dass ich ihnen im Januar 1994 einen Reuebrief schickte, in dem ich schrieb, „dass die richtigen Täter sitzen“. Was ich in diesem Brief geschrieben habe, entsprach nicht der Wahrheit. Von anwaltlicher Seite ist mir geraten worden, diesen Reuebrief zu schreiben in der Hoffnung, dass ich damit eine mildere Strafe bekommen würde. Ich betone noch einmal: ich habe den Brandanschlag nicht begangen und Felix Kühnen und Christian Buchholz auch nicht.

Es ist mir wichtig, mich zum ersten Mal Öffentlich bei Felix Kühnen und Christian Buchholz dafür zu entschuldigen, dass ich ihr Leben mit meinen falschen Geständnissen extrem belastet habe.

In den Jahren im Gefängnis, zu Unrecht verurteilt, und in den Jahren bis heute war ich oft verzweifelt, auch wenn es den meisten Menschen in meiner Umgebung nicht auffällt. Trotzdem werde ich nicht aufgeben. Auch deshalb habe ich diese Erklärung geschrieben.

Markus Gartmann
Mai 2023

Brandanschlag in Solingen“. 30 Jahre danach. Stellungnahme: Christian Buchholz

Am Freitag, den 13. Oktober 1995, wurde ich als einer von vier Angeklagten für den „Solinger Brandanschlag“ vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu einer Haftstrafe von 10 Jahren verurteilt. Damit war ich für alle Zeiten ein rassistischer und reueloser Mörder von unschuldigen Frauen und Kindern.

Mein größtes Mitgefühl gehört seit 30 Jahren nach wie vor den Opfern und ihren Angehörigen, auch wenn diese davon überzeugt sind, dass neben Christian R. auch Felix Köhnen, Markus Gartmann und ich die Täter sind. Aber auch nach 30 Jahren schwöre ich bei der Ehre meiner geliebten inzwischen verstorbenen Eltern, bei meinem Leben und bei allem, was mir heilig ist, dass ich mit dem „Solinger Brandanschlag“ nicht das Geringste zu tun habe und weder aktiv, noch passiv daran beteiligt gewesen bin.

Wir, die zu Unrecht verurteilten Markus Gartmann, Felix Köhnen und ich, haben in den zurückliegenden Jahren lange, zu lange geschwiegen und den Gang in die Öffentlichkeit gescheut. Das hatte viele Gründe. Ein Grund war das niederdrückende Gefühl, in den Augen der allermeisten Menschen ein Mörder zu sein. Irgendwann aber bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass es nur einen Weg gibt, dieses Stigma eines Mörders loszuwerden: Das offene Wort.

Ich wünsche mir, dass sich ein jeder Mensch mit ausgeprägtem Rechtsbewusstsein mit dem Fall Solingen, den Ermittlungen und dem Prozess intensiv auseinandersetzt. Aber wo soll man eigentlich anfangen in dem Irrgarten dieses Falles? Vielleicht damit, was auch mich selbst fassungslos gemacht hat. Warum gesteht ein Mensch eine Tat, die er nicht begangen hat, und bezichtigt noch zwei andere Personen dieser Tat? Eine Antwort auf diese Frage habe ich erst durch das gefunden, was ich während meiner eigenen Vernehmungen erlebte.

ln meiner Vernehmung als Beschuldigter am 3. Juni 1993 beteuerte ich vehement meine Unschuld. Ich war gerade 20 Jahre alt und hatte noch niemals etwas mit der Polizei zu tun gehabt. Meine Überzeugung war tatsächlich, dass die Polizei auch mein „Freund und Helfer“ ist, und dass es in unserem demokratischen Land mit einem der besten Justizsysteme weltweit niemals möglich ist, dass Unschuldige verurteilt werden, insbesondere nicht bei einem besonders schweren Verbrechen mit großer Öffentlichkeitswirkung. Ich glaubte damals an Gott, und ich glaubte an so etwas wie eine höhere Gerechtigkeit. Selbst nach meiner Verhaftung glaubte ich einfach, dass sich alles aufklären würde. Erst die Vernehmungen durch die Beamten der Kripo und des Bundeskriminalamtes haben mir die Augen geöffnet.

Ich wurde u.a. als „feiges Schwein, das in der Nacht friedlich schlafende Frauen und unschuldige, kleine Kinder verbrennt“, als „Nazi“, „Kindermörder“ und „Unmensch“ tituliert. In völliger Verzweiflung entgegnete ich, dass ich keine Lebensberechtigung mehr hätte und auch nicht mehr leben wollte, wäre ich verantwortlich für den qualvollen Tod von unschuldigen Frauen und Kindern. Daraufhin legte einer der mich vernehmenden BKA-Beamten einen Revolver auf den Tisch und sagte: „Dann schieß dir doch dein unmenschliches Schweinegehirn raus!“ Dann steckte er die Waffe wieder ein mit den Worten: „Dafür bist du zu feige, aber in der Nacht Frauen und Kinder verbrennen, das kannst du.“ Ich zitterte vor Angst, ich weinte, aber ich beteuerte weiterhin meine Unschuld.

Unmittelbar danach kamen drei andere Beamte herein. Einer von ihnen öffnete das Fenster, damit ich den Krawall draußen und die hasserfüllten Parolen hören konnte. Er sagte: „Wir haben zwar keinerlei Beweise gegen dich, aber du gibst uns ganz freiwillig ein Geständnis, weil dein Name schon bekannt und dein Gesicht schon gedruckt ist. Und wenn wir dich heute aus Mangel an Beweisen laufen lassen müssen, finden wir dich morgen abgestochen, totgeschlagen und ausgeblutet in der Gosse.“ Ein zweiter Beamter sagte: „Wir können auch veranlassen, dass du aus Versehen in die Zelle zu ein paar schwulen Türken gesperrt wirst, für die du deinen Arsch hinhalten kannst. Denen kannst du dann erzählen, dass du unschuldig bist.“ Der Beamte rechts neben mir beugte sich zu mir herunter, kam mit seinem Gesicht ganz nah an meines heran und schrie: „Hast du es nicht begriffen? Du bist tot Junge, tot, tot, tot!“ Meine Vernehmung musste dann abgebrochen werden, weil ich kein Wort mehr herausbringen konnte und nur noch am zittern war.

Über diese Vorfälle gab es in dem Vernehmungsprotokoll und in der Ermittlungsakte nicht einen einzigen Vermerk. Erst vor Gericht kamen diese Vernehmungsmethoden ans Licht. „Ich wusste nicht, wie ich das überhaupt zu Papier bringen sollte“, gab ausgerechnet der Beamte zu, der mir damals den Revolver auf den Tisch gelegt hatte.

Als dann noch bekannt wurde, dass diese Kripobeamten, gegen die u.a. auch Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Geständniserpressung und Nötigung eingeleitet wurden, die Hauptvernehmungsbeamten des Verhörs von Markus Gartmann waren, habe ich endlich kapiert. Markus Gartmann hatte sich gegen diese Vernehmungsmethoden nicht wehren können und legte unter diesem extremen Druck, ein falsches Geständnis ab. Erst als er sich während der Untersuchungshaft dem Gefängnispfarrer anvertraute, hatte er später auch den Mut, sein Geständnis im Prozeß zu widerrufen.

Mir ist bewusst, dass diese meine Worte ein weiteres Mal abgetan werden können, genau wie mein 43-seitiges Schlusswort vor Gericht, wie meine Briefe an den Bundesgerichtshof, den Internationalen Gerichtshof, den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages oder an den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog. Der Fall Solingen ist für die meisten Menschen erledigt und abgehakt. Für mich ist er es nicht! Auch deswegen wende ich mich heute erstmals an die Öffentlichkeit.

Was ich in den vergangenen drei Jahrzehnten erlebt habe, hat meinen Glauben an und meine Hoffnung in unseren Rechtsstaat zerstört. Trotz allem glaube ich fest daran, dass die Wahrheit eines Tages ans Licht kommen wird. Dafür werde ich weiter kämpfen.

Seit vielen Jahren texte, komponiere und singe ich meine eigenen Lieder, die fast alle einen autobiografischen Hintergrund haben. Sich alles von der Seele schreiben und schreien, bedeutet für mich Rettung! Meine Lieder sind für mich wie kleine Inseln, die mich schützen und davor bewahren, aufzugeben oder zu zerbrechen. Mittlerweile sind es weit über 50 Songs. Einige davon, wie zum Beispiel das Lied „Zeit der Gerechtigkeit“, handeln von der Furchtbarkeit des „Solinger Brandanschlags“ und der Verurteilung unschuldiger Menschen.

Wenn ich gefragt werde, wie es ist, ein Leben als rechtskräftig verurteilter und zugleich als ein zu Unrecht verurteilter Mörder zu führen, dann antworte ich: Ich ziehe vor allem sehr viel Kraft aus meiner Arbeit als Sozialpädagoge im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit, der ich seit meiner Haftentlassung im Jahr 2000, insbesondere seit dem erfolgreichen Abschluss meines Studiums der Sozialarbeit, nachgehe. Ich arbeite auch heute noch vor allem mit Kindern mit Migrationshintergrund.

Zuletzt leitete ich eine Sprachförderungsgruppe für syrische Flüchtlingskinder, die ich ganzheitlich auch in Sachen „Alltagskompetenz“ förderte und die mit mir u.a. auch immer sehr gerne und voller Hingabe und Lebensfreude gesungen und Musik gemacht haben. Diese Kinder waren allesamt so tolle, wunderbare, kleine Persönlichkeiten, die ich sofort in mein Herz geschlossen habe, genauso wie sie mich. Gerade das, was man von Kindern, die in der Regel eigentlich immer unglaublich ehrlich sind, zurückbekommt, ist für mich großartig und etwas ganz Besonderes und Wertvolles, aus dem ich sehr viel Kraft, Glück und Zufriedenheit ziehe.

Ich möchte mir nicht ausmalen, wozu ich fähig wäre, wenn sich jemand an diesen Kindern, meinen Schutzbefohlenen, vergreifen würde. Dass man Kindern, egal welcher Herkunft und Nationalität, mit Hass und Gewalt begegnen könnte, ist mir bis auf den heutigen Tag immer absolut unvorstellbar gewesen, obwohl es doch jeden Tag geschieht, auch in Deutschland. Dass ich selber in den Augen Anderer ein solches Monster sein soll, zerreißt mich jeden Tag ein Stück mehr – auch über den 30. Jahrestag hinaus.

Mai 2023
Christian Buchholz

Rainer

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Tags:
Falschbeschuldigung, Lügenpolitik, Lügenjustiz


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