Tobias Kahler, was für ein Idiot (Allgemein)
Debatte über Radwege in Peru
Bei der Entwicklungshilfe sparen? Das schadet Deutschland
Bei der Entwicklungshilfe geht es nicht nur darum, andere Staaten zu unterstützen. Sie liegt auch im Kerninteresse Deutschlands, meint Gastautor Tobias Kahler.
Die Entwicklungshilfe steht in der Kritik: Deutschland solle keine "Radwege in Peru" finanzieren, sondern sich auf seine eigenen Probleme konzentrieren, heißt es. Ein Fehler. Denn Deutschland muss ein verlässlicher Partner bleiben, auch aus Eigeninteresse. Dafür muss sich die Debatte über Entwicklungshilfe wieder ums Wesentliche drehen.
Als die Regierung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts unliebsam auf Sparkurs geschickt wurde, wussten einige Abgeordnete und Kommentatoren sofort, wo zuerst der Rotstift angesetzt werden müsse:
Die peruanischen Radwege sind inzwischen fast zu einem Synonym für die vermeintlich verfehlte Ausgabenpolitik der Ampelregierung geworden. Gleichzeitig wurde in der Debatte – in weiten Teilen ohne Rücksicht auf Fakten – die Entwicklungszusammenarbeit diskreditiert.
Es macht Hoffnung und Mut, dass Hunderttausende Menschen gegen Nationalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf die Straße gehen und ein starkes Zeichen für Weltoffenheit setzen. Die Herausforderungen der Gegenwart verlangen nach globalen Lösungen – nationalstaatliche Abschottung wäre ein Irrweg. Damit unser Land weltoffen und international verlässlich bleibt, muss Deutschland auch seiner internationalen Verantwortung gerecht werden.
Weniger Geld für eine gesunde Welt und gegen Hunger
Fakt ist aber, dass die Ausgaben für das internationale Engagement Deutschlands massiv gekürzt wurden. 2024 sind zwei Milliarden weniger für Entwicklungszusammenarbeit, internationalen Klimaschutz und humanitäre Hilfe vorgesehen. Dies hat Konsequenzen für viele internationale Programme: Dem Welternährungsprogramm, das die Folgen von Hungerkatastrophen abfedert, werden nun 26 Prozent weniger Mittel zur Verfügung gestellt.
Im Jahr 1972 haben sich 32 Geberländer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) darauf geeignet, dass die öffentlichen Entwicklungsleistungen (kurz ODA) bei 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens liegen sollen. Die Bundesregierung hat dieses Ziel in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, für 2024 nun aber aufgegeben. Und es drohen weitere Kürzungen, die das Ziel in weite Ferne rücken lassen. Dabei geht es bei der Entwicklungszusammenarbeit mitnichten um einen großen Posten im Haushalt – das BMZ beträgt nicht einmal drei Prozent des Gesamthaushalts.
Es geht um Menschenleben und um Wohlstand
Das deutsche Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit zeigt Wirkung. So hat Deutschlands Unterstützung der Impfallianz GAVI mit dazu beigetragen, dass eine Milliarde Kinder gegen Krankheiten wie Typhus und Kinderlähmung geimpft werden konnte. Diese Grundimmunisierung gegen vermeidbare Krankheiten rettet Leben – seit Gründung der Impfallianz Gavi konnten mehr als 20 Millionen Todesfälle verhindert werden.
Zudem sind Ausgaben für Gesundheitsprogramme auch unter ökonomischen Gesichtspunkten gut angelegtes Geld. So hat jeder Euro für Gavi eine geschätzte "Rendite" von rund 54 Euro, etwa weil Gesundheitskosten gesenkt werden, wenn immunisierte Menschen ein gesundes Leben führen können. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos wurde jüngst errechnet, dass die Weltwirtschaft im Jahr 2040 um mindestens eine Billion Dollar jährlich angekurbelt werden kann, wenn die Weltgemeinschaft die Frauengesundheit unterstützt.
Denn: Investitionen in die Gesundheitsversorgung von Müttern und Neugeborenen retten nicht nur Leben, sondern ermöglichen Frauen bessere Teilhabe am Arbeitsmarkt und bewirken in der Folge Wirtschaftswachstum.
Deutschland muss ein verlässlicher Partner bleiben
Wenn Deutschland über Forschungs- und Entwicklungsprogramme beispielsweise Kleinbauern hilft, sich mit dem Anbau hitzeresistenter Nutzpflanzen an zunehmende Dürren anzupassen, können diese ihre Lebens- und Einkommensgrundlage vor Ort und die Versorgung von Millionen von Menschen in Afrika und Südasien erhalten. So werden weniger Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Daher sollte internationales Engagement als Investition gesehen werden – nicht als Belastung.
Für die Industrienationen muss es auch darum gehen, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen. Nach zahlreichen gebrochenen Versprechen, zuletzt während der COVID-19-Pandemie, als die reichen Länder entgegen ihren Versprechungen den armen Ländern nur einen eingeschränkten Zugang zu Impfstoffen gewährten, steht nun einiges auf dem Spiel. Allein mit warmen Worten werden sich die Beziehungen zu den Ländern des globalen Südens nicht auf Dauer pflegen lassen.
Ein Kerninteresse für die Exportnation Deutschland
Auch muss Deutschland bewusst sein, dass andere Staaten ihren Einfluss in vielen dieser Länder weiter ausbauen werden – im berechtigten Interesse afrikanischer und südasiatischer Regierungen um die besten Angebote möglicher Partner. Es geht um wirtschaftliche und politische Verbindungen zu aufstrebenden Regionen der Welt – ein Kerninteresse für die Exportnation Deutschland.
Das alles zeigt, wie wichtig Deutschland als internationaler Champion für die Entwicklungszusammenarbeit bleibt. Die Afrikareisen des Bundeskanzlers und vieler Minister vermitteln den Eindruck, dass die Regierung die zunehmende Relevanz des Nachbarkontinents im Blick hat. Bei demnächst anstehenden Geberkonferenzen – etwa bei der Impfallianz Gavi – hat Deutschland die Chance, ein starkes Zeichen der Kontinuität zu setzen, sich als verlässlicher und vor allem auch als weltoffener Partner zu zeigen
Die Demonstrationen gegen Nationalismus machen Hoffnung, dass Deutschland der Welt zugewandt bleibt – und sich die Entscheidungsträger auch in Zeiten knapper Budgets daran erinnern, worum es bei der Entwicklungszusammenarbeit geht: um den Erhalt und die Verbesserung von Lebensgrundlagen und um den Aufbau von Resilienz in Zeiten vielfacher Krisen. Daran führend mitzuwirken, bleibt auch in deutschem Interesse.